Frank Carter ist ein bis zur Halskrause tätowiertes Stehaufmännchen. In den Nuller Jahren wütete er mit der Hardcore-Punkband GALLOWS, bis er nach einem Disput von seinen Bandkollegen rausgeworfen wurde. 2011 gründete er die Alternative-Rock-Band PURE LOVE, aber auch da war schnell wieder Schluss: Nach nur einem Album wurde die Band von ihrer Plattenfirma gedroppt. 2015 dann wieder ein Neuanfang mit FRANK CARTER & THE RATTLESNAKES – und diesmal scheint es zu funktionieren. Die Band spielte auf renommierten Festivals und bringt jetzt mit „Sticky“ schon ihr viertes Album heraus. Warum sich hier offenbar die Richtigen gefunden haben, erklärt uns Gitarrist Dean Richardson.
Wie hat das mit den RATTLESNAKES eigentlich alles angefangen? Woher kennst du Frank?
Wir haben uns über das Tätowieren kennen gelernt. Frank hat mir inzwischen schon eine ganze Menge Tattoos gestochen. Dann wäre ich fast bei PURE LOVE eingestiegen, der Band, die Frank vor RATTLESNAKES hatte. Aber das hat nicht wirklich gut funktioniert, weil Jim Carroll, der andere Gitarrist in der Band, nicht unbedingt wild auf einen zweiten Gitarristen war. Aber Frank und ich sind Freunde geblieben und haben unsere Verbindung nie abreißen lassen. Ich habe noch ein paar Design-Arbeiten für PURE LOVE abgeliefert und nach dem Ende der Band folgte für Frank und mich ein Jahr ohne Musik. Dann hat er mich am Boxing Day 2014 angeschrieben, dass er eine Punkband gründen will und ob ich nicht Lust hätte dabei zu sein. Der Rest ist Geschichte.
Ihr habt ja beide schon Vorerfahrungen in anderen Bands. Frank bei GALLOWS und PURE LOVE und du hattest eine Hardcore-Punk-Band namens HEIGHTS. Waren RATTLESNAKES ein „Perfect Match“ für euch beide?
So kann man es bezeichnen, wir sind so nah an der Perfektion, wie man nur sein kann, schätze ich. Wie sprechen seit sechs Jahren fast täglich über die Band und in all der Zeit hatten wir nur einmal eine Auseinandersetzung. Immerhin haben wir auch schon vier Alben aufgenommen und es fällt uns immer leichter, zusammen Songs zu schreiben und zu veröffentlichen. Wir sind völlig unterschiedliche Typen, aber was auch immer wir in die Band einbringen, es scheint dem jeweils anderen gut in den Kram zu passen. Wir haben schon beide mehrfach betont, dass wir alles tun, um diese Band am Laufen zu halten. Denn wir hatten beide schon Bands, in denen es überhaupt nicht funktioniert hat. Das ist hoffentlich die letzte Band, in der wir mitwirken, haha.
Auf mich wirkt das neue Album „Sticky“ noch tanzbarer als die drei Vorgängeralben. Ihr habt offensichtlich einen großen Schritt nach vorne gemacht.
Das sehe ich auch so und immerhin habe ich dieses Album auch produziert. Zum ersten Mal übrigens. Frank und ich wollten immer Musik machen, die wir wirklich lieben. Der Punkrock steckt tief in uns, aber das war nie unser Ziel. Bei „Blossom“ wollten wir noch eine Hardcore-Punk-Platte machen, aber seitdem wollten wir einfach nur unsere eigene Version von Punkrock entwickeln, die sich für uns aufregend anfühlt. Immer wenn wir mit anderen Produzenten gearbeitet haben, hatten sie speziell bei Frank immer eine sehr klare Vorstellung, wie er zu klingen hat. Sie haben ihn immer in eine Ecke gedrängt, in der er seiner Rolle als puristischer Punk gerecht werden sollte. Aber so fühlt sich Frank überhaupt nicht und wir als Band schon gar nicht. Wir lieben Bands wie THE STROKES genauso innig wie BLACK FLAG. „Sticky“ ist zum ersten Mal eine Platte von uns, bei der unseren Vorstellungen niemand im Weg stand. Für mich ist es die punkigste Platte, die wir je gemacht haben, aber sie klingt natürlich nicht wie NOFX oder eben BLACK FLAG. Sie hat unseren ganz eigenen Spin. Natürlich trägt sie all diese Einflüsse in sich und wir sind sehr stolz darauf, eine moderne Punk-Platte aufgenommen zu haben. Wir wollen eine moderne Band sein und gleichzeitig die Euphorie und die Energie von Punkrock weitertragen. So fühlt sich „Sticky“ für uns an.
