Heute sind Filme schon Kultfilme, wenn sie gerade im Kino gelaufen sind, und „legendär“ ist eine Band, wenn sie es schafft, innerhalb von zwei Jahren ihrem Debüt noch ein Album folgen zu lassen - die Entwertung der Superlative schreitet fort. Und doch gibt es sie noch wirklich, die echten Legenden, Musiker und Bands, die wirklich Kultstatus erreicht haben, und den, weil der ihnen von Fans und nicht von den Medien zugeschrieben wird. Die CRAMPS sind so ein Fall: 1976 von Poison Ivy und Lux Interior gegründet, hauchten sie im Umfeld der New Yorker Punk-Szene dem Garagen-Punk der Sixties neues Leben ein, waren sie die sexy Horror-Movie-Version des Rock’n’Rolls der Fünfziger. Heute, 27 Jahre später, sind Poison Ivy und Lux Interior immer noch ein Paar, haben ihr musikalisches Vermächtnis auf dem bandeigenen Label Vengeance Records neu aufgelegt und bei der Gelegenheit auch gleich noch ein neues Album namens „Fiends Of Dope Island“ eingespielt, nachdem „The Big Beat From Badsville“ ja auch schon wieder sechs Jahre auf dem Buckel hat. Und natürlich habe ich es mir nicht nehmen lassen, mit Poison Ivy über das neue Album zu sprechen.
Das letzte Mal traf ich euch in Düsseldorf im Hotel, als ihr für euer letztes Album auf Interviewtour wart. Da hattet ihr die Gelegenheit genutzt, für Lux’ Hobby, die 3D-Fotografie, einen Spezialhändler zu besuchen.
Oh ja, Lux ist von der 3D-Fotografie völlig besessen, er kann nie genug Kameras und Equipment haben. Mich wundert auch, dass wir bisher noch kein 3D-Albumcover hatten, aber diesmal scheiterte es schon am engen Zeitplan. Lux fotografiert eigentlich alles nur noch in 3D. Für das aktuelle Cover allerdings haben wir einen Freund angeheuert, Rocky Schenk.
Mir gefällt das Artwork eures neuen Albums, es hat so einen Horror-Film-Look.
Den Eindruck des Horror-Film-Looks kann ich nachvollziehen. Der Fotograf hatte auch schon das Video zu ‚Bikini girls’ und ‚Creature’ gedreht. Und wir hatten ein EP, ‚The creature from the black leather lagoon‘, und darauf war auch ein exzellentes Portrait von Lux, das auch von ihm ist. Er hat diesen 40er-Jahre-Hollywood-Look total gut drauf, das gefällt uns an ihm.
1997 kam euer letztes Album raus, auf Epitaph. Sechs Jahre später endlich ein neues Album, nicht mehr auf Epitaph. Was ist in der Zwischenzeit geschehen?
Epitaph war in Europa großartig für uns. In den USA lief es nicht so gut, denn Brett Gurewitz hatte zu der Zeit persönliche Probleme. Er war ein großer Fan von uns, doch als er dann nicht mehr direkt verantwortlich war, ließ uns sein Nachfolger ziemlich direkt verstehen, dass er kein Fan von uns sei... Wir mussten dann erst mal etwas Zeit darauf verwenden, uns von Epitaph zu trennen, und kauften Epitaph die Rechte an ‚The Big Beat From Badsville’ ab. Das dauerte alles seine Zeit, es war mittlerweile 1999, wir hatten Mühe, einen passenden Bassisten zu finden, und außerdem waren wir beschäftigt, unser eigenes Label zu gründen. Das war 2000, und im Herbst 2001 kamen dann die ersten Releases. Es war eine ganze Menge Arbeit, und als wir das erledigt hatten, wollten wir erst auf Tour gehen und dann ein neues Album machen, aber dann wurden in der Folge des 11. Septembers reihenweise Touren von den Booking-Agenturen abgesagt, so auch unsere. Und der Bassist, den wir hatten, passte auch nicht, also suchten wir uns wieder einen anderen, aber immerhin, mit Chopper Franklin haben wir jetzt jemanden gefunden, der zu uns passt, wir sind jetzt eine richtige Gang. Das Album haben wir dann im August und September letzten Jahres aufgenommen, aber es war zu spät fertig, um es noch im Herbst rauszubringen. Und so kam die Platte eben dieses Frühjahr.
Mir scheint es eine Entwicklung der letzten Jahre zu sein, dass Bands ihre eigenen Labels gründen und sich verstärkt selbst um ihre Belange kümmern.
