DISCHARGE

Foto

A short, sharp shock

DISCHARGE sind alter, englischer Hardcore-Punk-Adel. Bereits 1977 in Stoke-on-Trent gegründet, konnten sie erst 1980 mit der „Realities Of War“, der „Why“-12“ 1981 sowie 1982 dem „Hear Nothing See Nothing Say Nothing“-Album durchstarten und wurden als Band der zweiten und dritten, stark politisierten Punk-Generation wahrgenommen. Obwohl ihre klassische Phase 1983 schon wieder vorbei war, sind sie seitdem eine der stilprägendsten Bands überhaupt, „D-Beat“ als Genre geht auf sie zurück. Mit „End Of Days“ haben DISCHARGE just ein neues Album veröffentlicht, das an jene frühen Tage anknüpft. Ich sprach nacheinander mit dem neuen Sänger JJ sowie Gründungsmitglied Bones.

JJ, wann hat dich zum letzen Mal eine Band richtig mitreißen können?


Oh, das ist eine Weile her, seit mich eine Band so packen konnte wie einst etwa NEGATIVE APPROACH oder SHEER TERROR. Ich höre viele verschiedene Sachen, aber was Neues, das mich wirklich weggeblasen hat, ist mir in der letzten Zeit nicht untergekommen. Aber Punkrock ist eben auch ein Genre, das auf drei Akkorde beschränkt ist, und die Zahl der möglichen Variationen auch. Klar, es gibt neue Bands, die mich beeindrucken, aber zwangsläufig vergleicht man die eben mit alten Bands.

Womit wir beim Thema DISCHARGE sind: Auf dem neuen Album macht ihr genau die Musik, die man von DISCHARGE erwartet und für die man euch liebt. Und das war die Phase bis 1983.

Unser Plan für das Album war, alles möglichst einfach zu halten. Bones kam mit einem Riff an, wir überlegten uns den Refrain, und das war’s dann. Klar hätte man noch jede Menge reinpacken können, aber das wollten wir nicht, es sollte so klingen, wie DISCHARGE eben klingen. Keep the songs short and simple. A short, sharp shock. Weniger ist eben manchmal mehr.

Wie stehst du denn zu den metallischen Achtziger-Alben „Grave New World“ und „Massacre Divine“, die bei vielen Fans der alten DISCHARGE nicht so angesagt sind?

Ich könnte nicht sagen, dass ich die mag. Aber die kamen eben in einer Zeit, als die Musik sich veränderte, Thrash Metal war damals angesagt, gefühlt so ziemlich jede Hardcore-Band stieg damals darauf ein, nur ging das im Falle von DISCHARGE eben wirklich schief, ja, es war schlecht für die Band. Es war damals eben „Mode“ – denk nur mal an die Metal-Phase von T.S.O.L., von SSD, von CIRCLE JERKS ... Die Zeiten änderten sich, die wollten was Neues ausprobieren. Und was nun „Grave New World“ betrifft, so war von den Ur-Mitgliedern keiner dabei: Bones war damals bei BROKEN BONES, Tezz war in zig Bands, Rainy verließ nach Erscheinen des Albums die Band, das einzige Ur-Mitglied war Cal – er und Gary, der Drummer, waren die Band.

Du bist der Neue in der Band, warst beziehungsweise bist auch Sänger von BROKEN BONES. Wie kam es, dass du der neue DISCHARGE-Sänger wurdest?

Das ist eine lustige Geschichte: Ich wurde zuerst gefragt, ob ich Sänger von DISCHARGE werden will, und dann erst wegen BROKEN BONES. Rainy sprach mich vor fünf oder sechs Jahren mal darauf an. Mit meiner damaligen Band waren wir Vorband von DISCHARGE, und hinterher fragte er mich, ob wir uns mal treffen könnten und vielleicht an ein paar neuen Songs arbeiten. Ich bezog das allerdings gar nicht auf DISCHARGE, ich dachte, der redet von irgendeinem Nebenprojekt. Irgendwie wurde da aber nichts draus, und dann kam die BROKEN BONES-Reunion, ich wurde gefragt, ob ich da singen wolle. Ich kannte die Jungs ja schon und war mit Tezz befreundet. Ein paar Jahre später hörte ich dann, dass Rat nicht mehr bei DISCHARGE singt, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass bald mein Telefon klingeln wird, haha. Und als es dann klingelte, war ich wenig überrascht. Das war dann fünf Jahre oder so nach der ersten Anfrage.

