Am Tag des BRIGHT EYES-Konzerts in Berlin mache ich mich nachmittags auf den Weg zum Postbahnhof, um zu meinem Termin mit Jenny Lewis zu fahren, der Sängerin/Gitarristin/Songwriterin von RILO KILEY, die ich hierzu interviewen will. In der S-Bahn bekomme ich dann einen Anruf vom RILO KILEY-Vertreter bei Warner. „Ich wollte dir nur sagen, dass das Interview nicht mit Jenny stattfinden wird, sondern mit Blake, dem Gitarristen bei RILO KILEY,“ sagt die Stimme in meinem Telefon. Ich bin vollkommen überrumpelt, kann dann aber doch verständlich machen, dass dieses Interview für einen Artikel über Frauen in der Indie-Rock-Szene ist. Der Warner-Mann zeigt sich allerdings sehr verständnisvoll und versichert mir, dass Jenny mir dann eben doch zur Verfügung stehen wird.
Am Club angekommen, muss ich noch etwas warten, bevor ich Jenny vorgeführt werde. Als mir dann endlich RILO KILEYs Backstageraum gezeigt wird, sitzt Jenny Lewis zusammen mit vorher erwähntem Blake auf einer Couch. Dieser fragt dann sogleich, ob er nicht auch beim Interview mitmachen könne, weshalb ich erneut erklären muss, dass ich einen Artikel über Frauen in der Indie-Rock-Szene schreibe. Ich sage ihm, dass er aber meinetwegen gerne sitzen bleiben, uns zuhören, und den einen oder anderen Kommentar abgeben kann. Also meckert er vor sich hin, hört etwas zu, merkt, dass er aufgrund seines Geschlechts nun mal keine der Fragen beantworten kann, da sie alle auf Jenny ausgerichtet sind, und wir ihn obendrein noch ignorieren und wird aufgrund dessen etwas quengelig. Also beschließt er anscheinend, unser Interview so weit es geht zu stören und plappert ständig unqualifizierte Kommentare dazwischen. Macht sich umständlich daran, einen Grantapfel zu essen und mit den Kernen herumzuspucken, so dass man einfach hinsehen muss und abgelenkt wird. Als er dann nach einer kurzen Weile merkt, dass wir ihn immer noch nicht wirklich beachten, da Jenny und ich langsam auftauen und beide in das Interview eintauchen, zieht er beleidigt ab. Doch nach einer kleinen Verschnaufpause, die er uns gönnt, kommt er wieder und meckert herum, dass wir ihn nicht mit einbeziehen und ich ihn ja gar nichts frage etc. nur um dann beleidigt wieder abzuziehen. Und später im Interview sagt Jenny auch etwas, das mir diesen Vorfall erklärt:
„Ich denke schon, dass die Jungs in der Band anders mit mir umgehen als sie sich untereinander behandeln. Es besteht eine vollkommen andere Dynamik. Wir kennen uns zwar lang genug, dass das nach außen hin nicht mehr so offensichtlich ist. Aber ich denke, dass es Männern schwieriger fällt, eine Frau als Bandleader-Figur zu haben. Nicht dass ich der Chef der Band bin, aber ich weiß, dass ich bei den Songs, die ich schreibe, das letzte Wort habe. Ich denke, dass Männer es nicht gewohnt sind, Befehle von Frauen zu bekommen. Und ich denke oft, dass es manchmal schwieriger für mich ist, eine Song-Idee oder Vorschläge, die ich habe, durchzusetzen, als wenn sie von Blake kommen. Blake kann etwas vorschlagen, und alle sind sofort damit einverstanden, doch wenn ich etwas einbringe, fragen sie immer zweimal nach, ob ich mir denn auch sicher bin, dass ich das so machen will. Aber ich kann mich da schon ganz gut durchsetzen. Insbesondere dabei, bei meinen eigenen Songs das letzte Wort zu haben.“
Und auch alle Frauen, die mit Bands zusammen arbeiten, sei es in einer Band oder als Managerin oder Fahrerin oder lokale Veranstalterin, scheinen die selbe Meinung zu haben: eine Frau muss heute, im Jahr 2005, immer noch doppelt so hart arbeiten wie ein Mann, um als gleichwertig angesehen zu werden. Also eine Widerspiegelung der Gesellschaft im kleinen Rahmen, in einer Szene, die sich immer als besonders feministisch und aufgeschlossen darstellt, jedoch im Endeffekt auch nur eine Plattform zur Selbstdarstellung für reiche, weiße Mittelklasse-Kiddies (wie mich) ist.
