FLESHTONES

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The world’s most successful band!

Unter „Years active“ steht im Wikipedia-Eintrag der FLESHTONES „1976–present“. Das muss man erstmal hinbekommen – und überleben. Damals gründeten der 1955 geborene Keith Streng und Jan Marek Pakulski im New Yorker Stadtteil Queens die Band, bald darauf stieß Peter Zaremba, Jahrgang 1954 als Sänger dazu und am 19. Mai 1976 spielten sie erstmals im CBGB und Max’s Kansas City. 1978 nahmen sie für Marty Thaus Red Star-Label ihr erstes Album „Blast Off!“ auf, zig weitere folgten, und seitdem haben sie einfach nicht aufgehört, packenden Garage-Rock zu spielen. „Pardon us for living but the graveyard is full“ hieß passenderweise eine 2009 erschienene Doku über die FLESHTONES, die vor einigen Monaten in der Besetzung Keith Streng (Gitarre), Peter Zaremba (Gesang), Bill Milhizer(Drums, seit 1980) und Ken Fox (Bass, seit 1990) vor meiner Haustür in der Cobra spielten. Hier nun das lang überfällige Interview, dem man seine alkoholbedingt sehr gelöste Stimmung vielleicht noch etwas anmerkt ...

Donald Trump ist jetzt Präsident der Vereinigten Staaten. Sieht man das entspannter, wenn man in über vierzig Jahren Bandgeschichte schon diverse Präsidenten hat kommen und gehen sehen?

Peter: In einer Demokratie muss man so eine Entscheidung eben akzeptieren und damit klarkommen. Wir haben Jimmy Carter erlebt, Ronald Reagan, den ersten Bush, zweimal Clinton, den zweiten Bush, zwei Amtszeiten Obama – das sind eine Menge Präsidenten! Und als wir die Band gründeten, war Obama noch ein Kind.

Ken: Und jetzt haben wir einen Präsidenten, der älter ist als wir.

Peter: Und einen, der sich wie ich die Haare färbt, haha! Aber reden wir lieber über unsere Band. Wir sind gerade am Ende einer Tour durch die deutschsprachigen Länder und Skandinavien, es läuft super, und wir dürfen jeden Abend umsonst trinken.

Bill: Das Klischee stimmt leider: In den USA ist diese europäische Art der Gastfreundschaft gegenüber Bands unbekannt.

Warum?

Peter: Die United States sind „the home of Rock’n’Roll“, und die Heimat des Blues, des Country. All die Musiker, die dort seit Jahrzehnten schon auftreten, haben nie viel erwartet – und genauso die Barbesitzer, die erwarten auch nicht viel von den Musikern. Da bekommst du mal einen Zehner für etwas zu essen, wenn du Glück hast. Du suchst dir selbst was zum Übernachten, doch dass die Band umsonst trinkt, ist eigentlich üblich und wird erwartet. Keith kümmert sich bei uns darum, dass das alles klappt.

Und die „free drinks“ sind euch wichtig, wie man dem Titel eures 2016er-Albums „The Band Drinks For Free“ entnehmen kann.

Peter: Ich sehe das fast schon als philosophische Aussage an. Die Band macht ihren Job, bekommt dafür meist nicht viel Geld, und da ist es eine Frage des Respekts, dass sie freie Drinks bekommt. Das wurde übrigens auch in China verstanden, wo wir im September 2016 auf Tour waren. Freunde von uns, Amerikaner, die dort leben, hatten das für uns organisiert und sich um uns gekümmert. Zum Glück haben wir nicht nur vor Ausländern gespielt, sondern unter anderem auch auf einem großen Festival, und da haben sich die Menschen wirklich für uns interessiert.

Bill: Die bekommen nicht oft Rock’n’Roll-Bands zu sehen. Bei den ersten beiden Songs standen die mit offenen Mündern da, bei den nächsten beiden fingen sie an zu grinsen und schauten sich an, und ab dem fünften Songs tanzten sie. Da hatten sie kapiert, worum es geht, und es machte wirklich Spaß, das von der Bühne aus zu beobachten.

Peter: Wir hatten viel Spaß in China, und wir merkten, dass Rock’n’Roll dort noch viel mehr underground ist als hier im Westen. Als wir die Band gründeten, tobte dort noch die Kulturrevolution, Intellektuelle und Künstler verschwanden in Lagern und mussten Zwangsarbeit leisten.

Bill: Ein Freund, der die Auftritte in China ermöglicht hatte, ist Musiklehrer und der lud uns in seine Schule ein.

