Seit mehr als drei Jahrzehnten schon sind DEAFNESS BY NOISE aus Kroatien unterwegs in Sachen Hardcore, spielten zig Konzerte in Deutschland und dem Rest von Europa und entwickelten sich so zur derzeit einzigen Band aus ihrem Land, die mir einfallen würde, müsste ich spontan auf diese Frage antworten. Mit „Dial N For Noize“ ist gerade ihr neuestes Album erschienen und Frontmann Krmpa beantwortete meine Fragen.
Dies ist tatsächlich das erste Interview mit euch im Ox. Also erzähle uns bitte, wie, wann, wo und mit wem alles angefangen hat.
Wir haben DEAFNESS BY NOISE 1991 gegründet. In den ersten zehn Jahren haben wir die Besetzung nicht verändert: Schlagzeuger war Bara, heute ein berühmter Filmschauspieler und Bowler, Rodjo ist als Gitarrist immer noch in der Band, am Bass war Bimbo, der aus gesundheitlichen Gründen 2018 ausgestiegen ist, und ich, Krmpa, bin der Sänger. In unserer Heimatstadt Samobor begannen wir mit den Proben und nachdem wir das erste Demo aufgenommen hatten, spielten wir 1992 unsere ersten Konzerte. Heute sind wir eine fünfköpfige Band. Außer mir sind das Rodjo an der Gitarre, unser neuer Bassist Lo sowie Ficke, ein junger, aber begabter Schlagzeuger, und Ficho, Rhythmusgitarrist zwischen 2002 und 2008 und ab 2019 bis heute. Er arbeitet außerdem als Bühnenmanager von BIOHAZARD , IGNITE, VIOLENCE, POWERFLO und vielen anderen.
Kroatien – zuvor Jugoslawien – hat eine sehr lange und reiche Punkrock-Geschichte. Was sind eure musikalischen Wurzeln in eurem Land?
Für uns waren das jugoslawische Bands wie KUD IDIJOTI, GENERALI, SKOL, ANTI OTPAD, HLADNO PIVO, PARTIBREJKERS, MOTUS, OVERFLOW, HELL’S BELLS, PEKINSKA PATKA, KAOS, TERMITI , PANKRTI und PARAF.
Und eure internationalen Einflüsse?
Die ersten Anregungen fanden wir etwa bei N.O.T.A. aus Tulsa, Oklahoma, den SPERMBIRDS aus Deutschland, NEGAZIONE aus Italien, den Brasilianern RATOS DE PORÃO oder US-Bands wie FEAR, MDC, BAD RELIGION, VERBAL ABUSE, JERRY’S KDIS, MISFITS, BAD BRAINS, CIRCLE JERKS, SUICIDAL TENDENCIES, CRO-MAGS sowie MOTÖRHEAD, GBH und PETER AND THE TEST TUBE BABIES aus Großbritannien.
Ihr habt zwei Coversongs auf eurem neuen Album, „I wanna destroy you“ von SOFT BOYS und das legendäre „Talkin’ bout a revolution“ von Tracy Chapman. Warum diese Lieder, welche Emotionen und Erinnerungen sind hier im Spiel? Robyn Hitchcock und Tracy Chapman sind kein typisches Hardcore-Material ...
„I wanna destroy you“ ist einer der besten Punksongs aller Zeiten. Also wollten wir das Gedächtnis der Leute auffrischen, worum es in diesem Lied geht. In der CIRCLE JERKS-Version lief das hier echt auf jeder Party, also haben wir uns schließlich entschlossen, das Stück für dieses Album zu covern. Ich habe mich mit Richard Bishop, dem Manager von Robyn Hitchcock, in Verbindung gesetzt und nachdem sie unsere Studioversion gehört hatten, gaben sie uns grünes Licht. Tracy Chapman ist eine der besten Sängerinnen und Aktivistinnen auf diesem Planeten. Ihre Lieder wurden in den Achtziger und Neunziger Jahren auf MTV unzählige Male gespielt und diese Lieder waren so kraftvoll und rebellisch, dass sie uns bis heute im Gedächtnis geblieben sind. Wir möchten damit wieder etwas Aufmerksamkeit auf ihre Texte lenken und damit die von ihr gegründeten Organisationen unterstützen, die Gutes für die Communities rund um den Globus tun.