Was lief es denn mit Rat?

Ganz ehrlich, es ist nicht an mir, mich dazu zu äußern. Das war eine Sache zwischen Rat und dem Rest der Band.

Und was ist mit Cal passiert? Verfolgt der, was ihr treibt?

Keine Ahnung. Von uns hat mit dem keiner Kontakt. Gerüchteweise ist der wieder in der Stadt, irgendwer hat ihn gesehen, aber ehrlich gesagt hat keiner von uns Bock, mit ihm in Verbindung zu treten.

Der Sänger ist immer eine zentrale Person in einer Band, und der Neue in einer legendären Band zu sein, ist immer eine Herausforderung.

Die Zusammenarbeit in der Band ist gut, wir sind ziemlich demokratisch und keine Band, in der einer das Sagen hat. Jeder trägt seinen Input bei, unabhängig davon, wie lange derjenige schon in der Band ist. Und wir teilen uns auch die Aufgaben hinter den Kulissen. Ich schrieb die Texte, Bones kümmerte sich um seine Gitarrenparts, Dave um seine Drums, und so weiter. Da sagt keiner dem anderen, was er zu tun hat. So läuft das bei uns nicht, wir sind eine Einheit.

Auch als Musiker ist man ja Fan anderer Bands, und ich schätze mal, dass DISCHARGE zu deinen Helden zählten. Wie ist das, wenn man plötzlich Teil so einer Band ist?

Es hat meine Sicht auf das, was die Band in der Vergangenheit getan hat, nicht verändert. DISCHARGE heute sind immer noch DISCHARGE und die machen immer noch gute Platten. Was nun meine Rolle betrifft, so trage ich dazu bei, dass es weitergeht mit der Band. Ich will nicht als der in die Geschichte eingehen, der neu dazukam und die Band ruiniert hat, haha. Ich gebe mein Bestes. Meine Meinung über die Band hat sich seit dem Einstieg überhaupt nicht geändert.

Kannst du dich erinnern, wann und wie du erstmals auf die Band aufmerksam wurdest? Du bist ja einige Jahre jünger als Tezz, Bones und Rainy.

Ich bin vierzig, und das erste Mal hörte ich DISCHARGE, da war ich noch ein Teenager. Ich glaube, es war die „Decontrol“-EP. Ich fand die großartig, verdammt wütender Punk, genau darauf stand ich damals. Besonders gefiel mir der Gesangsstil, und den übernahm ich dann auch für meine Bands – es waren schon immer „gruffy“ Bands, Hardcore-Bands, die mir gesanglich gefielen – NEGATIVE APPROACH erwähnte ich ja vorhin schon, dieser rauhe Gesang eben.

DISCHARGE sind eine jener legendären Bands, die besonders kritische Fans haben. Kennst du schon Reaktionen auf das Album?

Bislang waren alle Reaktionen und Reviews positiv, also sind wir wohl auf dem richtigen Weg. Wir sind schon in einer besonderen Position: Die Band hat sich reformiert, es ist ein neues Line-up, die Fans hoffen auf eine gute Platte – und wir mussten ihnen die geben. Ich bin jedenfalls glücklich mit dem Album, doch ob sie einem gefällt, muss jeder selbst entscheiden.

DISCHARGE begründeten einst ein eigenes musikalisches Genre, das viele Jahre später mal jemand als „D-Beat“ bezeichnete, und zig Bands gaben sich einen Namen mit DIS- vorne. Wie stehst du zu diesem Phänomen?

Ich konnte noch nie was damit anfangen. Schon bevor ich bei DISCHARGE einstieg, wunderte ich mich, was das heißen soll, wenn eine Band sich als „D-Beat-Band“ bezeichnete. Ich wollte dann immer die Frage stellen: „Ach, ihr seid eine DISCHARGE-Coverband?“ Aber warum sollte ich mir so eine Band anhören, wenn ich mir doch gleich die echte Band anhören kann? Nein, diese „D-Beat“-Szene hat mich nie interessiert. Um ehrlich zu sein, klingen diese Bands ja auch alle ziemlich ähnlich. Andererseits ist es natürlich auch durchaus schmeichelhaft für DISCHARGE, dass andere die Band so gut und wichtig finden, dass sie sich in Anlehnung daran benennen und als „D-Beat“ bezeichnen. Jetzt, da ich selbst in der Band bin, habe ich natürlich einen anderen Blickwinkel und kann das auch als Kompliment sehen.

