FAVEZ

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Herunter, langsamer, leiser!

Die Überschrift für dieses Interview ist pure Untertreibung, versteht sich. Sie macht aber deutlich, dass sich die Schweizer auf ihrem neuen Album einmal mehr neu erfunden haben, indem sie den viel beschworenen Schritt zurück gemacht haben, um einen anderen Weg zu wählen und neuen Schwung zu holen. Gelassener, langsamer und leiser sind FAVEZ geworden, dafür aber bombastischer und mitreißender als je zuvor. Es soll nur für das Album sprechen, wenn ich zugebe, dass "Bigger Mountains, Higher Flags" das Erste der Band ist, das ich rückhaltlos verehre. Sänger und Gitarrist Chris Wicky erklärte mir per Mail äußerst sympathisch, wie es zu dem bandinternen Sinneswandel kam, und natürlich noch viel mehr.

Ihr: "Dies ist das erste Kapitel einer Geschichte, die hoffentlich sehr lange dauern wird." Was war denn falsch an der Vergangenheit?


Na ja, nichts, außer dass sie nicht die Gegenwart ist. Es ist wie bei der heißen Blonden, mit der du mit 18 gegangen bist: Sie war großartig im Bett, du hattest deinen Spaß mit ihr, aber irgendwie passt die charmante, klasse Lehrerin, mit der du jetzt zusammen bist, doch eher zu dem Menschen, der du geworden bist. So ist das auch mit einer Rockband. Du musst schauen, was du brauchst, und es dann wahr machen. Wenn wir 65 sind und merkwürdigen Krautrock spielen wollen, dann machen wir das hoffentlich auch.

Nachdem ihr jahrelang nach dem "ultimativen Rock-Album" gestrebt habt, was hat diesmal euren Drang nach Stille hervorgerufen?

Vermutlich hilft uns genau die Stille bei der Suche nach dem Rock-Album. Bei Rockmusik geht es ebenso sehr um die Songs wie um die Energie. Mit der Zeit vergisst man zu leicht die Songs und konzentriert sich auf die pure Kraft der Gitarren, Aber das wird schnell langweilig. Darum haben wir den Lautstärkeregler nach unten gedreht und den Songs mehr Freiraum gelassen. Wir sind nämlich recht elitär, und vieles von dem, was heute unter "Rock" läuft, von MY CHEMICAL ROMANCE bis zu Sechzehnjährigen, die bei H&M T-Shirts mit der Aufschrift "Rock bitch" oder "Ramones" kaufen - da kommt's mir echt hoch! Gerade deshalb wollten wir uns eine Weile von der Rock'n'Roll-Attitüde distanzieren. Und wie ich schon sagte: Die Bedürfnisse verändern sich.

Wie kommt es eigentlich, dass sich eure Besetzung bei jedem Album ändert?

Normalerweise lösen sich Bands auf, geben sich neue Namen oder hören für immer auf zu spielen. Wir machen das eigentlich auch, aber wir behalten dabei den Namen. Sobald einer von uns keine Lust mehr darauf hat, übernimmt ein anderer Glücklicher seinen Platz. Es macht lieber jemand anders mit, bevor ein mürrischer alter Sack alles ruiniert. Bei diesem Album aber sind wir die gleichen vier Leute wie 2003, wir mussten nur ein wenig Subtilität hinzufügen.

Kam diese Subtilität mit den neuen Musikern oder umgekehrt?

Grundsätzlich wollten wir etwas Neues ausprobieren, ein paar Songs mit Keyboards verfeinern. Unser Bassist spielt eine ziemlich fiese Orgel, also haben wir das mal ausprobiert. Als uns der Bass fehlte, haben wir diese beiden Padawans [Jedi-Azubis, gemeint sind Maude und Jeff. Anm. d. Übers.] dazu geholt. Einen Organisten und gleich noch einen Pianisten - für das Gleichgewicht!. Guy, unser Gitarrist, hasst es nämlich, wenn wir auf der Bühne nicht gleichmäßig verteilt sind. Als wir dann alle zusammen gespielt haben, haben wir unsere ersten Ideen wieder verworfen und neu angefangen, diesmal mit den Keyboards als Grundlage. Der neue Sound rührt also definitiv von den neuen Musikern her; das, was am Ende herauskam, war völlig anders als das, was wir uns anfangs vorgestellt hatten, aber es war um Längen aufregender.