Peter: Die Kids stellten uns Fragen, und da kamen dann solche wie, ob es gefährlich sei in den USA, dort hätten doch alle Waffen. Das war echt bewegend, mit denen zu reden, deren Fragen zu hören, deren Wunsch nach Wissen und das Interesse nach Kontakt mit Menschen aus dem Westen zu spüren. Die hatten sogar „Blitzkrieg Bop“ als Chor eingeübt für uns, hahaha. Am schönsten waren aber die Konzerte in kleinen Clubs, etwa in Shanghai, wo wir merkten, dass es auch in China eine kleine Underground-Szene von Menschen gibt, die sich für unsere Musik interessieren, über ein umfassendes Wissen nicht nur über westliche, sondern auch die eigene Musikgeschichte verfügen.

Bill: Und die unseren Hintergrund kennen, die Musikgeschichte von New York in den Siebzigern. Nur dass sie eben kaum mal die Möglichkeit haben, Repräsentanten jener Musik live zu erleben. Die waren zwar nicht alle mit uns als Band vertraut, aber sie erkannten die Chance, einen Vertreter jener Generation von damaligen Bands live zu erleben.

Ken: Und bei der Gelegenheit wird einem bewusst, dass die Menschen in China tatsächlich im Internet nicht auf alles Zugriff haben – Facebook etwa ist da gesperrt.

Was habt ihr im ideellen Sinne mitgenommen von dieser Tour?

Bill: Ich habe auf dieser Reise gelernt, was für nette, interessierte und hilfsbereite Menschen die Chinesen sind. Die haben sich wirklich um uns bemüht.

Peter:Ich habe „richtige“ Chinesen kennen gelernt. In den USA war mein Kontakt auf „Chinatown-Chinesen“ beschränkt, auf Menschen im chinesischen Restaurant. Das sind hart arbeitende Menschen, die kaum Zeit haben für irgendwas anderes, und die wohl wissen, dass sie nicht gerade hoch angesehen sind. Entsprechend verschlossen und zurückhaltend wirken die oft – und der Eindruck, den die Menschen in China hinterließen, war ein ganz anderer: offen, freundlich, hilfsbereit. Klasse waren auch die chinesischen Garage-Bands, die in Peking und Shanghai mit uns spielten – und ich vergesse nie das Gesicht von dem einen, der uns fragte, ob wir Johnny Thunders kennen. „Johnny Thunders?“, sagte ich, „der wollte immer bei uns auf die Bühne, wenn wir spielten, und wir mussten ihn vertreiben!“ Was uns nicht immer gelang, und dann stand er da, hahaha! Das war, als wir das „Speed Connection: Live In Paris 85“-Album aufnahmen. Und ja, alle Gerüchte über ihn sind wahr.

Im englischen Wikipedia-Eintrag zu euch findet sich ein Satz, den doch eigentlich keine Band über sich lesen will: „Despite having a large cult following, the band never achieved commercial success.“

Peter: Na ja, es langweilt natürlich, so was lesen zu müssen, aber ... es ist eben die Wahrheit. Wir hatten wirklich nie echten kommerziellen Erfolg, aber in gewisser Weise hat uns das auch als Band zusammengehalten. Aber über all die Jahre konnten wir auftreten, kamen irgendwie über die Runden.

Ken: Nur die Zeit kann uns diese Band nehmen – die Jahrzehnte sind irgendwie nur so dahingeflogen. Ich bin seit 1990 dabei, und es kommt mir so vor, als wäre das gestern gewesen.

Keith: Ich bekam gerade eine Mail betreffend unserer Jubiläumstour zum 41. Geburtstag – den vierzigsten haben wir irgendwie vergessen – und da wurde mir mal wieder klar, wie lange das alles schon her ist. Ich komme damit aber klar, es ist eben so, und ich versuche jeden Abend wieder eine gute Show zu spielen. Und wenn mal eine nicht so gut war, denke ich einfach an die nächste, die sicher wieder besser wird.

Erfolg ist doch einfach auch, diese Band 41 Jahre am Leben gehalten zu haben. Das können nur wenige von sich behaupten.

Keith: Ja, darauf sind wir auch stolz.

Bill: Erfolg ist auch, immer noch Spaß an der Band zu haben. Der Höhepunkt meines Tages ist, jetzt gleich mit diesen Jungs auf die Bühne zu gehen. Die reine Existenz der Band ist keine Leistung – das kann auch ziemlich erbärmlich sein. Aber zu existieren und Spaß zu haben und sich darauf zu freuen, ein neues Album zu machen, darauf kommt es an. Die letzte Platte ist ja noch neu, aber in Gedanken sind wir schon bei der nächsten.

