FAVEZ

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Rocker, in Würde gealtert

Mit ihrem fünften Album „Old And Strong In The Modern Times” (Stickman Records) schließen FAVEZ musikalisch einen auch für Außenstehende logisch nachvollziehbaren Kreis. Sie begannen in jungen Jahren mit einem in einer Kirche aufgenommenen, sehr ruhigen Akustikalbum („A Sad Ride On The Line Again“), und verloren sich nach eigenen Angaben anschließend in der Selbstsuche. Als „Nebenprodukt“ dieser Suche erschienen drei stilbildende, qualitativ hochwertige, grundverschiedene Alben, die von vielen Menschen geliebt werden. Trotzdem scheint die Band mit genau diesen Platten einige Identifikationsprobleme zu haben. Mit der jüngsten Aufnahme erreicht das Schweizer Quartett nun einen Punkt, der sich für sie wieder zu hundert Prozent nach FAVEZ anfühlt. Druckvoll. Rockig. Eigensinnig. Für Chris Wicky, Sänger und Gitarrist der Gruppe, ist klar, dass diese Entwicklung etwas mit dem fortschreitenden Alter zu tun haben muss. Das möchte ich genau wissen, vielleicht kann ich ja ein paar Tipps für meine eigene Zeit jenseits der 30 abgreifen. Wir werden sehen.

How old are you? How strong?

„I’m definitly too old and not strong enough.“

Ich hörte Gerüchte, dass dies die letzte Tour sei. Wann geben FAVEZ ihre Auflösung bekannt?

„Als wir die Platte fertig stellten, waren wir sehr glücklich mit dem Endprodukt. Das war uns in dieser Intensität noch nie passiert. Es war genau das, was wir machen wollten. Der Kreis unseres Schaffens war geschlossen. Wir haben darüber nachgedacht, dass das jetzt ein guter Zeitpunkt ist, aufzuhören, also pausierten wir erst mal drei Monate. Als die Platte erschien, und wir wieder Konzerte spielten, waren wir glücklich. Bisher spielten wir ungefähr 120 Konzerte pro Jahr, und wir beschlossen, das ein wenig runter zu fahren. Wir wollen nicht mehr so viel touren, aber mit der Band weitermachen. Wir merken, dass wir langsam älter werden; wir gingen buchstäblich auf dem Zahnfleisch, als die letzten Shows vor der neuen Platte gespielt waren. Wir wollen nicht mehr alle verfügbare Energie in die Band stecken. Wir haben das erreicht, was wir mit unserem ‚Rock-Ding‘ erreichen wollten, und werden jetzt etwas grundsätzlich anderes ausprobieren. Unser Bassist spielt sehr gut Orgel, und wir überlegen, irgendetwas damit anzustellen, vielleicht wieder etwas mehr in die Richtung unseres ersten Albums zu gehen.“

Also keine weiteren Rockplatten?

„Im Moment nicht, nein. Ich weiß nicht, ob wir wirklich Lust auf weichere Musik haben werden, aber das Wichtigste für uns ist, dass wir definitiv weiter zusammen Musik machen wollen. Ich glaube nicht, dass eine Band eine festgelegte Sache ist, die nur einen Sound haben sollte. Es kann Bands auseinander brechen lassen, wenn sie sich zwingen, so und so zu klingen, weil sie meinen, die Band sei so und so. Wir fragen uns natürlich auch, was wir von FAVEZ erwarten. Wie wollen wir klingen? Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir einen grundsätzlichen Soundwechsel erreichen möchten.“

Wo liegt der Unterschied zwischen „Old And Strong“ und den übrigen FAVEZ-Platten?

„‚Old And Strong‘ ist entspannter. Es hat in seiner Entstehung mehr Spaß gemacht. Die Geburt der anderen Alben war irgendwie schmerzhafter, wir haben über jedes Detail genau und sehr lange nachgedacht. Wir konnten beispielsweise während der Aufnahmen nicht mehr richtig schlafen. Bezüglich der Aufnahmen waren wir immer sehr unsicher. Dieses Mal waren wir uns absolut sicher. Das hatten wir in dieser Form sonst nur bei unserem erstem Album ‚A Sad Ride‘ erlebt. Diese Parallele setzt sich lustigerweise in den Kritiken fort: Für beide Alben bekamen wir viele schlechte – teilweise sehr schlechte – Kritiken, und bei beiden hat uns das überhaupt nicht berührt. Wir wussten, dass wir das Album aufgenommen hatten, das wir exakt so wollten. Für die anderen Alben bekamen wir bessere Kritiken, aber sobald wir den einen oder anderen nicht ganz so guten Kommentar zu lesen bekamen, dachten wir im Stillen, dass der Autor recht hat: Oh shit, we sucked.“

Warum sollten wir FAVEZ hören?

