GOOD RIDDANCE

Foto

Another Great Start To A Miserable Day

Ich erinnere mich noch sehr gut an mein letztes Gespräch mit Sänger Russ Rankin Ende September 2001. Damals stand er mir sichtbar schlecht gelaunt gegenüber. Die Geschehnisse des elften Septembers waren noch sehr frisch, und der GOOD RIDDANCE-Frontmann wollte auf keine Frage zum betreffenden Tag oder dem sich damals wenige Monate im Amt befindenden George W. Bush antworten. Seine Begründung klang durchaus nachvollziehbar. Es gab bis dahin einfach keine Gelegenheit sich hinzusetzen und über das Ganze nachzudenken, zu verstehen, was passiert ist. Wer die Texte von Mr. Rankin kennt, weiß, wie wichtig es für ihn ist, sich mit gesellschaftlichen und politischen Problemen auseinander zu setzen.

Im Gegensatz zu seiner Laune an diesem Abend stand das damals gerade veröffentlichte Album „Symptoms Of A Leveling Spirit“. War der Vorgänger „Operation Phoenix“ das Düsterste und Härteste, was die Band bis dahin aufgenommen hatte, so erwartete einen nun ein sehr melodisches und positives Werk. „Operation Phoenix“ sei so düster ausgefallen, weil es Russ damals persönlich schlecht ging, und er sehr viele Probleme in diesen Songs verarbeitet hatte. „Symptoms“ hingegen war in einer Zeit entstanden, als es dem Sänger offensichtlich um einiges besser ging, auch die sozial engagierten Songs befassten sich mehr mit allgemeinen Angelegenheiten denn aktuellen Themen.