Keith: Neue Platten aufzunehmen hält eine Band vital. Ansonsten bist du nur eine Retro-Band, die ihre alten Hits spielt. Und wer will das schon werden? Ist das einmal geschehen, bist du erledigt.

Bill: Unsere Konzerte sind keine Oldies-Shows, und außerdem spielen wir heute ja ganz anders als damals, als die Band loslegte. Wenn wir die frühen Sachen spielen, fühlt sich das für mich, der ich ja erst 1980 dazukam, fast an, als ob wir eine andere Band covern.

Keith: Wir sind eine aktuelle Band, mit 21 Platten, aus denen wir uns Songs aussuchen können. Was auch bedeutet, dass wir immer irgendwen enttäuschen werden, weil wir irgendwas nicht spielen.

Peter: Es gibt keine Platten, derer wir uns schämen müssen. Alles, was wir gemacht haben, ist ziemlich gut. THE FLESHTONES – the world’s most successful band! In mancher Hinsicht sind wir das sogar, haha.

Heutzutage gibt es Bands, die studieren Popmusik an der Uni und planen ihre Karriere minutiös. Hatte ihr jemals irgendwelche Pläne?

Peter: Als wir anfingen, hatten wir keine Pläne. Und es gab auch keine „School of Rock“, die wir hätten besuchen können. Wir machten einfach.

Bill: Wir kommen noch aus der Zeit vor dem Internet, als man seine Konzerte bewarb, indem man Flyer an Laternenmasten klebte, und entsprechend fremdeln wir immer noch etwas mit dem Internet, wir sind da nicht so versiert. Ich bin immer wieder erstaunt, wie geschickt manche Bands mit dem Internet umgehen. Meins ist das nicht – ich bin morgens immer viel zu verkatert, hahaha.

Peter: Die Technik zeigt uns immer wieder, wie viel Zeit seit unseren Anfängen vergangen ist. Als wir damals aufnahmen, lief das noch über Tonband und geschnitten wurde mit Rasierklingen. Und erstaunlicherweise treffen wir dann immer noch auf Bands, die älter sind als wir – die SONICS etwa, vor denen wir vor ein paar Jahren beim Cavestomp Festival spielten, und vor uns noch die LYRES.

Garage-Rock, Garage-Punk ist hier das Stichwort. Fühlt ihr euch dieser Szene zugehörig?

Keith: Ich denke nicht in solchen Kategorien. Ich wuchs mit ANIMALS, KINKS und THEM auf. Wenn das Garage-Musik ist, okay. Aber als wir anfingen, spielten wir in unserer Vorstellung einfach nur Rock’n’Roll. Diese Garage-Ding kam dann erst, als unsere Platten besprochen wurden.

Peter: Wir waren aber auch immer ganz schön punky.

Keith: Wenn ich uns mal mit den DICTATORS vergleiche ...

... gleiche Stadt, gleiche Zeit – die werden aber traditionell eher dem Punk zugerechnet ...

Keith: ... dann hatten wir die gleichen Wurzeln, den gleichen Humor.

Peter: Nur haben wir immer schon mehr gelacht. Wir schaffen es einfach, das Publikum mitzureißen, mit Spaß und Humor, ob in China, Madrid oder New York. Und ja, ich glaube schon, dass unser musikalischer Dialekt dann eben doch vom Sixties-Garage-Punk geprägt ist, mit entsprechenden Nonsens-Texten über Girls und so weiter.

Keith, was hat dich einst dazu gebracht zur Gitarre zu greifen?

Keith: Ich war zuvor Schlagzeuger, hatte jahrelang versucht, in Queens, wo ich herkomme, eine Band zu gründen, doch das führte zu nichts – jedenfalls zu nichts außerhalb des Kellers, in dem geprobt wurde. Und dann sah ich die RAMONES und kapierte, dass man auf seinem Instrument kein Virtuose sein muss, um in einer Band zu spielen. Und so schnappte ich mir eine Gitarre und fing an, Songs zu schreiben. Was schon deshalb einfach war, weil ich es gar nicht drauf hatte, die Lieder anderer zu spielen.

Peter: Die Coversongs kamen erst später in unser Programm, als wir etwas besser geworden waren und uns zutrauten, die zu spielen. „Nervous breakdown“ könnte der erste fremde Song gewesen sein, weil der so einfach ist.

