Die GRAILS haben mit „Doomsdayer’s Holiday“ eines der eigenwilligsten Alben des Jahres 2008 vorgelegt. Darauf werden mächtige Gitarrenriffs und kosmische Freejazz-Erkundungen mit psychedelisch-rauchiger, nahöstlicher Musik zu einem 70er-Jahre-Neo-Noir-Feeling verdichtet. In dieser Art und Weise sowie in der dargebotenen Konsequenz können die GRAILS damit getrost als einzigartig bezeichnet werden. Um einige musikalische, ästhetische und allgemeine Positionen der Band näher zu beleuchten, setzte ich mich mit den Jungs aus Portland in Verbindung und erhielt auf meine Fragen von Emil Amos und Alex Hall einige aufschlussreiche Antworten.
Die GRAILS werden oft als „eine Band voll Multi-Instrumentalisten“ bezeichnet. Wer spielt denn nun tatsächlich welche Instrumente? Und wer entscheidet bei der Arbeit an neuem Material darüber, welches Instrument an welcher Stelle zum Einsatz kommt?
Alex: Mit der Zeit hat es sich herauskristallisiert, dass jeder von uns für einen bestimmten Bereich der Instrumentierung verantwortlich ist. Das geschah ganz natürlich im Laufe der Zeit. Normalerweise führt uns der Song bei der Wahl der Instrumente – meistens ist es ziemlich offensichtlich, was zu tun ist.
Eure aktuelle Scheibe „Doomsdayer’s Holiday“ fühlt sich sehr frei und ungezwungen an. Was inspiriert euch, solche Musik zu machen? Was ist überhaupt eure Motivation, Musik zu machen?
Alex: Für uns ist das, was wir da machen, der einzig logische und ehrliche Weg zu versuchen, rockbasierte Musik im Jahre 2009 zu machen. Es gab seit Jahren nichts Neues bezüglich Typen mit Gitarren und Schlagzeug. Wir lieben einfach jegliche gute Musik und diese Band ist unsere Möglichkeit, all die Dinge zusammenzubringen, die wir lieben.
Musik und visuelle Präsentation der GRAILS haben immer so einen gruselig-düsteren Touch. Woher rührt dieser Hang dazu?
Emil: Kunst hat schon immer zur Kritik an der Massenkultur gedient. Wenn man zur Kommunikation einer Nachricht keine Worte zur Verfügung hat, dann muss man versuchen, über klangliche Konstrukte an die Teile des Bewusstseins zu gelangen, an die man sonst nicht so einfach herankommt. Eine der Stärken von Musik ist doch, dass sie konkrete Stimmungen erzeugen kann, wie Angst, Wahn oder Unbehagen. Als Künstler wäre man gescheitert, wenn man nur den Geist des Rezipienten berieselte, obwohl das wohl immer auch Teil des Ganzen ist.
Im Internet kursiert so ein schräger „Werbeclip“ für „Doomsdayer’s Holiday“. Was hat es mit der Stripperin mit dem 666-Tattoo und dem rollschuhlaufenden Jesus auf sich? Woher genau stammt das Material? Es wirkt, als wäre das aus alten Filmen zusammengestellt, oder habt ihr die Sachen speziell für diese Commercials gedreht?
Emil: Nein, ich habe derzeit definitiv nicht den Nerv, solche Sachen selbst zu drehen. In letzter Zeit fahren wir ziemlich ab auf italienische Ästhetik in Film und Musik, weshalb auch einige Ausschnitte dieser 70er-Jahre-Streifen ihren Weg in unsere Videos gefunden haben. Die Commercials sind in einer Kollagetechnik entstanden, die sich, wie ich finde, am besten eignet, um die diffusen mentalen Auswirkungen von Rauscherfahrungen zu visualisieren. Auf der anderen Seite ist es auch eine gute Möglichkeit, etwas Witz in ein meiner Meinung nach viel zu ernstes Genre zu bringen. Der Düsterkeit unserer bildlichen Darstellungen wohnt immer auch ein Schuss schwarzer Humor inne. Ich vermute, ohne die ganze Sache auch mit etwas Humor zu betrachten, könnten wir gar nicht mit dieser extremen Düsterkeit umgehen.
