Duncan Reid ist eher klein von Wuchs, trotzdem ist er ein ganz Großer. Mit seiner Band THE BOYS ging er als die „BEATLES of Punk“ in die Geschichte des britischen Punkrocks ein. Zwischenzeitlich managte er den damaligen Premier League Club Nottingham Forest. 35 Jahre nach seinen Anfängen bei THE BOYS brachte Duncan im Sommer 2012 mit „Little Big Head“ sein erstes Soloalbum mit großartigem Powerpop heraus. Ich traf ihn vor seinem Gig im Essener Freakshow.
Duncan, deine Band THE BOYS wurde in den späten Siebzigern in einem Atemzug mit Gruppen wie THE DAMNED und THE UNDERTONES genannt. Obwohl ihr mit „First Time“ eine Single in den britischen Charts hattet, blieb euch der ganz große Durchbruch aber verwehrt. Woran lag das deiner Meinung nach?
„First time“ und auch „Brickfield nights“ waren die Songs, bei denen die Leute auf unseren Konzerten am meisten durchdrehten. Beides sind tolle Songs. „First Time“ stieg dann tatsächlich in die Charts ein. Aber wie so oft bei THE BOYS kam dann etwas dazwischen, als nämlich Elvis Presley starb und unsere Plattenfirma RCA nur noch Scheiben von Elvis presste und nicht mehr unsere. Dumm gelaufen.
Laut eures Fans Campino wart ihr „hemmungslose Trinker und leidenschaftliche Spieler“, was eine größere Karriere verhindert habe. Hat er Recht?
Campi war immer ein großer Unterstützer und hat mir erst kürzlich, als mein Album rauskam, eine SMS geschickt und mir geschrieben, wie sehr ihm die Platte gefällt. Er ist halt ein netter Kerl mit gutem Geschmack. Hat er Recht? Wahrscheinlich! THE BOYS waren sicherlich sehr talentiert, trafen aber nicht immer die richtigen Entscheidungen. Außerdem haben wir nicht so hart gearbeitet, wie DIE TOTEN HOSEN es tun. Die proben 25 Stunden am Tag. Das hätten THE BOYS nie getan, haha.
Wie seid ihr zum Etikett „BEATLES of Punk“ gekommen?
1977 war es unter den englischen Punkbands üblich, sich von den großen Acts zu distanzieren, so wie in der Textzeile von THE CLASH: „No Elvis, Beatles or Rolling Stones“. Wir hingegen liebten die BEATLES und die ROLLING STONES, was sich auch in unseren Songs widerspiegelte. Wir waren wesentlich melodiöser als die meisten anderen Punkbands und standen auf Harmonien. Außerdem hatten wir vier Sänger und konnten das entsprechend umsetzen. So kamen wir zu diesem Titel.
Du stammst aus dem beschaulichen Canterbury. Wie hat es dich nach London verschlagen?
In Canterbury ist in der Tat nicht viel los. Die Stadt ist vor allem durch ihre Kathedrale begannt und liegt etwa 100 Kilometer von London entfernt. Anders als die meisten meiner Freunde wollte ich raus in die Welt und etwas erleben. Deshalb zog ich 1976 nach London und landete mitten in der entstehenden Punk-Szene. Durch meinen Job in einer Wäscherei lernte ich unseren späteren Gitarristen Honest John Plain kennen, der wiederum mit Matt Dangerfield befreundet war. Matt hatte ein kleines Studio in seiner Wohnung, in der damals Leute wie Billy Idol von GENERATION X, die SEX PISTOLS, Mick Jones von THE CLASH und die Jungs von THE DAMNED abhingen, um zu jammen. In diesem Umfeld gründeten sich schließlich THE BOYS. Der Rest ist Geschichte.
Genau davon handelt dein Song „77“.