Keith: Generell haben wir Spaß daran, Songs anderer in eigene zu verwandeln. Wir denken nicht in Kategorien, ob das jetzt ein cooler Garage-Rock-Song ist, so was kommt mir nicht in den Sinn. „Love like a man“ vom aktuellen Album ist ein gutes Beispiel, denn das ist ein halbes Cover, da haben wir einen TEN YEARS AFTER-Song durch den Fleischwolf gedreht.

Peter: Ich liebe den! Wir legen bei so was aber keinen besonderen Ehrgeiz an den Tag, wir gehören eher zu denen, die wie früher am Ende des Sommerferienlagers eine Ehrenurkunde bekamen – die bekam jeder nur fürs Dabeisein, dafür musste man sich nicht anstrengen, haha. Aber Ken, sag doch mal, warum hast du eigentlich angefangen Musik zu machen, das hast du mir nie erzählt?

Ken: Das war reiner Eskapismus. In meinem Leben passierte damals gar nichts, aber viele Freunde waren Musiker. Und so griff ich zum Bass.

Keith: Und Peter, du?

Peter: Als ich die BEATLES hörte, wollte ich unbedingt eine Band. Ich träumte die ganze Zeit davon. Ich war einerseits zu schüchtern, andererseits aber auch zu faul. 1966, ich war 14, dachte ich dann: „Mist, jetzt ist es zu spät, noch Gitarre zu lernen!“ 1970 oder so holte mich das dann wieder ein, die Musik fing an sich zu verändern, ich wollte selbst live Musik machen, weil ich das hasste, was ich sonst so zu hören bekam. Und so kaufte ich eine Fender Mustang-Gitarre. Die sah schrecklich aus, weil jemand versuchte hatte, sie mit einer Schellackpolitur zu versehen, aber das war schiefgegangen. Ein Freund versuchte mir dann beizubringen zu spielen, das muss im Sommer 1971 gewesen sein, doch das wurde nichts, und ich warf das Ding frustriert in eine Kiste auf der Veranda meiner Eltern, nachdem ich noch versucht hatte, sie abzuschmirgeln. Und so kam ich zur Mundharmonika – die ist einfacher zu spielen. Und was Keith betrifft, ganz zu Beginn spielte der noch Schlagzeug bei den FLESHTONES, bis er bei sich im Keller eine Gitarre fand, welche die Vormieter dort zurückgelassen hatten. Und ich hatte ja noch diese Fender Mustang rumliegen, zerlegt, und so machten wir uns daran, das Ding wieder zusammenzubauen.

Was habt ihr damals so getrieben?

Peter: Wir waren bekloppte Teenager! Und danach hatten wir alle möglichen Jobs.

Keith: Ich fuhr Taxi in der Anfangsphase der FLESHTONES, zwei, drei Jahre lang. Und mit dem Taxi fuhr ich auch unser Equipment in der Gegend rum, wenn wir ein Konzert hatten.

Bill: Ich hatte lange einen Job in der Ludwig-Schlagzeugfabrik in Chicago, wenn auch nichts „Glamouröses“: Ich war in der Versandabteilung, musste die Drumkits verpacken, die an Bands wie EMERSON, LAKE & PALMER rausgingen. Und das machte ich, bis ich dann die Jungs hier traf.

Peter: Ich hatte alle möglichen Jobs, wobei der bemerkenswerteste sicher der beim renommierten Verlag Farrar, Straus and Giroux war, der beispielsweise Bücher von B. Traven oder Carlos Fuentes veröffentlichte. Ich hatte aber auch einen Job beim Vater eines Freundes, der sich mit dem Entsorgen von Chemikalien beschäftigte ... Es gibt dazu unzählige Geschichten, eine unglaublicher als die andere, man könnte ein Buch darüber schreiben. Wenn irgendwo ein Labor aufgelöst wurde, musste man ja die ganzen Chemikalien loswerden, man konnte die ja nicht einfach in den Ausguss kippen. Und so wurde diese Firma beauftragt, für die ich arbeitete – und wir kippten die Sachen in den Ausguss, hahaha. Es war schrecklich ... Die Firma war irgendwo in den Sümpfen zwischen College Point und Flushing ansässig. Ich musste einen Schutzanzug tragen, und wir hatten diese Flaschen zu entsorgen. Die schönen Flaschen kippten wir aus und stellten sie ins Regal, die anderen zerschmissen wir in der Mülltonne, die daraufhin in Flammen aufging, haha – das ging ab wie ein Düsentriebwerk! Unser Kollege Roman, der alles über Rockmusik wusste, belaberte die Vorarbeiter, dass die uns in Ruhe ließen und den ganzen Tag in ihrem Büro saßen, während meine Freunde und ich unseren Spaß hatten. Ein andermal drückte mir ein Vorarbeiter einen Kanister in die Hand und sagte mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, ich solle den Inhalt loswerden. Also ging ich nach draußen hinter die Fabrik und kippte das Zeug ins Gebüsch – und das fing gleich alles an zu brennen! Tja, was sollte ich tun? Ich brauchte Geld für Bier und um auf Konzerte zu gehen. Und genau das war mein „Karriereplan“.

