GAS WASSER INDIEPOP

Foto© by Jören Gloe

Northern Punk

An einem sonnig-kühlen Sonntag begab ich mich mit „15 Zoll Maul“ auf den Ohren von der Elbe an die Ostsee, um mit drei Viertel der Band GAS WASSER INDIEPOP (GWI) zu schnacken. Jochen Gäde (voc, gt), Kocky (gt, key, voc) und JoyBoy (dr) berichten, was Kiels Szene und ihr Debütalbum zu bieten haben, gemeinsam sinnieren wir über musikalische Stilrichtungen, Zielgruppen und DESCENDENTS.

Hat euer Bandname etwas mit „Gas-Wasser-Scheiße“, dem namentlich verquatschten Installateursberuf zu tun?

JoyBoy: Sehr scharfsinnig hergeleitet.
Jochen: Wir waren so ein bisschen am Checken und kamen auf unsere Nachnamen, Klängel, Klausen, Kock und Gäde. JoyBoy meinte dazu, das höre sich an wie ...
JoyBoy: ... eine Anwaltskanzlei, die nebenbei „Gas-Wasser-Scheiße“ macht.
Jochen: Dann war meine Idee, die Band „Gas Wasser Indierock“ zu nennen, aber JoyBoy meinte, „Indiepop“ sei besser.
Kocky: Da wissen die Leute gleich, woran sie sind.

Wie habt ihr von DIE BULLEN und KEINE ZÄHNE IM MAUL ABER LA PALOMA PFEIFEN zueinander gefunden?
Kocky: DIE BULLEN und KZIMALPP haben zwei, drei Mal zusammen gespielt. Vor einem guten Jahr rief mich Jochen an und sagte, er würde sich freuen, wenn DIE BULLEN Lust hätten, seine Backingband zu sein. Das funktionierte auf Anhieb. Es war wirklich total toll, in den Proberaum zu gehen. Wir haben schon bei DIE BULLEN sehr abwechslungsreich gespielt und uns nie irgendwas auf die Fahne geschrieben. Dabei war egal, ob das dem Punk-Kodex entsprach oder nicht. Mit Jochen war es ähnlich. Das ist einfach so geil. Schockt!
Jochen: Ich habe das ein bisschen anders in Erinnerung. Ich suchte einen Proberaum und ihr habt mich aufgenommen. Dort probten NIGHT TRAP und DIE BULLEN. Zu Anfang wollte ich die Songs ganz alleine mit einem Drumcomputer machen. Wie immer, wenn es um das Lesen von Bedienungsanleitungen geht, wurde mir das aber zu anstrengend. Bei NIGHT TRAP ist dann die Sängerin ausgefallen, was für mich der Punkt war zu fragen, ob die meine Backingband werden wollen. Für Fabi ist später JoyBoy eingesprungen, wodurch wir auch eine Orgel und einen Tastentyp hatten, was noch besser ist.

Wie ist denn die Szene in Kiel?
JoyBoy: Ich würde sagen, in den Bands, die in den 1990er und 2000er Jahren angefangen haben, Musik zu machen, gibt es sehr viele Überschneidungen. Vielleicht ist das jetzt noch genauso und ich nehme es nur anders wahr, weil es andere Musikrichtungen sind, aber ich habe ein bisschen den Eindruck, wir sind Übriggebliebene aus der Zeit, wie beispielsweise SMOKE BLOW, THE CREETINS und AFFENMESSERKAMPF.
Jochen: Und die TYPHOON MOTOR DUDES. Also ich finde es für eine Stadt von 250.000 Einwohnern schon erstaunlich, was hier musikalisch geht.

In Interviews mit euren Vorgängerbands wurde immer ganz explizit erwähnt, dass ihr aus Kiel kommt. Ging das von den Zeitschriften aus oder legt ihr großen Wert darauf?
Jochen: Kieler Schule.
JoyBoy: Ich würde sagen, es gab mal so eine Art Identität von Bands aus Kiel, aber das läuft jetzt langsam aus. Als Vorgängerband der BULLEN gab es TACKLEBERRY, wo Hannes mitgesungen hat. Kiel war da sozusagen ein Markenzeichen. Es ist aber auch gerne so, dass sich die Bands Richtung Hamburg mischen.
Kocky: Als noch sehr viele Konzerte im Punk/Hardcore/Metal-Bereich in der Meierei gelaufen sind, hat ein Bekannter den „The Decline Of Kiel Civilisation“-Sampler gemacht, wodurch eine Handvoll Kieler Bands an einem Wochenende zwei Tage in Folge die Meierei ausverkauften und einfach tierisch Remmidemmi machten.
Jochen: Bei mir kommt das immer in den Texten vor. Wenn man sich die neue Platte anhört, findet man vier oder fünf Nummern mit Lokalbezug. Ich bin halt gerne hier und finde es gut, wenn man es raushängen lässt, wo man herkommt.
JoyBoy: Ich finde so eine provinzielle Note auch ganz charmant.

