Von einer Band wie EVERY TIME I DIE erwartet man immer wieder energiegeladene Lives-Shows, vertrackte, aber dennoch druckvolle Metal- beziehungsweise Hardcore-Songs und vor allem eine Menge Spaß. Da kommt die Aussage von Frontmann Keith Buckley überraschend, dass „Low Teens“, Album Nummer acht, das persönlichste sei, das die Band aus Buffalo bis jetzt veröffentlicht hat. Wie das kam, erzählt Sänger Keith Buckley im Interview.
Keith, kannst du dich an die ersten Gedanken erinnern, die dir durch den Kopf gingen, als ihr mit der Arbeit an „Low Teens“ begonnen habt?
Ich war sehr aufgeregt und etwas unsicher. „Low Teens“ ist die erste Platte, die wir in Buffalo, meiner Heimatstadt, aufgenommen haben. Irgendwie hat sich die Befürchtung in mir breitgemacht, dass wir uns bei dieser Platte sehr schnell verzetteln würden. Allein die Tatsache, dass wir uns durch unseren Alltag hätten ablenken lassen können, hat dafür gesorgt, dass ich nicht sehr entspannt an die Aufnahmen gegangen bin. Normalerweise haben wir uns ein Studio irgendwo anders gemietet und haben uns nur auf unsere Musik konzentriert. Unsere Familien und Freunde sind da normalerweise ausgeschlossen. Wenn du aber jeden Abend nach Hause fährst, kann dich der Alltag schnell einholen und du verzettelst dich.
Wie habt ihr dieses Problem gemeistert?
Schlussendlich hat es sich für mich als sinnvoll erwiesen, dass ich keine weiten Wege zu meiner Frau und meiner Tochter zurücklegen musste. Ich wäre sonst mit meinen Gedanken wohl doch nicht die ganze Zeit bei der Sache gewesen, da meine Tochter in der Zeit auf die Welt kam, als wir die Platte aufgenommen haben. Die Umstände der Geburt waren jedoch nicht so leicht. Im Gegenteil, es war sehr dramatisch. Es ging zwischenzeitlich sogar darum, ob meine Frau die Geburt überhaupt überleben würde.
Da du im Moment darüber sprichst, können wir davon ausgehen, dass es beiden gut geht?
Ja, beide sind wohlauf und wir sind sehr stolz auf unsere Tochter.
Hat die Geburt deiner Tochter Einfluss die Texte auf „Low Teens“ gehabt?
Sie hat definitiv dafür gesorgt, dass ich manche Dinge sehr stark hinterfragt habe und mich viel mit dem Tod auseinandergesetzt habe. Wie auf keiner anderen EVERY TIME I DIE-Platte zuvor habe ich persönliche Gedanken in den Texten verarbeitet.
In diesem Zusammenhang bekommen Zeilen wie „Death can’t tear us apart“ aus „Fear and trembling“ eine ganz eigene Bedeutung.
Wie ich schon erwähnte, stand es zwischenzeitlich nicht gut um meine Frau und das Baby. Ich habe versucht, so viel Zeit wie möglich mit ihr zu verbringen, und da kommen dann natürlich auch bestimmte Gefühle und Gedanken auf. In dem Song schildere ich die Situation, in der wir waren, und wollte ein Zeichen setzen. Meine Frau und ich haben eine belastbare Beziehung, wir haben keine Angst und wir werden das zusammen schaffen.
Und wen willst du bitte mit einer Voodoo-Puppe quälen, so wie du es in „Skin without bones“ beschreibst?
Ich wollte die Schmerzen und Qualen auf mich ziehen, um meine Frau zu entlasten. Es war furchtbar mit anzusehen, was sie durchmachen musste, ohne ihr dabei helfen zu können. Da habe ich mir natürlich auch Gedanken über mein eigenes Leben gemacht und festgestellt, wie egoistisch und verschwenderisch ich an manche Dinge heranging.
Worauf bezieht sich der Song „Glitches“?
In diesem Song geht es um die Anschläge in Paris im letzten Jahr. Als wir von dem Überfall auf das Bataclan erfuhren, haben wir uns alle zurückgezogen. Ich erinnerte mich daran, wie ich im Tourbus saß, die Situation zu begreifen versuchte, und ständig jemand hereinkam. Die Zeile „I stopped going out, they kept coming in“ beschreibt diesen Moment. Ich war wie paralysiert und geschockt. Als wir am nächsten Tag ein Konzert gespielt haben, habe ich mich unglaublich matt gefühlt. Wir haben damals den Abend genutzt, um zu zeigen, dass wir zusammenhalten und uns nicht von einer so schrecklichen Tat einschüchtern lassen.
Wie ist es bei so persönlichen Inhalten für dich, wenn eine Menge fremder Menschen deine Zeilen im Moshpit oder mit einem Bier in der Hand mitsingen?
