DESCENDENTS

Foto

In Ruhe und in Ehrlichkeit

Wann kam noch mal die letzte Scheibe von denen raus? War es echt schon 1996? Wie die Zeit rennt ... Aber das scheint Bill Stevenson und den drei anderen von den DESCENDENTS egal zu sein. In der Ruhe liegt die Kraft, und somit hat der lang ersehnte Nachfolger zu „Everything Sucks“ namens „Cool To Be You“ (Fat Wreck) mal wieder gut sieben Jahre gebraucht. Nicht dass ich mich hier beschweren möchte, doch isst man sein Leibgericht nicht auch gern mal etwas öfter? Wie dem auch sei, ich hatte das Glück, den überaus netten und aufgeweckten Bill an die Strippe zu bekommen, und hielt mit ihm einen angenehmen Plausch, während bei mir eine Tasse Kaffee dampfte und vor dem Fenster reges Schneetreiben herrschte.

Bill, eure letzte Scheibe ist nun schon etwa sieben Jahre alt. Wie kommt es, dass eure Alben immer in so großen Abständen erscheinen? Zwischen „Everything Sucks“ und dem Vorgängeralbum lagen ja auch schon einige Jahre ...


„Die DESCENDENTS waren schon immer mehr ein Hobby, als eine wirklich straight arbeitende Band mit regelmäßigen Touren und Studioaufnahmen. Und obwohl alles über die Jahre hinweg immer populärer geworden ist, machen wir das Ganze mehr aus Spaß an der Sache. Wir machen es dann, wenn wir es wollen.“

Ihr spürt also nicht diesen Druck, mal wieder eine neue Platte machen zu müssen?

„Nein, denn wir haben ja neben DESCENDENTS etliches anderes um die Ohren. Wir haben in den sieben Jahren nicht nur faul auf unseren Ärschen gesessen. Alle in der Band haben sehr unterschiedliche Interessen, die aber eigentlich alle wieder sehr viel mit Musik zu tun haben.“

Und wie funktioniert es dann, dass ihr nach so viel Jahren wieder wie eine gut geölte Maschine funktioniert? Spürt ihr da den Zeitpunkt und sagt: „Hey, jetzt ist es mal wieder an der Zeit, den Geist der DESCENDENTS zu wecken!“, oder wie macht ihr das? Es liegt doch bestimmt auch viel an Milo, oder?

„Ja sicher. Milo ist derjenige von uns, der am wenigsten Zeit dafür hat. Aber wir anderen haben ja noch ALL, wo im Grunde nur der Sänger ausgetauscht wird. Dort singt Chad. Und mit ALL machen wir ja alle paar Jahre ein Album. Dann kommt noch hinzu, dass ich ein Aufnahmestudio habe, den Blasting Room. Ich produziere die verschiedensten Punkbands. Wir haben also sehr viel nebenher zu tun. Geplant haben wir eine neue DESCENDENTS-Platte schon 1999, glaube ich, aber es hat halt so lange gedauert. Wir überstürzen auch nichts, und machen uns selbst keinen Zeitplan. Wenn das Album fertig ist, ist es fertig.“

Wie geht ihr ans Songwriting ran? Schreibt ihr die Sachen zusammen, oder entstehen die Lieder eher in Einzelarbeit?

„Wir schreiben die Songs immer individuell, das haben wir seit der ersten Platte gemacht, und das funktioniert sehr gut. Jeder von uns hat schon alleine Songs geschrieben. Dann treffen wir uns, und klar kann es sein, dass sich dann ein paar Songs noch verändern und sich entwickeln, aber im Grunde wurden die Lieber von den einzelnen Bandmitgliedern geschrieben. Es ist nicht so wie bei anderen Bands, dass man sich trifft, probt und ausprobiert, und so die Songs in der Gemeinschaft entstehen. Obwohl ich für meinen Teil diese Art von Songwriting auch gut finde, auf alle Fälle.“

Wie ist denn das Gefühl als Band, wenn ihr euch nicht so oft seht?