Auch Stefanie Drootin von BRIGHT EYES und THE GOOD LIFE hatte teilweise auf Touren Probleme damit, als vollwertiges Mitglied ihrer Band angesehen zu werden, allerdings niemals innerhalb der Band:
„Es gab diesen Vorfall in New York. Da war ich mit meiner Band in einem Club und einer der Türsteher pöbelte mich an, ich solle den Club verlassen, da noch kein Einlass war. Als ich ihm dann sagte, dass ich in der Band spiele, glaubte er mir nicht. Wir spielten an diesem Tag sogar mit RILO KILEY und er machte dasselbe mit Jenny. Er wollte, dass wir den Club verlassen, da wir Frauen waren und er uns nicht glaubte, dass wir in den Bands spielen. Der Typ war so ein Arsch! Meine Jungs haben mir natürlich geholfen, aber ich konnte mich auch schon selber verteidigen. Solche Sachen passieren hin und wieder. Das nervt schon. Dinge, bei denen man dann denkt ‚Komm schon, wir leben im Jahr 2005, und Frauen spielen nun mal in Bands.‘ Das war leider auch nicht das einzige Mal, dass so etwas passiert ist, und es gibt dafür auch keine Entschuldigung. Wenn jemand alle in der Band fragt, oder man einen Backstage-Pass braucht, ist das okay, aber wenn nur ich gefragt werde, ist das so unendlich beleidigend.“
Kate Hiltz, die Tourmanagerin der BOUNCING SOULS, kennt solche Situationen ebenso. Sie meint, dass es sehr nervig wäre, wenn solche Dinge passierten. Doch inzwischen kennen sie die meisten Leute in den Kreisen, in denen sie sich aufhält, und deswegen passieren ihr solche Dinge nicht allzu oft. Doch manchmal spielen auch die BOUNCING SOULS in einem Club, in dem sie noch nie waren, und die lokale Crew ignoriert sie und spricht nur mit dem Mischer der Jungs, oder mit dem Roadie. Aber das macht Kate nicht einmal so viel aus, solange alles glatt abläuft. „Ich denke, dass es sehr viel zur Änderung der Einstellung von Leuten beiträgt, wenn ich nicht böse auf sie und ihren Annahmen reagiere. Denn wenn ich zum Beispiel auf einen Helfer vom Club sauer werden würde, da er nur mit allen anderen Mitgliedern unserer Roadcrew redet, dann würde er wahrscheinlich nur die Augen verdrehen und mich als weitere Bitch ansehen, die etwas beweisen muss. Und solange ich meinen Job machen kann, brauche ich keine Anerkennung. Ich versuche auch immer, die erste Person im Club zu sein, so dass ich mich allen vorstellen kann, und alle gleich von Anfang an wissen, an wen sie sich wenden müssen, wenn sie etwas brauchen.“
Andrea Kellermann, Gründerin und einziges Mitglied des Ein-Frau-Projekts FIREFOX und Mitglied der Band LAS PUERTAS, die sie mit ihrem Mann, Rasmus aka TIGER LOU gegründet hat, ist eine sehr talentierte Musikerin, trotzdem wird sie in erster Linie als Rasmus’ Frau gesehen, anstatt einfach als eigenständige Künstlerin. Zusätzlich dazu ärgert sie, dass dieser Fakt auf vielen Flyern und Postern für ihre Shows verwendet wird. „Ich könnte noch verstehen, wenn auf den Flyern stehen würde, dass wir zusammen eine Band haben, die sich ähnlich wie FIREFOX anhört, aber die Tatsache, dass wir ein Papier unterzeichnet haben, sollte nicht der Grund dafür sein, dass Leute mich spielen sehen wollen. Aber im Endeffekt ist das Ganze auch ziemlich komisch, da diese Tatsache natürlich auch gut für mich und FIREFOX ist. Ich sollte froh darüber sein, dass Leute mich mit Rasmus in Verbindung bringen, da er ein fantastischer Musiker ist!“
