Einsatz auf der Iuventa Teil 2

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Über die Kriminalisierung von Seenotrettern

Die Iuventa ist ein ehemaliger Fischkutter, der im Jahr 2016 zum ersten Mal im Mittelmeer als Seenotrettungsschiff in See stach. Ein Jahr zuvor gründeten ein paar engagierte Aktivisten die Initiative Jugend Rettet e.V. und kauften, über eine Crowdfounding-Aktion finanziert, das Schiff. Zwei Jahre war die Iuventa im Einsatz und rettete ca. 14.000 Menschen das Leben, bis sie im August 2017 von den italienische Behörden auf der Insel Lampedusa festgesetzt und Anklage gegen die Besatzung erhoben wurde. Der Vorwurf lautet bis heute Kooperation mit Schlepperbanden. Ob und wann der Crew in Italien der Prozess gemacht wird, hängt noch in der Luft. Sollte dieser aber eröffnet werden, drohen den einzelnen Mitgliedern bis zu zwanzig Jahre Haft.

Einer der Kapitäne ist Dariush aus Hamburg, der bis dahin als Hafenschiffer zwischen Altona und Finkenwerder unterwegs war und dazu ein sehr engagierter Aktivist der politischen Linken und hiesigen Punk-Szene. Ein weiterer Kapitän ist Hendrik aus Bremen, der sich seine Sporen ebenfalls über den Punkrock verdient hat und für seinen Lebensunterhalt als Informatiker arbeitet. Beide verbindet ihr Idealismus und der Wunsch, etwas Gutes in dieser Welt zu tun, die immer mehr ihre moralischen und ethischen Werte über Bord zu werfen scheint. Im ersten Teil des Interviews stellten die beiden die Iuventa und ihre Arbeit vor, um am Ende über die juristischen Probleme der NGOs zu berichten, von denen sie auch selbst betroffen sind, wovon sie in diesem zweiten Teil erzählen.

Nun ist es so, dass ihr beide ebenfalls demnächst möglicherweise vor Gericht stehen könntet.

Hendrik:
Ja, aktuell laufen Ermittlungen gegen uns und acht weitere Aktivisten. Unser Schiff wurde am 02.08.2017 in Italien auf Lampedusa beschlagnahmt und dann nach Sizilien gebracht, wo es immer noch liegt. Der Staatsanwalt dort ermittelt jetzt gegen uns. Die Begründung damals war Waffenschmuggel, Beihilfe zur illegalen Einreise und Zusammenarbeit mit organisierter Kriminalität. Das mit dem Waffenschmuggel ist sofort fallengelassen worden. Aber damit konnten sie stärkere Wirkungsmaßnahmen rechtfertigen, zum Beispiel dass sie unsere Brücke verwanzt haben, um uns abzuhören. Außerdem konnten sie so einen verdeckten Ermittler einsetzen. Die Ermittlungen liefen bereits seit September 2016.

Dariush: Das haben wir aber erst 2018 erfahren, nachdem wir Akteneinsicht bekommen hatten.

Hendrik: Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen haben für die Seenotrettung Schiffe inklusive Besatzung gechartert, so dass diese nur die Einsatzleitung und die medizinische Versorgung stellten. Das übrige Personal wurde gestellt. So auch auf der Hosestia, einem Schiff von Save the Children, darunter waren zwei Sicherheitsmitarbeiter, die behaupten, gesehen zu haben, wie sich die Iuventa mit Schmugglern trifft und dabei Menschen übergeben worden sein sollen. Und somit lautete der Vorwurf, wir hätten mit den Schleppern zusammengearbeitet. Diese angeblichen Beobachtungen haben sie an den italienischen Geheimdienst und an Salvinis Büro direkt geschickt. Der hatte sofort reagiert, was dazu führte, dass der eine der Sicherheitsmitarbeiter über Monate die Iuventa und die Hosestia ausspioniert und das an Salvini berichtet hat. Aufgrund dieser angeblichen Beobachtungen, bei denen alles in einen falschen Kontext gebracht wurde, ist das Schiff schlussendlich beschlagnahmt worden und gegen uns zehn wird nun ermittelt. Es gab drei Situationen, die das begründen sollten. Diese sind aber inzwischen komplett widerlegt worden.

