GAMEFACE

Der Arschtrittfaktor von "Every Last Time" ist ihnen zwar ein wenig abhanden gekommen, aber GAMEFACE haben auch auf "Always On" die hohe Kunst des Songwritings nicht verlernt.
Sänger und Gitarrist Jeff Caudill, mittlerweile Frühaufsteher und Hundepfleger erster Güte, beantwortete artig alle Fragen, die sich hinsichtlich des vierten Longplayers seiner Combo aufdrängten.


Es ist sieben Uhr morgens in Kalifornien. Ein erstaunlich munterer Jeff Caudill nimmt den Hörer ab. "Ich muss seit einigen Tagen immer sehr früh aufstehen, weil ich einen drei Monate alten Welpen habe", berichtet er fröhlich. "So ein junger Hund ist wie ein kleines Kind - man muss sich ständig darum kümmern. Das ist echt verdammt stressig." Hat er denn überhaupt die Zeit für einen so anstrengenden Vierbeiner? Ich dachte eigentlich, dass er beruflich (nicht nur mit GAMEFACE) sehr stark eingespannt ist. "Das ist richtig, ich arbeite zur Zeit als Graphik-Designer bei einer Firma, die das Artwork für viele Filme gestaltet. Ich meine so richtig große Hollywood-Filme. Das macht sehr viel Spaß, ist aber auf der anderen Seite auch sehr zeitaufwendig." Und dann fügt er noch lachend hinzu: "Es wird Zeit, dass ich mich endlich einer richtigen Karriere widme", womit er zweifelsfrei das Leben außerhalb seiner Band meint. Früher hat er übrigens seine Brötchen als Graphiker bei Revelation Records verdient, wo auch die letzten beiden GAMEFACE-Scheiben "Every Last Time" (1999) und "Always On" (2000) veröffentlicht wurden."Ich habe ungefähr anderthalb Jahre bei Revelation gearbeitet, bevor ich im Juni 2000 den Job wechselte." Aber seine Combo ist schon noch bei Revelation unter Vertrag, oder? "Ja, natürlich. Wir sind dort sehr gut aufgehoben und glücklich. Sie tun genau das, was wir von ihnen erwarten. Es gibt überhaupt keine Probleme mit dem Label."

Allzu große Erwartungen und Hoffnungen scheint der gute Jeff momentan allerdings trotzdem nicht in GAMEFACE zu stecken, wie seine folgende Aussage unterstreicht: "Im Moment wollen wir gar nicht so stark gepusht werden, weil wir alle nicht besonders viel Zeit für die Band haben. Wir werden mit dem neuen Album aus Zeitgründen auch kaum auf Tour gehen." Schade eigentlich. Wer auf den Genuss von GAMEFACE dennoch nicht verzichten möchte, muss zum aktuellen Album "Always On" greifen, das Ende Oktober 2000 auf den Markt kam. Was unterscheidet die neue Platte in Jeffs Augen vom Vorgänger "Every Last Time"? "Der Hauptunterschied liegt sicherlich darin, dass ich diesmal jeden einzelnen Ton des Albums im Alleingang komponiert habe, was früher nicht der Fall war. Damals haben wir uns das Songwriting noch brüderlich geteilt." Und warum? Sind die anderen Mitglieder so faule Säcke geworden? "Nein, das nicht", schmunzelt er. "Sie wissen nur, dass ich in den letzten Monaten echt heiss auf Musik war. Ich bin oft früh morgens mit einem neuen Song auf den Lippen aufgewacht. Ich habe eigentlich ständig an die Musik gedacht." Dann ist "Always On" in Wirklichkeit also ein getarntes Jeff Caudill-Soloalbum? "Das kann man in gewisser Weise so sehen", antwortet der sympathische Frontmann. "Es war manchmal allerdings ein wenig frustrierend, dass ich alles im Alleingang machen musste. Ab und zu hätte ich mir schon etwas mehr Unterstützung von den anderen gewünscht. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch ein wahnsinnig tolles Gefühl, wenn man alles selber geschrieben hat. Dann kommt es mir tatsächlich wie ein Soloalbum vor, auf das ich sehr stolz bin."