Trotzdem fühlt sie sich nicht wohl, wenn Leute sie „nur“ als die Ehefrau von TIGER LOU sehen. Es irritiert sie allerdings auch, wenn Veranstalter sie bei LAS PUERTAS gar nicht erwähnen. „Ich nehme diese Dinge wahr und suche schon fast nach ihnen, da es so typisch ist, dass die Frau ausgelassen wird und nicht der Mann.“ Sie denkt auch, dass sie als Frau härter arbeiten muss, um sich durchzusetzen, aber auf der anderen Seite merkt sie auch, wie Leute ihre Musik auschecken, gerade eben weil sie eine Frau ist. Also hat sie ihrer Meinung nach Vor- und Nachteile als Frau, und will es sich im Endeffekt zum Ziel machen, die Leute zu überzeugen, dass sie eine gute Songwriterin ist, egal ob mit oder ohne Rasmus.
Ansonsten hatte Andrea aber noch keine schlechten Erfahrungen in dieser Hinsicht. Sie merkt schon manchmal, dass sie heraussticht, was aber mehr daran liegt, dass sie eben bei FIREFOX ganz alleine auf der Bühne steht. „Die Leute kommentieren eher die Tatsache, dass ich alleine auf der Bühne bin, als dass ich eine Frau bin. Und es gibt schon eine ganze Menge Männer in der Musikszene, also denke ich, dass es insbesondere als Frau sehr wichtig ist, einfach hinaus zu gehen und Teil des Ganzen zu sein.“
Vor einiger Zeit machte Conor Oberst genau aus diesem Grund in den Staaten mit BRIGHT EYES eine Tour, auf die er nur weibliche Musiker mitnahm. Um der Welt zu zeigen, dass es auch wahnsinnig viele Musikerinnen gibt, die verdammt talentiert sind, unabhängig von ihrem Geschlecht. Stefanie war selbstverständlich auch mit dabei, und erzählt mit leuchtenden Augen, dass ihr die ganze Sache wahnsinnig viel Spaß gemacht habe. „Viele Leute haben sicher das Vorurteil, dass man sich mit so vielen Frauen auf Tour hin und wieder in die Haare kriegen würde, dem war aber überhaupt nicht so. Wir haben uns alle supergut verstanden und hatten wahnsinnig viel Spaß,“ sagt sie dazu. Weiterhin erzählt sie, dass diese ganze Aktion Absicht von Conor Oberst war, er das alles so geplant hatte. Normalerweise hat er nämlich immer nur ein oder zwei Frauen auf Tour dabei, und auf einmal war er mit einer ganzen Band von wunderhübschen und talentierten Musikerinnen unterwegs. Und prompt bekam BRIGHT EYES deswegen eine Menge schlechte Presse. „Die Leute fragten sich zum Beispiel,“ erinnert sich Stefanie, „was er wohl damit zum Ausdruck bringen wolle, ob er sich als unwiderstehlich darstellen wolle, denn es war eben nur Conor und all diese Frauen. Dabei hat er sie alle nicht aufgrund ihrer Schönheit oder ihres Geschlechts ausgesucht, sondern weil sie gute Musikerinnen waren. Er hat sie allein als Musikerinnen angesehen. Die Leute haben größtenteils total komisch darauf reagiert, was total bescheuert war. Denn wir waren und sind alle professionelle Musikerinnen. Es kommt überhaupt nicht darauf an, welches Geschlecht man hat.“
