Das Frankfurter Label Hazelwood Vinyl Plastics stieß in den Untiefen des World Wide Web auf ein Lied von GOOD WEATHER GIRL, und diverse Gespräche und Mails später landeten die Urheber dieser so begeisternden, zerbrechlichen, spröden Songs in Frankfurt, um mit „Boon“ ihr erstes Album aufzunehmen. Das Londoner Duo besteht aus den Geschwistern Dion und Shem Lucas und gab sich gegenüber den Hazelwood-Machern als Sprösslinge von Soo Catwoman zu erkennen, jener Punk-Frau, die wegen ihrer markanten Katzenohren-Frisur zur vielfotografierten Ikone der frühen Londoner Punkszene wurde. Für uns klang das nach einer interessanten Geschichte, deshalb dieses Interview.
Mir ist aufgefallen, dass es im Internet so gut wie keine Infos über euch gibt, schon eher über eure Mutter. Könntet ihr euch also mal vorstellen?
Dion: Wir sind ein Geschwisterduo aus London, bestehend aus Dion October und Shem Lucas. Wir beide lieben Musik, die Liebe und das Leben. Auch wenn wir zum Teil auf die gleiche Musik stehen, unterscheiden sich unsere Vorlieben doch ziemlich. Ich mag Indie und Elektro, während Shem lieber Death Metal und Hardcore hört.
Wann habt ihr angefangen, zusammen Musik zu machen? Und wie funktioniert das, wo ihr doch Geschwister seid?
Dion: Wir musizieren seit 2007 zusammen und die Tatsache, dass wir als Geschwister auch zusammen leben, macht vieles einfacher. In dem Augenblick, in dem jemand von uns einen Einfall hat, können wir ihn auch schon praktisch austesten. Wir nehmen häufig Songs schon in ihrer Entstehungsphase auf. Wenn wir dann weiter an ihnen arbeiten, wird sofort klar, was funktioniert und was nicht.
Shem: Viele sind der Meinung, dass es sehr ungewöhnlich ist, dass Geschwister so gut miteinander zurecht kommen, aber wir beide waren immer schon auch gute Freunde. Vielleicht liegt das an unserer Art, mit Problemen umzugehen. Wir verbringen viel Zeit miteinander und kennen uns einfach sehr, sehr gut. Deswegen ist es einfacher, über Meinungsverschiedenheiten hinwegzukommen, indem man über sie redet. Und die Musik hat uns auf jeden Fall auch einander näher gebracht.
Welche ist die erste Platte, an die ihr euch erinnern könnt? Hat Musik generell eine große Rolle in eurer Kindheit gespielt?
Dion: Wir waren mit Musik umgeben, so lange ich denken kann. Unsere Mutter hat uns schon sehr früh dazu animiert, mit ihr zu lauter Musik durch die Wohnung zu tanzen – das hat immer viel Spaß gemacht. Die erste Platte, an die ich mich erinnern kann, war David Bowies „Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“.
Shem: Ich habe schon früh METALLICA und THE FIELDS OF THE NEPHILIM gehört, unsere Mutter hat einen ziemlich vielfältigen Geschmack. Einer der ersten Songs, die ich auf Gitarre spielen konnte, war „Children of the Revolution“ von T. REX.
Wie ging das los mit eurer Miniband?