„Nun, wir kennen uns schon recht lange. Milo und ich waren zusammen auf der Highschool, und er war schon mit 17 mein bester Freund. Und mit Karl und Stephen spiele ich schon seit etwa 18 Jahren zusammen. Wir sind also eine extrem lange Zeit zusammen, und wenn wir uns mal eine Zeit lang nicht sehen, dann ist das vollkommen okay, denn wir haben ja eh schon so eine lange Zeit miteinander verbracht. Wir haben sogar mal alle für einige Jahre zusammen gewohnt, und das auf recht kleinem Raum.“

Macht ihr denn privat noch viel zusammen, oder geht jeder neben der Band eher seine eigenen Wege?

„Das ist recht unterschiedlich. Stephen und ich haben eine besonders enge Beziehung, da wir ja zusammen im Blasting Room Bands produzieren und aufnehmen. Bei Milo und mir sieht es eher so aus, dass unsere Beziehung wirklich mehr auf einer alten Freundschaft basiert. Das hat dann wiederum weniger mit Musik zu tun. Wir mailen uns im Grunde täglich. Er ist mein engster und wichtigster Freund, ich liebe ihn mehr als sonst jemanden auf der Welt. Karl und ich machen sehr viel Musik zusammen. Wir jammen, improvisieren und spielen Jazz. Wir haben also alle eine unterschiedliche Beziehung zueinander. Aber dass wir mal in Bars und Kneipen abhängen, kommt so gut wie nie vor. Ich meine, wir sind ja auch schon 40, da braucht man das nicht mehr. Wir schauen da lieber den Kindern des anderen zu.“

Kannst du denn von dem Studio-Job leben?

„Ja, auf jeden Fall funktioniert das besser als mit der Band. Ich überlege momentan, rüber nach Europa zu kommen und eine Band namens COOPER zu produzieren. Sie kommen aus Holland. Das wird wohl so im April sein.“

Und mit was für interessanten Bands hattest du im Moment sonst zu tun?

„Eine coole Band, die ich in letzter Zeit für das kleine Indie-Label Jump Start Records produziert habe, waren A WILHELM SCREAM. Aber Nitro Records hat die Platte nun übernommen, und sie wird jetzt bei ihnen erscheinen. Die Band ist einfach phantastisch, sie haben unglaubliche Arrangements. Stell dir eine Mischung aus SLAYER und KING CRIMSON vor, aber mit vierfachen Harmonien. Es ist der reinste Wahnsinn. Dann habe ich gerade noch eine sehr coole Band produziert, die SILENT DRIVE heißt, und deren Platte bei Equal Vision Records rauskommen wird. Sie sind echt klasse, und ich habe das Gefühl, dass die Platte echt gut ankommen wird.“

Du betreibst ja nicht nur den Blasting Room, sondern auch noch das Label Owned & Operated Records. Was passiert da so alles?

„Wir haben mit dem Label damals angefangen, um Bands rauszubringen, die wir kannten, und die hier aus unserer Community in Fort Collins kommen. Es ist ja auch nur ein kleines Label, ohne groß damit Ruhm zu ernten und Geld zu machen. Ich weiß auch noch nicht genau, was noch so alles damit passiert, denn ich stelle fest, dass ich immer weniger Zeit dafür finde.“

Hat Chad, der Sänger von ALL, nicht auch eine CD bei euch raus gebracht?

„Ja genau, DRAG THE RIVER heißt die Band von Chad. Bisher haben wir zwei Alben von ihnen gemacht, und werden auch noch eins veröffentlichen.“

Kommen wir zu den Lyrics. Habt ihr all die Sachen selbst erlebt oder gibt es da auch mal den einen oder anderen fiktionalen Text?

„Fiktionale Texte machen wir nicht. Das sind schon alles unsere Erlebnisse und Erfahrungen. Ich kann da nur für mir selber sprechen, denn ich habe auch nicht so eine tolle Phantasie, um mir solche Sachen auszudenken. Ich schreibe lieber über Dinge, die auch wirklich passiert sind. Und so machen das die anderen Jungs auch. Der Song ‚One more day‘ von ‚Cool To Be You‘ handelt zum Beispiel von meinem Vater, der vor ein paar Jahren starb. Wir schreiben einfach über Sachen, die wahr sind, die uns betreffen – wir erfinden nichts. Das Einzige, was wir machen können, ist darüber zu schreiben, was wir kennen und wissen. Und wir sind nun mal die Experten, wenn es um unsere eigenen Gefühle geht. Ich denke, wenn man die Songs hört und den Texten folgt, kann man schon die Ehrlichkeit und den Realismus darin erkennen.“

Kaffee kommt im Grunde bei jeder eurer Platte vor, und sogar euer Musikstil hat etwas von dieser Note abbekommen: „Coffeed out blend of rock-surf-pop-punk music“. Was ist die Magie von Kaffee für dich?

