CORROSION OF CONFORMITY

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Die Crossover-Erfinder

Für mich war jede Phase der 1982 in Raleigh, North Carolina gegründeten CORROSION OF CONFORMITY großartig, egal, welche musikalische Richtung sie gerade verfolgten oder wer gerade in der Band spielte. Mit den ersten beiden Alben „Eye For An Eye“ (1984) und „Animosity“ (1985) sowie den 12“-EPs „Technocracy“ (1987) und „Six Songs With Mike Singing“ (1989) lieferten sie die Blaupause für die Verschmelzung von Hardcore-Punk und Thrash Metal, und sie waren es, die den ursprünglichen Crossover mit aus der Taufe hoben. Trotzdem höre ich bis heute häufiger die späteren Sachen, weil ich die Alben mit Pepper Keenan als Sänger – „Blind“ (1991), „Deliverance“ (1994), „Wiseblood“ (1996), „America’s Volume Dealer“ (2000), „In The Arms Of God“ (2005) – auf CD habe und diese somit fester Bestandteil meines iPod-Repertoires sind.

Das alte Line-up von COC – nach einer Auszeit von 2006 bis 2010 reformierten sie sich in der Urbesetzung Moody Waetherman, Mike Dean und Reed Mullin – einmal live sehen zu können, war etwas, das ich nicht in meinen kühnsten Träumen erwartet hätte. Noch eher hätte ich gedacht, die Band löst sich klammheimlich wieder auf. Stattdessen wurde 2012 das erste Jahr in der Geschichte von COC, in dem sie innerhalb von zwölf Monaten drei verschiedene Releases rausbrachten: das neue, titellose Studioalbum, die „Megalodon“-EP und die Wiederveröffentlichung von „Eye For An Eye/Six Songs With Mike Singing“. Auch live machte das Trio keine Kompromisse, und um das große Geld ging es ihnen dabei kaum. Denn es ist ein weiter Weg von Platzierungen in den Billboard-Charts und halbjährige Welttourneen als Support von METALLICA in den Neunzigern bis zu den jetzigen Club-Auftritten in Europa mit einem Schnitt von sechzig Zuschauern pro Abend. Zeit also, einer meiner absoluten Lieblingsbands auf dem Zahn zu fühlen und Gitarrist Woody Weatherman und Bassist Mike Dean zu fragen, warum sie nach mehr als dreißig Jahre immer noch nicht genug haben.

Wie sahen eure Erwartungen aus, als die Entscheidung erst mal getroffen war, dem Trioformat noch eine Chance zu geben?

Mike:
Wir hofften auf ein klein wenig Aufmerksamkeit, während wir uns den Staub aus den Klamotten klopften und mit dem Schreiben vom neuem Material begannen.

Und wurden die Erwartungen erfüllt?

Mike:
Oh ja, definitiv!

Woody: Wie immer geht es für mich darum, Spaß zu haben, von daher würde ich schon sagen, dass es bisher ein Erfolg gewesen ist.

Wie sieht es in der USA aus, in was für Clubs spielt ihr?

Mike:
Es ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. An der Westküste sind es größere Clubs und Hallen, das gleiche gilt für Texas und hier in North Carolina. Anderswo sind es kleinere Clubs, es hängt wirklich von dem Ort ab, an dem wir uns gerade befinden.

Woody: Es kommt mir so vor, als ob die Leute eine Band schon vergessen, wenn diese nur für ein paar Jahre einen Gang runterschaltet. Meiner Meinung nach können wir uns sehr glücklich schätzen, dass wir uns solch großartige Fans über die Zeit bewahrt haben.

Wenn ich die Original-Linernotes zu „Technocracy“ lese und mir euren politischen Anspruch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vor Augen führe, dann scheint es, als wäret ihr damals bereit gewesen, einen radikaleren Kurs einzuschlagen. Unter anderem habt ihr euch für Amnesty International, die Anti-AKW-Bewegung, Greenpeace, die Rechte der Ureinwohner, PETA und gegen die Todesstrafe engagiert. Dann passierte genau das Gegenteil und die eindeutig politischen Themen verschwanden fast ganz aus den Texten. Wieso?