Mit dem Cover der „Realities Of War“-7“ von 1980 und der Nietenlederjacke griff die Band eine für ihre Fans typische Optik auf. Nietenlederjacken dieser Art sind heute allerdings selten geworden. Was ist mit dir?

Einen Iro hatte ich immer schon und Lederjacke trage ich seit Ewigkeiten. Nicht wegen DISCHARGE, aber als Teenager war das einfach cool, mit so einer Nietenlederjacke herumzulaufen. Aber du hast schon recht, mit der Band geht auch ein gewisser Look einher. Wobei das mit dem Iro leider für viele Fans mittlerweile erledigt ist, die haben heute meist schon eine Glatze, haha. Wenn man da eine Nietenlederjacke trägt, sieht man eher aus wie Rob Halford von JUDAS PRIEST ...

Sowieso sind Nietenlederjacken heute eher typisch für Metal-Fans als für Punks.

Ja, seltsam. Das hat sich irgendwann Mitte/Ende der Achtziger alles vermischt, damals verwandelten sich viele Punkbands in Metalbands, die Stile näherten sich an, Thrash wurde groß, es entwickelten sich die diversen Spielarten von Hardcore, in gewisser Weise wurde das alles eine Szene, die Metal und Punk kombiniert, natürlich mit zig Subgenres und sehr feinen Unterscheidungen.

Ihr seid mit dem neuen Album auf Nuclear Blast gelandet, das heute als Metal-Label angesehen wird, aber aus der Hardcore-Szene der Achtziger kommt und dessen frühe Releases auch in jenem Bereich lagen. Ihr seid jetzt Labelmates von THE EXPLOITED und AGNOSTIC FRONT.

Wir haben Nuclear Blast-Gründer Markus Staiger getroffen, und der signt nur Bands, die er liebt. Mag er eine Band nicht, nimmt er die auch nicht unter Vertrag. Es ist ein großes Label, aber sie sind ein Independent-Label, kein Konzern, der von irgendwelchen Unbekannten kontrolliert wird. Was nun die anderen Bands auf dem Label betrifft und wie wir da in Bild passen: Nun, ich würde sagen, es sind nicht so viele, zu denen wir passen, aber er hat eine große stilistische Bandbreite auf dem Label, und dazu gehören auch THE EXPLOITED und AGNOSTIC FRONT und auch ANTHRAX, die sogar mal einen DISCHARGE-Song gecovert haben, und dazwischen passen wir gut rein. Und nicht wenige der Bands auf dem Label wurden mal von DISCHARGE beeinflusst.

Was für Shows und Festivals spielt ihr dieser Tage so? Eher mit Metalbands, oder eher solchen aus dem Punk- und Hardcore-Lager?

In allererster Linie sind wir eine Punkrock-Band, aber die Metal-Szene hat uns schon lange akzeptiert. Wir sind nicht wirklich wählerisch, und wenn uns jemand buchen will, dann spielen wir die Show. Klar, mit irgendwelchen Nazi-Bands würden wir natürlich nie auftreten. Aber was die üblichen Genres betrifft, so passen DISCHARGE eben in viele rein. Und mir gefällt das, so bekomme ich die unterschiedlichsten Bands zu sehen, statt immer nur welche aus einer Musikrichtung.

Und was treibst du, wenn du nicht für DISCHARGE singst?

Mit Punkrock kann ich die Miete nicht zahlen. Ich habe einen Vollzeit-Job, ich betreue autistische Teenager. Und da muss ich eben sehen, wie ich die Band und den Job irgendwie in Einklang bringen kann. Das fühlt sich manchmal an wie zwei Vollzeitjobs. Nur DISCHARGE zu machen, ist keine Alternative, wir verdienen nicht viel Geld mit der Band, weder mit Konzerten noch mit Plattenverkäufen. Außerdem würde ich DISCHARGE nie als Job bezeichnen.

Die Texte sind von dir. Was hat dich beeinflusst, was ist dir wichtig?