Ein bisschen wie in „Dorfpunks“ von Rocko Schamoni. Es kommen bestimmt viele aus der Umgebung nach Kiel.
Jochen: Mehrere sind nach Hamburg gegangen und ich bin ja zum Beispiel vom Dorf nach Kiel gezogen.
Kocky: Und ich bin schon 53 Jahre hier geblieben.

Irgendwas hat dich ja gehalten.
Kocky: Ja, die Angst vorm weggehen ...

Wer singt bei „Einsames Mulero“ mit?
Jochen: Das ist meine Freundin Nina. Gunnar hat auch in einem Song mitgesungen und spielt in einer Kieler Band namens LINHAY.
JoyBoy: Wenn auf irgendeiner Kieler Platte ein Cello vorkommt, ist das fast immer Gunnar.
Jochen: Und Nina und Gunnar arbeiten zusammen im Kindergarten und da haben die ...
Kocky: ... viel Zeit, mit den Kindern Törö zu machen.
Jochen: ... sich zusammen die Gesangslinien überlegt. Das sollte ein bisschen nach BEACH BOYS klingen, und das hat auch geklappt. Hannes, der Sänger von den BULLEN und AFFENMESSERKAMPF, singt in einem Song die Zeile „Gucke ich lieber einen Affenmesserkampf“, und bei „Mobbing-Mambo Number five“ singen wir beide abwechselnd. Einen Gast gibt es noch bei „Und immer noch nicht gebumst“: Rudi Freese, der Sänger von den STRANGEMEN. Der weiß davon aber gar nichts. Es gab mal so eine Akustiknummer von den STRANGEMEN, „I got no friends at all“, und da zündet er sich, bevor er anfängt zu spielen, eine Zigarette an. Ich wollte schon immer mal zusammen mit Rudi Freese ein Lied machen und habe dann einfach sein Zigarettenanzünden vor den Song gelegt.
JoyBoy: Heimlich gesamplet.

Was ist denn ein „Mulero“?
JoyBoy: Gute Frage.
Jochen: Ein Mulero ist der Eselstreiber einer Eselherde. Ich mag halt gerne Esel und träume manchmal davon, mit zwei Eseln auf dem Land zu wohnen, aber wahrscheinlich bleibe ich jetzt doch lieber hier.
Kocky: Wir könnten überlegen, ob wir uns Esel in deine Wohnung holen.
Jochen: Eine Patenschaft oder einen Esel auf dem Campingplatz in Grönwohld.
JoyBoy: Wir könnten auch mal einen Bandausflug auf einen Eselhof machen.

Jochen, singst du über echte Geschichten und reale Personen oder ist das Fiktion?
Jochen: Das ist schon eigentlich alles echt. Manchmal sind die Namen getauscht. „Marcel und seine Clique schlachten zu Ostern ein Lamm“ ist zum Beispiel jemand anders. Bei „Autobiographie eines Heizlüfters“ ist alles echt, glaube ich, ja fast, bestimmt. Und der „kecke kastrierte Eddi“ ist ein Beispielhund, aber das ist alles so passiert.

„Der Prominente im Sack“ – welcher Promi ist in dem Sack und warum?
Jochen: Das ist ein merkwürdiger Text. Der Prominente im Sack kommt aus der Sendung „Donnerlippchen“ mit dem merkwürdigen Jürgen von der Lippe. Die lief Mitte der 1980er Jahre und es gab eine Sparte mit dem Titel „Der Prominente im Sack“. Da war irgendein Prominenter im Sack versteckt, es gab drei Hinweise mit verstellter Stimme und dann wurde geraten, wer das ist. Das andere sind Assoziationen und Textfragmente. Ich schreibe mir im Alltag immer Zeilen in so ein Buch. Ein schwieriger Text, der nichts Besonderes zu bedeuten hat, aber für mich einfach gut klingt.
JoyBoy: Ich habe mir mal eine Sendung angeguckt und es lohnt sich nicht. Der Titel ist eigentlich das Beste.