Der Titel eures neuen Albums klingt etwas triumphierend, war das so beabsichtigt?

Ganz genau, der Titel sollte episch und triumphierend klingen. Wir haben sowieso keine Angst davor, uns zum Kitsch zu bekennen, aber hey, wenn du dich nicht einmal für deine schäbigen kleinen Triumphe freuen und deinem kostbaren, sich kaum verkaufenden Album etwas Bombast hinzufügen kannst, was soll das dann alles, oder? Es ist etwas ironisch, aber irgendwie auch wieder nicht.

Ihr habt euer langjähriges Label Stickman verlassen und seid zu Gentlemen gewechselt. Warum?

Wir lieben Stickman über alles, aber weder sie noch wir wollten "Bigger Mountains" zu einer Stickman-Veröffentlichung machen. Es gibt zahlreiche private Gründe, aber vor allem ist Gentlemen das Label unseres Managers Fig. Er hat zwischen 1997 und 1999 bei uns gespielt und weiß, wie die Band tickt. Sein Label ist ständig gewachsen, er hat coole Alben herausgebracht, hat einen Vertrieb für ganz Europa, und die Zeit war einfach perfekt dafür.

Greg Wales hat euer Album produziert. Warum habt ihr ihn gewählt beziehungsweise umgekehrt?

Wir wollten jemanden haben, der unseren epischen, kitschigen Ansatz ernst nimmt; uns war wichtig, dass unser Produzent etwas mit Pianos und Orgeln anfangen kann und nicht einfach ein Rock-Album mit ein paar Keyboards hier und dort aufnimmt; er sollte ein Gespür für klassischen Rock haben, sich aber auch im Punkrock und Hardcore auskennen; und zuletzt sollte er die ganze aktuelle Emo- und Hardcore-Szene schwerstens verachten. Wir haben also eine Liste mit Kandidaten erstellt, und Greg Wales war wegen seiner Alben mit RADIO BIRDMAN und NO KNIFE auch darauf. Als wir ihn kontaktiert haben, sagte er uns, dass er keine Alben mehr produziert, sondern nur noch Livemitschnitte für eine große australische Radiostation macht. Wir haben ihm trotzdem Demos geschickt, und er mochte sie. Je mehr wir ihm schickten, desto mehr mochte er uns. Er kam schließlich in die Schweiz mit seinem australischen Spirit, mit dem Sound der Wüste und dem verrauchter Räume, mit dem Sound der Rebellion und dem des Hafens von Sydney. Unsere nächsten vier Songs haben ihn endgültig umgehauen. Greg war unser Mann! Gebildet, kultiviert, aber immer für einen guten Furz und ein Bier zu haben.

Nach zehn Jahren FAVEZ seid ihr noch immer keine Rockstars. Mit welchen Gefühlen blickst du auf die Vergangenheit, was glaubst du, was noch kommt?

Ach komm, "Rockstars". Wenn du schon beides gespielt hast, nämlich auf Festivals vor 15.000 Leuten und in Clubs vor 300, dann weißt du ganz genau, was du den Rest deiner Karriere machen möchtest: auf einer kleinen Bühne stehen und mit der ersten Reihe herumalbern. Wir sind elitär, du erinnerst dich! Wir spielen Musik für die kleinen Massen, für die Leute, die unsere Freunde sein könnten, wenn wir sie besser kennen gelernt hätten, und nicht für irgendwelche Spinner, die trendig "rocken" wollen. Was unsere Zukunft angeht, ganz ehrlich, darüber mache ich mir keine Gedanken. Wir wollen das hier für immer machen, und nur das zählt.