Vordergründig erschienen einem THE BRIEFS als der wahr gewordene Traum eines jeden Nachwuchsmusikers, zumindest sofern er im Punkrock unterwegs ist: vier großartige Alben, Touren, die sie um die ganze Welt führten, überall Begeisterung seitens der Presse und des Publikums. Da mag es verwundern, dass eine solche Band, die man relativ erfolgreich und ihren Zenit noch längst nicht überschritten wähnte, alles hinschmeißt und noch einmal neu anfängt. Aber: Man steckt halt nicht drin. Nicht drin in einer alle Arbeits- und Freizeit fressenden Routine, die immer mehr zu einem Job verkommt, der nicht nur schlecht bezahlt wird, sondern am Ende auch keinen Spaß mehr macht.
THE CUTE LEPERS nennt sich der Neuanfang von BRIEFS-Gitarrist und -Sänger Steve E. Nix , eine Band, die er im Frühling 2007 noch zu Lebzeiten der BRIEFS gründete und die im gleichen Jahr bereits zwei Singles veröffentlichte. Zur Seite stehen ihm, neben dem ebenfalls von den BRIEFS geflohenen Bassisten Stevie Kicks, der SPITS-Schlagzeuger Josh Blisters und der THE GIRLS-Gitarrist Zache Out, sowie drei Background-Sängerinnen. Anlässlich der Veröffentlichung des Debütalbums "Can't Stand Modern Music" Ende April riefen wir Steve in Seattle an.
Steve, wir werden nicht darum herumkommen, über THE BRIEFS zu sprechen, Habt ihr euch nun aufgelöst oder ist eher der "indefinitive hiatus", die berühmte unbestimmte Pause eingetreten?
Hm, wir nennen es einen "super extended hiatus" ...
Zu dem was geführt hat?
Wir haben beinahe zehn Jahre als BRIEFS gespielt, was natürlich eine fantastische Zeit war, aber auch viele Jahre harte Arbeit bedeutete. Und auch wenn wir nicht dachten, damit mal reich werden zu können, sollte man doch irgendwann ein neues Level erreichen, was aber so nicht passiert ist. Es artete stattdessen in einen Überlebenskampf aus, auf Kosten der Motivation. Insofern war es jetzt Zeit für etwas Neues, Zeit, um musikalisch etwas anderes auszuprobieren, was mich als Künstler zudem mehr reizt, als immer dasselbe zu spielen. Wären die RAMONES mit ihrer immer gleichen Musik nicht so erfolgreich gewesen, hätten sie sicherlich auch nicht ewig so weitergemacht, oder?
Und deswegen hat du STEVE E. NIX AND THE CUTE LEPERS gegründet ...
... die jetzt aber nur noch THE CUTE LEPERS heißen. Anfangs war es zwar eher mein Ding, aber es ist eine echte Band und ich will mich nicht in den Vordergrund stellen, auch wenn ich die Zügel in der Hand halte. Das macht vieles einfacher, gleichzeitig trage ich aber auch die volle Verantwortung.
Für eine siebenköpfige Band.
Ich wollte unbedingt was mit weiblichem Background-Gesang machen, generell viel mehr mit Gesang arbeiten. Und so sind bei THE CUTE LEPERS neben uns vier Jungs noch drei Background-Sängerinnen dabei. Allerdings können nicht immer alle mit auf Tour kommen, also wechselt die Besetzung dann und wann. Ich bin echt froh, dass ich die ganzen Songs, die ich in letzter Zeit geschrieben habe und die nicht wirklich zu den BRIEFS passten, jetzt in dieser Form umsetzen konnte.
Sehr weit entfernst du dich auf "Can't Stand Modern Music" aber nun auch nicht von THE BRIEFS.
Klar, ich bin es ja auch, der die Songs schreibt, Gitarre spielt und singt. Es ist auch mehr eine leichte, langsame Bewegung weg von den BRIEFS. Aber es sind doch Unterschiede vorhanden: wo bei THE BRIEFS ein Einfluss vom kalifornischen Hardcore der frühen Achtziger hörbar war, ist es bei den CUTE LEPERS Powerpop und das Mod-Revival. Die musikalische Basis beider Bands ist aber sicherlich der frühe Punkrock, insofern gibt es natürlich Parallelen.