Auch TIGER LOU ist dieser Meinung. Er denkt, dass der Ausdruck „Frauenband“ der Ursprung allen Übels ist, und sobald dieser abgeschafft würde, wir alle auf demselben Level wären. „Die Leute scheinen diesen Begriff einfach nicht aus ihrem Kopf zu bekommen. Aber die Leute bezeichnen Wieso können Leute nicht einfach die Musik von Bands und Künstlerinnen wie FIREFOX, SAHARA HOTNIGHTS, THE DONNAS, AUDREY, LE TIGRE, LUSCIOUS JACKSON, SLEATER KINNEY oder wem auch immer hören, und sich auf deren verdammte Musik konzentrieren, anstatt ständig ihr Geschlecht zu erwähnen? Das macht mich fertig ... Die Menschen sind wahrscheinlich einfach nur dumm. So einfach ist das.“
Oder wie Kate Hiltz sagt, dass sie gar nicht als Frau behandelt werden will, und das wird sie von ihren Jungs auch nicht: „Jede andere Art an Behandlung – sogar, wenn sie nett wäre – wäre sexistisch. Ich bin keine Feministin, sondern Verfechterin des Egalitarismus.“ Und genau derselben Meinung ist auch Andrea Kellermann. Denn meistens ist sie mit Männern auf Tour, und diese behandeln sie genauso, wie sie sich gegenseitig behandeln. „Falls ich nicht schnell genug bin, wenn die Jungs anfangen, die Dusch-Reihenfolge festzulegen, dann werde ich auch ganz sicher nicht vorgelassen, nur weil ich eine Frau bin. Es wäre auch etwas komisch, wenn sie das machen würden.“
Abschließend sagt Kate Hiltz noch: „Ich denke, es herrscht immer noch das Vorurteil vor, dass Frauen auf Tour höchstens Merchandiserinnen sind, oder die feste Freundin von jemandem in der Band. Und solange dies auch größtenteils stimmt, wird sich dieser Stereotyp auch nicht ändern. Ich sehe zwar immer mehr Frauen auf Tour, mehr als jemals zuvor, aber ich denke, dass es in der Szene im Endeffekt einfach mehr Männer gibt. Punkt. Männer in Bands, und die für Bands arbeiten.
Ihr Freund, Robert Ehrenbrand von BOY SETS FIRE, sagt dazu, dass er leider denkt, dass es für Frauen immer noch schwieriger ist als für Männer, sich in der Musikszene durchzusetzen. „Und es ist höchste Zeit, das endlich komplett einzureißen!“, meint er, „Kunst sollte doch eine Plattform jenseits der gesellschaftlich überlieferten Fehler sein, und ein Sammelbecken für alle ... Darum kann es gar nicht viel genug verschiedene Menschen geben, egal welchen Geschlechts oder aber welcher Hautfarbe oder sexuellen Ausrichtung, die etwas dazu beitragen. Und zum Glück habe ich in meinem Freundeskreis mittlerweile einige Frauen, die der Szene aufgrund ihrer verdammt guten Arbeit viel zu bieten haben!“
Und im Endeffekt gibt es ja dann auch immer wieder diese positiven Ereignisse, die dadurch, dass die Erwartungshaltung sowieso schon auf dem Nullpunkt ist, umso besser werden. Wie zum Beispiel Tim Kasher von CURSIVE und THE GOOD LIFE, der in Bars in Oslo betrunken so militante Reden über Feminismus schwingt, dass sogar ich mit den Ohren schlackere.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #60 Juni/Juli 2005 und Julia Gudzent
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Julia Gudzent
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #62 Oktober/November 2005 und Julia Gudzent