DANIEL MAKAGON

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Vernetzt euch!

Ein kleine Lektion in sieben Stichpunkten in Sachen Punk-Basics, D.I.Y.-Entwicklung und -Status quo in den USA, erteilt von Daniel Makagon. Der ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel über Untergrund- und Recording-Kultur, Guerilla Art, D.I.Y.-Musik und -Shows und Professor an der Akademie für Kommunikation der DePaul-Universität Chicago. 2015 erschien sein Buch „Underground – The Subterranean Culture of DIY Punk Shows“ bei Microcosm Publishing.

Punk


Punk ist nicht nur ein Musikstil, sondern eine eigene Kultur. Es ist eigentlich nicht eine einheitliche Kultur, sondern eine in Subgenres unterteilte. Die Ausprägungen reichen da von Anarchopunks bis hin zu jenen, für die Punk eine Gemeinschaftsform bildet, die eine Alternative zu den gesellschaftlichen Leitnormen bietet. Möglichst viel Geld verdienen, Rassismus, Sexismus oder Ähnliches, Punk sollte eine Alternative zu alldem sein. Das gilt auch in musikalischer Hinsicht, Punk bildet die Alternative zur Mainstreammusik. Man kann beides zwar nicht gänzlich voneinander trennen, denn die frühen Protopunk-Bands, die STOOGES, MC5 oder VELVET UNDERGROUND zum Beispiel, ließen sich von David Bowie, T. REX und den ROLLING STONES inspirieren. Dennoch war es ihnen wichtig, es anders, also auf ihre eigene Art und Weise durchzuziehen.

D.I.Y.

D.I.Y. heißt zwar wörtlich „do it yourself“, aber meiner Meinung nach funktioniert das am besten als „do it ourselves“. Eine Person alleine macht noch keine Szene, organisiert auch keine Konzerte oder eine Tour. Punk funktioniert am besten, wenn mehrere Leute zusammenarbeiten. Es gibt seit den frühen Achtzigern ein auf D.I.Y. basierendes landesweites Touring-Netzwerk in den Vereinigten Staaten. Der eine hilft, ein regionales Konzert in einem Wohnhaus zu organisieren, dann gibt es jemanden, der seinen Wohnraum dafür zur Verfügung stellt, oder diejenigen, die für die Band kochen. D.I.Y. heißt, dass die Leute ihren Teil zu ihrer eigenen Kultur, ihrem eigenen Musikstil, ihrer eigenen Gemeinschaft beitragen. Dass sie das zusammen tun, ist der springende Punkt an der Sache. Wenn man sich da zu sehr auf das „yourself“ bezieht, muss eine Person alles ganz alleine stemmen. Das funktioniert vielleicht kurzfristig, diese Person brennt dann aber ziemlich schnell aus. „Underground“, mein jüngstes Buch, knüpft genau an diesen „Do it ourselves“-Gedanken an und dokumentiert, wie ein Touring-Netzwerk auf die Beine gestellt und aufrechterhalten werden kann, wie man in Kontakt zueinander tritt, Shows organisiert oder auch lokale Zines gründet, die an ein landesweites Netzwerk gekoppelt sind.

Touring

Aus der Tatsache, dass Punk in den Staaten in den Achtzigern richtig groß geworden ist, werden häufig falsche Rückschlüsse darauf gezogen, was das für kleinere Bands hieß. BLACK FLAG, CIRCLE JERKS, DEAD KENNEDYS oder MINOR THREAT, die Urgesteine der US-Punk, haben schon damals eine gewisse Menge an Publikum in größeren Städten anziehen können. Sie waren zwar nicht so bekannt wie jetzt, aber schon bekannt genug, um landesweit auf Tour gehen zu können. Die ganzen kleinen Bands konnten das in der Regel nicht. Sehr selten haben es manche dennoch gemacht, normalerweise haben sie aber eher Konzerte auf regionaler Ebene, etwa in der Größenordnung von einem Bundesstaat gespielt. Je nach Herkunftsort konnte man zwar auch mal staatenübergreifend touren, aber echte nationale Touren gab es nur sehr selten. In den Neunzigern hat die Touring-Landschaft sich nach und nach gewandelt. Immer mehr Leute freundeten sich, von Bands wie BLACK FLAG, HÜSKER DÜ oder den REPLACEMENTS inspiriert, mit dem D.I.Y.-Gedanken an, gründeten eine Band und wollten auf räumlich weiter gefasste Touren gehen. Sie waren dabei ein Stück weit dazu gezwungen, auf dem D.I.Y.-Gedanken aufzubauen, weil die Clubs, die zuvor hauptsächlich lokale Punkbands gebucht hatten, sich nun eher auf Indie- und Alternative Rock konzentrierten, weil NIRVANA gerade durch die Decke gegangen waren. Also haben in den Staaten viele Kids und Leute um die zwanzig angefangen, Bands in Begegnungszentren, Wohnhäusern, Parks und anderen D.I.Y.-Orten zu buchen. Dieses Netzwerk hat sich dann im Laufe der Neunziger immer weiter ausgedehnt und wurde irgendwann zu einem stabilen Netzwerk. Wenn du wolltest, konntest du ausschließlich mit D.I.Y.-Konzerten durch die gesamten Staaten touren. Nicht in Bars oder Clubs, deren vorrangiges Anliegen es ist, Alkohol oder Ähnliches zu verkaufen, alles fand in Wohnhäusern oder anderen auf freiwilliger Basis betriebenen Orten statt wie beispielsweise dem Charm City Art Space in Baltimore.