Es gibt mehr als genug Themen dieser Tage. Diese ganze „New World Order“-Thematik spielt mit rein, in einem Text geht es um Abhängigkeit und Sucht, in einem anderen um einen drohenden Atomkrieg, in wieder einem anderen um Geburtenkontrolle und Überbevölkerung, um Dronen, um die Heilung von Krebs und die Lügen, die damit verbunden sind. Es geht um Pandemien ausgelöst durch Krankheiten aus dem Labor, und so weiter. Ich glaube, viele würden die Themen meiner Songs als von Verschwörungstheorien beeinflusst beschreiben, wobei ich da lieber von „Wahrheitstheorien“ spreche.

Klingt für mich alles in allem nach einem zeitlosen Themenmix, der vor 20, 30, 35 Jahren ähnlich ausgesehen hat.

Es sind Themen, die immer noch relevant sind, so einfach ist das. Wenn sich irgendwas von dem, worüber die Band vor 35 Jahren gesungen hat, geändert hätte, müsste man heute nicht mehr darüber singen. Um ehrlich zu sein, hat sich vieles sogar zum Schlechteren verändert, und ich singe letztlich nur über heutige Ereignisse.

Andere Bands singen über Belangloses oder die schönen Dinge des Lebens. Warum seid ihr da anders?

Das muss jede Band selbst entscheiden, und wir haben eben diesen Weg eingeschlagen. Für DISCHARGE funktioniert das am besten. Andererseits: wenn alle das so machen würde, wäre das auch langweilig. Abwechslung ist wichtig, aber irgendwer muss all das, was wir thematisieren, ja ansprechen, also sind wir eben die Band, die das erledigt.

In Großbritannien wird demnächst über den „Brexit“ abgestimmt. Deine Meinung dazu?

Eine schwere Frage. Ich schätze, die Leute werden für den Austritt von Großbritannien aus der EU stimmen. Warten wir mal ab.

Joachim Hiller

 


BONES

Anthony „Bones“ Roberts, Bruder von Terence „Tezz“ Roberts, stieg bald nach der Gründung 1977 bei DISCHARGE ein, blieb bis 1982 und gründete BROKEN BONES, zusammen mit dem bereits vorher ausgestiegenen Tezz. 2001 stieß er wieder zur Band und ist seitdem zusammen mit Bassist Rainy deren treibende Kraft. Ich sprach mit einem freundlichen, aber eher wortkargen Musiker, der sich nicht wirklich für die Vergangenheit zu interessieren scheint.

Bones, wo ist eigentlich der Unterschied zwischen BROKEN BONES und DISCHARGE ...?

Haha, gute Frage! Nein, das sind wirklich zwei völlig verschiedene Bands, auch wenn es da personelle Überschneidungen gibt.

Du hast BROKEN BONES damals nach deinem Ausstieg bei DISCHARGE gegründet. Was wolltest du anders machen?

Das ist so lange her ... Ich bin bei DISCHARGE raus und wollte einfach was anderes machen. Es war eigentlich die Idee von meinem Bruder Tezz, BROKEN BONES zu gründen. Wir suchten uns zwei Leute und legten los, das ist alles. Wir hatten keine Diskussion über den Sound oder so. Wir legten 1983/84 los und Punk war immer noch richtig groß, und es war eine Weile alles gut, bis dann Glam Metal kam und die Neunziger.

Wieso bist du bei DISCHARGE raus?

Ich bin einfach nicht mehr mit Calvin klargekommen. Wir hatten ein paar Meinungsverschiedenheiten und ich hatte keinen Bock mehr.

DISCHARGE gelten heute als eine der großen, alten britischen Punk- und Hardcore-Bands, aber wie erfolgreich oder erfolglos wart ihr damals wirklich?

Als ich ausstieg, waren DISCHARGE eine der bekanntesten und erfolgreichsten Punkbands der Welt. Teilweise nahm das schon komische Formen an ... Wir spielten in Stadien und so.

Der Klassiker „Hear Nothing See Nothing Say Nothing“ erschien 1982, 1983 hast du die Band verlassen. Nach deinem Ausstieg kam der Wandel Richtung Metal. Wie hast du das damals gesehen?

„Grave New World“, das erste Album nach meinem Ausstieg, war noch okay, der Rest ... nee, damit konnte ich nichts anfangen. Ich habe nicht kapiert, was Cal eigentlich wollte.

Was war deine musikalische Idee für DISCHARGE?

