FRANK CARTER & THE RATTLESNAKES

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Schönheit und Zerstörung

Frank Carter war der Kopf der GALLOWS, Englands spannendstem Beitrag zu Hardcore der letzten Jahre. Im August 2011 war er raus, die Band machte ohne ihn weiter, er gründete PURE LOVE, die aber nie an den GALLOWS-Erfolg anknüpfen konnten. 2014 waren sie Geschichte. Und jetzt also die RATTLESNAKES. Ich rief Frank Ende August wie verabredet zu Hause an, weckte ihn um acht Uhr morgens auf, doch er – Vollprofi – meinte nur, dass er natürlich jetzt und nicht später das Interview machen werde.

Frank, sorry ...


Kein Problem, normalerweise bin ich um die Zeit schon ein paar Stunden wach, wie das so ist, wenn man ein kleines Kind hat. Aber letzte Nacht hatte meine Mutter die Kleine ... An sich ist acht Uhr morgens eine super Zeit für ein Interview.

Kein Rockstar-Leben mehr mit Party bis spät in die Nacht und nie vor mittags aus dem Bett?

Das war nie mein Ding, ich war schon immer der Typ, der aufsteht, wenn es hell wird, und seine Sachen erledigt. Ich genieße es, viel geregelt zu bekommen. Wenn man viele Interessen hat, so wie ich, bekommt man einfach nichts geschafft, wenn man den halben Tag verpennt.

Du bist Tätowierer, du bist Sänger in einer Band – was machst du noch?

Ich male. Kunst ganz allgemein und vor allem das Malen interessieren mich schon lange. Ich habe in letzter Zeit wieder mehr gemalt, aber Zeit ist immer ein Problem – vor allem jetzt, mit der neuen Band, die unter meinem Namen läuft. Ich gebe die Richtung vor, es sind meine Ideen. Ich versuche da jetzt, alle kreativen Aspekte unter einen Hut zu bekommen: Musik, Malen, Schreiben. Und ich versuche, auch wieder mehr zu tätowieren.

Das Coverartwork stammt auch von dir?

Ja. Ich spielte schon immer mit der Idee einer Hommage an das Equipment, das wir nutzen. Ohne das Equipment bist du nichts als Band, kannst keine Platte machen. Und ohne jemand, der sich damit auskennt, der weiß, wie man das richtig nutzt, ist es nur tote Technik. Und ob neu oder alt, die Technik sieht sein Ewigkeiten eigentlich gleich aus. Ohne die Technik bist du nichts als Band. Und daraus entstand die Idee, das mal zu malen und aufs Cover zu packen, damit jeder die Verbindung herstellt. Ich sprach mit meinem Gitarristen Dean darüber, zeigte ihm das Bild, und während wir darüber sprachen, kam mir die entscheidende Idee. Und so malte ich den Rauch und die Flammen dazu, und dann war es perfekt. Dadurch bekam das Bild die gleiche Kraft wie unsere Musik und die Texte. Einerseits ist da Zerstörung, andererseits Schönheit.

Feuer und Zerstörung stehen für Kraft, allerdings eher für zerstörerische Kraft.

Es gibt da viele Bedeutungen, auch für die Texte. Man kann uns nicht mit einem Flächenbrand vergleichen: der wächst immer weiter, kann aber gestoppt werden. Aber wir wollen nicht gestoppt werden, wir sind wie ein Flammenwerfer, wir brennen uns den Weg frei, wir haben ein Ziel. Auf „Blossom“ gibt es einen Song namens „Loss“, und um den dreht sich das ganze Album. Auf unserer ersten EP war der Song auch, aber eine andere Version – sehr kraftvoll und gefühlvoll. Die Kraft kam aber aus der Verletzlichkeit, aus der Schwäche, aus dem Sprechen über Zerstörung. Für das Album nahmen wir den gleichen Text mit komplett anderer Musik noch mal auf, und diesmal gewinnt das Lied seine Kraft aus der Überwindung von Zerstörung. Mir gefällt die Idee, verschiedene Versionen eines Songs aufzunehmen – gut möglich, dass wir das künftig öfter machen. So kann man sich allen möglichen Emotionen widmen, die in ihm stecken, denn manchmal unterstützt die Musik nur eine mögliche Interpretation eines Textes. Außerdem mag ich Gegensätze, gerade auch innerhalb eines Textes: Kraft und Schwäche gehören immer zusammen. Und so ist unser Album gleichermaßen positiv wie negativ.

Das Album ist das erste unter deinem Namen, nicht unter dem einer Band. Konntest du diesmal viel mehr von deinen Vorstellungen umsetzen als in der Vergangenheit?