Den Job hast du überlebt – wie aber überlebt man im Rock’n’Roll 41 Jahre lang?

Peter: Man muss einfach abstumpfen.

Keith: Die Achtziger waren ziemlich wild, und damals haben wir unser Glück in gesundheitlicher Hinsicht schon ziemlich strapaziert, kann man sagen. Jeden Abend unterwegs, bis in den frühen Morgen, das war noch vor AIDS ... Aber irgendwann wurde das langweilig und ich sagte mir, ich will mich lieber mehr auf die Musik konzentrieren als aufs Feiern. Wir waren das Produkt dessen, was man bekommt, wenn man zwanzigjährige, junge Männer mit unbegrenztem Zugang zu Alkohol, Drogen und „Gelegenheiten“ ausstattet. In einer Rock’n’Roll-Band zu sein, war wie eine Highschool-Party mal tausend, und wenn du Glück hast, überlebst du das und wirst älter und kommst allmählich klar.

Peter: Viele, die jünger sind als wir, sind mittlerweile gestorben, aber so ist eben das Leben. Manche haben es übertrieben, andere hatten einfach Pech. Wir haben damals nie nachgedacht – wer Zeit dafür hat zu glauben, er sei unsterblich, der denkt zu viel nach. Wir haben einfach getan, wonach uns war. Aber irgendwann kam dann doch der Punkt, an dem man feststellte, dass man mehr als einen Tag brauchte, um sich von einer völligen Zerstörung zu erholen. Da merkt man dann, dass der Körper einem etwas sagen will. Aber in diesen legendären Achtzigern machten wir ja nicht nur Party, wir arbeiteten auch hart. Montag bis Freitag probten wir jeden Tag, von Mittag bis halb fünf. Und jeden Tag völlig erledigt zur Probe zu erscheinen, das kam nicht in Frage, das war unfair den Bandkollegen gegenüber. Und so lernten wir einfach irgendwann, um ein Uhr nachts nach Hause zu gehen, uns verantwortlich zu benehmen. Am Wochenende sah das freilich anders aus ... außer wir spielten Konzerte.

Ewig zieht man das aber nicht durch ...

Peter: Nein, deshalb wurden die Tage, an denen wir uns völlig abgeschossen haben, nach und nach weniger, wir wollten ja gute Auftritte hinlegen. Wir haben uns also daran gewöhnt, uns nur noch kontrolliert und verantwortungsbewusst abzuschießen. Dazu kommt, dass man sich irgendwann seiner Sterblichkeit bewusst wird: Es macht Spaß, am Leben zu sein und zu genießen, was man da tut, seine Beziehung etwa. Wir wollen noch etwas bleiben, mal sehen, was noch so kommt. Vielleicht wird man dann die Beschreibung „Kultband ohne Erfolg“ in „Kultband mit etwas Erfolg“ ändern. Und wie war das, wir haben eine „cult following“? Wir sind also Kultanführer oder was? Pff ... Das erinnert mich daran, dass uns seinerzeit unser Manager dazu drängte, mal nach Kalifornien zu gehen, nach Hollywood, das sei wichtig für unsere Karriere. Wahrscheinlich hatte er recht, aber meine Idee war, es in London zu versuchen ... wo man uns damals wahrscheinlich gehasst hätte. Und so gingen wir nach Hollywood und saßen da im Tropicana-Hotel rum, feierten ordentlich, denn unser Manager hatte gesagt, das sei das Hotel, in dem man als Rock’n’Roll-Band absteigen müsse – was ich für total bescheuert hielt. Aber er hatte recht ... obwohl ich das für ein dämliches Motel mit dämlichen Leuten und einem dämlichen Pool hielt, mit irgendwelchen Starlets drumherum. Es war eine Kombination aus allem, was ich hasse. So, und jetzt spielen wir unser Konzert und nachher erzählen wir dir den Rest unserer Bandgeschichte. Es ist noch nicht vorbei!

***

Jungs, ein beeindruckendes Konzert. Es passiert mir nicht oft, dass mich eine Band so in ihren Bann ziehen kann. Wie gelingt euch das?