Warum hast du dich entschieden, das Album selbst zu produzieren?
Ich habe schon immer unsere Demos aufgenommen, also habe ich eine gewisse Routine mit dem ganzen Recording-Equipment. Ich habe mich selbst nie als Produzent gesehen, aber seit dem zweiten Album lag mir Frank in den Ohren, dass ich auch mal eine Platte produzieren soll. Vielleicht lag es bislang an der Magie von fremden Händen, die den Aufnahmen einen letzten Schliff geben können, dass ich das nie wollte. Aber bei „Sticky“ hatten wir so viel Zeit, dass ich wirklich lange an den Sounds herumgebastelt habe und irgendwann hat Frank gesagt: Du bist doch sowieso schon am Produzieren, mach einfach weiter. Wir haben erst mal mit einem Song angefangen, um zu schauen, ob es funktioniert. Den haben wir gemischt und waren wirklich glücklich damit. Dann haben wir gesagt, lass uns das komplette Album fertig machen. Es ging aber auch darum, Geld zu sparen. Wenn man so viele Platten in so kurzer Zeit veröffentlicht, kann das ganz schön teuer werden. Und es war natürlich aufregend, die Platte viel schneller rauszuhauen als mit dem üblichen Personal.
Wie läuft das Songwriting bei den RATTLESNAKES? Schreibt ihr die Songs zusammen?
Frank schreibt eigentlich die ganze Zeit Texte, egal wo er ist. Zu Hause, auf Tour oder im Urlaub. Er hackt kontinuierlich Texte in sein Handy. Ich bereite immer Teile der Musik vor. Manchmal nur ein Riff, manchmal drei oder vier Elemente, die einen schönen Flow haben. Dann setzen wir uns zusammen. Ich zeige ihm, was ich habe, und er sucht den passenden Text dazu. Dann erarbeiten wir gemeinsam die Struktur des Songs. Wenn die Musik nicht mit dem Text zusammenpasst, forcieren wir auch nichts. Die beiden Elemente müssen Soulmates sein. Manchmal läuft es aber auch andersherum. Dann zeigt mir Frank eine Textpassage und ich suche dann das passende Riff dazu. Man kann also schon sagen, dass wir die Songs zusammen schreiben.
Frank ist ja bekannt dafür, dass seine Texte sehr persönlich sind. Wie ist das bei „Sticky“?
Er kann gar nicht anders, denke ich. Also selbst wenn er aus der Perspektive eines anderen Protagonisten schreibt, ist das immer eine andere Form seines Ichs. Zum Beispiel in „Take it to the brink“ erzählt er aus der Perspektive eines Büroangestellten, der es kaum erwarten kann, ins Wochenende zu gehen und jede Menge Dinge zu tun, die er eigentlich nicht tun sollte. Das ist natürlich nicht Frank, er arbeitet ja nicht in einem Büro, aber es beschreibt natürlich eine Gefühlslage, in der er auch schon gesteckt hat. Es geht also immer um die Person Frank und darin steckt aus meiner Sicht auch die Schönheit der RATTLESNAKES-Songs. Das haben nicht viele andere Bands.
Mein liebster Track auf dem Album ist „My town“, bei dem auch Joe Talbot von IDLES mitsingt. Wie es dazu gekommen?
Dieser Song ist relativ spät in der Albumproduktion entstanden. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon acht oder neun fertige Songs. Wir hatten uns in 15 Songs verliebt und hätten uns nur noch von einigen trennen müssen. Als wir in diesem Studio im Norden Londons waren, stand ein Moog-Synthesizer aus den Achtzigern herum und ich habe aus Spaß einfach mal draufgedrückt. Wir fanden beide den Sound so cool, dass wir ein Stück daraus gemacht haben. Frank hatte ziemlich schnell einen Text dazu und wir waren beide der Meinung, dass Joes Stimme perfekt dazu passen würde. Der Song erinnerte uns an den IDLES-Song „Model village“. Weil wir die Band schon eine Weile kennen, hat Frank Joe einfach kontaktiert und spontan ins Studio eingeladen. Der kam auch sofort und mochte den Song auf Anhieb. Also haben wir ihn sofort aufgenommen und Frank hat ihm gleich noch ein neues Tattoo verpasst. Uns ist bei allen Features wichtig, dass wir mit den Gästen eine gewisse Vorgeschichte haben, dass wir Freunde sind. Das war bei Joe definitiv der Fall.