DESCENDENTS sind sehr präsent im dazugehörigen Video und heute auch auf Jochens Pullover. Liege ich damit richtig, dass euch die Band wichtig ist?
Jochen: Ja, ja, ja. Mit 15 habe ich das erste Mal ALL und DESCENDENTS gehört. ALL ist die andere Band von den DESCENDENTS, weil Milo studieren gegangen ist, so dass es 1987 die erste ALL-Platte gab. Erst mit Dave Smalley, dann Scott Reynolds, dann Chad Price als Sänger. ALL wurden nie großartig bekannt. DESCENDENTS wurden bekannt, als Milo zu Ende studiert hatte. Seit ich 15 bin, habe ich in dem Sektor nichts Besseres gehört. Es gibt noch NOMEANSNO, meine andere etwas ernsthaftere Lieblingsband. Diese Bands haben für mich erfunden, was es ausmacht. So wie andere Helly Hansen tragen, trage ich DESCENDENTS. Die Schrift und die Farben – das ist für mich schön.
Kocky: Diese Liebe zu ALL ist auch, was Jochen und mich verbindet. Das war und ist für mich eine der wichtigsten Bands überhaupt und zwar noch mehr als die DESCENDENTS. Ich mochte ALL immer lieber.
Jochen: Ich auch, aber von denen gibt es weniger Klamotten.
Kocky: Dadurch, dass ich mit meiner korpulenten Größe sowieso nichts Vernünftiges zum Anziehen bekomme, lasse ich mir die Scheiße lieber tätowieren.
JoyBoy: Ich habe weder eine ALL- noch eine DESCENDENTS-Platte, aber das Merch sieht wirklich sehr gut aus.

Zum Thema gut aussehen: Bisher gibt es nur provisorische Hüllen. Hat das Single-Cover schon etwas mit dem Artwork der Platte zu tun?
Jochen: Nicht wirklich. Das ist tatsächlich nur als Übergang gedacht. Kocky hat das schnell aus einem unserer offiziellen Bandfotos gebastelt. Ein alter Kumpel von mir, der meine erste Single 1989 gezeichnet hat, malt auch das neue Albumcover.
Kocky: Mit dem gleichen Stift auf dem gleichen Block.

Ihr habt ein Konzert im Hansa 48 gespielt. In einem Konzertbericht hat jemand eure Musik als „wabernd“ bezeichnet.
Jochen: Das war unser bisher einziges Konzert und unser bisher einziger Konzertbericht.
JoyBoy: DreMuFueStiAs ist quasi der Kieler Bierschinken.
Kocky: Wabernder Indiepop.
Jochen: Ich finde „Baltisches Radiofeuer“ klingt etwas wabernd.
JoyBoy: Ich hätte jetzt gesagt, der „Heizlüfter“ klingt wabernd. Wir haben bestimmt irgendwo wabernde Stellen. Im Bericht wird nicht ganz aufgeschlüsselt, was damit gemeint ist, aber wenn das geil wabert, dann nehme ich das so.
Jochen: Ja, lass wabern.

Wabern ist ja noch keine Musikrichtung. Wo würdet ihr euch selber einordnen?
Kocky: Also würden wir im Baumarkt stehen, wären wir definitiv in der Gas/Wasser-Abteilung.
JoyBoy: Ich finde, im Rahmen unserer sehr limitierten Möglichkeiten probieren wir viel aus. Wir sind keine Profimusiker und können immer nur bestimmte Sachen, aber durch diese Limitierung entsteht etwas, das am Ende nach der Band klingt und nicht nur nach Jochen. Das mag ich sehr an dieser Platte.
Jochen: Musikalisch ist das eine Art von Punk. Northern Punk ist ein Begriff, der damals KZIMALPP verpasst wurde. Das sind Bands mit rauhen Gitarren und melancholischen Texten. Ein bisschen wie TURBOSTAAT. Es gibt auf der Platte fünf, sechs Nummern, die nach der gleichen Musikrichtung klingen. Das ist Indie-Punkrock Richtung Northern Punk. Dann gibt es einen Techno-Beat, einen diskoartigen Beat und eine Art Funky-Blues-Nummer. Der „Heimlich Bluez“. Im Rahmen unserer Möglichkeiten sind wir funky. Außerdem gibt es mit „Und immer noch nicht gebumst“ noch eine Akustiknummer. In den 1980er Jahren gab es häufig eine Akustiknummer auf Hardcore- oder Punk-Platten. Da habe ich mich immer stark gefreut. So was wollte ich auch mal machen.
Kocky: Ich freue mich darauf, durch die Plattenläden zu marschieren, um zu gucken, wo die Platte landet.
JoyBoy: Neben KZIMALPP oder neben DIE BULLEN.
Kocky: Oder beim Funky Jazz.
JoyBoy: Wäre auch witzig, wenn sie unter Indiepop stehen würde. Steht ja drauf.
Kocky: Ich habe früher wirklich jahrelang in einem sehr engen musikalischen Korsett gelebt. Dieser Punk/Hardcore-Stempel musste ganz deutlich drauf gepresst sein, was für mich häufig sehr belastend war. Schon in frühester Jugend habe ich meine Huey Lewis-Platten versteckt, wenn meine Freunde gekommen sind. Es gehörte sich nicht, so was zu haben. Mittlerweile kann ich über diese Grenzen rüber gucken.
Jochen: Ich bin nicht unbedingt ein Punker. Ich war früher Fun-Punker, dann war ich lange Zeit in der Hamburger Schule, was mich textlich am stärksten beeinflusst hat, dann habe ich KZIMALPP gemacht, was wieder ein bisschen punkiger war, und GWI ist eher so ein Mix.