Dariush: Wir hatten sofort in Trapani Widerspruch eingelegt, später dann vor dem höchsten Gericht in Italien. Und trotz Zeugen und E-Mail-Verkehr zwischen uns und einer italienischen Behörde wurde dieser abgeschmettert mit der Begründung, die Zeugen könnten ja für uns lügen und der E-Mail-Verkehr gefälscht sein. Das zeigt ja ganz deutlich, was da für eine Stimmung gegen uns herrscht. Die Vorwürfe sind völlig aus der Luft gegriffen, da wir keine Menschen illegal nach Italien geholt haben, sondern nur Ertrinkende gerettet und manchmal bis zu 36 Stunden an Bord hatten, bevor wir sie an größere NGO- und Regierungsschiffe übergaben. Davon abgesehen ist die Einreise an sich ja gar nicht illegal. Die Menschen kommen nach Europa, um hier einen Asylantrag zu stellen, über den dann entschieden wird. Vielleicht sollte ich auch noch mal deutlich machen, dass das Meer ab vierzig Kilometer vor jeder Küste internationales Gewässer ist, wo kein Land mehr für verantwortlich ist. Damit dort trotzdem Menschen aus Seenot gerettet werden können, hat sich in den Siebziger Jahren ein Verband aus Behörden und Vereinen zusammengeschlossen, welche die MRCCs gegründet haben, Maritime Rescue and Coordination Centres. Von dort aus wird die Seenotrettung auf der ganzen Welt organisiert und koordiniert. Da es nun Libyen politisch und somit faktisch nicht mehr als funktionierenden Staat gibt, gibt es dort auch kein MRCC mehr, so dass Italien dieses Gebiet freiwillig mit übernommen hat. Eigentlich jede NGO, die auf dem Mittelmeer aktiv ist, hat zuallererst Kontakt mit diesem MRCC aufgenommen. Ohne die läuft da eigentlich gar nichts. Die bestimmen, welches Schiff zur Rettung gerufen wird, ob sie selber eines hinterherschicken, welcher Hafen angesteuert wird und wie es überhaupt abzulaufen hat. Das ist gerade das Absurde, dass eine italienische Behörde gegen uns ermittelt, obwohl wir eng mit einer anderen zusammengearbeitet und nach deren Anweisungen gehandelt haben.

Das ist doch juristisch für die italienische Innenbehörde überhaupt nicht haltbar.

Hendrik:
Das ist denen wohl egal. Sie versuchen stattdessen eine rechtliche Situation zu konstruieren, die besagt, dass es keine Seenot ist, wenn man sich bewusst in diese begibt, was im Fall der Geflüchteten aus deren Sicht zutreffen würde. Somit würde das alte Recht, dass Menschen grundsätzlich, egal welcher Herkunft und Hautfarbe, aus Seenot zu retten sind, hinfällig. Wer freiwillig auf ein Schlepperboot geht, begibt sich aktiv in Seenot, um sich retten zu lassen, so die Argumentation.

Bleiben wir noch mal kurz bei den Schleppern. Gibt es da überhaupt irgendwelche Kontakte? Und damit meine ich keine organisierten oder abgesprochenen, sondern eher spontane, ungeplante vor Ort.

Hendrik:
Man darf nicht vergessen, dass das absolut skrupellose Typen sind. Das sehen wir nicht zuletzt an den Folterspuren, die wir immer wieder bei Geretteten entdecken und behandeln müssen. Insgesamt ist das aber ganz schwer zu definieren. Es sind ja auch immer wieder Fischerboote unterwegs, die vielleicht nur den Motor einsammeln wollen, wenn ein Schlauchboot kentert. Da wissen wir ja nicht, was das für Menschen sind. Mit denen sprechen wir dann auch nicht, sondern halten uns raus. Uns geht es ausschließlich um die Leute in Seenot. Mit Schleppern wollen wir überhaupt keinen Kontakt haben.

