GASLIGHT ANTHEM

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We got soul

Mittlerweile dürfte es jeder mitbekommen haben: THE GASLIGHT ANTHEM ist eine der Newcomer-Bands des letzten Jahres. Obwohl ihr Debütalbum bei einem kleinen Independent-Label veröffentlicht wurde, fand sich "Sink Or Swim" auf nahezu allen Favoritenlisten des Jahres 2007 wieder. Was folgte, waren lukrative Angebote zahlreicher Großkonzerne, doch die Band aus New Brunswick, New Jersey entschied sich für das unabhängige Label Side One Dummy, um ihr neues Album "The '59 Sound" herauszubringen. Aus welchen Gründen und was es sonst noch zu der Entstehung der Platte zu sagen gibt, erzählte mir Sänger, Gitarrist und Songschreiber Brian Fallon im Rahmen des zweiten Europabesuchs der Band im Juni dieses Jahres vor der Show im www.thegaslightanthem.comHamburger Hafenklang.


Bei euch ist innerhalb kürzester Zeit einiges passiert. Wann habt ihr gemerkt, dass es in die richtige Richtung geht?

So richtig bewusst wurde uns das bei den letzten drei US-Shows kurz vor der Abreise nach Europa: sie waren allesamt ausverkauft. Da waren plötzlich 300 Kids und alle wollten uns sehen. Einige mussten sogar draußen bleiben, weil keine Karten mehr da waren. Klar, über die letzten Monate gab es definitiv eine Entwicklung, die auch an uns nicht vorbeigegangen ist. Die Kritiken zu "Sink Or Swim" waren ja fast durchweg positiv. Aber einen Laden wie die Knitting Factory in Los Angeles voll zu bekommen, war letztendlich die Bestätigung.

Gab es eigentlich auch kritische Stimmen zu "Sink Or Swim"?

Ja, eine. Der Autor beschwerte sich, dass wir nicht halb so gut wie THE CONSTANTINES wären, womit ich aber immer noch gut leben kann, da ich die Band gerne höre und sehr schätze. Mittlerweile versuche ich aber, keine Reviews mehr zu lesen. Irgendwie macht man sich ja doch Gedanken, ob die Kritik angebracht ist oder nicht. Wir wollen aber unseren Weg zielstrebig weiter gehen, ohne von außen beeinflusst zu werden.

Ist das realistisch, wenn man als Band einen Nachfolger für ein exzellentes und überall hoch gelobtes Debütalbum aufnehmen will?

Nein, natürlich nicht. Wir befinden uns in der Beziehung noch in einem Lernprozess. Nach der positiven Resonanz des Debüts und der EP "Señor And The Queen" haben wir zum ersten Mal wirklich Druck empfunden und uns gefragt, ob das neue Album wohl auch so gut ankommen wird.

Warum?

Weil wir uns dazu entschlossen hatten, mit "The '59 Sound" einen neuen Weg einzuschlagen. Es wäre unmöglich, noch einmal ein Album wie "Sink Or Swim" aufzunehmen. Abgesehen davon, macht es auch aus künstlerischer Sicht keinen Sinn, da wir den Anspruch haben, uns musikalisch weiterzuentwickeln.

Daher auch der Labelwechsel zu Side One Dummy?

In gewisser Hinsicht ja, obwohl wir auch von allen großen Majorlabels Angebote hatten. Joe Sib und Bill Armstrong, die Betreiber von S1D, kamen zu einer Show nach Los Angeles. An dem Abend waren auch viele andere Labelscouts anwesend und wir führten mit allen Gespräche. Die meisten verliefen so, dass uns irgendein Repräsentant des Labels erzählte, was das Label alles aus uns machen könnte, dass wir Rockstars werden und dass wir auch im Fernsehen auftreten würden. Also alles Dinge, die uns eigentlich nicht wirklich interessieren. Joe und Bill aber waren anders. Sie sagten uns lediglich, dass sie unsere Musik mochten und sie sich freuen würden, wenn wir uns für sie entschieden, ganz unabhängig davon, wie viele Platten wir verkaufen. Danach fragten sie, ob wir nicht Lust hätten, zusammen mit ihnen eine Pizza essen zu gehen - kein Witz! Mit der Zeit wurde uns klar, dass die Labelfrage wohl am einfachsten so zu beantworten ist: Wir wollen mit Leuten zusammenarbeiten, die selber Musiker sind, die Ahnung haben, was man als Band auf Tour teilweise durchmacht. Für all das steht S1D. Das heißt nicht, dass die Leute, die bei den großen Labels arbeiten, alle Idioten sind, es macht aber vieles einfacher, wenn man mal zwischendurch bei seinem Label anrufen und sich über Baseball unterhalten kann.