Dion: Wir haben zwei Songs, die wir selbst zu Hause aufgenommen haben, auf Myspace online gestellt, eigentlich um sie unseren Freunden zeigen zu können. Am Anfang hielten wir uns sowieso nicht für ernst zu nehmende Musiker. Selbst als wir dann unseren ersten Auftritt im Tate Britain-Museum im Rahmen des 250. Geburtstag von William Blake hatten, war das für uns beide noch Spaß. Wir waren früher öfter mal mit unserer Mutter da und es war eine Ehre, dort spielen zu dürfen, und wir wurden sehr nett empfangen. Eines schönen Tages hat uns Hazelwood via MySpace geschrieben, ob wir uns nicht mit ihnen über ein richtiges Album unterhalten möchten. Wir dachten, da hält sich jemand für ziemlich witzig. Nach ein paar Wochen haben wir mal telefoniert, später haben sie uns eine Box mit den bisherigen Hazelwood-Releases geschickt. Darauf kam die Frage: „Glaubt ihr uns jetzt?“ Ab dem Punkt waren wir dann sicher, dass sie ein echtes Label sind, und fingen an, die Sache ernst zu nehmen. Sie sagten uns, dass wir mit zwölf neuen Songs nach Frankfurt fliegen sollen, um mit ihnen ins Studio zu gehen. Das war eine unheimlich aufregende und kreative Zeit. Wir haben sogar noch mehr Songs im Studio geschrieben. Inzwischen ist Hazelwood für uns wie eine Familie.
Kurz bevor das Album rausgekommen ist, wart ihr im Frühjahr 2010 auf Tour in Deutschland. Wie hat es euch gefallen und kommt ihr bald wieder?
Dion: Die Tour in Deutschland war der Hammer. Wir hatten tolle Shows in super Läden, und obwohl das Touren uns beide auch ermüdet hat, war es toll. Irgendwann im Herbst kommen wir wohl noch mal nach Deutschland und dann hoffentlich mit einem Drummer.
Deutsches Label, deutsche Tour ... nimmt man in England oder sonst wo auch Notiz von euch?
Shem: Wir haben schon häufiger im 12 Bar Club in London gespielt. Die Leute sind wirklich nett und haben uns von Anfang an unterstützt. Wir hatten immer viel Spaß, da zu spielen. Außerdem treten wir auch hin und wieder im Good Ship in Kilburn auf. Ein Fan in Amerika hat einen Fanclub für uns gegründet und wir haben auch Fans in England, Schottland, Irland und Wales, ebenso wie in Deutschland. Ein Radiosender auf den Philippinen spielt öfter unsere Songs und auch einer in Schottland. Wir genießen die Shows in Deutschland, weil die Leute wirklich auf Live-Musik stehen und es sich toll anfühlt, wenn man so geschätzt wird.
Wo soll das alles für euch hinführen? Seid ihr bereit für eine Musikkarriere oder gibt es noch was Wichtigeres in eurem Leben?
Dion: So richtig wissen wir nicht, wo uns unsere Musik hinführt, aber wir haben vor, diese Reise zu genießen. Musik wird immer eine große Bedeutung für uns haben und wir werden weitermachen, so lange wir Inspiration finden. Musik ist unser Leben und wir hoffen, dass es GOOD WEATHER GIRL noch lange geben wird.
Wann habt ihr herausgefunden, dass eure Mutter, Soo Catwoman, eine Punk-Ikone war und ist und wie habt ihr darauf reagiert?
Shem: Wir wussten immer, dass sie irgendwas gemacht hat, weil wir Bilder von ihr in Büchern gesehen haben. Das war aber kein Schock, wir sind ganz normal mit dieser Information aufgewachsen. Wir waren weder entsetzt noch beeindruckt, sondern einfach stolz, weil sie unsere Mutter ist. Wir wussten eigentlich auch nicht, wie bekannt sie wirklich ist, bis wir sie bei den „Simpsons“ gesehen haben – das hat uns stolz gemacht.
Aber spielt Punk eine Rolle in eurem Leben? Es ist ja eher ungewöhnlich, dass man Eltern mit so einer illustren Vergangenheit hat, obwohl ich mir auch vorstellen kann, dass es auch nerven kann, immer wieder die alten Geschichten zu hören. Und für euch war es wohl auch nicht so leicht, eure Mutter mit einer verrückten Frisur zu ärgern.