Mike:
Für mich selbst sind meine politische Ansichten ziemlich gleich geblieben. Das Problem ist eher, dass sie über die Jahre einen Dämpfer erfuhren, ausgelöst durch menschliches Versagen und Dummheit. Unsere Berufung ist es, Musik zu machen, und um ehrlich zu sein, gibt es nur sehr wenig Musik mit eindeutig politischen Texte und langem Haltbarkeitsdatum. Politik ist nicht aus unseren Songs verschwunden, wir nehmen die Dinge einfach subtiler, reflektierter wahr. Es sind heute eher universelle anstatt kurzlebige, aktuelle Themen. Wie schon gesagt, wir sind Rockmusiker, nicht politische Aktivisten, wir bleiben bei dem, was wir gut können. Und außerdem, was ich immer gerne betone, wenn du 18 bist, wie ich, als ich die meisten Texte von „Eye For An Eye“ geschrieben habe, dann bist du einfach allwissend! Drei Jahrzehnte Lebenserfahrung lehren dich dann, dass die Dinge nicht ganz so einfach sind. Innerhalb der Band haben wir nicht immer die gleichen politischen Ansichten, also liegt der Fokus eher auf unserer kreativen Zusammenarbeit. Ich bin auch nicht wirklich scharf darauf, unsere unterschiedlichen Ansichten in einem Interview auszuschlachten.

Woody: Ich glaube einfach, dass manche Dinge auch länger relevant bleiben, wenn man etwas mehr Raum für Interpretationen lässt.

Und trotzdem, jetzt, 25 Jahre später, scheint es so, als seien die explizit politischen Themen in eure Songs zurückgekehrt, mit „The moneychangers“ und „Your tomorrow“ beispielsweise. Was war der Auslöser für diesen erneuten Kurswechsel in euren Texten?

Woody:
Ich bin nicht der Meinung, dass die politischen Themen überhaupt je weg gewesen sind.

Mike: Es gibt keine Regel ohne Ausnahme, und die genannten Songs sind Ausnahmen, wenn es darum geht, die aktuelle Politlandschaft zu kommentieren. Manche Themen sind einfach immer aktuell.

Zur Zeit von „Technocracy“ war die Band ausgesprochener Gegner der Reagan-Regierung und allgemein des Parteiprogramms der Republikaner. Ein paar Jahrzehnte später wirkt es, als ob ihr ähnlich enttäuscht seid von der Präsidentschaft von Obama. Was waren eure Erwartungen an ihn, falls ihr denn welche hattet? Und was hat er eurer Meinung nach falsch gemacht?

Woody:
Ich denke einfach, dass vieles gleich geblieben ist. „Business as usual“ – egal, wer gerade an der Macht ist.

Mike: In einigen Bereichen bin ich der Meinung, dass Obama eine riesige Verbesserung ist. Und es ist etwas Wunderbares, dass die amerikanische Öffentlichkeit sich dazu entschlossen hat, jemanden, der nicht weiß ist, für eine zweite Amtsperiode zu wählen. Aber in anderen, eher politischen Dingen fühlt es sich an wie eine weitere Amtszeit von Bush. Es stellt sich heraus, dass sie sich viele finanzielle Unterstützer teilen. Das heißt leider, dass vieles beim Alten geblieben ist, wenn man genauer hinschaut. Dennoch, wir können uns glücklich schätzen, dass wir hier leben.

Die USA sind so ein riesiges Land, was wären eurer Meinung nach sinnvolle Initiativen, um tatsächliche, reale Verbesserungen umzusetzen, angesichts der momentanen Krise?

Woody:
Hilf deinen Nachbarn, wann immer du kannst!