Wie kam es zu der Kollaboration mit Produzent und Ex-FLOGGING MOLLY-Gitarrist Tedd Hutt?

Zunächst hatten wir die Idee, das Album selber zu produzieren und dann an den Mann zu bringen. Wir hatten anfangs einfach Bedenken, uns mit einem völlig Unbekannten wochenlang in ein Studio zu verkriechen, um am Ende einen Sound zu haben, der uns vielleicht gar nicht gefällt. Schließlich hatten wir bis zu diesem Zeitpunkt nie mit einem Produzenten gearbeitet. Mit Tedd war das alles anders, da er durch die Zusammenarbeit mit Chuck Ragan oder BOUNCING SOULS eine Menge Erfahrung mitbrachte. Er mochte unsere Musik und zeigte von Beginn an großes Interesse, er kam schließlich auf uns zu und nicht wir auf ihn. Er hat uns vorangebracht, ohne sich groß einzumischen, und verstand es, unsere eigenen musikalischen Einflüsse in den Songs noch mehr hervorzuheben. Tedd kommt ursprünglich aus London, spricht also britisches Englisch. Immer wenn wir eine Sache "great" fanden, nannte er sie "brilliant". Wir waren also plötzlich nicht mehr nur gut, sondern brillant! Eine sprachliche Nuance, die uns während der Aufnahmen immer wieder geschmeichelt hat. Wir haben ganze sechs Wochen im Studio verbracht. Eine halbe Ewigkeit, wenn man bedenkt, dass wir "Sink Or Swim" innerhalb von sechs und "Señor And The Queen" innerhalb von nur drei Tagen eingespielt haben.

Worauf spielt das Artwork des Albums an, auf dem ihr auf einem schlichten Foto zu sehen seid?

Das ist eine Anspielung auf alte Motown- und Jazzplatten der 60er Jahre. Wir sind Nostalgiker und stehen auf die zeitlose Musik dieser Ära. Das Album sollte demnach so aussehen, als wenn es auch zu der damaligen Zeit hätte entstanden sein können. Außerdem ist es heutzutage ja schon fast verpönt, ein schlichtes Foto auf das Cover zu packen. Eine Idee, die wir auch schon für "Señor And The Queen" hatten und Grund genug, es genau so wieder zu tun.

Erklärt dieser Hang zu Vergangenem auch den Albumtitel "The '59 Sound"?

Ja, absolut. Es ist eine Hommage an Musiker wie Otis Redding, Miles Davis, Sam Cook oder Elvis Presley, die zwar mit einem völlig anderen Ansatz Musik machten, aber alle diesen eigenen Soul-Aspekt bis heute verkörpern. Und genau das ist auch unser Anspruch. Fernab von Genres wie Punk oder Rock'n'Roll sehen wir uns eher als Soul-Band, die mit ganzem Herzen bei der Sache ist. Auch wenn sich natürlich ganz verschiedene Einflüsse in unserem Sound wieder finden. Mittlerweile hat es alles schon mal gegeben. Bands wie HOT WATER MUSIC oder AGAINST ME! zu kopieren, macht keinen Sinn, da sie in dem, was sie tun, die Besten sind. Wir möchten daher versuchen, etwas Neues zu kreieren. Motown und Soul waren stets da. Wir haben aber die letzten fünf Jahre gebraucht, um wirklich zu erkennen, wie gut und einflussreich diese Musik eigentlich wirklich ist.

Mein erster Eindruck war, dass sich "The '59 Sound" insgesamt mehr nach einem Rock'n'Roll-Album anhört, wozu auch das Tom Petty-Cover "American girl" in eurem jetzigen Live-Set passen würde.