Ich hatte keine. Wir wollten einfach nur Platten machen, ein Album. Wir fingen an noch zu Zeiten der SEX PISTOLS, klangen wie die, und dann kam Calvin und sein Gesang änderte vieles. Es gab keinen „Plan“ oder so, es kam, wie es kam.

Ihr wart aber härter und fieser als die allermeisten anderen Bands, die es zu jener Zeit gab. War das der Plan?

Hahahaha, nein! Echt, es gab keinen Plan, das ergab sich alles zufällig. Es gab niemand, der uns sagte, was wir zu tun und zu lassen haben.

Viele Menschen, die DISCHARGE heute schätzen, waren noch nicht einmal geboren, als euer erstes Album erschien.

Ja, ich weiß! Seltsam, oder? Und vor allem: ich mache immer noch diese Musik nach all den Jahren.

Es war eine schwere Zeit für England mit hoher Arbeitslosigkeit und viele sozialen Konflikten, angefeuert von der konservativen Thatcher-Regierung. Wie wart ihr drauf?

Wir waren alle sehr wütend! Wir waren eine wütende Band, es waren wütende Zeiten. Aber auch heute noch sind wir alle in der Band wütend.

Was habt ihr damals sonst so getrieben? Studiert, gearbeitet, arbeitslos?

Ich habe alle möglichen Scheißjobs gemacht. Nach DISCHARGE habe ich hier in der Stadt 15 Jahre in einer Metallgießerei gearbeitet, und auch sonst habe ich alles Mögliche gemacht. Heute konzentriere ich mich auf Band und kümmere mich um meine beiden kleinen Kinder.

Von eurer ersten Platte müssen hunderttausende verkauft worden sein, eure Musik wurde gecovert. Siehst du davon kein Geld?

Nein. Ich habe von dem Geld, das Plattenlabel und Musikverlag verdient haben, nie was gesehen. Wir haben auch nichts mitzureden, was heutige Neuauflagen betrifft.

Irgendwann in den Neunzigern stieß ich auf den Begriff „D-Beat“ als Bezeichnung für Musik, wie ihr sie begründet habt. Ich war und bin verwundert, für mich ist das nach wie vor einfach Hardcore. Wie geht es dir?

Ich habe keine Ahnung, was D-Beat sein soll, aber ich bin ja auch kein Drummer, haha. Der Begriff kam irgendwann in den Neunzigern auf, vielleicht war es auch schon in den späten Achtzigern, und seitdem hat der sich verbreitet, es gibt ganze Websites, die sich dem Thema widmen. Keine Ahnung ...

Und wenn ihr euch ein Copyright auf mit DIS- anfangende Bandnamen geholt hättet, wäret ihr jetzt reich.

Haha, das habe ich mir auch schon gedacht.


Seit 2001 bist du Teil der DISCHARGE-Neuauflage, und die aktuellste Version der Band ist gerade mal ein, zwei Jahre zusammen. Wie kam es dazu?

Wir wollten die Band einfach voranbringen und weitermachen, also überlegten wir, was zu tun ist. Tezz wollte schon lange wieder dabei sein, es war nicht schwer, ihn zu überzeugen.

Und was ist mit Rat passiert, eurem bisherigen Sänger?

Er ist gegangen, das lief im gegenseitigen Einverständnis.

Für ihn kam JJ, der Sänger deiner anderen Band BROKEN BONES.

Der wollte immer schon für DISCHARGE singen, ihn zu nehmen lag auf der Hand. Er hat eine gute Stimme. Er ist jetzt der Jüngste in der Band, haha. BROKEN BONES pausieren gerade.

Eine gemeinsame Tour beider Bands wäre aber doch reizvoll ...

Klar, wir spielen zwei Sets am Abend ... Nein, eine Stunde DISCHARGE reicht, das sind schon jede Menge Songs. Aber ich halte das durch, auch wenn ich keinen Sport mache, das ist nicht mein Ding. Aber ich habe zwei Kinder, die halten mich auf Trab. Und Alkohol trinke ich seit zehn Jahren nicht mehr.

Wie kam es zu der Idee, ein neues Album zu machen, und wie seid ihr auf Nuclear Blast gelandet?