Das stimmt. Damals war London das Zentrum des Universums. Jedes Mal, wenn man die Stadt verließ, konnte man es kaum abwarten, möglichst schnell wieder zurückzukommen, weil man das Gefühl hatte, etwas zu verpassen. Es passierte einfach so viel. Ständig gab es neue Bands. Man ging in einen Club und sah Johnny Thunders, der zum ersten Mal in London spielte, oder die UNDERTONES. Es war eine unheimlich aufregende Zeit.
Ihr wart eine der Lieblingsbands von Joey Ramone und werdet heute noch von Bands wie GREEN DAY als großer Einfluss genannt. Wie fühlt sich das an?
Nicht schlecht. Joey Ramone hat mal für ein amerikanisches Magazin einen Artikel mit der Überschrift „Give The Boys a Break“ geschrieben, in dem er seine Landsleute aufforderte, sich die Platten von THE BOYS anzuhören. Für mich als Sänger war Joey immer das Vorbild schlechthin. Von daher war es natürlich toll, als wir mit den RAMONES auf Tour gingen und sogar mit ihnen gemeinsam auf der Bühne standen, um ihren damaligen Top-Ten-Hit „Baby, I love you“ zu spielen. Das Lied hatten sie ursprünglich nicht in ihrem Repertoire, weil sie es live nicht spielen konnten. Casino Steel übernahm mit seinem Keyboard die Streicher und wir beide sangen die Backing Vocals. Wir gehörten also zu den wenigen Menschen ohne den Nachnamen Ramone, die zu ihnen auf die Bühne durften. Das war fantastisch.
Man hört ja immer mehr über die RAMONES als Typen, und nicht alles davon ist positiv. Wie hast du sie erlebt?
Sie waren auf die netteste Art und Weise schräg. Johnny regierte die Band mit harter Hand. Wenn jemand aus der Reihe tanzte, gab es von ihm was aufs Maul oder er brummte demjenigen eine Geldstrafe auf. Joey hingegen war unglaublich umgänglich, hatte aber bekanntlicherweise viele Probleme. So war es sehr schwierig für ihn, einen Raum bloß zu betreten. Wenn sich dies nicht vermeiden ließ, streckte er zunächst eines seiner unendlichen langen Beine durch den Türrahmen und tappte damit auf den Fußboden, um sicherzustellen, dass da auch was war. Dee Dee meckerte die ganze Zeit über das Essen und dass er keinen vernünftigen Burger bekommen konnte. Marky schließlich schlich sich vor der Show immer in unseren Raum, um ein Bier zu trinken. Einer von uns stand dann vor der Tür und hielt nach Johnny Ausschau, denn hätte er Marky erwischt, hätte es was gesetzt.
Nach dem Ende der BOYS 1981 wurdest du Chef eines Fußballclubs.
Ich arbeitete zunächst fünf Jahre lang für Andrew Lloyd Webber, wofür ich mich hiermit entschuldige, haha. Ich reiste um die Welt und organisierte Musicals für ihn und lernte in dieser Zeit unheimlich viel über Ticketing, Marketing und den Umgang mit schwierigen Leuten. Eines Tages sah ich dann eine Anzeige in der Zeitung, in der Nottingham Forest nach einem Clubchef suchte. Ich bewarb mich, wurde aus Hunderten von Bewerbern ausgewählt und war plötzlich Boss eines Premier League Clubs. Das waren aufregende Zeiten. Fußball ist ein verrücktes Business. Nach einem Abstieg und dem direkten Wiederaufstieg in die Premier League warf ich einen Blick auf den Kader und die Finanzen des Clubs und verabschiedete mich dann ganz schnell.
THE BOYS nehmen zur Zeit ein neues Album auf, und zwar ohne dich, weil du die Band im letzten Jahr verlassen hast. Warum?
Das war eine eher unbewusste Entscheidung. Nach 35 Jahren wollte ich halt etwas Neues machen, und da ich die Songs hatte, war es ganz natürlich, dass daraus mein erstes eigenes Album entstand.
Lass uns über „Little Big Head“ sprechen, das erwähnte Soloalbum, erschienen auf Vom Ritchies Label Drumming Monkey Records. Im Booklet sprichst du davon, wie bedeutend es sei, Freunde zu haben, wenn man ein Soloalbum aufnimmt. Was war dabei Voms Rolle?