Apropos Soloalbum: Mit "Jeff Gameface Acoustic" hat er ja bereits Anfang 2000 ein fünf Stücke umfassendes Minialbum veröffentlich. Wie kam es dazu? "Diese Soloplatte habe ich schon sehr lange im Hinterkopf gehabt. Die restlichen Bandmitglieder haben mich dann irgendwann dazu überredet, die Platte endlich mal aufzunehmen."

Der folgende plötzliche Aufschrei von Jeff verheisst nichts Gutes, denn im Hintergrund ist sein Welpe gerade tatkräftig damit beschäftigt, den Teppich vollzuscheissen. "Warte bitte mal einen Moment", ächzt er heftig, "mein Hund dreht gerade durch." Als der Winzling sein Geschäft verrichtet hat, ist Jeff etwas außer Atem wieder zurück am Hörer. "Wo waren wir stehen geblieben? Ah ja, beim Soloalbum. Ich hoffe wirklich, dass ich es eines Tages auf die Reihe kriege, ein richtiges Soloalbum zu machen, weil die akustischen Songs offensichtlich sehr gut bei den Leuten angekommen sind. Und mich persönlich reizt die Sache mit der Akustikgitarre auch sehr."

Nach zehn Jahren GAMEFACE ist es vielleicht auch an der Zeit, neue Dinge in Angriff zu nehmen. "Ja, das schon, aber ich könnte mir die letzten zehn Jahre ohne diese Band überhaupt nicht vorstellen", resümiert Jeff. "GAMEFACE bedeutet mir immer noch sehr viel, aber nicht mehr ganz soviel wie früher. Wenn man älter wird, konzentriert man sich fast automatisch auch auf andere Dinge. Ich meine, ich bin immerhin schon 29 Jahre alt." Willkommen im Klub der alten Säcke, zu denen ich mich mit meinen 28 Lenzen auch schon zähle. Doch kommen wir noch mal auf "Always On" zu sprechen. Was ist Jeffs persönlicher Lieblingssong auf der Scheibe? "Ich würde "Laughable" sagen", erwidert er nach einer kurzen Pause. "Das Stück ist sehr repräsentativ für das ganze Album. Und natürlich "Awkward Age", der zehnte und letzte Song. Diese beiden Lieder stellen meiner Meinung nach die klaren Höhepunkte des Albums dar." Aber eine eindeutige Hitsingle wie einst "My Star" (vom Vorgänger "Every Last Time") ist auf der neuen Scheibe auf den ersten Blick nicht vertreten, oder? "Doch, und zwar "The Warmest Heart Attack", wie ich finde. Das Stück könnte ein echter Hit werden, wenn wir auf einem Major-Label wären, das uns ordentlich pushen würde. Und wenn wir zur Zeit eine voll funktionsfähige Band wären. Eigentlich eine Schande, weil ich den Song für wirklich gut halte." Tja, alles kann man halt nicht haben. Denn laut Jeff ist der Wechsel zu einem Major ausgeschlossen, weil die Hauptpriorität zur Zeit nicht auf GAMEFACE liegt.