In Europa erscheint "Can't Stand Modern Music" auf Damaged Goods, in den USA auf Blackheart Records. Die Platte selbst zu veröffentlichen, um zumindest ein wenig Geld damit zu verdienen, kam nicht in Frage?
Ich kenne niemanden, der wirklich Geld mit einem Label verdient. Nicht, wenn es ein kleines Punkrock-Label ist. Das macht man nur aus dem Grund wie auch eine Band oder ein Fanzine: aus Spaß an der Sache und in der Hoffnung, am Ende wenigstens ein bisschen Geld für die investierte Zeit zu bekommen. Für mich wäre ein eigenes Label mit zuviel Arbeit verbunden. Ich habe unsere Songs an viele Labels geschickt, die leider ablehnten, weil sich so etwas wie unsere Musik nicht verkauft. Blackheart Records, das Label von Joan Jett, meinten das zwar auch, wollten die Platte aber dennoch machen. Und Ian von Damaged Goods war auch sofort begeistert.
Dafür hast du das Album selbst produziert.
Gut die Hälfte des CUTE LEPERS-Albums habe ich in meinem Keller aufgenommen, wo ich mir ein kleines Aufnahmestudio eingerichtet habe. Ich besitze zwar nicht das allerbeste Equipment, aber für die Gitarren und den Bass hat es gereicht, während wir das Schlagzeug und den Gesang in einem anderen Studio aufgenommen haben. Aber ich nehme da auch andere Bands auf, versuche, kleinen lokalen Punkrock-Bands aus Seattle die Möglichkeit zu geben, für wenig Geld wenigstens halbwegs vernünftige Aufnahmen zu machen. Eben mit einem kleinen Budget das bestmögliche Ergebnis rauszuholen, was auch für das CUTE LEPERS-Album gilt. Es wäre schön, daraus einen Fulltimejob zu machen, momentan aber muss ich leider normalen Jobs nachgehen.
"Can't Stand Modern Music" ist mit nur elf Songs nicht gerade lang geworden. Gerade unter dem Aspekt, dass du dein eigenes Studio hast: wäre da nicht mehr drin gewesen?
Es gibt natürlich noch eine Menge mehr Songs, aber ich wollte ein Album machen, das gut und rund ist. Ein echtes Album mit einer hohen Songqualität, keine bloße Ansammlung beliebiger Lieder. Die knappe halbe Stunde, die "Can't Stand Modern Music" läuft, liegt dann auch genau im Bereich meiner Aufmerksamkeitsspanne. Dazu ist die Songanzahl auch immer eine Frage des Budgets.
Die Aussage des Albumtitels schließt deine eigene Band natürlich aus, oder?
Ja, meine Band mag ich, aber wir sind ja auch nur insofern modern, dass wir in der jetzigen Zeit existieren. "Can't Stand Modern Music" bezieht sich auf diese fürchterliche kommerzielle Scheißmusik, die man im Radio zu hören bekommt, vor allem auf das, was einem da als Rock'n'Roll und Punkrock verkauft wird: polierter, verwässerter Pro-Tools-Einheitsbrei, der klingt, als ob er aus einer Fabrik käme. Dasselbe gilt für den Müll, den sie als R&B bezeichnen. R&B, das stand mal für das coole Motown-Zeug, jetzt nur noch für furchtbarsten HipHop. Oder dieser momentan so populäre Emo-Metal: da wird dir heute jemand als großer Star präsentiert und in drei Monaten kennt ihn niemand mehr. Ich habe das Gefühl, dass Musik früher mehr Seele hatte, und wir versuchen zu zeigen, dass das auch heute noch möglich ist, auch wenn es eigentlich immer schlimmer wird. Bloß noch Trends und Hypes. Sollten THE CUTE LEPERS aber richtig populär werden, überdenke ich das alles noch einmal ...
Joachim Hiller, André Bohnensack
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