Es ist eine eigenartige Situation, sich nach dem Brexit, zwei Jahren Pandemie und kurz nach dem Ausbruch eines Krieges über das Thema Hoffnung zu unterhalten. Aber COLD YEARS haben ihrem zweiten Album mit voller Absicht den Titel „Goodbye To Misery“ verliehen. Frontmann Ross Gordon erklärt, wie man die Sicht auf das Leben verändern, aber trotzdem immer noch angepisst sein kann. Darüber hinaus gibt er einen interessanten Einblick in die Realität eines schottischen Musikers, dem die Brexit-Hölle nach wie vor mächtig zusetzt.
Euer neues Album heißt „Goodbye To Misery“. Ist es für einen jungen Mann wie dich nicht zu früh, schon Altersmilde einkehren zu lassen?
Nein, so ist es nicht. Die neue Platte ist ein großes „Fuck you“ in Richtung meines unglücklichen Daseins. So weit ich zurückdenken kann, gab es immer irgendwelche privaten Turbulenzen und negativen Dinge, die mir passiert sind und von denen ich mich habe runterziehen lassen. Irgendwann war der Punkt gekommen, an dem ich das all das mal hinter mir lassen und glücklich sein musste. In den letzten zehn Jahren hatte ich viel Wut in mir, die ich falsch kanalisiert habe, auch in meinen Songs und öffentlichen Kommentaren. Es ist aber auch möglich, auf positive Weise mit Problemen und Aggressionen umzugehen. Auf diesen Ansatz konzentriert sich das neue Album.
Es überrascht, dass sich dieser Sinneswandel bei dir ausgerechnet inmitten einer Pandemie vollzogen hat. Zudem habt ihr als Band sicherlich auch mit den Auswirkungen des Brexits zu kämpfen ...
Man darf Großbritannien nicht als Ganzes sehen. Ich bin nicht stolz darauf, Brite zu sein – ich hasse mein Land. Ich bin Schotte und stamme aus einer Kultur, in der man tolerant, höflich und großzügig ist und sich um seine Mitmenschen kümmert. Dem gegenüber steht Großbritannien, dessen Regierung diese Werte nicht einmal ansatzweise vertritt. Das sind selbstsüchtige Kriminelle, die niemandem dienen als sich selbst. Sie haben die Pandemie völlig falsch gehandhabt und das Land mit dem Brexit in eine Position gebracht, in der hier in Schottland niemand sein wollte. 62% haben dagegen gestimmt. Wir wollten Teil der EU bleiben, aber wir hatten keine Kontrolle darüber. Deswegen dürfen wir auch wütend sein und uns gegen Boris Johnson und die Tories auflehnen. Nur die neue Platte kam mir dieses Mal nicht wie das richtige Mesium dafür vor. Bei uns geht es um die Beobachtung, dass Großbritannien tot ist und dieses Land nichts mehr ist, worauf man stolz sein kann. Es scheint hier bloß noch um das Abfeiern des Imperialismus und Kolonialismus zu gehen, auf den wir unbedingt stolz sein sollen. Aber solche Konzepte sind für mich tot und haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Die Zeiten ändern sich und eines Tages wird es auch positive Entwicklungen geben, darum geht es auf „Goodbye To Misery“: Es ist die Hoffnung, dass uns eines Tages etwas Besseres widerfahren wird.
Aber begreifen sich die Leute aus Schottland denn nicht ohnehin in erster Linie als Schotten?
Das ist tatsächlich geteilt. Du findest hier definitiv Leute, die sich als Briten bezeichnen. Leider geht es hier immer noch um Dinge wie reich gegen arm oder Religion, also alles Sachen, auf die ein Land eigentlich nicht stolz sein kann. Außerdem haben wir ein großes Problem mit Sekten in Schottland. Und dann gibt es auch einfach Leute, deren Wahlentscheidung davon beeinflusst wird, welchem Fußballverein sie anhängen. Abgesehen davon glaube ich, dass die Menschen, die progressiv denken sowie ein bisschen aufgeschlossener und toleranter sind, sich schon in erster Linie als Schotten bezeichnen. Ich persönlich möchte einfach nur in einem Land leben, in dem wir Menschen aus anderen Nationen und Kulturen respektieren. Wir sollten Einwanderer und Schutzsuchende willkommen heißen, ganz egal, ob jemand aus ökonomischen Gründen oder aufgrund eines Krieges zu uns kommt. Und dann geht es mir natürlich auch darum, dass ich frei reisen kann. Seit dem Brexit ist das Buchen einer kompletten Europatour ein heilloses Desaster geworden.
Die Tatsache, dass ihr Schotten seid, ist auf der Platte prinzipiell nicht rauszuhören. War es eine bewusste Entscheidung, den schottischen Akzent komplett unter den Tisch fallen zu lassen? Für viele andere ist das ja sogar ein Alleinstellungsmerkmal und Verkaufsargument.
Wenn du mit mir in meiner Heimatstadt im Pub abhängst, wirst du wahrscheinlich nicht ein Wort von dem verstehen, was ich sage, haha. Was unsere Musik betrifft, sind wir eher vorsichtig, weil es uns wichtig ist, dass so viele Menschen wie möglich unsere Message verstehen. Außerdem denke ich, dass Bands ihre schottische Herkunft oft überbetonen, so dass es für Schotten schon gar nicht mehr authentisch klingt. Bei der Sache geht es ja auch nicht nur um deine Herkunft, sondern auch darum, welchen Einflüsse dein Sound hat und wie du klingen möchtest. Nimm zum Beispiel eine Band wie OASIS: Wenn Liam oder Noel Gallagher singen, hört man ihnen ja auch nicht an, dass sie aus Manchester kommen.
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