Früher hatten viele eurer Songs eher einen klassischen, aggressiven Hardcore-Touch. Euer neues Album „Dial ‚N‘ For Noize“ ist viel melodischer und mehr klassischer Punkrock. Ihr habt sogar eine kleines Schildchen auf dem Cover, auf dem „Hardcore/Rock’n’Roll“ steht.
Du hast recht. Die Band hat sich nach 33 Jahren musikalisch und im Songwriting weiterentwickelt. Die Idee war, den Sound im Kern beizubehalten und das Ganze mit weiteren Elementen anzureichern, ohne irgendwelche Grenzen zu beachten. Mit anderen Worten, wir nutzten unsere sämtlichen Kenntnisse, die wir als Musiker erworben hatten, und gingen unser neues Album „Dial ‚N‘ For Noize“ ohne Vorurteile gegenüber anderen Musikstilen an. Eine Neudefinition des typischen Hardcore-Stils, der in den Hardcore-Rock’n’Roll hineinspielt.
Auf der Lederjacke, die der Affe auf dem Cover trägt, prangen die Logos von BLACK FLAG, D.R.I. und RANCID ...
Die Lederjacke ist ein Relikt von 1981, die hat uns unser Coverdesigner ausgeliehen, der alte Punkrocker Boris Kuk vom BožeSacuvaj!-Team. D.R.I., BLACK FLAG und RANCID hatte ich auch auf meiner Combat-Weste in der Teenagerzeit, ebenso wie Patches von CRO-MAGS, DISCHARGE, BAD BRAINS und anderen.
An den Aufnahmedaten sehe ich, dass das Album ein Produkt der Pandemie ist. Wie hast du die Jahre 2020/21 erlebt und welchen inhaltlichen Einfluss hatte diese Zeit auf das Album?
Das Glück ist mit den Tapferen. Als alle Veranstaltungen abgesagt wurden und damit auch die Sponsoren ausfielen, drehte die Musikindustrie den Hahn zu, feuerte Manager und ließ viele Musiker, Booking-Agenturen und Promoter ohne Einkommen zurück. Ich möchte betonen, dass uns vom ersten Tag an klar war, wie die Musikindustrie funktioniert. Ich wiederhole mich wie eine kaputte Schallplatte: Da war schon immer ein großer Unterschied zwischen „denen“, die damit Geld verdienen, und „uns“, die seit 33 Jahren Musik als Hobby betreiben! Während der Lockdowns haben wir einfach weitergemacht und niemand konnte uns sagen, dass wir aufhören sollen. Die Songs haben wir unter Lockdown-Bedingungen aufgenommen. Wir hatten ein Ziel und wir haben nicht aufgegeben, bis es erreicht war. Ich habe den Eindruck, dass die Musikindustrie mit ihren Geschäften wieder zum Vor-Corona-Zustand zurückgekehrt ist, aber nicht in allen Bereichen. Die Musiker bekommen immer noch keine genauen Zahlen, wie viele Leute für das Herunterladen von Songs Geld bezahlt haben. Am Ende stellt sich heraus, dass sich die Leute statt zu zahlen lieber die Werbung reinziehen, bevor sie ein Video starten oder ein Lied hören, so dass das kleine Stück vom Kuchen, das den Musikern gebührt, womöglich gar nicht existiert, da die Musik- und Videoplattformen nur als Datenübermittler fungieren. Früher war nachvollziehbar, wie viele Schallplatten die Fabrik verlassen haben und wie viele Exemplare verkauft wurden, denn die Alben waren in physischer Form vorhanden. Bis die Gesetzgebung zu Medien und Musikplattformen endlich geändert wird, werden die Künstler:innen immer zu kurz kommen. Dabei geht es mir nicht mal um „Big Business“, sondern nur um eine angemessene gesetzliche Regelung für den Vertrieb von Musik über soziale Netzwerke und Musikplattformen. Damit es auch für diejenigen etwas besser läuft, die die Inhalte, welche die von den großen Unternehmen betriebenen Plattformen verbreiten, überhaupt geschaffen haben.
Leider werden kroatische Bands in Deutschland weitgehend ignoriert, mal abgesehen den Nazi-Rockern THOMPSON, über die im Kontext eines nicht so schlauen Fußballers zu lesen war.