Mittlerweile schreiben wir 2003, und die Dinge sehen wieder mal ganz anders aus im Hause GOOD RIDDANCE. Es gibt ein neues Album, das mittlerweile sechste, „Bound By Ties Of Blood And Affection“. Genau wie die Vorgänger ist es bei Fat Wreck Chords erschienen. Und diese neue Platte springt einen direkt an, so energiegeladen ist sie. Ein sechstes Album ist oft der Punkt, an dem man sich fragt, ob man noch etwas von der Band zu erwarten hat, etwas, das es bis dahin noch nicht gegeben hat und so eine Veröffentlichung noch interessant macht.
Um solche Gedanken wissen wohl auch die Herren aus Santa Cruz. Und ihre Antwort ist ebenso einfach wie effektiv. Sie schleudern einem einen Mix aus Spielfreude und Energie entgegen, der es einem nicht leicht macht, dieses Album weiter zu hinterfragen.
Es erwarten einen vierzehn abwechslungsreiche Songs, die einiges vom Vorgänger übernommen haben, die aber auch an die Härte von „Operation Phoenix“ anknüpfen. Und, da ist es wieder, dieses düstere Element, das einen ahnen lässt, dass die Dinge nicht mehr in Ordnung sind. Die Texte klingen mal sehr persönlich, oft sehr politisch und aktuell, und immer ist da ein negativer Touch, kein Zeichen von Optimismus und guter Laune. Nun war Russ Rankin aber bislang auch nicht berühmt dafür, Gute-Laune-Songs zu schreiben. „In meinen Lyrics ging es schon immer um politische Probleme, genauso wie sie auch immer persönlich ausfallen, da einfach ein Teil von mir in ihnen steckt“, eröffnet er mir am Telefon. Und wieder sind sie da, die Gegensätze.
So düster die Stimmung auf „Bound By Ties Of Blood And Affection“ auch ist, so gut ist mein Gegenüber in der Leitung gelaunt und gesprächig: „Aber, ja, du hast Recht, unser neues Album ist wieder mal sehr düster ausgefallen. Musikalisch nicht so sehr, da gibt es viele Gemeinsamkeiten zum Vorgänger ‚Symptoms‘, es ist ähnlich melodisch ausgefallen, nur, dass die Songs viel mehr Biss haben. Wir haben uns wieder mal etwas mehr von den alten Punkbands aus der ersten Hälfte der 80er Jahre inspirieren lassen. Daher sind der eine oder andere Song auch etwas härter. Aber inhaltlich knüpft das Album viel mehr an ‚Phoenix‘ an. In den letzten anderthalb Jahren habe ich wieder eine sehr schwierige Phase durchmachen müssen. Als ‚Symptoms‘ entstanden ist, war ich verlobt und glücklich, und ich war mir sicher, ich würde mit dieser Frau zusammenbleiben. Das ist leider nicht mehr der Fall, die Beziehung ist in die Brüche gegangen. Es hat mir sehr zu schaffen gemacht, und das kann man in den Texten sehr deutlich nachlesen. So etwas hinterlässt Spuren. Es gibt sogar drei Songs auf dem Album, die sich nur mit dieser Trennung befassen.“
Das andere große Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Album zieht, ist natürlich George W. Bush. Wäre es nicht so makaber, könnte man sich für die Amtszeit dieses Mannes bedanken. Mit seiner Machtpolitik hat er es geschafft, vielen als Inspiration zu dienen. Selbst weniger politisch orientierte Bands wie LAGWAGON kamen nicht um das Thema Bush jr. herum, und für jede Band, die den Anspruch hat, sich mit Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen, genügt das Verhalten dieses Mannes, um ganze Alben zu füllen. Und Russ gehört definitiv zu letzterer Gruppe Musiker. Er macht kein Geheimnis mehr daraus, was er von seinem Präsidenten hält: „Er ist ein herumlabernder Idiot, dem beim Thema Krieg einer abgeht. Ich sehe ihn nicht als meinen Präsidenten an, ich habe auch nicht für ihn gestimmt, wie übrigens viele andere auch nicht.“
Der Haupt-Songwriter der Band ist eigentlich bekannt dafür, dass er in seinen Texten im Gegensatz zu manch einer anderen Band nicht zu sehr ins Detail geht, sondern konkrete Probleme in einem allgemein gültigen Kontext betrachtet. Was bei den Geschehnissen der letzten zwei Jahre nicht ganz so einfach ist, wenn man bedenkt, dass es eine ewig lange Kette unmöglicher Entscheidungen und Einstellungen ist, die das Leben auf diesem Planeten gerade so ungemütlich machen. Daher sind diesmal einige Zeilen deutlicher ausgefallen, als es bisher der Fall war.
Russ liegt sehr viel daran, Menschen zum Nachdenken zu bringen. Für ihn haben die Aussagen seiner Texte einen fast noch wichtigeren Stellenwert als seine Musik. Leuten klarzumachen, was passiert, ist sein Beitrag dazu, etwas an der gegenwärtigen Situation zu verändern. Als Einzelperson kann man nicht so viel erreichen, wenn man aber andere wachrüttelt und sich eine große Mehrheit gegen herrschende Verhältnisse stellt, dann kann man sehr wohl etwas verbessern. Und die nächste Gelegenheit, Fehler aus der Vergangenheit auszubessern, steht Ende nächsten Jahres mit den Wahlen zum US-Präsidenten bevor. Das Wichtigste ist dabei, den amtierenden Präsidenten aus dem Weißen Haus zu wählen und dafür zu sorgen, dass sein Nachfolger nicht den selben Weg bestreitet.
Aber neben der Abwahl Bushs ist es laut Russ an der Zeit, endlich eine dritte Partei zu etablieren. Die größte Partei sind da Ralph Naders Grüne. Nader ist zwar auch eine umstrittene Person, besonders in den Augen mancher Straight Edge-Anhänger, weil er sich für die Legalisierung von Marihuana einsetzt, aber er ist der Einzige, der es schaffen kann, seine Partei über die 5%-Hürde zu bringen, die in den USA den Ausschlag dafür gibt, ob eine Partei Finanzhilfen vom Staat bekommt und somit wachsen kann, oder ob sie auch weiterhin auf Spendengelder angewiesen ist. Jede Stimme für Nader ist indirekt aber auch eine Stimme für Bush, da sie dem demokratischen Gegenkandidaten fehlt. Es ist ja nicht anzunehmen, dass Bush-Befürworter plötzlich in Scharen zu Nader-Wählern werden. Also stehen diese beiden Interessen in einem Konflikt zueinander. Und wie wichtig auch die Etablierung der grünen Partei ist, so bleibt das Hauptaugenmerk dennoch auf der Abwahl Bushs. Die Problematik an dieser Sache ist dem Sänger durchaus bewusst:
„Es sind zwei große Aufgaben, die es zu erfüllen gilt, die sich aber leider gegenseitig behindern. Ich unterstütze nicht die Demokraten, aber nur sie können Bush beseitigen. Ralph Nader weiß selbst, dass er nicht Präsident werden kann. Aber er kann es schaffen, bei den übernächsten Wahlen mehr als fünf Prozent zu erreichen. Die USA benötigen endlich eine Partei, die den beiden Großen Widerstand entgegensetzt.“
Zu ähnlich sind sich Demokraten und Republikaner geworden, in beiden Fällen geht es nur um Macht und um Geld. Beide Parteien vertreten die Interessen verschiedener Industrie-Gruppen und lassen sich für sehr hohe Summen kaufen. Es gibt eigentlich niemanden unter diesen beiden Gruppierungen, der nicht korrupt ist, oder dem das Wohl der Bürger mehr bedeutet als persönliche Vorteile oder sein Anteil an der Macht. „Die ganze Sache mit dem Irak ist ein trauriges Beispiel dafür, wie die Leute hier erfolgreich für dumm verkauft werden. Man hat ihnen eingeredet, was für eine Gefahr für sie von diesem Land ausgeht, und wie viele gefährliche Waffen es dort geben soll. Und mit der Unterstützung großer Bevölkerungsteile, die immer noch vom 11. September eingeschüchtert sind, hat George Bush einen weiteren Krieg angefangen, um persönliche Interessen durchzusetzen. Ihm kann es egal sein, er verdient nur daran, sterben tun andere in diesem Krieg, unschuldige Menschen. Wir Amerikaner müssten uns für diesen Mann schämen, dass wir ihn der Welt zugemutet haben. Es wird lange dauern, seine Fehler wieder gutzumachen. Ich hoffe, die anderen Länder werden uns verzeihen können, dass wir zugelassen haben, dass so etwas wie Bush gewählt wird.“

Foto: BJ papas