Wir wussten einfach, dass es mal wieder an der Zeit ist, und wir bekamen ja auch immer wieder Angebote von Labels. Nuclear Blast war eine einfache Entscheidung, die haben all die großen Bands. Und wir wollten auch ein größeres Label. Als die das erste Mal wegen eines neuen Albums fragten, war unsere Antwort „Vielleicht ...“ und wir nahmen ein paar Demo-Songs auf. Wir trafen uns mit denen, und dann stand der Deal.

Wie sind die Aufgaben verteilt in der Band?

JJ schreibt die Texte, ich die Musik. Ich sehe uns auf jeden Fall als politische Band, auch wenn ich mich nicht viel mit der aktuellen Politik beschäftige. Ob Großbritannien nun die EU verlässt oder nicht, das macht doch keinen Unterschied, das bleibt alles die gleiche alte Scheiße. Wir sehen zu, dass wir mit der Band dieses Jahr weiterkommen, das Album ist echt gut geworden.

Seinerzeit wart ihr eine eindeutige Punkband, später fanden viele Metaller Gefallen an eurer Musik. Wer ist euer Publikum?

Ich denke, das sind zu gleichen Teilen Punk- und Hardcore-Leute und Metal-Fans. Und das finde ich gut. Erstaunlicherweise sind die Leute vorne im Publikum ziemlich jung – die Alten stehen wohl eher hinten, hahaha.

Ihr wurdet und werdet von zig Bands gecovert. Verfolgst du das?

Um ehrlich zu sein, nein. Ich höre auch fast keine Musik mehr.

Joachim Hiller

 


D-BEAT

Ist D-Beat nun ein eigenes Genre oder doch nur eine spezielle Schlagzeugtechnik? Bei Wikipedia findet sich diese Definition, es darf weiter diskutiert werden:

„D-Beat (auch bekannt als Discrust, Discore und Kängpunk in Schweden) ist eine Stilrichtung des Hardcore-Punk, die in den frühen 1980er Jahren von Nachahmern von DISCHARGE entwickelt wurde, nach denen das Genre benannt ist. DISCHARGE selbst könnten den Beat von MOTÖRHEAD übernommen haben. Der erste Genrevertreter war die Gruppe THE VARUKERS.

Die Texte des D-Beat bestehen überwiegend aus gebrüllten Parolen. Das Genre unterscheidet sich von seinen Vorläufern durch seine minimalistischen Liedtexte und die größere Nähe zum Heavy Metal. Es ist dem Crust-Punk sehr ähnlich, der eine härtere und komplexere Abart ist. Die Aussagen von D-Beat-Bands sind typischerweise gegen den Krieg gerichtet und anarchistisch und folgen damit der düsteren Nuklearkriegssymbolik der 1980er-Anarcho-Punk-Bands. Die Musikrichtung war insbesondere in Schweden erfolgreich mit bekannten Vertretern wie ANTI-CIMEX, MOB 47, DRILLER KILLER, WOLFBRIGADE und NO SECURITY. TOTALITÄR, AVSKUM, SKITSYSTEM, und DISFEAR sind ebenfalls schwedische D-Beat-Gruppen. Andere D-Beat-Bands sind DOOM aus Großbritannien, DISCLOSE aus Japan, CRUCIFIX und FINAl CONFLICT aus den USA, RATOS DE PORAO aus Brasilien [...].

D-Beat bezeichnet außerdem eine spezielle Schlagzeugtechnik, die auf Tezz Roberts, den ursprünglichen Schlagzeuger von DISCHARGE, zurückgeht und ,zum Markenzeichen seiner Band‘ wurde. Allerdings haben Mitglieder von BUZZCOCKS und DIAMOND HEAD diese Technik schon vorher benutzt. Der Begriff wurde von Rich Militia, Sänger von SORE THROAT, 1988 geprägt, um das Schlagzeugspiel von Dave ,Bambi‘ Ellesmere, Roberts’ Nachfolger, auf der DISCHARGE-EP ,Why?‘ zu beschreiben. Der D-Beat ist ,das definierende Element einer Musikrichtung, die sich im Wesentlichen, so kurios das klingt, musikalisch nur durch ihn definiert: Crust.‘ [...]“

(Quelle: Wikipedia)

 


DISCHARGE ...