Es gibt immer Gewinner und Verlierer und wir sind sehr traurig, dass durch solche Schlagzeilen sämtliche kroatischen Bands unter Fascho-Verdacht geraten. Die konsequente Berichterstattung war natürlich berechtigt, aber Leute, die wissen, was gute Musik ist, hören sich diesen Mist sowieso nicht an, den sie sich bei ABBA und irgendwelchen Hardrock-Bands zusammengeklaut haben, samt der doppeldeutigen Texte, die sie selbst so nie hinbekommen hätten, wie ich stark annehme. Es ist eine Schande, dass jeder die Möglichkeit hat, sich das Recht an ein paar Akkorden und Song-Elementen zu kaufen, nur damit die Musikindustrie sich ein paar Extra-Dollar in die Tasche stecken kann – allerdings ohne sich darum zu scheren, von wem und wofür das dann verwendet wird. Ich bin der Meinung, dass Politik und diese ganzen idiotischen Ansichten nichts mit guter Musik zu tun haben. Meine Strategie ist, diese wahnhaften Überzeugungen einfach zu ignorieren und an den Rand zu drängen, damit sie irrelevant werden. Leider fühlen sich diese Irren durch die ganze Ablehnung erst recht dazu ermutigt, öffentlich Abzeichen der faschistischen Ustascha-Bewegung zu tragen – dass dieselbe Ustascha einst einen Teil der kroatischen Küste an den italienischen Diktator Mussolini verscherbelt hat, wissen sie offenbar gar nicht. Wie beschränkt und ungebildet können solche „Großkroatien“-Spinner im Zeitalter von Google eigentlich sein?! Um diesen Unsinn endgültig stoppen, bräuchte es allerdings hohe Geldstrafen und Gerichtsverfahren, bei denen auch Gefängnis drohen kann. Bevor sich jetzt jemand beschwert, dass ich schon wieder nach dem Gesetzgeber rufe: Nur mit dem Faustrecht der Straße kommen wir nicht gegen sie an, denn Gewalt erzeugt Gegengewalt und das Ganze geht von vorne los. Stattdessen brauchen wir gute Leute in der Regierung, die veraltete Gesetze anpassen und uns eine neue, zeitgemäße Verfassung geben können. In einer Punkrock- oder Hardcore-Band zu sein und laut rauszuschreien, wofür wir stehen, ist zwar gut, aber von uns erwartet man ja auch nichts anderes. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Revolutionen gesellschaftliche Veränderungen vorangehen. Durch die aktuelle technologiegetriebene Polarisierung der Gesellschaft sind wir in eine moralische Krise geraten mit zunehmenden Persönlichkeitsstörungen, deshalb müssen wir im Sinne der wahren Werte selbst eine Revolution starten, sonst wird die jüngere Generation im Glauben „Ich muss gar nichts tun“ völlig verantwortungslos ins Ungewisse stolpern. Wir leben im 21. Jahrhundert und ich denke, es ist an der Zeit zu handeln, um unseren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, gute Stimmung und Energie zu verbreiten, die Menschen zu ermutigen, sich zu entwickeln, und ihnen beizubringen, wie man lernt, um Fortschritt und Gleichheit zu fördern. Lassen wir die Vergangenheit Vergangenheit sein, wir haben unsere Lektion gelernt, und mit einer positiven Einstellung und reflektiertem Umgang miteinander werden wir das Fortschreiten der Menschheit vorantreiben.
Warum habt ihr euch entschieden, auf Englisch und nicht kroatisch zu singen? In Deutschland hatten DONOTS zum Beispiel lange Zeit englische Texte ... aber als sie vor ein paar Jahren auf Deutsch umgestiegen sind, hat sie das auf ein ganz anderes Bekanntheitslevel katapultiert.