Probleme

Je nach Ort gab und gibt es schon mal Probleme mit den Behörden, weil zum Beispiel nur bedingt Steuern bei D.I.Y.-Konzerten erhoben werden können, in Boston ist das ein großes Thema. Oder weil Nachbarn sich über den Lärm beschweren und/oder Alkohol ausgeschenkt wird und Zuschauer unter 21 vor Ort sind. Früher war das aber viel schlimmer, da ist die Polizei einfach so aufgetaucht, wenn sie Wind von einem Punk-Konzert bekommen hat, weil sie in Punk einfach eine Bedrohung für die Gesellschaft gesehen hat. Das hat sich schon geändert. Trotz dieser Probleme ist es nur selten die Staatsgewalt, die zur Aufgabe eines D.I.Y.-Konzertortes führt. Meist liegt das eher daran, dass die Miete irgendwann zu hoch wird, die Leute, die diese Orte betreiben, einfach ausbrennen oder keinen Bock mehr auf Punkbands in ihrem Wohnraum haben. Generell verdienen die Bands selbst nicht wirklich Geld auf selbstorganisierten Touren, und auch bei einfachen Grundbedürfnissen kann es schon mal problematisch werden auf einer Tour durch die USA. Bands, die schon mal in Europa unterwegs gewesen sind, sagen, dass es dort sehr viel besser aussieht: Man hat fast immer einen Platz zum Schlafen, derjenige, der das Konzert organisiert, sorgt für Frühstück und Mittagessen, Bier oder auch mal was zum Rauchen. In den USA bekommen Bands auf Tour nicht automatisch etwas zu essen oder einen Schlafplatz. Daran muss unbedingt gearbeitet werden, um noch mal auf die funktionierende Gemeinschaft zurückzukommen. Für Konzerte an sich ist das Netzwerk aber schon sehr, sehr gut.

Kommunikation

Kommunikation kann man im Punk-Kontext auf zwei Arten betrachten. Nummer eins ist, wie Punks untereinander kommunizieren, um ein Netzwerk auf die Beine zu stellen. Da ist der Aufstieg der sozialen Medien natürlich von immenser Bedeutung, um überregional miteinander in Kontakt treten zu können. Hier bieten sich inzwischen großartige Möglichkeiten, das ist eine wirklich wichtige Art der Kommunikation. Die zweite Art der Kommunikation ist der Diskurs, der zwar auch in sozialen Medien, aber in erster Linie auf informeller Ebene zum Beispiel direkt während eines Punk-Konzerts stattfindet. Auf dieser Ebene geht es darum, was und wie Punk sein sollte. Speziell junge Punks lernen dort vor Ort, wie man Punk lebt. Manches läuft über Unterhaltungen und Gespräche, einiges aber auch nur über Beobachtung. Wie die Leute sich verhalten, wie sie ihre Körper im Raum positionieren. Womit sie sich im Hinblick auf ihre Ethnie, ihr Geschlecht oder ihre sexuelle Neigung wohl oder unwohl fühlen. Das halte ich für wirklich wichtige Ansätze zum Verständnis von Punk. Ich will an dieser Stelle nicht zu akademisch werden, aber in der Kommunikation geht es darum, wie wir Symbole verwenden. Symbole im Sinne von Worten oder Bildern. Unser Körper kann bis zu einem gewissen Grad auch die Funktion eines Symbols übernehmen. Es gilt: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Eigentlich gibt es darüber hinaus sogar noch eine dritte Ebene, die der Magazine und Fanzines, wie Maximum Rocknroll, Seven Inches to Freedom, oder auch rein online agierende Blogs mit Fanzinecharakter. All diese Formen der Kommunikation bieten Möglichkeiten, mit Punk in Kontakt zu kommen und sich ein Bild von der Szene zu machen.