Es gibt noch andere interessante Features auf dem Album. Zum Beispiel der geheimnisvolle queere Elektro-Künstler Lynks aus Bristol.
Wir sind im Internet über seine Tracks gestolpert. Lynks war uns auch schon von einigen Leuten empfohlen worden. Es wird immer viel über Genres geredet, was Punkrock ist und was nicht. In meinen Augen sind alle unsere Features von Künstlern, die abseits der Norm agieren. Alternative Leute, die mit Erwartungshaltungen brechen und überraschen. Lynks zum Beispiel macht queere Dance Music und auf unserem Album klingt er einfach wunderbar. Lynks seinerseits hat Charlie Steen von SHAME als Gast bei seinem Track „This is the hit“. Das zeigt, wie gut man harmonieren kann, selbst wenn man aus unterschiedlichen Szenen kommt.
Ist Bobby Gillespie von PRIMAL SCREAM auch ein alter Freund von euch? Er ist beim letzten Track „Original sin“ zu hören.
Bobby haben Frank und ich an einem Taxistand nach einem Nick Cave-Konzert getroffen. Er stand in der Schlange hinter uns, wir haben ihn dann vorgelassen und ihm unser Taxi angeboten. Ein paar Jahre später ist Frank ihm irgendwo in London in die Arme gelaufen. Das war zu der Zeit unseres zweiten Albums „Modern Ruin“. Frank erzählte ihm, dass wir gerade eine Platte aufnehmen und wir ihn gerne als Gastsänger einladen würden. Er hat dann leider abgelehnt, weil er gerade eine Platte mit Jehnny Beth von SAVAGES aufnahm. Er sagte, deshalb habe er leider keine Zeit, aber vielleicht irgendwann mal. Als wir ihn diesmal anriefen, war er gerade um die Ecke und ist spontan im Studio vorbeigekommen. Ich dachte ehrlich gesagt, dass es nie passieren würde, weil Bobby eine Legende für mich ist. Das wurde dann einer der lustigsten Tage, die ich je im Studio erlebt habe. Er hat uns jede Menge Geschichten erzählt, zwischendurch den Song eingesungen und ist dann wieder im Nebel von East London verschwunden. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen, aber ich liebe sehr, was er uns gegeben hat.
Du hast schon viel über Punkrock gesprochen. Dabei spielen FRANK CARTER & THE RATTLESNAKES längst auf riesigen Festivals in Leeds oder Reading. Zu eurer Show im Alexandra Palace in London sind 10.000 Fans gekommen. Das ist doch längst kein Underground mehr, oder?
Wir vergessen manchmal, dass unsere Popularität inzwischen ein fast schon verrücktes Ausmaß angenommen hat. Für mich muss Punkrock aber auch nicht klein sein und im Underground existieren, so lange die Energie auf der Bühne stimmt. Völlig egal, wie poppig oder melodisch unsere Tracks sind, auf der Bühne kommen wir immer als Punkband rüber. Wir haben schon oft versucht, einen soften Song auch so zu präsentieren, sind aber immer gescheitert. Wir sind also der Beweis dafür, dass es auch für Punkbands keine Limits gibt, denn wir haben unglaubliche Mengen von Leuten bei unseren Konzerten, die unsere Version von Punkrock sehen wollen.
Ich finde, ihr passt sehr gut in diese Riege britischer und irischer Bands, die gerade sehr erfolgreich sind – wie IDLES, SHAME oder FONTAINES DC.
Wir lieben all diese Bands. Ob wir da reinpassen, können wir selbst wahrscheinlich am wenigsten beurteilen, weil uns dazu die Distanz fehlt. Aber ich bin happy, wenn wir in Zusammenhang mit all diesen unglaublich guten Bands genannt werden. Speziell wenn du IDLES und uns auf der Bühne siehst, wirst du viele Gemeinsamkeiten entdecken. Wir beschreiben IDLES immer als Band, die sich finden musste und nicht finden wollte. Das ist bei uns ähnlich. Es geht nicht darum, dass deine Gitarre perfekt klingt, sondern um die Motivation, warum du auf die Bühne gehst. Das ist uns auch sehr wichtig.
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