Kommen wir mal auf die Texte zu sprechen, die sich beim genauen Lesen als sehr ehrlich, gefühlvoll und zumeist melancholisch herausstellen. Welchen Stellenwert haben sie für Jeff? "Einen sehr wichtigen", holt er aus. "Ich finde sie sogar wichtiger als die Musik!" Diese doch ein wenig überraschende Aussage erklärt er folgendermaßen: "Ein musikalisch guter Song kann mit einem guten Text zu einem großartigen Song werden. Und schlechte Lyrics können einen guten Song zerstören. Gute Musik muss mich auf beiden Ebenen ansprechen." Jeff schreibt übrigens alle Texte von GAMEFACE, wobei sich die Frage stellt, ob seine Zeilen alle auf wahren, persönlich erlebten Erfahrungen basieren. "Nein, nicht alle Texte beruhen auf wahren Geschichten", erklärt er. "Manchmal schreibe ich auch über fiktive Themen, weil mein langweiliges Leben nicht genügend gute Geschichten schreibt. Hin und wieder ebnet die Musik den Weg für eine fiktive Story, wie etwa im Song namens "Accidental Clarity". Du musst wissen, dass ich jeden Tag ein paar Zeilen in mein schlaues Buch schreibe. Und einige dieser Notizen landen dann später vielleicht einmal in den Songtexten." Im Hintergrund kommentiert Jeffs Hund diese Bemerkung mit einem lauten Heulen. Mal sehen, ob wir eines Tages auch einen Song über seinen Hund zu hören bekommen, der ein wirklich schwieriger Fall zu sein scheint.

Ebenso schwierig scheint die musikalische Einordnung von GAMEFACE zu sein, die schon in die verschiedensten Schubladen wie Pop-Punk, Post-Hardcore oder Emo gesteckt wurden. Was hält Jeff von diesen mehr oder weniger hilflosen Einordnungsversuchen? "Wir geben unserem Sound schon lange keine Namen mehr", lacht er. "Aber inzwischen sind wir wirklich meilenweit von diesem ganzen Pop-Punk-Ding entfernt, mit dem wir früher sicherlich zu Recht assoziiert wurden. Ich persönlich höre diese ganzen Pop-Punk-Sachen auch schon lange nicht mehr." Was natürlich die Frage aufwirft, welche Scheiben zur Zeit in seinem CD-Player rotieren. "Oh, ganz verschiedene Sachen", lautet die Antwort. "Ich höre momentan zum Beispiel WILCO und BUFFALO TOM sehr gerne, aber auch viele Bands aus der Emo-Ecke." Und dann fügt er noch hinzu: "Ich denke, dass es sich bei GAMEFACE um eine Rock-Band handelt, die schlicht und ergreifend Rock-Platten macht."

So einfach ist das also. Dennoch (oder gerade deshalb) scheinen die Kalifornier die verschiedensten Leute aus der Punk-, Hardcore-, Rock- oder Emo-Szene anzusprechen, was bei der Vielschichtigkeit ihres Sounds auch gar kein Wunder ist. Große Angst vor der kommerziellen Ausbeutung durch das Internet, Napster & Co. hat Jeff dabei nicht: "Ich denke, dass Leute, die die Band wirklich mögen, auch in den Plattenladen laufen, um sich das Teil zu besorgen. Diese ganzen Downloads aus dem Internet sind doch total unpersönlich - ohne Artwork, ohne Texte! Früher war ich eindeutig gegen Napster, weil ich dachte, dass jeder Künstler für seine Arbeit auch eine finanzielle Belohnung verdient. Aber mittlerweile ist mir dieses Thema eigentlich egal." Man darf gespannt sein, wie es mit GAMEFACE in der Zukunft weitergehen wird...

Nachtrag:
Das Interview wurde bereits im Oktober zum Release des neuen Albums geführt. In der Zwischenzeit hat sich einiges getan im Hause GAMEFACE. So gibt es beispielsweise laut der Webseite der Band (www.gameface..net) einen neuen 5 Track-Output, der den Titel "The Way Back" trägt. Dabei soll es sich um ein Projekt von Jeff Caudill, Steve Sanderson und Mike Bains (MARCH) handeln, das ausschließlich über das Internet (siehe Webseite von GAMEFACE) zu beziehen ist. Außerdem hat mittlerweile Paul Martin (Bass) die Band nach über zehn Jahren Mitgliedschaft verlassen, weil er angeblich andere musikalische Visionen hatte. Er wurde durch Guy Julian (früher bei BROWN LOBSTER TANK) ersetzt.