Politik

An dieser Stelle muss ich noch mal auf den D.I.Y.-Gedanken zurückkommen. THE DAMNED zum Beispiel sind eine Punkband. Sie sind heutzutage aber ganz bestimmt keine D.I.Y.-Punkband mehr, irgendwann waren sie das vielleicht mal. Jetzt aber steht eine ganze Tourmaschinerie hinter ihnen, manche dieser Bands bringen ihre Platten bei Majorlabels heraus. Das ist keine Verurteilung, es soll einfach verdeutlichen, dass sie keine D.I.Y.-Punkband sind. Zur Politik des D.I.Y. gehört es, die eigenen Finanzen selbst zu kontrollieren, damit das erwirtschaftete Geld größtenteils innerhalb der Szene bleiben kann. Außerdem entscheidet man selbst, wie man Punk auslegen will. Meiner Meinung nach ist D.I.Y. von zentraler politischer Bedeutung für die Punk-Szene. Eine weitere Auslegungsmöglichkeit des Politikbegriffs im Punk-Kontext ist, ihm über das reine Selbstmachen hinaus eine höhere gesellschaftspolitische Bedeutung zuzuschreiben. Punk soll im direkten Zusammenspiel mit anderen radikalen Aktivisten für gesellschaftliche Veränderungen sorgen. Dass das möglich ist, hat die Vergangenheit bereits bewiesen. Darüber hinaus kann das Politische sich auch innerhalb der Szene selbst abspielen, beispielsweise im Kampf um die Bedeutungshoheit der Definition des Punkbegriffs an sich. In diesem Zusammenhang fallen dann oft Phrasen wie „Ausverkauf“, „eine Band verkauft sich“ oder sie „verrät die Szene“. Für mich war das immer ein wenig problematisch. Ich würde niemals jemandem Sellout vorwerfen. Manchmal werden Menschen einfach älter und verändern sich. Das heißt nicht, dass sie keine Punks mehr sind, sie sind es nur auf eine andere Art und die hat meist nichts mehr mit D.I.Y. zu tun. Meines Erachtens ist es viel wichtiger für eine Szene, den D.I.Y.-Aspekt von Punk vor kommerziellen Interessen zu schützen. Aber Leute, die sich als Szenepolizei aufspielen und andere be- und verurteilen, finde ich genauso beschissen, wie diejenigen, die Punk als Sprungbrett in das ganz große Geschäft benutzen. Zusammenfassend ist Punk als Kultur aus sich heraus schon zutiefst politisch. Seine politische Ausprägung ist nur nicht einheitlich.

Wandel

Das ist eine der wichtigsten Eigenschaften des Punk, er bildet eben nicht eine homogene, statische Kultur, sondern er entwickelt sich konstant weiter und verändert sich ständig. Es gibt immer wieder Meilensteine in der Vergangenheit, auf die man sich beziehen kann, aber der Wandel ist ein steter. Unabhängig davon, ob du seine Anfänge im Rock’n’roll der Fünfziger, bei den Garage-Bands der Sechziger, den Protopunk-Bands der Siebziger, beim New York- und UK-Punk in den späten Siebzigern oder dem US-Hardcore in den frühen Achtzigern siehst, existiert dieses Genre nun schon verdammt lange und ist entsprechend facettenreich. Die Veränderungen sind es, die den Kern des Punks ausmachen und sein Fortbestehen sichern. Auch andere Szenen/Kulturen verändern sich, im Punk ist das aber stärker verankert. Auch auf der sozialen Ebene: Er reagiert nicht nur auf, er unterstützt gesellschaftlichen Wandel. Die Integration von sogenannten Randgruppen beispielsweise gelingt besser, weil die Leute häufig offener sind. Punk ist natürlich bei weitem nicht perfekt, es gibt auch hier noch immer Probleme in den Bereichen Gleichberechtigung, Rassismus, Sexismus, etc. Aber Punk hebt sich in dieser Hinsicht positiv von anderen (Sub)Kulturen und auch der ihm übergeordneten Gesellschaft ab. Dazu, dass das so bleibt, kann jeder da draußen überall und zu jeder Zeit seinen kleinen oder auch großen Teil beitragen.

 


LESEN

UNDERGROUNDUNDERGROUND

The Subterranean Culture Of DIY Punk Shows

Daniel Makagon

Microcosm Publishing

192 S., $14.95