„Life Is Not A Lesson“ ist das zweite Album des amerikanischen Musikers Ned Russin, das er unter dem Namen GLITTERER veröffentlicht. Man kennt den Sänger und Bassisten von TITLE FIGHT eigentlich lauter und offensiver. Doch als GLITTERER fängt er softe Momente ein, jongliert mit emotionalen Post-Punk-Szenen und stellt viele Fragen, ohne Antworten zu versprechen.
Schreibst du gezielt für ein Album oder bist du konstant kreativ und wenn genug Songs zusammengekommen sind, dann gibt es ein Album?
Ein bisschen von beidem. Ich versuche immer Songs zu schreiben, aber nachdem ich die erste EP zu veröffentlicht hatte, hat sich das verselbstständigt. Es habe schon grob im Kopf, dass ich jetzt für die nächste Veröffentlichung schreibe, aber nicht so konkret, in welchem Zusammenhang die Songs stehen sollen oder was für eine Art von Album dabei herauskommen könnte.
Du bist also in einem ständigen kreativen Prozess?
Haha, ich versuche es zumindest zu sein, aber das ist tatsächlich schwierig. Wenn ich keine Songs schreibe, dann versuche ich zumindest immer, Musik zu spielen und zu üben.
Sind die Songs deshalb so kurz, weil du einfach jede Idee aufgreifst und weniger in strikten Songstrukturen denkst?
Ja, das ist sicherlich auch ein Grund. Aber eben auch, dass ich aus dem Hardcore-Bereich komme und das einfach mein grundsätzlicher Ansatz für Musik ist. Da versucht man ja immer so kurz wie möglich zu sein, schnell auf den Punkt zu kommen. Aber es kommt auch daher, dass die für mich am besten klingenden Szenen verschmelzen lassen möchte und der Song dann auch genau da aufhören muss. Das ist für mich so was wie die Hardcore-Formel.
Das ist für Musiker besonders schwer, oder? Nicht immer weiter an den Songs zu arbeiten, sondern einfach aufzuhören.
Ja, meine Philosophie ist auch eher, dass die Leute den Song lieber immer wieder spielen wollen sollen, um diese eine Stelle zu hören, statt schnell von ihm übersättigt zu sein. Generell mag ich, wenn Dinge kürzer sind, das fängt mehr Energie ein und lässt immer noch genug Raum, um nach vorne zu schauen.
Ist GLITTERER eine One-Man-Band?
Ja, das bin nur ich. Es gab eine einzige Show mit Vollbesetzung, mit unterschiedlichen Leuten, zum Beispiel mit dem Gitarristen von NAILS. Das sind alles gute Freunde von mir, die ein breitgefächertes, musikalisches Interesse haben. Das ist schon cool. Die Lieder mache ich komplett alleine.
Aber während du die Songs schreibst, musst du ja in der Lage sein, mit den Instrumenten etwas anzufangen. Du kannst ja nicht nur im Kopf komponieren.
Also, abgesehen von dem Schlagzeug spiele ich alles selbst. Ich bin jetzt kein professioneller Keyboarder, auch wenn Klavier das erste Instrument war, das ich spielen konnte, und ich schon früh Unterricht bekommen habe. Obwohl ich gut war, habe ich da aber überhaupt keine Leidenschaft gespürt. Also bin ich schnell auf den Bass umgestiegen, auch wenn ich immer mal wieder zum Klavier zurückkomme. Aber umgehen kann ich damit noch, es ist auch sehr hilfreich, jegliche Idee erst mal darauf umzusetzen. Dann setze ich mich ganz anders damit auseinander, als wenn ich beispielsweise Bass spiele und mich sicherer fühle. Dadurch bin ich unterm Strich kreativer, weil ich die mangelnden handwerklichen Fähigkeiten anders ausgleichen muss und so zu anderen Perspektiven finde.
„Life Is Not A Lesson“ lautet der Albumtitel. Nur was ist es dann?
Haha, schwere Frage, auch wenn mir klar war, dass die kommen wird. Und ich glaube auch nicht, dass das Album die Frage beantwortet oder eine Lösung anbietet, das war zumindest nicht mein Ansatz. Es geht eher darum, dass wir immer auf der Reise zum nächsten Ziel oder der nächsten Wunscherfüllung sind und uns davon antreiben lassen. Das verstellt uns manchmal den Blick für andere, wesentliche Dinge und sorgt dafür, dass wir uns selbst in die Isolation treiben. Es wäre schöner, wenn wir uns darüber freuen könnten, dass wir einzigartig sind. Letztendlich greift alles ineinander, das sollte man akzeptieren und nicht versuchen, eine gleichartige Masse zu schaffen. Das bezieht sich nicht nur auf die Menschheit, sondern auch auf die Natur.
In „Try harder still“ singst du davon, gedanklich weg zu sein. Fällt es dir leicht, dich in andere Welten zu denken?
Das ist schon verrückt, seit dem Beginn des Lockdowns fällt mir das viel schwerer. Mein Leben findet, seit ich 19 Jahre alt war, hauptsächlich auf der Straße statt, ich war fast immer auf Tour. Wenn ich dann zwischen den Touren nach Hause kam, war das für mich der Moment, in dem ich echt aufladen konnte und alles von mir abfiel. Umgeben von Menschen, die ich liebe, das gab mir viel Kraft, volle Tankaufladung. Nach drei Monaten daheim fiel mir das schon nicht mehr so leicht, es fehlt mir sehr, mit Leuten in Kontakt zu kommen, Neues zu sehen und einfach Shows zu spielen. Es sind jetzt mittlerweile zehn Monate und ich war noch niemals so lange durchgehend am gleichen Ort.
Was bedeutet dir Musik generell, gab es in den letzten fünf Jahren einen Tag ohne Musik?
Sicherlich nicht, wahrscheinlich nicht einen einzigen in meinem ganzen Leben. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass ich mir dann immer aufmerksam ein Album angehört habe. Musik ist aber immer allgegenwärtig, während des Autofahrens, im Radio oder in der Stadt im Vorbeigehen. Musik hat für mich immer eine Bedeutung gehabt, von Anfang an. Dann bin ich in eine Szene gekommen, habe dort Anschluss gefunden und das hat mir das Gefühl vermittelt, irgendwo dazuzugehören. Das hat sich ganz groß angefühlt für mich. Und es mag jetzt doof klingen, aber ich mag einfach den Klang einer lauten, verzerrten Gitarre. Das macht mich glücklich. Noch dazu steht für mich dahinter eine Weltsicht, eine gewisse Moral und eine Gruppe von Menschen, die das auch mögen und meine Ideale teilen. Das ist enorm und hat alles für mich viel bunter gemacht.
Du hast mal gesagt, dass du es magst, dich in unbequeme Situationen zu bringen. Was genau meinst du damit?
Also GLITTERER war eine Sache, bei der ich mich zuerst unsicher gefühlt habe. Alleine auf der Bühne zu stehen, das war ein ungewohntes Gefühl und eine große Herausforderung für mich. Alleine zu singen, ohne andere Menschen neben mir zu haben, das war krass. Klar, ich bin nicht der Erste, der so was macht, das beanspruche ich sicher nicht für mich. Aber aufgrund der Angst und der Nervosität, der ich mich ausgesetzt habe, habe ich mich dadurch bewusst in eine unbequeme Situation gebracht, mit dem Anspruch daran zu wachsen.
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