„Ich kann dir nicht sagen, warum du unsere Musik mögen solltest, aber ich weiß, dass du sie dir anhören solltest: Weil wir eine wirklich ehrliche Band sind. Ich denke, dass wir eine intelligente Band sind, wir machen uns sehr viele Gedanken, haha, und wir legen viel Seele in die Musik. Wir haben nie etwas getan, weil wir dachten, man erwarte genau das von uns. Auf der anderen Seite haben wir so viel Seele, dass wir uns nie nur auf unsere intelligente Seite reduzieren würden. Ich glaube wirklich, dass wir keine beliebige Indierock-Band ohne Standpunkt sind, aber mache mir auch keine Illusionen über unsere Bedeutung. Kurz gesagt: Wir versuchen nicht, das zu machen, was andere machen, und versuchen dabei auch nicht mehr oder weniger zu sein, als wir sind. Vielleicht magst du uns nicht, aber unsere Alben bieten dir eine Chance, eine Verbindung zu unserer Musik herzustellen. Meiner Meinung nach ist das nicht die Absicht vieler anderer Bands, weil die meisten Gruppen genau so wie andere Bands klingen wollen.“

Wie sind FAVEZ in der Entstehung ihrer Songs organisiert?

„Ich bin nur für die Texte verantwortlich. Ansonsten sind wir eine sehr demokratische Band. Guy spielt nicht besonders gut Gitarre, und ich bin auch wirklich schlecht, aber wir haben einen sehr guten Bassisten und einen exzellenten Schlagzeuger. Wir jammen viel und diesem Lärm entspringen oft Ideen, mit denen alle glücklich sind. Der letzte große Schub an Einflüssen von außen kam Ende der Neunziger mit dem ganzen Dischord-Sound und FUGAZI. Diese Einflüsse schoben uns ein wenig weg von den Basis-Schemata des Pop und Rock. Das machte uns vielleicht etwas sonderbar.“

„Old And Strong“ sinniert unter anderem über das Leben in einer Band, wenn man jenseits der 30 ist. Kannst du das hier zusammenfassen?

„Ich verstehe, dass viele Menschen in ihren Dreißigern aufhören, in Bands zu spielen. Du versuchst, die Band mit der gleichen Energie zu betreiben, wie mit 19 Jahren, aber das funktioniert nicht mehr, weil sich dein Leben verändert hat. Man lebt nicht mehr bei den Eltern oder mit einem Mitbewohner. Du musst akzeptieren, dass du das Leben eines Erwachsenen führst, selbst wenn du versuchst, dem Erwachsenwerden davonzulaufen. Wir mögen unsere Jobs, die wir neben unserer Band haben müssen. Man verändert seine Sichtweise auf die Dinge. Zwar reduzierst du die Band nicht auf den Stellenwert eines gewöhnlichen Hobbys, aber sie steht auch nicht mehr im Mittelpunkt deines Lebens. Du brauchst Raum für verschiedene Sachen.“

FAVEZ in den Charts! Bei aller Bescheidenheit: Macht euch der Eintrag in die offiziellen Schweizer Verkaufscharts nicht stolz?

„Das war die erste Chartplatzierung für FAVEZ. Ich arbeite bei dem Vertrieb, der auch für unser Label Stickman Records zuständig ist. Und es amüsiert mich, dass ich meine eigenen Platten vertreiben und wirklich in jeden Laden stellen kann. Aber vielleicht wäre es auch ohne meine Hilfe passiert, haha.“

FAVEZ sind zweimal in den USA getourt. Wann erfolgt dort der Durchbruch?

„Es hat uns bei jedem Album neu überrascht, dass Doghouse sie in den USA veröffentlichten. Sie sagten: ‚Coole Platte. Ihr bekommt natürlich kein Geld dafür, aber wir können sie veröffentlichen.‘ Touren in Amerika ist anstrengend: Du fährst neun Stunden, um vor zehn Leuten zu spielen. Für uns macht das keinen Sinn. Die Geschichte von WATERDOWN ist dafür ziemlich bezeichnend: Victory Records sagten ihnen: ‚Hier ist der Van. Geht für zwei Jahre auf Tour, ansonsten werdet ihr hier keine Platten verkaufen.‘ Ich bin keine 19 mehr, als ich tonnenweise romantische Ideen hatte. Ich bin durch die USA getourt; ich weiß, wie es ist. Es ist scheißelangweilig. Am Ende hast du eine echte Hirnwäsche hinter dir.“

Arne Koepke

www.favez.com