Ich habe während meiner gesamten Musikkarriere nur Texte auf Englisch geschrieben, weil man die Message unserer Lieder weltweit verstehen soll. Wir haben einen Song auf Kroatisch, „I vrati flaše“, der ist von 1991, kurz übersetzt geht es darum: „Ich trinke und benötige das Pfand vom Getränkemarkt.“ Aber den spielen wir nur, wenn das Publikum den Text auch versteht. Bands mit guten kroatischen Songs bekommen hierzulande tatsächlich großen Zuspruch. Für uns ist aber die internationale Szene viel wichtiger, wir haben doppelt so viele Fans außerhalb Kroatiens. Doch jetzt habe ich noch eine exklusive Neuigkeit für die Ox-Leserschaft: Bei der legendären kroatischen Punkband HLADNO PIVO habe ich jetzt die Rolle des Frontmanns übernommen. Wir werden unter dem Namen SAVRŠENI MARGINALCI auftreten, das bedeutet „Menschen am Rande der Gesellschaft“, und ausschließlich Songs aus den Jahren 1987 bis 1997 spielen. Diese legendären Punk-Hymnen auf Kroatisch zu singen, wird für mich eine ganz neue Herausforderung sein.
Was hat es mit den Affen auf sich? Einer ist auf dem Cover, und wenn man das Album aufklappt, sind da „Bandfotos“, die an Szenen aus „Planet der Affen“ erinnern. Was ist die Geschichte dahinter, wie habt ihr die Fotos gemacht?
Dieser künstlerische Ansatz erklärt sich durch unsere langjährige Zusammenarbeit mit dem legendären kroatischen Designer und Freund Boris Kuk von BožeSacuvaj. Gemeinsam haben wir ein Konzept entwickelt, eine unkonventionelle künstlerische Annäherung an die Frage, wie es aussehen könnte, wenn der Hang zum Sozialdarwinismus in der Gesellschaft weiter zunimmt. Wir haben diese Bilder mit dem Fotografen Roberto Pavic im Haus unseres Freundes Max im Dorf Rude bei Samobor gemacht. „Dial ‚N‘ For Noize“ ist jedoch ein komplexes Werk, das sowohl musikalisch als auch ironisch lehrreich ist. Der Name des Albums lässt sich so erklären: Wenn du dich für den Lärm entscheidest, denn das heißt „dial ‚N‘“, dann musst du wissen, dass die Komplementarität von Frequenzen, aber auch ihr versehentlicher Missbrauch dich in zwei Richtungen führen kann. Die eine ist negativ, denn wenn du „N“ mit weißem Rauschen kombinierst, kann das bei wiederholtem Hören schädlich für die Gesundheit sein, besonders wenn du schon unter Tinnitus oder Ohrensausen leidest. In eine positive Richtung geht es, wenn du eine wunderbare, weniger laute Frequenz auf einer bestimmten Stufe wählst, die anzuhören dich heilen wird. Wenn du die Texte mitliest, die voller Ironie sind, wirst du dich bei den Liedern irgendwann fragen: Kann sich in dieser Gesellschaft, die weder ethische noch moralische Fortschritte kennt, doch etwas ändern? Und um unseren Bandnamen DEAFNESS BY NOISE zu paraphrasieren, kann man sagen, dass wir zum Wohle einer Menschheit, die sich taub stellt, riskieren, taub zu werden.
Und wie gut ist euer Gehör nach all den Jahren noch?
Was?! Kannst du diese Frage bitte wiederholen? Haha ... Vor einem Monat war ich bei einem Arzt und der sagte: „Herr Krmpa, ich habe festgestellt, dass Sie einen Hörschaden haben!“ Ich antwortete nur: „Herr Doktor, ich danke Ihnen für diese überraschende Diagnose, nachdem ich 33 Jahre lang lauten Rock’n’Roll gespielt habe!“ Unser Bassist fragte einmal: „Soll ich mir eine Trompete kaufen wie Number One aus den ‚Alan Ford‘-Comics, sie mir ins Ohr stecken und dich fragen, ob du das wiederholen kannst, damit ich dich besser verstehe?“ Auf diese Frage hatte ich keine Antwort.
© by Fuze - Ausgabe #102 Oktober/November 2023 und Arne Kupetz
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #127 August/September 2016 und Jens Kirsch
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #90 Juni/Juli 2010 und Andreas Kuhlmann
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #31 II 1998 und David Häussinger
© by Fuze - Ausgabe #101 August/September 2023 und Arne Kupetz
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #53 Dezember 2003/Januar/Februar 2004 und Simon Brunner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #106 Februar/März 2013 und Sebastian Walkenhorst