Mike: Verbanne das Großkapital aus den Wahlen. Es gibt Großunternehmen, etwa aus der Energiewirtschaft, die die Kandidaten finanzieren. Um das zu ändern, müsste man allerdings ein Urteil des Obersten Gerichtshofs wieder rückgängig machen. Der Beschluss nennt sich „Citizen’s United“. Die Richter entschieden, dass Unternehmen das gleiche Recht auf freie Meinungsäußerung haben wie die Bürger unseres Landes, und dass Wahlspenden eben auch eine Art von Meinungsäußerung sind. Wenn dieses Urteil widerrufen wird, können wir dieses Land wieder eine potenzielle Demokratie nennen, anstatt eine „Corporocracy“.

Themenwechsel: Ihr habt „Eye For An Eye/Six Songs With Mike Singing“ neu aufgelegt. Wie kam es dazu?

Woody:
Wir hatten schon eine Weile darüber nachgedacht, dann schlugen die Leute von Candlelight Records es auch vor. Das Timing schien einfach gut zu sein.

Mike: Meiner Meinung nach lenkt die Neuauflage leider eher davon ab, was wir sonst gerade machen.

Wie ist die Zusammenarbeit bisher mit Candlelight verlaufen?

Woody:
So weit, so gut. Sie überlassen uns das Musikmachen und sorgen dafür, dass die Sachen erhältlich sind, passt also.

Mike: Ich glaube, dass sie dabei sind, ihr Programm ein wenig zu erweitern. Mit ORANGE GOBLIN läuft es wohl sehr gut für sie. Die Firma entwickelt sich und sie sind verlässlich. Obwohl einiger ihrer „Extreme Metal“-Acts nicht wirklich unsere Baustelle sind, aber wir passen sowieso in keine Schublade.

Und wie kam der Deal für die „Megalodon“-EP zustande? Was für eine Firma ist Scion und warum haben sie den Gratis-Download der EP finanziert?

Mike:
Scion ist eine Tochter von Toyota. Die haben eine unabhängige Marketingfirma angeheuert, die Konzerte, Festivals und Releases von MELVINS, ST. VITUS und vielen anderen coole Bands sponsern. Ich muss gestehen, dass ich nicht wirklich beurteilen kann, inwieweit ihnen das beim Verkauf von Autos hilft.

Woody: Ich weiß auch nicht, wie sich das für Scion bezahlt macht, aber es war eine coole Sache für uns, Musik aufzunehmen und diese unmittelbar unter die Leute zu bringen.

Jetzt, da die EP draußen ist, was ist als Nächstes geplant?

Woody:
Wir arbeiten an neuen Songs für das nächste Album.

Mike: Genau, und hoffentlich erscheint es noch 2013.

In Brian Walsbys Comic-Zine Manchild #5 lag der Fokus auf der Szene in Raleigh, Anfang/Mitte der Achtziger, mit Schwerpunkt auf den frühen CORROSION OF CONFORMITY. Was war an Raleigh so besonders zu diesem Zeitpunkt?

Mike:
Die Stadt ist wahnsinnig gewachsen während der letzten Jahre. Damals musstest du deine eigene Szene erschaffen. Das Ergebnis war eine sehr eigenständige D.I.Y.-Musikszene.

Woody: Es gab einige gute Bands, und wir hatten einen coolen Club, um Shows zu veranstalten, für einen guten Anfang war also gesorgt.

Wenn man bedenkt, dass keine der anderen Bands mehr als ein paar Jahre durchhielt, was war dann so besonders an CORROSION OF CONFORMITY, dass ausgerechnet ihr diejenigen aus euer Heimatstadt seid, die seit mehr als drei Jahrzehnten fortbestehen?

Mike:
Hingabe an die Musik und nie zufrieden sein.

Woody: Ich glaube, es lag daran, dass wir einfach in den Bandbus stiegen und ständig auf Tour waren.

Zum Schluss: Gehen euch die ewigen Streitereien zwischen den Oldschool-Fans und denjenigen, die die Jahre mit Pepper als Sänger bevorzugen, auf die Nerven?

Mike:
Wenigstens ist es den Leuten wichtig genug, um darüber zu diskutieren. Jede Art von Werbung ist gute Werbung.

Woody: Mich stört das nicht, jeder wie er will. Würden alle das Gleiche mögen, wäre es schnell langweilig.