„Als wir in den frühen 80ern unsere ersten Songs über Kaffee geschrieben haben, gab es keinen guten Kaffee in Amerika. Du konntest nicht einfach um die Ecke gehen und dir einen guten Kaffee holen – es gab einfach keinen. Es schmeckte alles beschissen. Wir machten unseren Kaffee selber und es wurde eine Art Leidenschaft bei uns, wie die Musik. Auch wenn unsere Musik nicht die schnellste auf der ganzen Welt ist, sind unsere Songs schon recht schnell, dicht und präzise. Mit Hilfe von Kaffee spielst du dann einfach noch schneller, dichter und präziser.“

Aber machst du dir denn über deine Gesundheit keine Gedanken, wenn du so viel Kaffee trinkst?

„Ich trinke heutzutage nicht mehr so viel, wie ich das mal vor Jahren getan habe. Ich glaube, es ist okay, wenn man ihn nicht gerade literweise trinkt.“

Was ich immer sehr angenehm und wichtig bei euch fand, ist, dass ihr, obwohl ihr schon Anfang 40 seid, den ganzen Spaß und Humor nicht vergessen habt. Ihr nehmt euch selbst hin und wieder nicht ganz so.

„Da ist ‚Cool To Be You‘ ganz interessant. Da gibt es zum Beispiel den Song ‚Blast Off‘, bei dem es um Toilettenhumor geht, ebenso haben wir ein Stück wie ‚Maddie‘, den ich über meine Tochter geschrieben habe, da es für mich sehr frustrierend ist, weil ich so viel arbeiten muss, und so wenig Zeit mit ihr verbringen kann, um ihr etwas beizubringen. Es geht also darum, ein Daddy zu sein, und somit haben wir diese zwei Songs auf einer Platte. Ich denke, ein paar Leute werden etwas verwirrt sein, besonders die jüngeren Kids, die das Album in die Finger bekommen. Aber das zeigt auch wieder, wie und was wir sind. Wir sind nur ehrlich.“

Worum geht es denn bei „’Merican“? Es ist ein sehr politischer Song.

„Wir hatten ja auch schon ein paar andere politische Songs wie zum Beispiel ‚M16‘ auf unserem ersten Album. Dann war da noch ‚Hey Hey (What Do You Say)‘ von der ‚Fat‘-EP. ‚‘Merican‘ passierte, als wir erkannten, dass wir nicht immer so besonders gut behandelt wurden, als wir zum Beispiel nach Europa kamen. Einige Leute verhielten sich echt komisch, weil sie Amerika hassten. Ich spreche jetzt im Grunde für Karl, denn er hat den Song geschrieben. Ich glaube, ihm kam die Idee, als wir in Europa waren, in einer Kneipe saßen und etwas tranken, und uns einige Leute anpöbelten. Ich meine, okay, wir sind Amerikaner und, ja, vielleicht haben wir ja auch einige Scheiße verzapft. Wir haben den KKK, aber hey, wir haben auch Duke Ellington, also fickt euch, haha!“

Mich erinnert „‘Merican“ rein von der musikalischen Seite an BAD RELIGION, besonders wenn man auf die Gesangslinien im Refrain achtet.

„Das haben schon ein paar Leute gesagt. Ich denke, das liegt hauptsächlich daran, dass der Song eine Art traditionelle Folk-Akkord-Abfolge besitzt, und das haben auch viele der BAD RELIGION-Songs. Und für die mehrstimmigen Harmonien sind BAD RELIGION sehr bekannt, aber so etwas machen wir auch schon seit unseren Anfangstagen, und da gab es BAD RELIGION noch nicht, von daher ...“

Kommen wir zu der Labelsituation. Ihr seid von Epitaph zu Fat Wreck gewechselt. Wollten euch Epitaph nicht mehr, oder wie kam es zu dem Wechsel?

