Zum ersten Mal in ihrer fast 17-jährigen Bandgeschichte hat sich die brasilianische Band DEAD FISH auf den Weg ins ferne Europa gemacht, um nicht nur für sich Werbung zu machen, sondern auch um auf die politischen Missstände im eigenen Land hinzuweisen. Mit treibenden Punkrock-Riffs, die RISE AGAINST nicht unähnlich sind, versuchen Alyand (Bass), Hóspede (Gitarre), Nô (Schlagzeug), Philippe (Gitarre) und Rodrigo (Gesang) nicht nur die Tanzbeine, sondern auch die Gedanken in Bewegung zu bringen. In Brasilien schafft es die Band regelmäßig Stadien auszuverkaufen, wohingegen sie in der restlichen Welt ein noch ziemlich unbeschriebenes Blatt sind. Vor ihrem Konzert in Berlin sprach ich mit Sänger Rodrigo, der schon als Anwalt gearbeitet hat (Schlagzeuger Nô praktizierte als Zahnarzt) vor allem über ein Land, das politisch zerrüttet ist?
Ihr seid eine brasilianische Band, die auch auf Portugiesisch singt. Eure Lieder haben alle einen politischen Hintergrund, der sich auf Brasilien bezieht. Warum habt ihr da ausgerechnet einen englischen Bandnamen gewählt?
Ursprünglich nannten wir uns STAGEDIVE, bis wir 1993 entdeckten, dass der Name schon vergeben war. In dem Moment hatten wir aber auch keine andere konkrete Idee, wie wir unsere Band von da an nennen sollten. Also haben wir drei Seiten voll mit Bandnamen geschrieben, von denen es dann DEAD FISH geschafft hat. Am Anfang unserer Band haben wir übrigens auf Englisch gesungen, so dass ein englischer Bandname da auch besser gepasst hat.
Waren die Texte am Anfang eurer Karriere auch schon so politisch wie sie jetzt sind?
Zu der Zeit waren wir sogar noch direkter. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass wir älter geworden sind und dadurch eine andere Sicht der Dinge haben. Brasilien hat sich dennoch nicht verbessert. Wir haben immer wieder versucht, unsere Hoffnung in neue, nicht korrupte Politiker zu stecken, und dabei wurden wir immer wieder enttäuscht. So um 1999, haben wir unsere Art, Songs zu schreiben, auf eine natürliche Weise geändert. Mittlerweile sind die Texte nihilistischer als noch zu Beginn. Dennoch sind sie immer noch politisch.
Ihr habt als international agierende Band die Möglichkeit, euch auch im Rest der Welt Gehör zu verschaffen. Wäre es da nicht einfacher, auf Englisch zu singen? Damit würde man doch sicher eine größere Menge Menschen erreichen.
Das stimmt, aber als wir uns 1993 umorganisiert haben, war es uns wichtig, dass wir den Leuten in unserem Land eine Message bringen konnten. Da nicht viele Leute in Brasilien Englisch sprechen, schrieben wir die Songs von da an auf Portugiesisch, damit wir auch verstanden wurden. Dazu kommt, dass wir bis auf diese Tour jetzt in Europa noch keine große Tour außerhalb Brasiliens gemacht haben, von Argentinien mal abgesehen. Also mussten wir uns auch keine Gedanken darüber machen, ob man uns außerhalb Brasiliens verstand. Wenn wir jetzt jedoch Konzerte hier spielen, versuche ich den Leuten zu erklären, worüber ich singe. Das ist mir sehr wichtig.
Ich denke, dass es vor allem für Leute, die sich für politischen Punkrock interessieren, wichtig ist, was die Band zu sagen hat, die man sich gerade anschaut. Schließlich will man nicht unbewusst eine rechte Band unterstützen, nur weil man die Texte nicht versteht.
Ja, das ist richtig. Das Lustige ist, dass es in Brasilien nur linksgerichtete Bands gibt ...
Habt ihr in Brasilien auch Probleme mit Faschismus oder Rassismus?
Oh ja, das sind zwei sehr große Probleme. Musikalisch bekommt man das gar nicht mit, wenn eine Band einen rassistischen Hintergrund hat. Die äußern das nicht - so wie in Europa - durch die Art, wie sie sich kleiden. Das passiert alles unterschwellig. Der Rassismus ist in Brasilien sehr ausgeprägt. Wenn man überall zwischen den Zeilen lesen würde, könnte man diese rassistische Attitüde sofort erkennen. Vor allem in der Mittelklasse gibt es immer noch diese Kategorisierung: weiß oder schwarz. Obwohl es nicht viele dunkelhäutige Mittelständler gibt. Die Schwarzen sind immer noch sehr arm in Brasilien. Es ist in Brasilien auch nicht einfach, die Einstellung der Menschen zu ändern. Die sind da viel zu verbohrt.
Denkst du, dass das Schulsystem in Brasilien die Leute genug aufklärt, oder werden junge Menschen eingeschränkt bei dem, was sie lernen? Gibt es viele Menschen, die sich keine Schulbildung leisten können?
Ein schwieriges Thema. Die Leute aus der Mittelklasse können sich eine Schulbildung leisten, wohingegen die Unterschichten kaum eine Chance bekommen. Ich selbst bin auf eine katholische Privatschule ergangen, weil meine Eltern genug gespart hatten. Die öffentlichen Schulen haben kein Geld für Bücher oder vernünftige Lehrer. Dennoch sind die Menschen in Brasilien intelligent, da sie es irgendwie schaffen, ohne die Hilfe einer Regierung und Geld zu überleben. Die stecken tief in der Scheiße, aber sie überleben. Es könnte sich was ändern, wenn diejenigen, die das Geld am meisten nötig haben, es auch bekommen würden.
Wo fließt das Geld denn hin?
Ich kann das nur kurz umschreiben: Wir haben einen sehr korrupten Staat. Nach Jahren der Militärdiktatur haben sich immer noch keine wirklich demokratischen Strukturen entwickelt. So stecken die einflussreichen Menschen sich immer noch fast das gesamte Geld in ihre eigenen Taschen und lassen den Leuten in ihrem Land fast nichts übrig. Deswegen ändert sich nichts beim Gesundheitssystem, Schulsystem oder in bei der Sicherheit. Es herrscht das totale Chaos. In Rio ist es wie im Bürgerkrieg.
Eure Alben handeln dann doch bestimmt von genau diesen Zuständen, oder?
Wie gesagt, am Anfang waren wir noch direkter und haben uns auch so ausgedrückt. Auf unserer neusten Platte, "Um Homem Só", sind wir auch immer noch politisch. Ich glaube, ich kann gar keine anderen Texte schreiben. Zumindest so lange nicht, bis sich etwas geändert hat.
Kannst du dich noch daran erinnern, wie es war, als ihr angefangen habt Musik zu machen?
Oh ja, das war lustig: Eigentlich konnte keiner von uns sein Instrument spielen. Ich spielte zuerst Schlagzeug auf einer Art Schlagzeugattrappe, welche zum größten Teil aus Papier bestand. Irgendwann sollte ich dann singen und hier bin ich jetzt.
Weißt du noch, wer euch am Anfang beeinflusst hat?
Auf jeden Fall BAD BRAINS, 7 SECONDS und BLACK FLAG. Nach und nach haben wir dann Bands wie die GORILLA BISCUITS entdeckt. Wir haben uns an ihnen orientiert, sie aber dennoch nie kopiert. Ich mag auch 80er HipHop wie PUBLIC ENEMY.
Vielen Dank für das Interview
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