... 1977 in Stoke-on-Trent gegründet, veröffentlichten 1980 mit der „Realities Of War“-7“ ihr Debüt. Zwei weitere EPs folgten, und 1981 kam dann die legendäre „Why“-12“, 1982 das „Hear Nothing See Nothing Say Nothing“-Album. Und dann war es um jene Formation, die den typischen DISCHARGE-Sound (von manchen auch D-Beat genannt) erfand und seitdem von Bands mit und ohne DIS- im Namen musikalisch und optisch vielhundertfach kopiert wurde, auch schon wieder geschehen. Anstatt den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, wandte man sich metallischeren Klängen zu, veröffentlichte 1986 „Grave New World“, das kaum ein Fan der frühen Jahre schätzt, und löste sich erst mal auf. 1990 gab es die Reunion, aber weder „Massacre Divine“ (1991) noch „Shootin’ Up The World“ (1993) konnten jene begeistern, die einst den Slogan „Hear Nothing See Nothing Say Nothing“ auf ihre Lederjacke gemalt hatten.

Erst mit „Discharge“ von 2002 erfolgte endlich die Rückbesinnung auf die zwanzig Jahre zurückliegende Phase. Mit Rat von den VARUKERS kam ein glaubwürdiger alter Bekannter als neuer Sänger hinzu, nachdem Ur-Shouter Cal ausgestiegen war. Seitdem sorgen Rainy als Bassist und einzig durchgängig verbliebenes Gründungsmitglied sowie Quasi-Urmitglied Bones (Gitarre) bis heute für die musikalische Konstanz, und so war „Disensitise“ von (2008) endlich das Album, das alte Fans mit der Band versöhnte – nicht zuletzt wegen Rat als Sänger. Mit „End Of Days“ ist 2016 nun auf Nuclear Blast das Nachfolgealbum erschienen, eingespielt mit dem „neuen“ Rhythmusgitarristen Terence „Tezz“ Roberts, ein alter Bekannter: 1977 war er der erste Sänger der Band, dann bis 1980 und noch mal Anfang der 2000er Drummer – und jetzt ist er wieder dabei. Dafür ist Rat raus – und wird ersetzt durch Jeff „JJ“ Janiak, einige Jahre jünger, ebenfalls aus Stoke-on-Trent, der parallel bei den 1983 von den damaligen DISCHARGE-Aussteigern Bones und Tezz gegründeten, derzeit aber auf Eis liegenden BROKEN BONES singt.

 


DISCHARGE Timeline

1977

Bei der Gründung besteht die Band aus dem englischen Stoke-on-Trent vorerst nur aus Terence „Tezz“ Roberts (Gesang) und Royston „Rainy“ Wainwright (Gitarre). Schon bald wird mit Terence’ jüngerem Bruder Anthony „Bones“ Roberts (Gitarre), Nigel Bamford (Bass) und Anthony „Akko“ Atkinson (Schlagzeug) das Line-up vervollständigt. Noch im selben Jahr verlassen Atkinson und Bamford die Band, und Roadie Kevin „Cal“ Morris wird als Sänger engagiert, womit Terence ans Schlagzeug und Royston an den Bass wechselt.

1980

DISCHARGE werden von Clay Records unter Vertrag genommen und nehmen ihre erste Single „Realities Of War“ im Februar auf, die es bis auf Platz 5 der UK Indie Charts schafft, in denen sie sich ganze 44 Wochen halten kann. Die Band spielt die ersten Shows außerhalb ihrer Heimatstadt und veröffentlicht zwei weitere EPs, woraufhin Tezz Roberts aus der Band aussteigt, an dessen Stelle zuerst Keith Haynes und kurz darauf Dave „Bambi“ Ellesmere tritt.

1981-1982

Ellesmere wird nach kurzer Zeit von Garry Maloney am Schlagzeug abgelöst. Die 12“ „Why“ beschert DISCHARGE 1981 ihre erste Nummer 1 in den UK Indie Charts. Ihr erstes Album „Hear Nothing See Nothing Say Nothing“ erscheint am 21. Mai 1982 wieder bei Clay Records und erreicht Platz 40 der UK Album Charts. Anthony verlässt die Band und gründet kurz darauf mit seinem Bruder Terence die BROKEN BONES. Peter „Pooch“ Purtill übernimmt fortan Roberts’ Gitarrenparts und beschert dem Sound der Band einen starken Heavy Metal-Einfluss.