Als ich die Aufnahmen zum ersten Mal komplett hörte, sagte ich zu Tedd, dass wir uns nach Roy Orbison auf Punkrock anhören würden. Mit der Kategorie Rock'n'Roll können wir demnach gut leben. Einige werden sich vielleicht fragen, warum keine akustischen Stücke auf dem Album zu finden sind. Zu der Zeit, als wir "Sink Or Swim" einspielten, hörte ich eine Menge Folk von Leuten wie zum Beispiel Bob Dylan. Diese von Folk geprägte Phase spiegelt sich auch auf "Señor And The Queen" noch wider, da die sich darauf befindenden Songs ungefähr zur gleichen Zeit entstanden. Das ist aber jetzt vorbei und eben auch der Grund, warum auf "The '59 Sound" kein einziger Akustiksong ist. Wir wollen im Moment einfach mehr Gas geben und losrocken. Es gibt zwar ein ruhiges Stück, "Even cowgirls get the blues", das aber, wie der Titel schon andeutet, an den klassischen Blues angelehnt ist.

Auffallend ist darüber hinaus der Leadgitarren-Sound, der teilweise stark an THE CURE oder U2 erinnert.

Das liegt daran, dass unser Gitarrist Alex mittlerweile eine neue Gitarre hat, eine Fender Jazzmaster. Die Idee war, sich ein Instrument zuzulegen, das so ähnlich wie sein altes klingt. Im Studio hörte sich das aber alles etwas anders an. Darüber hinaus ist Alex der wohl größte THE CURE-Fan der Welt, weshalb gewisse Ähnlichkeiten wohl nicht zu vermeiden waren.

Habt ihr euch Gäste für die Aufnahmen ins Studio eingeladen?

Richard "Dicky" Barrett, der Sänger der MIGHTY MIGHTY BOSSTONES, singt zusammen mit seinem Drummer Joe Sirois auf dem Song "The patient ferris wheel". Das war cool! Ich liebe diese Band seit Jahren. Wir haben sogar das Motorengeräusch von Joes Auto, einem 64er Thunderbird, für den Anfang eines Songs verwendet. Dicky ist übrigens auch der Ansager der "Jimmy Kimmel Show" auf ABC, eine der witzigsten Shows des US-Fernsehens. Auf "Meet me by the river's edge" singt dazu noch Chris Wollard, Gitarrist und Sänger von HOT WATER MUSIC, den wir auf der gemeinsamen Tour mit THE DRAFT letztes Jahr kennen und schätzen lernten. Schon damals verstanden wir uns prächtig und Chris ist einfach ein großartiger Musiker.

Themen wie alte Autos, Songs im Radio hören oder auch die Erinnerung an alte Beziehungen kennt man schon von "Sink Or Swim" Dieses Mal scheinst du aber nicht nur über deine Erfahrungen zu singen.

Das stimmt. Neben meinen eigenen Erfahrungen kommt bei allen Songs noch das Schicksal eines Freundes oder Bekannten dazu. Viele dieser Bekannten haben es einfach verdient, dass ihre Geschichte in irgendeiner Weise erzählt wird. Es geht darum, verschiedene Perspektiven, die es im Leben nun mal gibt, und meine eigene Sichtweise in Beziehung zu diesen Personen aufzuzeigen. So, wie sie etwas gesehen haben, und so, wie ich etwas einschätze. Das Leitthema des Albums ist jedoch der Übergang, wie ich vom Teenager zum Erwachsenen wurde. Eine Art Verarbeitung meiner Adoleszenz. Songs zu schreiben hat für mich etwas mit dem Umgang mit der Vergangenheit zu tun. Ich versuche, einen Bezug zwischen mir und dem Publikum herzustellen, und zwar mit Hilfe von Themen, die mich bewegt haben - das können Songs von Bruce Springsteen oder Miles Davis sein. Für die meisten sind das belanglose Dinge, für mich bedeuten sie sehr viel. Und ich weiß, dass das einigen da draußen auch so geht. Dadurch versuche ich, meinen Freunden und dem Publikum ein Gefühl der Verbundenheit zu geben, und fühle mich, wenn ich darüber schreibe und singe, nicht mehr so ausgestoßen von der Welt.

Bodo Unbroken