Wenn die Leute etwas mit meinen Texten verbinden, habe ich alles erreicht, was man als Musiker erreichen kann. Sobald sie ihre eigenen Erfahrungen und Emotionen in die Songs packen, bin ich zufrieden. Es kann ja auch helfen, wie im Fall von „Glitches“, wenn man mit seinen Gefühlen und Gedanken nicht allein ist. Ich finde es wichtig, dass jeder seine eigene Interpretation der Songs hat. Ich würde die Leute nicht bis ins kleinste Detail über die Songs aufklären wollen.
Wie kann man den Albumtitel „Low Teens“ in diesem Zusammenhang verstehen?
Da gibt es eigentlich keinen Zusammenhang. Wir saßen im Studio und haben Nachrichten geschaut. Während der Wettervorhersage sagte der Sprecher, dass sich die Temperaturen in Buffalo in den kommenden Tagen in den „low teens“, also kurz über dem Gefrierpunkt befinden würde. Wir schauten uns an und waren uns sehr schnell einig, dass „Low Teens“ catchy genug sei, um als Albumtitel etwas zu taugen.
Wie haben deine Bandkollegen auf die Texte und deine Situation reagiert?
Um ehrlich zu sein, haben sie bis heute noch kein Feedback zu den Texten gegeben. Mit unseren beiden Gitarristen, meinem Bruder Jordan und Andrew Williams, verstehe ich mich blind. Wir verlassen uns gegenseitig darauf, dass jeder in der Band seine Aufgabe qualitativ gut erfüllt. Die beiden kümmern sich um die Songs, ich kümmere mich um die Texte.
Aber als dein Bruder müsste Jordan doch irgendwie besonders über deine Texte denken, oder nicht?
Es ist, wie gesagt, so, dass jeder in der Band sein Ding durchzieht. Natürlich verbringen wir auch viel Zeit mit einander. Aber weder Jordan noch Andrew haben die Texte bis jetzt kommentiert. Als Freunde standen sie mir und meiner Frau natürlich zur Seite.
Ihr habt mittlerweile acht Alben veröffentlicht. Wenn du zurückblickst: Welcher Song war bis jetzt der persönlichste, den ihr geschrieben habt?
Da „Low Teens“ das aktuelle Album und alles noch sehr frisch ist, kann ich dir definitiv sagen, dass es ein Song von dieser Platte ist. Wenn ich mich nun zwischen diesen Songs entscheiden müsste, würde ich sagen „Fear and trembling“.
Du bist für deine intelligenten und ironischen Texte bekannt. Welche Songzeile war bis jetzt deine stärkste?
Im Moment würde ich sagen, es ist der Anfang von „Fear and trembling“: „Though it may haunt us and break our hearts, death cannot tear us apart. I’ll wait for an omen, a sign that I’m chosen“ . Für mich fühlt sie sich perfekt an, auch im Zusammenspiel, wie sie sich in den Song einbringt. Auch hier kann ich wieder sagen, dass es sich dadurch, dass es meiner persönlichen Situation entsprungen ist, ganz anders anfühlt als alle anderen Songs zuvor. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass mir kein EVERY TIME I DIE-Song vor „Low Teens“ wirklich derart nah war.
Was sagt mehr über einen Menschen aus: seine Gedanken oder seine Handlungen?
Definitiv seine Handlungen. Du musst dich immer daran messen lassen, was du anstellst. Natürlich sind Worte oder Gedanken der Funke, der ein Feuer zum Lodern bringen kann. Aber wenn du das nicht durchziehst, was du ankündigst, kannst du auch nichts ändern.
Ihr habt einen sehr hohen Verschleiß an Bassisten, aktuell spielt mit Stephen Micciche der neunte bei EVERY TIME I DIE. Auch auf der Position des Schlagzeugers gab es schon drei Wechsel. Was ist für dich wichtiger: der Beat eines Songs oder seine Melodie?
Es ist auf jeden Fall die Melodie. Schließlich bleibt sie – falls sie gut ist – sofort im Ohr. Natürlich geht nichts ohne einen guten Beat. Ich konzentriere mich beim Hören jedoch mehr auf die Melodie und nehme sie als Kriterium, ob ein Song gut ist, oder nicht.
Du hast unter dem Titel „Scale“ Ende des letzten Jahres dein erstes Buch veröffentlicht. Was ist für dich befriedigender, ein eigenes Buch oder Texte für EVERY TIME I DIE zu schreiben?
Als ich mit dem Buch fertig war, hatte ich das Gefühl, einen Prozess abgeschlossen zu haben. Das Feedback, das ich bekam, musste ich auch alleine verkraften und konnte es nicht teilen. Ich hätte die Schuld nicht auf jemand anderen schieben können, wäre die Kritik schlecht ausgefallen. Das hat sich sehr gut angefühlt. Das Schreiben für EVERY TIME I DIE ist wiederum eine vollkommen andere Sache, ohne die ich wahrscheinlich auch nicht leben könnte.
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