EVERY TIME I DIE

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Is this a Rock’n’Roll takeover?

EVERY TIME I DIE sind heiß, verdammt! Es gibt zurzeit kaum eine Band, die vertrackten Hardcore mit den dreckigsten Southern Riffs so vermischt wie jene fünf Herrschaften. 2003 veröffentlichten sie das viel beachtete Album „Hot Damn“ und damals sprach manch einer schon vom Szeneklassiker. Obwohl man ihre Musik mit der Musik von Bands, wie sie BOTCH gemacht haben und DILLINGER ESCAPE PLAN machen, vergleichen kann, lassen sich EVERY TIME I DIE nicht unbedingt mit ihnen vergleichen. Vor allem sind es die Lyrics von Sänger Keith Buckley, die ETID zu dem machen, was sie sind.

Mittlerweile schreiben wir ja bekanntlich das Jahr 2005 und mit „Gutter Phenomenon“ hat die Band ein neues Album veröffentlicht, das dem „berüchtigten“ Vorgänger in nichts nachsteht – die Fünf scheinen nach drei Alben und einer brachialen EP ihren Sound gefunden zu haben. Nun sind sie also dabei, ihn zu festigen, was aber nicht heißen soll, dass sich ETID selbst kopieren, das überlassen sie anderen. „Gutter Phenomenon“ ist in den Augen von Sänger Keith ein natürlicher und notwendiger Schritt in Richtung Forschritt geworden: „Ich denke, wir werden älter und hoffentlich auch versierter, was das Handling unserer Instrumente angeht.“
EVERY TIME I DIE sind außer Sänger Keith noch sein Bruder Jorden (Gitarre), Mike Novak (Drums), der ziemlich große und, na ja, hässliche Andrew Williams (Gitarre) und mittlerweile auch der ehemalige Bassist von NORA, Kevin Faulk. Im Zuge ihrer ersten Deutschlandtour nach der Veröffentlichung von „Gutter Phenomenon“ spreche ich also mit einem etwas wortkargen Herrn Buckley auch über Dinge wie das Älterwerden: „Wir sind müde geworden, immer den schnellsten und aggressivsten Hardcore spielen zu wollen. Natürlich ist die Musik, die wir machen, immer noch aggressiv, aber wir haben einfach erkannt, dass die meisten unserer Lieblingssongs eben keine Hardcore-Songs sind, sondern klassische Rocksongs.“
In Anlehnung an den frühen Rock und speziell Rock’n’Roll wurde dann auch der Albumtitel ausgewählt: In den 60ern wurde das gerade aufbrandende Rock’n’Roll-Phänomen von der Obrigkeit wegen seiner Anstößigkeit schnell als Gossenphänomen verurteilt. Man hoffte, dass dieses Phänomen durch eine öffentliche Verurteilung wieder verschwinden würde. Man hat es nicht geschafft. EVERY TIME I DIE finden jedoch, dass seine eigentlichen Werte, wie zum Beispiel Rebellion, heutzutage nicht mehr über den Rock’n’Roll transportiert werden, und das wollen sie ändern: Rock’n’Roll soll wieder aus seiner Bedeutungslosigkeit geholt werden und seinen ursprünglichen Platz in der Musik einnehmen.
Aber ist „Gutter Phenomenon“ jetzt ein reines Rock’n’Roll-Album? Nein! Wie oben schon erwähnt, sind die üblichen Hardcore-Elemente immer noch so weit vertreten, dass man sich keine Sorgen machen muss. „Ich habe vor den Aufnahmesessions sogar Gesangsunterricht genommen, damit sich meine Stimme besser in die Musik einfügen kann. Früher habe ich nur über die fertigen Songs gesungen, heute denke ich, ist meine Stimme ein Teil der Musik.“ Keith betont immer wieder, wie wichtig es ihm ist, dass man seine Zeilen versteht, und sieht die Sache mit dem Gesangsunterricht deshalb auch als notwendigen Schritt an: „Mir bedeuten meine Lyrics unheimlich viel und deshalb nehme ich mir sehr viel Zeit, um sie zu schreiben. Dass ich mittlerweile meine Fähigkeiten ausgebaut habe, die Lyrics zu verpacken, ist für mich sehr nützlich. Ich fühle mich einfach besser, wenn man verstehen kann, was ich singe – schließlich machen sich die Menschen über meine Lyrics ein Bild von mir.“
Eben jene Lyrics sind geprägt von Doppeldeutigkeiten und zynischen Anekdoten. Hier ein Beispiel aus dem Song „Bored stiff“: „I know it’s hard to swallow. But Ma’m your head is overturned. Hey there girls, I’m a cunt. There was a venom in the heart of the dagger.“ Liest sich komisch, ist aber ein Fließtext ... „Mich beeinflussen viele Filme, wie zum Beispiel ‚American Psycho‘ mit Christian Bale. Zurzeit lese ich auch wissenschaftliche Bücher, von Stephen Hawking zum Bespiel. Da lernt man recht viele neue Wörter kennen. Man kann also sagen, ich studiere zurzeit.“ Drei andere Bandmitglieder (Andy, Chris und Mike) machen, anstatt zu studieren, weiter Musik: Sie haben ein Projekt gestartet, das sich nach eigenen Angaben wie AC/DC mit mehr Eiern anhören soll. Man darf also gespannt sein, ob das schon der versprochene Rock’n’Roll-Takeover war oder ob da noch einiges auf uns zukommt? Mittlerweile hat es das Album übrigens in die amerikanischen Billboard-Charts geschafft.