„Doch, Epitaph wollten uns noch, aber Fat Wreck wollten uns noch mehr. Die DESCENDENTS waren schon immer Fat Mikes Lieblingsband.“

Ja, das singt er ja auch auf der letzten NOFX-Scheibe.
..
„... und da er jetzt ein großes Label besitzt, und die Möglichkeit hat, eine große Platte zu vermarkten, hat er sehr großes Interesse bekundet. Er war so enthusiastisch ... Welche bessere Situation kann es für eine Band geben, als dass der Label-Chef der größte Fan ist?!“

Plant ihr auch, die nächste ALL-Platte eventuell auf Fat zu veröffentlichen?

„Da bin ich mir nicht ganz sicher. Wir haben sogar mal überlegt, sie auf unserem eigenen Label Owned & Operated zu veröffentlichen, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir dafür genügend Zeit finden würden, und von daher wäre Fat natürlich nahe liegend.“

Gibt es denn bisher einen großen, spürbaren Unterschied zwischen Epitaph und Fat für euch?

„In Bezug auf die DESCENDENTS ist es noch zu früh, um die Arbeit von Fat Wreck beurteilen zu können. Ich muss sagen, dass Epitaph in der Vergangenheit einen großartigen Job geleistet haben, und da sitzen einige gute Freunde von uns. Ich kann sie immer wieder nur loben. Aber wir haben uns diesmal für Fat entschieden, und ich denke, sie werden ihren Job auch bestens erledigen.“

Hast du eigentlich noch Kontakt zu Greg Ginn und seinem SST/Cruz-Label? Denkst du manchmal an die alten Tage bei BLACK FLAG zurück? Was für Erinnerung kommen da auf?

„Ich spreche mit Greg alle paar Monate. Bei BLACK FLAG zu spielen, war damals eher eine Art Training für mich. Ich lernte viel über das Leben. Ich war zu dem Zeitpunkt ein sehr behüteter, verwöhnter Vorstadt-Jugendlicher, der sehr konservativ von seinem Vater aufgezogen wurde. Ich war das einzige Kind in unserem Haushalt. Als ich dann zu BLACK FLAG kam, war ich sehr ignorant und intolerant, dafür aber gut am Schlagzeug. Da Greg und Chuck aber um einiges älter waren als ich, haben sie mir viel vermitteln und beibringen können. Sie haben mir alles beigebracht. Ich fragte sie über Mädchen aus und sie konnten mir helfen. Als ich geboren wurde, war mein Vater schon 50, und als ich Teenager war, war er 65. Ich konnte also kaum mit ihm über solche Dinge reden, das tat ich dann mit Greg und Chuck. Sie waren zu der Zeit also auch so etwas wie Vaterfiguren für mich. Ich lernte sehr viel in der Band, obwohl ich jetzt nicht behaupten möchte, dass ich die beste Wahl für den Platz am Schlagzeug gewesen bin. Ich habe bis heute viel Respekt vor den Jungs.“

Was denkst du denn über ihre „Reunion“, um ein paar Shows in den Staaten zu spielen?

„Sie riefen mich auch an und fragten, ob ich Zeit hätte. Aber ich konnte nicht, und sie nahmen Robo. Robo war mein Mentor. Sie riefen an und wir quatschten viel. Zu dem Zeitpunkt musste ich aber eine Platte fertig aufnehmen, und konnte somit nicht zusagen. Aber ich glaube, es hat ihnen eine Menge Spaß gemacht.“

Was macht Robo denn im Moment?

„Ich glaube, er macht immer noch diese Sache mit Jerry Only und Dez, so eine Art Neuauflage der MISFITS. Wir haben auch mal mit ALL eine Show mit ihm, Dez und dem MISFITS-Ding gemacht, und das war cool. Zusammen eine Show zu spielen, das wollten wir schon immer mal. Er spielte wirklich gut und ich war stolz auf ihn.“

Wie sieht es denn bei euch mit einer Europa-Tour aus? Gibt es da Pläne?

„Nein, momentan haben wir keinerlei Pläne für eine Tour. In der Woche, in der unsere Platte veröffentlicht wird, erwarten Milo und seine Frau ihr zweites Kind, und von daher wird das Touren dann erst einmal ein wenig auf Eis gelegt.“