Wir hatten einfach lange Zeit Angst, uns da zu viel Arbeit aufzuhalsen. Ein guter Freund von uns, Jimmy Maslon, der die Rechte an den Herschel-Gordon-Lewis-Filmen hält, hat uns immer wieder geraten, selbst ein Label zu gründen, alle Platten selbst herzustellen und so weiter. Und ich glaube, viele Leute kapieren nicht, wie viel Arbeit das ist, wenn man wirklich alles bei einer Produktion selber macht, von der Pressung bis zur Anzeigenschaltung. Davor hatten wir einfach Angst, bis wir dann doch Mut fassten und Vengeance Records gründeten. Und letztlich ist es eben schöner, für sich selbst zu arbeiten, als für jemand anders. Ohne die Rechte an unseren alten Platten wäre das aber auch nicht möglich gewesen, denn mit nur einer Platte interessiert sich kein Großhändler für dich.
Wie verkaufen sich denn die alten CRAMPS-Platten?
Also in Europa lizenzieren wir unsere alten Platten an Ace Records aus England, mit denen wir schon seit 1983 arbeiten, und die verkaufen unsere Sachen kontinuierlich. Das neue Album ist jetzt weltweit auf Vengeance, und wir haben in jedem Land einen anderen Vertrieb. In den USA haben wir in den ersten vier Monaten von unseren alten Platten auf Vengeance so viel verkauft, wie unser bisheriges Label Restless in sechs Jahren. Das war dann auch der ausschlaggebende Punkt, es weltweit selbst zu versuchen.
Mir scheint, ihr habt euch für euer, na ja, Comeback keine schlechte Zeit ausgesucht ...
Haha, du meinst wegen diesem ‚Rock is back’-Hype? Na ja, in den USA profitieren wir davon, denn waren die Clubs vor ein paar Jahren noch mehr an DJs als an Bands interessiert, so ist es jetzt doch wieder einfacher geworden, Konzerte zu bekommen. Es war damals echt hart, vernünftige Gagen zu bekommen und überhaupt auf Tour zu gehen. Dieses Jahr ist es dagegen richtig einfach. Und dabei machen wir immer nur das, was wir schon immer gemacht haben, aber wir sind eben mal angesagt und mal nicht. Um auf diese ‚Rock is back’-Sache zurückzukommen: In unserem Leben war er immer da, und ich würde mir wünschen, dass diese Bands, die da heute unterwegs sind, einfach etwas wilder und gefährlicher wären. Verstehst du? Statt über ihre Beziehungen und Gefühle zu singen, sollten die Musik und die Texte mehr den gesamten Lebensstil widerspiegeln.
Ich habe gerade das Backcover von „Gravest Hits“ vor mir, mit diesem großartigen Foto aus dem Club in New York, und dann zu sehen, dass das vor 25 Jahren war und die CRAMPS heute noch da sind, das ist ein komisches Gefühl, denn die Welt darum herum hat sich ja komplett verändert.
Wir sind auf jeden Fall froh, dass die Leute sich immer noch für uns interessieren, denn uns macht die Band immer noch richtig Spaß und ich denke, wir werden sogar immer noch besser. Obwohl, besser ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, aber intensiver auf jeden Fall. In meinem Fall merke ich, wie das Gitarrespielen immer mehr die Sprache geworden ist, mit der ich mich ausdrücken kann. Und da ist es schön zu merken, dass dafür ein Publikum vorhanden ist und dass andere Bands einen als Einfluss nennen.
In einer musikalischen Landschaft, in der Teenie-Poser und angebliche „Schock-Rocker“ wie Marilyn Manson als hart und gefährlich angesehen werden, wirken die CRAMPS ja beinahe schon anachronistisch. Wie seht ihr euch da selbst, habt ihr das Gefühl, gegen irgendwen in Konkurrenz treten zu müssen?