Ihr wohnt in Portland, Oregon, und bin ich immer wieder überrascht, wie viele wirklich interessante Bands sowie gute, unangepasste Musik von dort kommen.
Alex: Die Musikszene in Portland ist so groß, dass es eigentlich kein Publikum mehr gibt; wirklich jeder ist in einer Band. Das kann sehr ermüdend sein. Wir haben schon vor geraumer Zeit erkannt, dass unsere Zeit und Energie viel sinnvoller eingesetzt ist, wenn wir uns in Portland auf das Aufnehmen beschränken und für Konzerte woanders hinfahren. Aber zum Leben und als Homebase ist es ein sehr schöner Ort.
Da „Doomsdayer’s Holiday“ – genau wie Zaks jüngstes Soloalbum – unüberhörbar von orientalischer Musik beeinflusst ist, scheint es klar, dass ihr anderen Kulturen gegenüber recht offen seid. Wenn man dann noch weiß, dass sich Emils aktuelles Soloalbum „Decline Of The West“ nennt, dann hat man genug Anhaltspunkte, um anzunehmen, dass ihr nicht sonderlich zufrieden mit der westlichen Zivilisation und ihrer Kultur seid. Was sind denn die Hauptkritikpunkte?
Emil Amos: Ich glaube, das ist ein Ergebnis der Suche nach psychologischer Ausgeglichenheit in unserem Leben plus der Tatsache, dass wir unglaublich gelangweilt sind von westlichen Tonskalen und Rhythmen. Vielleicht sucht unser kollektives Unterbewusstsein nach irgendwelchen Gemeinsamkeiten der Kulturen des Westens und des Ostens. Der Westen hat offensichtliche Fehler im Wertesystem, welche sich in seiner Kunst und Unterhaltung widerspiegeln. Wir finden es ziemlich beunruhigend, dass wir in einer Kultur feststecken, in der es nur um das Erscheinungsbild geht, nicht um Substanz. Die westliche Mentalität besteht hauptsächlich entweder aus einer Flucht vor sich selbst oder der wettbewerbsmäßigen Eroberung. Der Osten bietet Gegenentwürfe zu den Denkfehlern des Westens und kann uns auch musikalisch vor Langeweile bewahren.
Was haltet ihr von dem Statement „Art, like knowledge, should be free to the world“?
Emil: Das macht nicht viel Sinn. Wenn ich also etwas lernen möchte, muss ich den Lehrer doch mit irgendetwas entlohnen. Wenn ich ein Buch lesen will, dann muss vorher jemand spezielle Recherchen tätigen und das dann für mich zum Lesen aufbereiten. In welcher Hinsicht ist also das Wissen gratis, wenn du studieren, Bücher kaufen und oder dich sonst wie bilden musst? In Bezug auf Musik: Ich mag, es Platten zu kaufen. Ich will die Künstler unterstützen, ich mag das Artwork und ich mag die Tatsache, tatsächlich ein Objekt zu besitzen, anstatt eines virtuellen Datenlagers.
Da stimme ich dir voll und ganz zu. Aber die meisten Menschen scheinen anders zu denken, Musik wird massenhaft illegal im Internet verbreitet. Wo seht ihr die Zukunft des Musikvertriebs? Denkt ihr, die „herkömmlichen Wege“ wie Tonträger, Plattenläden sind noch leistungsfähig genug?
Emil: Um die Tonträger muss man sich absolut keine Sorgen machen. Sie werden höchstens wertvoller, weil weniger davon hergestellt werden. Es wird immer eine Menge Leute geben, die lieber etwas greifbares, etwas Schönes haben wollen, als etwas Virtuelles. Ich selbst muss sagen, dass ich kein Interesse daran habe, die Dinge zu kontrollieren oder illegales Downloading anzuprangern, denn oft hilft es ja auch, weniger bekannte Musik weiterzuverbreiten. Mit unserer Band bewegen wir uns glücklicherweise in einem Genre, in dem die Menschen besonderen Wert auf das Besitzen und Sammeln von Tonträgern legen. Deswegen haben wir uns also noch nie wirklich von diesem Phänomen bedroht gefühlt.
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