Peter: Es passiert in unserem Leben selten, dass wir über die Vergangenheit nachdenken oder was in der Zukunft geschieht, meist denken wir nur an die Gegenwart. Als ich jung war und die Musik der British Invasion erlebte und begeistert war von großartigen Rock’n’Roll-Bands, da fand das alles in der Gegenwart statt, war sehr unmittelbar. Die Aufregung, der Spaß, das war jetzt! Da dachte man an nichts anderes! Und diese Unmittelbarkeit, die fehlte mir 1969, ’70, ’71. Ich war ein Musikverrückter und Plattensammler, aber diese Aufregung, die ich Jahre zuvor beim Erleben von Musik verspürt hatte, die vermisste ich. Und dieses Gefühl, dieses Erlebnis, wollte ich mit meiner Musik wieder erschaffen. Ich hatte gemerkt, dass ich auf Konzerten einfach nur herumstand und auf meine Schuhspitzen starrte. Die Musik gab mir nichts! Aber ich wusste, dass es bestimmte Musiker gibt, die mich mitreißen. Ich arbeitete für einen Konzertveranstalter, und da gab es eine regelmäßige Oldies-Night, bei der auch mal Screamin’ Jay Hawkins auftrat. Mein Boss schrie mich an, ich solle auf die Bühne gehen und den beruhigen, so wie der da abgehe, bestehe die Gefahr, dass er von der Bühne fällt und sich verletzt. „Stop him! Stop him!“, brüllte er mich an. Wir – drei, vier andere dürre weiße Jungs – gingen dann auf die Bühne hoch, um ihn zu stoppen. Screamin’ Jay Hawkins war wirklich besessen, total verrückt, und ein super Unterhalter. Typen wie er brachten mir bei, dass da mehr hinter der Musik steckt, als einfach nur seine Songs zu spielen. Jonathan Richman ist auch so einer, der mich das gelehrt hat, dass man es schaffen muss, mit den Leuten zu reden, sie zu erreichen. Und natürlich die RAMONES! 15, 20 Minuten standen wir wie angenagelt da, konnten nicht glauben, was wir da erleben. Es war nicht nur die Musik, es war das Erleben der Situation, genau jetzt! Mit den FLESHTONES haben wir nie so getan, als seien wir gerade in den Sixties. Nein, jetzt, everything is now! Als wir in New York bei einem der Cavestomp-Festivals spielten, wo auch ? & THE MYSTERIANS auftraten, war das unglaublich: Da hättest du den Mitschnitt eines Konzerts von 1965 oder so direkt an den von 2006 oder wann das war dranschneiden können, und du hättest das nicht gemerkt! Das war boooom, das war now, das war kein Nostalgie-Bullshit! Und genau das machen wir mit den FLESHTONES, Musik für hier und jetzt, emotional und kraftvoll.

Ein Beispiel dafür ist „Wheel of talent“ – ein famoser Live-Song, dem sich wirklich keiner entziehen kann. Wie entsteht so ein Song?

Keith: Der ist einfach „passiert“

Peter: Man darf nicht einfach auf die Bühne gehen und gelangweilt seine Lieder von 1976 runterspielen. Aber wie das wirklich geht ... keine Ahnung. Ich glaube, es hilft zu wissen, wie es nicht sein sollte. Wie ich eben schon sagte, ich arbeitete damals für einen New Yorker Konzertveranstalter, das war mein erster richtiger Job, 1971 oder so. Ich sah deshalb viele Bands live, die ich wirklich mochte – und fand sie langweilig. Und dann erlebte ich Screamin’ Jay Hawkins, Sergio Mendez, Charlie Rich, spürte deren Intensität, merkte, welche sexuelle Wirkung Rhythmus haben kann – wundervoll! Und der Wahnsinn von Screamin’ Jay! Frank Zappa wiederum empfand ich als beinahe schon langweilig.

Bill: Wir arbeiten nicht bewusst an unserer Live-Performance. Und dass wir es schaffen, die Leute in unseren Bann zu ziehen, liegt wohl einfach daran, wie wir als Band zusammenspielen.

Keith: Manchmal geht mir das selbst auch so: Du gehst auf die Bühne, der Club ist seltsam, der Sound nicht toll – und plötzlich bist du „drin“, siehst lächelnde Menschen vor der Bühne, Peter sagt irgendwas Lustiges, und beim dritten Song dann läuft es und baut sich immer weiter auf. Das hat manchmal schon fast etwas Schamanisches an sich.