Wir haben schon immer 100% gegeben, und das ist nicht bei allen Bands so – und damit meine ich sowohl das Songwriting wie auch unsere Liveauftritte. Mehr können wir nicht tun, mehr können wir nicht sein, und wie das dann im Vergleich zu anderen Bands wirkt, davon können wir uns nicht beeindrucken lassen, verstehst du? Wenn du dir Wanda Jackson anschaust, denkst du, die macht sich Gedanken darüber, wie sie im Vergleich zu anderen aussieht? Oder Howlin’ Wolf? Wir sind, wer wir sind, wir tun, was wir tun, nicht mehr, nicht weniger. Als wir damals anfingen, hatten wir eine gute Zeit erwischt, in der echte Musik noch viel Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde, gerade auch dem Punkrock. Und es gab eben auch andere Zeiten, in denen selbst sehr gute Bands kaum eine Chance hatten. In dieser Hinsicht hatten wir eben einfach Glück. Was nun den Schock-Effekt anbelangt, so sind wir nie ausgezogen, um Leute zu schocken, aber manche fanden es eben schockierend, was wir machten. Genauso ist jeder anderer Meinung, was unsere Alben anbelangt: die einen sagen, unser erstes sei das Beste, die anderen sagen das von ‚A Date With Elvis’. Das hängt, denke ich, davon ab, wann sie zum ersten Mal von der Band gehört haben. Wenn sie dann mal unsere Welt kennen, wenn sie ihre Initiation hatten, ist danach natürlich nichts von uns wieder so schockierend wie damals, als sie uns kennen lernten – und wir können nichts anderes tun, als weiter das machen, was wir schon immer gemacht haben.
Bei eurem Album bin ich einmal mehr beeindruckt, schon allein von den Songtiteln, etwa „Big black witchcraft rock“, „Papa Satan sang Louie“, „Mojo man from Mars“ oder „Elvis fucking Christ!“. Das haben schon unzählige Bands versucht nachzumachen, aber an euch rangekommen ist bislang keine.
Die Songtitel stammen von Lux und mir, wir sind einfach auf der gleichen Wellenlänge. Wir hatten einfach richtig Spaß daran am neuen Album zu arbeiten, gerade auch seit Chopper in der Band ist und wir seitdem einfach wieder eine Gang sind. Chopper ist dieser ‚juvenile delinquent’-Typ, das passt einfach perfekt. Davor hatten wir diverse Leute, die zwar große CRAMPS-Fans waren, aber nicht auf unserer Wellenlänge waren, die nicht so ein Leben geführt haben und führen wie Lux und ich und auch Harry, unser Drummer. Um auf deine Frage zurück zu kommen: Diese Songtitel entspringen der Welt, in der wir leben, und manche Kritiker mögen das als oberflächlich bezeichnen, aber es ist eben unser Ding. Oberflächlich finde ich hingegen den normalen romantischen Quatsch, wen interessiert das? In ‚Elvis fucking Christ’ singt Lux darüber, wie im Rock’n’Roll nach Elvis ein neuer König gesucht wird und er der Meinung ist, dass er das sein müsse. Stimmt doch, er müsste der neue König des Rock’n’Roll sein! Und er weiß das eben, und manche stimmen zu, andere lachen. So sehen wir das eben, und in unserer Welt sind wir die königliche Familie.
Was eure Welt anbelangt, so hast du mir im letzten Interview erzählt, dass ihr immer noch eine Menge Zeit damit verbringt, auf Flohmärkten eure schon riesige Plattensammlung noch weiter auszubauen. Sind seitdem andere Hobbies dazu gekommen?
Also das ist heute nicht mehr so, denn es ist viel, viel schwieriger geworden, auf diesem Weg an gute Platten zu kommen, und viele Sachen sind heute auch als Re-Releases zu haben. Nein, was uns wirklich aufgehalten und das neue Album verzögert hat, war unsere Liebe zu alten Autos. Wir haben uns einen ´72er Buick Riviera gekauft, der war richtig abgefuckt, und wir haben den komplett neu aufgebaut, was letztendlich immer mehr Arbeit ist, als man denkt. Der hat jetzt eine Zebramuster-Innenausstattung, das Vinyldach hat ein Krokoleder-Muster, und der Wagen sieht jetzt richtig ‚evil’ aus. Unseren ´56er Dodge haben wir auch noch, aber der Riviera ist unser neues Baby. Wir haben uns also 1999 nicht direkt mit der Band beschäftigt, aber andererseits ist das jetzt auch das ultimative CRAMPS-Auto.
Apropos Baby: Gab es mal eine Zeit, wo das für euch ein Thema war?
Solche Gedanken hat man schon mal, aber die CRAMPS sind unser Baby, und Lux hat ja auch einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe. Wir haben all unsere Energie in diese Band gesteckt, und da steckt auch eine Menge sexueller Energie drin, das hat eine Menge mit Kreativität zu tun. Der kreative Prozess als solcher ist uns sehr wichtig, deshalb dauert es bei uns auch mal etwas länger mit einem neuen Album - wir sind eben keine karriereorientierte Band. Und wir haben auch keinen Manager im Nacken sitzen, der uns antreibt und verlieren manchmal etwas das Zeitgefühl.