Dariush: Das sind einfach Arschlöcher. Und die gehen ja auch nicht mit auf die Boote, da sie genau wissen, dass die Menschen auf so einem Boot nie ankommen, wenn sie nicht gerettet werden. Die schicken Menschen bewusst in den Tod. Das war bis vor fünf, sechs Jahren noch anders. Da steuerte meist ein Schleuser, ein eher unwichtiges Mitglieder der Organisation, so ein Boot. Die sind damals in der Regel noch von Tunesien nach Lampedusa aufgebrochen. Heute von Libyen aus ist es viel weiter und somit auch viel gefährlicher. Dem setzt sich kein Schmuggler selbst mehr aus.

Wie verarbeitet ihr dieses Elend, mit dem ihr konfrontiert werdet? Wie geht ihr emotional damit um? Habt ihr psychologische Betreuung an Bord?

Hendrik:
Direkt an Bord nicht. Es gab aber zur Vorbereitung immer ein psychologisches Briefing von unterschiedlichen Organisationen. Da bekamen wir Tipps wie, man solle sich Rituale überlegen. Das kann eine Gedenkminute für einen Gestorbenen sein, die die Crew gemeinsam einlegt, um so die Situation für sich abzuschließen. Seawatch hat inzwischen aber auch ein bundesweites Netzwerk an Psychologen, die die Leute kostenlos betreuen. Das ist auch nötig. Nach meinem ersten Einsatz 2016 war ich tagelang total fertig. Das war schon sehr krass. Wir hatten drei Tage rund um die Uhr Einsätze und am Ende ein Boot mit 17 Leichen, die wir in Säcke packen mussten. Danach war ich richtig am Ende. Aber das ist wohl im allgemeinen Rettungsdienst auch so. Man stumpft mit der Zeit emotional ab. Am schlimmsten ist es, wenn man entscheiden muss, welchen Menschen man noch retten kann und welchen nicht mehr. In einer solchen Situation war ich aber zum Glück noch nicht.

Dariush: Oder aber man muss ein Boot zurücklassen, weil ein anderes Priorität hat, wenn dort zum Beispiel noch keine Rettungswesten verteilt wurden. Bei meiner ersten Mission war das der Fall. Und als wir dann zurückkamen, waren 150 Menschen einfach nicht mehr da. Ein Kollege hatte denen noch ins Gesicht versprochen, dass sie in spätestens einer Stunde gerettet werden, doch wir konnten nicht zurück, da die Behörden es uns untersagten. Das ist schon verdammt hart. Ich habe immer wieder die Bilder der Toten vor Augen, die ich gesehen habe, aber das belastet mich nicht mehr so sehr. Mich belasten viel mehr die Alltagssituationen, in denen ich von Booten in Seenot lese und dabei genau weiß, ich darf da jetzt nicht hin, um zu helfen. Ich weiß, dass ich könnte, wenn man mir ein Schiff und zwölf Leute gibt, die Bock haben, dann könnte ich jeden Tag Menschenleben retten, aufgrund des drohenden Verfahrens darf ich das aber nicht. Das ist genauso belastend wie die Gesamtsituation, dass es Europa nicht zu interessieren scheint, dass vor seinen Toren jeden Tag Menschen sterben.

Trotz der schlimmen Erfahrungen und Bilder seid ihr aber wieder losgefahren. War das auch irgendwie eine Motivation?

Hendrik:
Auf jeden Fall. Ich habe ja gesehen, was ich kann und was ich damit vor Ort leisten kann. Da stellt sich für mich gar nicht die Frage, sofort wieder hinzufahren, um meine Fähigkeiten mit einzubringen und so weitere Menschen zu retten. Das steht für mich überhaupt nicht zur Debatte.

Wie bekommt ihr euer Engagement zeitlich und finanziell mit eurem Alltagsleben unter einen Hut?

Dariush:
Ich arbeite ja in Hamburg vollzeit im Hafen und nutze meine Urlaubstage dazu, in der Seenotrettung aktiv zu sein. Daher bin ich in den letzten Jahren auch nicht mehr in den Urlaub gefahren.

Hendrik: Und ich bin selbständiger Informatiker mit ganz guten Stundenlöhnen, die es mir ermöglichen, nicht ganz so viel arbeiten zu müssen und mir meine Zeit selber einzuteilen. Die meisten Seenotretter nehmen aber für ihre Einsätze ihren Jahresurlaub.