1983

Mit „Warning: Her Majesty’s Government Can Seriously Damage Your Health“ erscheint die sechste EP, auf der die Band ihren charakteristischen D-Beat durch einen eher metallastigen Sound ersetzt.

1985-1986

Mit dem Release der 7“ „Ignorance“ verlassen Purtill und Maloney DISCHARGE, um die Punk/Metal-Crossover-Band HELLSBELLES zu gründen. Sie werden durch Gitarrist Les „The Mole“ Hunt und Schlagzeuger Michael „Micky“ Gibson ausgewechselt. In Stephen „Fish“ Brooks findet die Band einen zweiten Gitarristen. „Grave New World“, ihr zweites Album, wird 1986 via Clay veröffentlicht.

1987-1999

Nach dem Ausstieg von Morris 1987 hat die Band mit Personalproblemen zu kämpfen: Der Sängerposten wird zwar kurzerhand mit Ex-WRATHCHILD-Frontmann Rob „Rocky Shades“ Berkeley besetzt, trotzdem löst sich die Band noch im selben Jahr auf. Morris formiert 1990 DISCHARGE mit Andrew „Andy“ Green (Gitarre), Anthony Morgan (Bass) und Mika Karppinen (Schlagzeug) neu. Letzterer wird jedoch kurz darauf wieder vom ehemaligen Drummer Maloney abgelöst. Album Nr. 3 mit dem Titel „Massacre Divine“, das gleichzeitig ihr erstes Album nach der Neugründung ist, erscheint 1991 wie auch die vorherigen wieder auf Clay. Der vierte Longplayer „Shootin’ Up The World“ wird 1993 veröffentlicht. Morris greift hier seinen auf dem vorherigen Album entstandenen, rauh-growlenden Gesangsstil wieder auf. Nach vier Jahren mit ihrem 1995 neu besetzten Bassisten Nicolas „Nick“ Bushell löst sich die Band 1999 erneut auf.

2001-2003

Nach einem gemeinsamen Treffen auf einer Party von Nigel Bamford, dem Bassisten der Originalbesetzung, kommt es 2001 zu einer Reunion des klassischen DISCHARGE-Line-ups mit Morris, den Roberts-Brüdern und Wainwright. Ihr selbstbetiteltes Album wird 2002 via Sanctuary veröffentlicht und zeigt durch die Rückkehr zu einem aggressiveren Sound mit politischen Äußerungen Parallelen zum DISCHARGE-Style der Achtziger auf. Da er nicht auf Promo-Tour für das neue Album gehen möchte, verlässt Frontmann Morris 2003 die Band. Er wird durch Anthony „Rat“ Martin (THE VARUKERS) ersetzt.

2006-2008

Dave „Proper“ Caution 2006 tritt an die Stelle von Tezz Roberts, der seinen Schlagzeugerposten im selben Jahr schon einmal aufgegeben hatte. Das fünfte und gleichzeitig erste Album mit dem neuen Sänger Rat mit dem Titel „Disensitise“ erscheint 2008 bei Vile.

2014-2016

Frontmann Rat steigt 2014 nach elf Jahren aus und überlässt Jeff „JJ“ Janiak seinen Platz. Auch Ex-Drummer Tezz kehrt in die Band zurück, allerdings als Rhythmusgitarrist, womit er DISCHARGE zum ersten Mal zum Five-Piece macht. Nach der Ankündigung ihres Wechsels zu Nuclear Blast im Jahr zuvor wird dort 2016 das neue Album „End Of Days“ veröffentlicht.

 


Diskographie

„Realities Of War“ (7“, Clay, 1980) • „Fight Back“ (7“, Clay, 1980) • „Decontrol“ (7“, Clay, 1980) • „Why“ (12“, Clay, 1981) • „Never Again“ (7“, Clay, 1981) • „Hear Nothing See Nothing Say Nothing“ (LP, Clay, 1982) • „Warning: Her Majesty’s Government Can Seriously Damage Your Health“ (12“/EP, Clay, 1983) • „Never Again“ (LP/Comp, Clay, 1984) • „Grave New World“ (LP, Clay, 1986) • „Massacre Divine“ (LP/CD, Clay, 1991) • „Shootin’ Up The World“ (CD, Clay, 1993) • „Discharge“ (CD, Sanctuary, 2002) • „Disensitise“ (LP/CD, Vile, 2009) • „End Of Days“ (LP/CD, Nuclear Blast, 2016)