Und zwischendurch hast du Schlager-Ausflüge gemacht?
Jochen: Ja, ich spiele da Schlagzeug und zwar nur Coverversionen von unbekannten Sixties-Nummern. Das habe ich viel auf der Straße gemacht und die aktuelle Band heißt LES EIERLIKÖR SIX. Das sind sechs Leute und ein französischer Artikel, weil wir viele französische Nummern spielen. Das brauche ich zum Ausgleich.
Kocky: Wir toben uns dann musikalisch mit NIGHT TRAP noch ein bisschen anders aus.
Jochen: Noch härter als GWI? Das geht fast gar nicht. Mal gucken, ob das was für die Punkers ist. KZIMALPP waren ja auch was für die Punkers. Gibt eben immer noch ein paar Punker, die härter sind als die anderen Punker.
JoyBoy: Mir wäre das früher nicht hart genug gewesen. Jetzt ist das mein Punk. Jetzt bin ich da angekommen.

Ihr sprecht damit ja vermutlich eure Generation an.
Jochen: Ich fühle mich mindestens 15 Jahre jünger als ich bin und deswegen gehen die Mittdreißiger glaube ich auch noch darauf ab.
JoyBoy: Die Leute in dem Alter haben wenigstens das Geld, die Platte zu kaufen.
Jochen: Die will ich abgreifen. Aber natürlich auch die 55-Jährigen, die noch einen Tick älter sind als ich und die auch noch die Special-Edition kaufen. Auf CD.
Kocky: Ich bleibe ewig 16 und würde gerne die 16-Jährigen erreichen, die auf dem Schulhof sagen: „Geil ich habe gerade die Platte überspielt. Kannst du mir die mal tapen?“ Dann haben wir alles abgedeckt.
Jochen: Oder wenn sie auch nur einen Song von uns in ihrer Playlist haben.

GWI veröffentlichen über Broken Silence. Wie kam es dazu?
Jochen: Broken Silence war das Label von KZIMALPP. Ich hatte mal ein kleines Label namens Döner-Diskothek. Da haben wir nur CDs rausgebracht, hauptsächlich Tribut-Sampler. Ich hatte mit einem Kumpel eine Radiosendung beim FSK Hamburg, und ein Broken Silence-Mitarbeiter, der nebenbei Taxi fährt, hatte die Sendung gehört. Als Broken Silence als Vertrieb anfingen, haben die unsere CDs vertickert und meinten, sie hätten auch ein Label. Ich dachte, dort wären ein paar mehr Bands, aber sie hatten eigentlich immer nur KZIMALPP. Mittlerweile haben die noch eine Jazz-, eine Soul- und eine Elektro-Punkband. Letztere sind MISSES NEXT MATCH. Die gibt es aktuell nicht mehr, aber vielleicht demnächst wieder.
Jochen: Weil die Vertrieb und Label in einem sind, ist es gut, dass man nicht zweimal die Nachrichten schreiben muss. Obwohl, mir reicht das schon mit den ganzen verschiedenen Leuten, alle Digital-Promoter, E und A und Chef mit vier Leuten.

Hat der Albumtitel „15 Zoll Maul“ etwas mit dem Song „60 Watt Sonne“ von KZIMALPP zu tun?
Jochen: Nein, damit hat das nichts zu tun. Bei „Gas-Wasser-Scheiße“ hat man ja einen Schraubenschlüssel und es soll ein großer sein. 15 Zoll ist sehr groß und ein 15-Zoll-Maul ist halt eine große Fresse. Dann noch einmal „Maul“ als Übergang von der anderen Band. Wech mit den anderen.

Was sind die wichtigsten Orte, in denen ihr live spielen wollt?
Jochen: Im August peilen wir an, Konzerte zu spielen. Zwei Wochenenden. Einmal Hamburg, einmal Kiel, vielleicht noch im Pott und einmal Berlin oder so.
Kocky: Provinzler denken ja immer, sie müssten raus in die großen Städte.
Jochen: Peu à peu irgendwie. Und dann umbenennen, bei den ganzen anderen Kieler Bands gucken, wer sich noch mixen kann. Nein ...