Ken: Manche Elemente unserer Bühnenshow sind geprobt, aber nicht im Proberaum, sondern eher erprobt, weil wir so viel zusammen spielen. So was „baust“ du nur zusammen auf der Bühne auf. Das ist ein seltsames Ding – und vor allem eine Teamsache. Wenn einer von uns sich mal nicht gut fühlt, tragen ihn die anderen. Manchmal reißt sogar mich „Wheel of talent“ mit. Und so ist das auch bei anderen Bands, mit denen wir spielen, aber da passiert mir das vielleicht nur bei jedem fünfzigsten Konzert oder so.

Ein wichtiger Grund, dennoch regelmäßig auf Konzerte zu gehen – bleibt man zu Hause, nimmt man sich die Chance, solch einen Moment zu erwischen.

Peter: Ich bin ja bekannt als „The man who wasn’t there“, ich habe das Talent, solche großen Momente zu verpassen. Ich habe früher mal mit Wayne Kramer zusammengewohnt. Und der erzählte mir von den Ereignissen in Lincoln Park anlässlich der Demos zum Parteitag der Demokraten 1968, als MC5 spielten und die Polizeigewalt eskalierte. Ich antwortete: „Wayne, ich wäre der Typ gewesen, der während der ganzen Sache in einem Coffeeshop saß und einen Donut aß.“ Okay, bei ein paar Gelegenheiten war ich auch mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort, doch nach all meinen Erfahrungen habe ich zu meinem Sohn gesagt, der jetzt 19 ist: „Geh raus, erleb was, du weißt gar nicht, was du da draußen verpasst. Zu Hause vor dem Computer oder Fernseher erlebst du nichts.“ Und zum Glück zieht er auch los. Hätte ich das mal besser beherzigt, hätte ich die YARDBIRDS gesehen, hätte THE JEFF BECK GROUP zusammen mit THE WHO gesehen – in Laufentfernung von zu Hause. Aber alleine wollte ich damals nicht aus dem Haus ... Und ich bin nicht in Woodstock gewesen, weil THE MOODY BLUES abgesagt hatten – ich war ein riesiger Fan. Meine Mutter, die zu dieser Zeit in der Chiclets-Kaugummifabrik in der Nachtschicht arbeitete, fragte sogar noch, warum ich nicht auf meinen „Campingausflug“ gehe, sie hätte mir die 25 Dollar sogar gegeben. Zuerst bereute ich es, nicht hingefahren zu sein, doch dann kam der Film ins Kino und ich war froh, nicht dort gewesen zu sein. Der Dreck, der Schmutz, die schrecklichen Bands ... Wahrscheinlich hätte ich Acid geworfen, wäre ich da gewesen, und dann gebettelt, endlich nach Hause zu dürfen, hahaha. Ich war 15 oder 16 damals.

Darf ich eine ganz banale Frage stellen? Woher kommt der Name THE FLESHTONES?

Peter: Aus der Kunsthochschule. Ich war da, und ... da gab es eben diesen Malstift, er war „fleischfarben“. Mit unserem Freund Johnny Quint dachten wir uns Bandnamen aus, machten eine lange Liste und waren schon ganz schön high dabei. Zu der Zeit gab es keine Bands mehr, die einen Namen mit „-tones“ hinten hatten, das war in den Sechzigern üblich. Eine Band irgendwas mit „-tones“ zu nennen, war komplett uncool, und vor diesem Hintergrund, und weil ich von der Art School her diesen Buntstiftfarbton kannte, kam THE FLESHTONES dabei heraus. Dabei ist schon diese Farbbezeichnung falsch, denn so eine Hautfarbe, wie sie der Stift malt, hat ja keiner.

Hattet ihr denn eine konkrete Idee für die Band, ein ... Konzept?

Keith: Wir wollten einfach nur eine Band haben. Wir wollten am Wochenende im Max’s Kansas City und CBGB’s spielen.

Peter: Wir wünschten uns immer schon nichts mehr, als in einer Band zu spielen. Wir liebten Musik, Musik war aufregend.

Keith: In einer Band zu spielen bedeutete, dass du jemand bist.

Peter: Und du konntest Frauen treffen. Als Musiker bekamst du leicht Kontakt zu Frauen. Das wusste ich spätestens, seit ich nicht mit meinen Eltern nach Florida gefahren war, um auf das Haus aufzupassen. Und dann eine riesige Party mit Band veranstaltet hatte. Girls ... für Teenager ist Sex das einzig Relevante! Dafür stehst du morgens auf.

Und, hat die Band eure Erwartungen in Bezug auf Frauen und Sex erfüllt?