Einige alte Punkrocker, die auch zu eurem Freundeskreis zählten, sind in den letzten Jahren gestorben – was für ein Gefühl ist das?
Mir fällt es sehr schwer, das zu akzeptieren, und am härtesten war es bei DeeDee, der ein enger Freund war. Er hatte ein sehr schweres Leben, aber sich zugleich diese heftige Energie und Kreativität bewahrt. Ganz zum Schluss hatte er noch ein Album mit Chris Spedding gemacht, er malte, er schrieb Bücher – er war einfach ein unglaublicher Mensch, sein Tod hat uns wirklich schwer getroffen. Lux und ich sind sehr emotionale Menschen, und nach DeeDees Tod konnte ich einen Monat lang gar nichts machen, ich war wie gelähmt und deprimiert. Oder Joe Strummer, ein so energiegeladener Mensch – plötzlich ist der nicht mehr da, das schockiert. Oder Brian Gregory, unser alter Gitarrist, der am gleichen Tag Geburtstag hatte wie ich. Etwas in mir weigert sich, den Tod dieser Menschen zu akzeptieren.
Das hat aber vielleicht auch was mit der Punkszene zu tun, in der Leute über 40 schon als „alt“ gelten, während im Jazz oder Blues viele Musiker schon über 70 sind.
Ja, nimm etwa T-Model Ford, der ist beinahe 80. Der hat erst Mitte 50 angefangen Gitarre zu spielen, nachdem er aus dem Knast gekommen war. Ich halte speziell ihn für eine sehr inspirierende Person, und seine Platten sind wirklich unglaublich, die treten Arsch, die machen Angst! Wenn man ihn trifft, ist es faszinierend, was für ein Weiberheld das ist, der braucht immer Frauen vor der Bühne, und die stehen auch auf sein sexuelles Charisma. So jemand ermutigt auch mich wieder, da denke ich mir, was werde ich wohl noch in meinem Leben tun, wovon ich bisher nichts weiß? Ich war schon immer ein Spätstarter.
Wie alt sind denn eure Fans?
Also ich bin immer wieder überrascht, gerade bei Konzerten in Texas, wie jung manche unserer Fans sind. Die sehen teilweise aus wie 15, die dürften theoretisch gar nicht da sein, und betrunken und völlig wild sind sie auch noch.
Ich finde das großartig!
Auf eurem neuen Album habt ihr auch wieder mehrere Cover-Songs.
Ja, da ist zum einen ‚Hang up’ von den WAILERS, ein Song, den wir schon lange im Live-Repertoire haben. ‚Taboo’ war eigentlich gar nicht geplant, wir waren schon dabei unsere Instrumente im Studio abzubauen, aber ich hatte die Idee, da noch was zu machen, und so schrieb Lux eben einen Text und in kürzester Zeit war der Song fertig. Ich wollte eigentlich schon immer mal ein reines Exotica-Album machen, und ich finde auch die ganzen Hoodlum-Rock’n’Roll-Versionen solcher Songs klasse. Mein Traum wäre mal ein reines Exotica-Album der CRAMPS, und so ist dieser Song schon mal ein Vorgeschmack. Eigentlich war ‚Taboo’ als Single-B-Seite gedacht, gefiel uns aber dann so gut, dass er doch auf das Album kam. Stattdessen wird jetzt ‚16 tons’ von Merle Travis eine B-Seite werden. ‚Oowee baby’ ist auch so ein uralter Song aus unserem Repertoire, der im Original von Rick Cartey auf RCA veröffentlicht wurde, den wir aber früher nie aufgenommen haben, weil Brian ihn hasste.
Letzte Frage: Wie sieht es denn mit Touren aus?
Wir waren in den letzten Jahren immer nur kurz unterwegs, so zwei Wochen lang, aber derzeit bereiten wir uns auf eine neunwöchige US-Tour vor und werden im September auch in Europa spielen, und natürlich auch in Deutschland.
Ivy, ich danke dir für das Interview.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #51 Juni/Juli/August 2003 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #120 Juni/Juli 2015 und Simon Brunner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #28 III 1997 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #51 Juni/Juli/August 2003 und Norbert Johannknecht
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #100 Februar/März 2012 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #57 November 2004/Januar/Februar 2005 und Joachim Hiller