Er war unglaublich wichtig. Ich war nie ein großer Songschreiber bei den BOYS. Ich fing also spät mit dem Schreiben von Songs an und war zunächst sehr unsicher, was die Qualität der Lieder anging. Also schickte ich Vom immer mal wieder Demos, die er sich dann in seiner Bar anhörte und nachts betrunken bei mir anrief, um mir zu sagen, wie sehr ihm die Songs gefallen. Das war für mich sehr wichtig. So bekam ich das Selbstbewusstsein, die Sache mit dem Soloalbum durchzuziehen. Die meisten Instrumente wurden von mir gespielt, die Schlagzeugparts spielte er dann ein. Vom ist ein fantastischer Drummer und hat das perfekt gemacht.
Man hat manchmal den Eindruck, dass seine Leistung als Schlagzeuger, gerade bei den TOTEN HOSEN, nicht immer ausreichend gewürdigt wird, weil alle in ihm diesen lustigen Kerl sehen, der immer für eine Aktion gut ist.
Ich habe schon oft zu ihm gesagt, dass er einer der besten Drummer weltweit ist. Aber er will das nicht hören. Ich schätze, ihm geht es da wie mir und vielen anderen Musikern, die durch eine gewisse Unsicherheit geprägt sind. In seinem Fall ist die völlig unangebracht, denn er hat es voll drauf.
Bei der Frage, welches Label „Little Big Head“ herausbringt, musstest du wohl nicht lange überlegen, oder?
Nein, überhaupt nicht. Vom hatte vorher schon das Album der MATTLESS BOYS veröffentlicht und war für mich die erste Wahl. Er macht auch als Promoter einen guten Job und sorgt dafür, dass ich in herausragenden Publikationen wie dieser hier erscheine, haha.
Wo würdest du das Album musikalisch verorten?
Manche sagen, es ist Powerpop, andere nennen es Pop-Punk. Ich habe die Songs so geschrieben, wie sie mir gefielen, und kümmere mich nicht um solche Schubladen.
Ich kann bei dem einen oder anderen Song einen gewissen Lennon-Einfluss heraushören.
Es gibt auf dem Album insbesondere ein Lied, das mich beim Schreiben stark an Paul McCartney erinnerte. Jetzt höre ich ständig, es klänge wie John Lennon. Was es auch ist, damit habe ich überhaupt kein Problem!
Du hast gerade die MATTLESS BOYS erwähnt, also THE BOYS ohne ihren Sänger Matt. Was hatte es mit diesem Projekt auf sich?
Das Album der MATTLESS BOYS war sehr wichtig für mich. Wie ich gerade schon sagte, war ich nie ein großer Songschreiber. Eigentlich war die Platte als Soloalbum von Honest John Plain geplant, der aber noch ein paar Songs benötigte und mich deshalb ansprach. Ich schrieb also den einen oder anderen Song und wurde von John nach Frankreich in sein Studio eingeladen, um meine Songs selber zu singen und den Bass zu spielen. Parallel dazu hatte John auch Vom und Casino nach Frankreich einfliegen lassen. Schließlich fragte er auch Matt Dangerfield, womit das Album quasi zu einem von THE BOYS geworden wäre, dem ersten nach sehr langer Zeit. Matt hatte aber kein Interesse. So kam John auf die Idee mit den MATTLESS BOYS. Der Spaß, den ich beim Schreiben und Aufnehmen der Songs hatte, war letztendlich ausschlaggebend dafür, dass ich mich entschied, mit „Little Big Head“ mein eigenes Ding durchzuziehen.
Wie geht es im neuen Jahr weiter für dich?
Nun, ich werde mit meiner Band THE BIGHEADS auf Tour gehen. Im April stehen Argentinien und Uruguay auf dem Programm, und im Sommer trete ich möglicherweise auf einigen Festivals der TOTEN HOSEN auf, mal abwarten.
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