Dion: Wir hatten immer großen Respekt vor Punk. Es war eine wichtige Zeit, die viel verändert hat. Als ich meine rebellischen Teenagerjahre hatte, hat mir meine Mum die Haare geschnitten. Der Grund, warum wir als Familie so gut zurechtkommen und zusammenhalten, ist wohl, dass wir immer die Freiheit hatten, uns auszudrücken, weil unsere Mutter nie vergessen hat, wie es ist jung zu sein. Unsere Rebellion richtete sich immer gegen das Schulsystem, weil es versucht hat, einen Keil zwischen uns und unsere Mutter zu treiben. Aber ohne Erfolg. Ich wurde in der Schule fertig gemacht und mehr als einmal von sowohl Jungs als auch Mädchen verprügelt, habe aber nie Hilfe bekommen. Meine Mutter hat mich zu meinem Schutz schließlich von der Schule genommen und mich für zwei Jahre zu Hause unterrichtet.
Shem: Die Schule hat ihre Kleidervorschriften in dem Jahr überarbeitet, in dem ich sie verlassen habe. Ich hatte mir die Haare lang wachsen lassen. Sie fragten meine Mutter, ob sie mir nicht einmal einen ordentlichen Schnitt verpassen wolle, und sie sagte nur: „Nein, er lässt sich die Haare wachsen – was soll ein Haarschnitt bitte zu seiner Ausbildung beitragen?“
Glaubt ihr, die Tatsache, dass alle Journalisten – inklusive mir – auf dem Thema herumreiten, könnte eure eigenen musikalischen Erfolge überschatten?
Shem: Das denken wir eigentlich nicht. Wir alle sind uns sehr nah und niemand von uns hat ein so großes Ego, dass so etwas zum Problem werden könnte. Es ist nunmal ein interessantes Thema und natürlich fragen die Leute danach. Weder wir noch unsere Mutter haben Schwierigkeiten damit, wenn jemand auf unsere Verbindung anspielt. Sie meint, dass schon so viele Leute ihren Namen irgendwo erwähnt haben, die sie überhaupt nicht kennt, dass doch auf jeden Fall ihre eigenen Kinder das Recht dazu haben.
Die Website eurer Mutter gibt es seit Februar 2010, ist also noch ziemlich neu. Ist es Zufall oder hat es was damit zu tun, dass das Interesse an ihr wegen eurer Platte wieder steigt?
Shem: Das ist bloß Zufall, aber wir haben ihr schon vor längerer Zeit gesagt, dass sie mal eine neue Website braucht. Sie ist nur so bescheiden, und schlachtet ihre Vergangenheit nicht gern aus. Sie hat ein MySpace-Profil und hält das für ausreichend als Kontakt zur Welt. Ein Freund hat die Website erstellt und sie hat ihre Biografie selbst geschrieben, um sich mal wieder im Schreiben zu üben. Sie hat Talent dafür und wir hoffen, dass sie bald ein Buch über ihre Erlebnisse von früher macht. Die Leute sind immer sehr begeistert, wenn sie davon erzählt. Wir können nichts daran ändern, dass unsere Mutter Soo Catwoman ist, aber wir denken auch nicht, dass man daraus ein Geheimnis machen muss. In unseren Augen hatte sie ein unglaublich interessantes Leben und verkörpert ein Stück Geschichte und diese sollte in ihren Worten niedergeschrieben werden. Sie hat vor zehn Jahren angefangen, an einem Buch zu arbeiten, litt dann aber unter gesundheitlichen Schwierigkeiten und deswegen wurde das erst mal auf Eis gelegt. In letzter Zeit hat sie wieder mehr Interesse daran gezeigt, all ihre Erinnerungen mal aufzuschreiben, und wir fänden das wirklich toll.
Dion, ich habe gesehen, dass du die Shirts auf der Website gemacht hast. Ist die „Marke“ Soo Catwoman eine Art Familiengeschäft?
Dion: So kann man es wohl sehen. Meine Mutter hat ihr Image selbst kreiert und in all den Jahren nie Profit daraus gezogen und das erscheint mir unfair. Ich hab mich immer für Siebdruck interessiert und dachte, das wäre eine angemessene Art, sie zu ehren und gleichzeitig etwas zu machen, woran ich Freude habe.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #91 August/September 2010 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #89 April/Mai 2010 und Joachim Hiller