Das ist heute was ganz anderes als damals. Ich habe mich weiterentwickelt, bin in allem viel besser als damals, bin älter, habe eine Menge dazugelernt, habe mehr Erfahrung, mehr Wissen. Außerdem ist es in einer Band meist nicht so ganz klar, wer das Sagen hat, wer die Richtung vorgibt, wer die treibende Kraft ist – und manchmal ist das mehr als nur eine Person. Bei diesem Bandprojekt nun war mir wichtig, dass es da nur eine Person gibt – mich. Ich kann zwar kein Instrument spielen, aber ich habe genaue Vorstellungen davon, was ich will, gerade textlich. Ich unterhielt mich mit Dean über meine Idee, dass ich das unter meinem Namen machen will, aber jemand brauche, der mir mit der Musik hilft. Wir sind alte Freunde, wir wissen beide ganz genau, was der andere gerade denkt, und das macht uns zu einem guten Team. Er ist ein essentieller Teil der Band, aber ich mache die Vorgaben. Die Band setzt meine Vision um.

Wie sieht die aus, speziell musikalisch? Ein klassisches Hardcore-Album ist „Blossom“ nicht.

Wer das erwartet hat, dürfte enttäuscht werden. Ich habe keine Ahnung, warum sich jemand auf nur ein Genre begrenzt. Ich mag ja auch verschiedene Richtungen: Ich mag Punk, ich mag Hardcore, ich mag Dance, ich mag Pop, ich mag Klassik. Ich bin ein Künstler, der gleichermaßen Glück wie Unglück hatte, dass er im Bereich Hardcore/Punk bekannt wurde. Die Menschen in dieser Szene sind oft sowohl die offensten wie auch die engstirnigsten, sie wollen sich einerseits weiterentwickeln, andererseits soll alles so bleiben, wie es ist. Die Hardcore-Szene ist für diese Menschen ein enorm wichtiger Teil ihres Lebens, und deshalb passen sie gut auf sie auf, wollen sie respektiert sehen. Ich versuche, diese Gefühle zu respektieren, aber muss auch sagen, dass ich nie wirklich zu „der“ Hardcore-Szene gehört habe. Das Album dokumentiert, wie ich versuche, meinen eigenen Weg zu gehen. Es ergründet, wer ich als Mensch und als Künstler bin.

Wie entstehen die Songs?

Dean und ich machen in meiner Garage zusammen Musik. Wir unterhalten uns viel, sprechen über unsere Ideen und Vorstellungen. Wir sprechen darüber, wie die Stimmung eines Liedes sein soll. Produziert hat das Album mein alter Freund Thomas Mitchener, mit dem ich schon sehr lange arbeite und der auch Bass spielt auf „Blossom“. Wie Dean versteht er genau, was mein Plan ist. Ich sagte zu ihm eigentlich nur, dass das Album schnell werden soll und dass es echt klingen muss. Das kann man natürlich vielfältig interpretieren, aber er wusste genau, was ich meine. Nämlich dass die Platte klingt, als würde man uns gerade live sehen: rauh, roh, direkt, live im Studio eingespielt. Deshalb ist es auch die beste Platte, die ich je gemacht habe.

In gewisser Weise ist ein Album wie eine Tätowierung: Beide sind für immer, wenn sie mal fertig sind. Wo hören die Ähnlichkeiten auf?

Eine Tätowierung ist etwas ganz Intimes, das ist eine Sache zwischen zwei Personen. Und jedes Tattoo wird eines Tages wieder verschwinden – wenn diese Person stirbt. Das gesamte Lebenswerk eines Tätowierers wird eines Tages verschwunden sein. Ein Platte jedoch nimmt man auf, veröffentlicht sie, und dann existiert sie für immer. Tattoos und Musik sind zwei völlig verschiedenen Kunstformen, aber sie haben beide Seele. Und sie verlangen beide, dass eine Person eine Menge Zeit und Kraft und Emotion in sie investiert.

Wie viel Zeit bleibt dir derzeit fürs Tätowieren?

Wenn ich nicht auf Tour bin, dann tätowiere ich. Es ist mein Job, seit zehn Jahren schon. Und zum Glück gibt es viele Menschen, die von mir tätowiert werden wollen. Das macht das Leben leichter. Die eine Hälfte der Leute kommt zu mir, weil sie mich über meine Musik kennen, die andere, weil sie mich aus der Tattoo-Szene kennen. Ich arbeite zusammen mit meiner Frau in einem gemeinsamen Studio. Sie ist für mich der wichtigste Mensch auf der Welt, und wir tauschen uns über alle Aspekte unserer Kunst aus, haben ein gemeinsames Studio in einem Gebäude in unserem Garten. Es läuft gut derzeit. Aber das war letztes Jahr noch anders, es sind Angehörige gestorben, meine Musikkarriere schien mit dem Ende von PURE LOVE beendet, und ich hatte keinen Plan. Und dann flogen wir auch noch aus dem Ladenlokal raus, wo wir zehn Jahre lang unseren Tattoo-Shop hatten. Alles, wofür ich jahrelang gearbeitet hatte, löste sich letztes Jahr in Nichts auf. Doch dann kam die neue Band, unsere Tochter wurde geboren, wir haben einen neuen Tattoo-Shop, und alles ist fast perfekt. Das Album spiegelt noch mein Gefühlsleben des letzten Jahres wider. Dann nach der Geburt meiner Tochter, wollte ich wieder eine Band haben, meine Frau ermutigte mich, und über Weihnachten entstanden dann die meisten Songs.