Peter: Na ja ... Aber das war dann eher in den Achtzigern, in New York, da erfüllte eine Band diese Erwartungen – zumindest später also klappte das. Rock’n’Roll ist irgendwie direkt mit der Libido verknüpft, so ganz genau verstehe ich das auch nicht. Es gab ja früher diese pädagogischen Filme, wo Eltern ihre Kinder vor den üblen Auswirkungen von Rock’n’Roll warnten – Wahnsinn, Sex und Rebellion – und später gesagt wurde, das stimme ja so nicht. Doch wir wussten: Doch, genau das passiert! Echter Rock’n’Roll löst genau das aus, Rock’n’Roll muss genau diese befreiende Wirkung haben. Denn natürlich drehst du bei der Musik total durch, natürlich wollen die Leute dann trinken und Drogen nehmen und verhalten sich seltsam. Und du machst einfach, was du schon immer tun wolltest. Und das haben wir getan! Abgesehen davon wollte ich schon immer was von der Welt sehen, und die Band hat mir das ermöglicht.

Und du würdest Rock’n’Roll auch deinem 19-jährigen Sohn empfehlen?

Peter: Ich muss zugeben, ich habe ihn nicht gerade entmutigt, Gitarrespielen zu lernen. Die heutige Generation ist viel ernsthafter als wir damals, die sehen, in welcher wirtschaftlichen Unsicherheit sich Menschen meiner Generation oft befinden. Wir rebellierten damals gegen die Sicherheit und den Erfolg, mit dem wir aufwuchsen, womit unsere Eltern uns umsorgten, weil sie selbst im Krieg und unter Entbehrungen großgeworden waren. In deren Jugend war es noch so, dass am Tisch erst die Kinder aßen, damit die satt wurden, und die Eltern aßen die Reste. Und entsprechend gut versorgt wollten sie uns wissen. Meine Eltern arbeiteten beide in Jobs mit Nachtschichten, um uns Kindern alles zu ermöglichen. Und wir trieben uns zum Dank bis morgens um vier herum und lagen besoffen auf dem Schulhof. Aus Protest.

Keith: Mein Vater war beim New York Police Department. Das sagt wohl alles.

Was wird die Zukunft bringen?

Peter: Mehr Touren, und ein weiteres Album. Wir sind schon dran, und es wird gut. Wir sind immer schnell, wenn es ums Aufnehmen geht, und wir brauchen keinen Produzenten. Das sagte uns auch Steve Albini, nachdem wir mit ihm aufgenommen hatten, und das war auch das letzte Mal, dass wir so was wie einen Produzenten hatten. Obwohl das manchmal sicher auch seinen Reiz hätte, einfach um zu sehen, was dabei herauskommt. Marty Thau war übrigens damals nie unser Produzent, er war einfach eine Granate als A&R-Mann, und er wusste nicht wirklich, wie man so eine Albumproduktion abwickelte, wollte mit uns aber mal ausprobieren, wie das läuft. Andererseits war er für frühe Demos von BLONDIE und RAMONES verantwortlich, ein gutes Gespür hatte er also. Wir soffen und kifften damals wie bescheuert, als wir im Studio waren, und Marty wollte immer unsere Meinung hören, und wir hatten keine! Wir waren ja noch nie im Studio gewesen, haha! Unsere Lösung für alles war „more reverb“, mehr Hall, überall, ständig.

Keith: Als ich meinem Vater unsere erste Single „American Beat“ vorspielte, sagte er nur, das klinge, als sei es unter Wasser aufgenommen worden. Und er hatte recht.

Peter: Ich finde, die klingt, als hätte das Mikro unter einem Kissen gelegen oder im Zimmer nebenan.

Keith: Dennoch, Marty Thau war ein Visionär, ein super Typ, mit dem man gerne arbeitete. Und er hatte uns sogar einen Vorschuss gegeben für das Album.

Peter: Marty hatte einfach Kontakte, er kannte die richtigen Leute, diese ganze Musikbusiness-Mafia. Dummerweise hatte er dann die Idee, sein eigenes Label zu gründen, Red Star Records. Wir hatten ja gedacht, er bringt uns bei Warner oder Sire unter ... und dann steigen wir im Max’s die Treppen hoch, er dreht sich zu mir um und sagt: „Zaremba, ich habe mir was überlegt: Ich gründe mein eigenes Label!“ Und ich dachte mir nur „Fuck!“. Damals war gerade etwas Kokain im Spiel, fürchte ich. Aber gut, er veröffentlichte SUICIDE, die damals sonst niemand gemacht hätte.