Die RAMONES sind tot, es leben die RAMONES! Wenige Monate nachdem mit Tommy der letzte der vier Gründerbrüder dahinschied, ist Ex-Bassist CJ mit einem neuen Album am Start. Es ist die nächste Hommage an die unsterbliche, 1974 gegründete New Yorker Punk-Legende. Geschrieben von einem, der – so stellt es sich im Gespräch heraus – sich mehr als Fan denn Musiker und ehemaliges Bandmitglied fühlt.
CJ, beginnen wir mit einem traurigen Thema. Tommy Ramone starb kürzlich als letztes Gründungsmitglied. Du warst zwar nie mit ihm gemeinsam in der Band, dennoch wirst du als ein späteres Bandmitglied und somit Teil der Historie beurteilen können, welchen Einfluss er auf die RAMONES hatte.
Das ist wirklich traurig. Ich habe Tommy mehrere Mal getroffen – zum ersten Mal bei einer Show im CBGB’s. Er war ein total netter Kerl, ganz locker und zuvorkommend, und hat mich stets mit Respekt behandelt. Er erwähnte mich sogar in seiner Rede, die er hielt, als die RAMONES in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurden. Das war ja nicht selbstverständlich. Wirklich ein toller Typ! Was seinen Einfluss angeht? Ganz klar, Tommy war derjenige, der für den RAMONES-Sound verantwortlich war. Denn wenn man sich die Karriere der Band anschaut, dann wird man feststellen, dass die ersten vier Alben die besten sind. Da ist jeder Song ein Klassiker. Ein Ausrufezeichen! Es gibt keinen Ausfall. Und auf den ersten drei spielte Tommy selber, das vierte produzierte er mit. Danach dann, bei „End Of The Century“, kam Phil Spector als Produzent hinzu. Tommy war nicht mehr beteiligt. Und es ist das erste Album, das nicht mehr großartig geworden ist. Es enthält viele Songs, die nur Lückenfüller sind. Außerdem erzählte Johnny mir mal, dass es Tommy war, der die Idee zum RAMONES-Outfit und zum bekannten Image der Band hatte. Er kam als Erster mit Lederjacke und Sneakers an. Als ich Tommy einmal darauf ansprach, antwortete er mir nicht, sondern lächelte nur ... Wenn ich all das bedenke, dann kann ich letztendlich überhaupt nicht verstehen, warum so wenige Menschen wissen, wie wichtig Tommy für die RAMONES wirklich war. Die meisten denken, Joey und Johnny seien gerade zu Beginn der Karriere die treibende Kraft gewesen. Was für ein Blödsinn!
Der Kreis der noch lebenden RAMONES-Mitglieder wird somit immer kleiner, übrig geblieben sind nur noch Marky, Richie – und eben du. Inwiefern fühlst du dich dazu verpflichtet, das Erbe der Band zu verwalten und den nachkommenden Generationen zu vermitteln, wie groß und wichtig die RAMONES waren?
Ich fühle mich definitiv verantwortlich dafür, den Menschen zu zeigen, dass die RAMONES lebendig sind, dass sie immer noch in gewisser Weise leben. Wobei das bei mir weniger an meiner Rolle als ehemaliges Mitglied der Band liegt. Es resultiert vielmehr aus meiner Perspektive als lebenslanger Fan. Das ist der Grund für meine Hingabe an die RAMONES. Und ich glaube, dass ich diese Aufgabe bislang auch immer mit viel Respekt und sehr gewissenhaft erledigt habe. Ich habe beispielsweise immer darauf geachtet, für meine Bands nach den RAMONES, für meine Soloplatten und für meine Tourneen nur Musiker mit ins Boot zu holen, die die RAMONES ebenso sehr verehren, wie ich das tue. Ob das Steve Soto von den ADOLESCENTS, Brant Bjork von KYUSS oder Jonny „Two Bags“ und David Hidalgo Junior von SOCIAL DISTORTION sind – sie alle empfinden ebenso viel Liebe und Respekt den RAMONES gegenüber wie ich selber.
Das sind viele bekannte Namen. Es scheint so, als ob manch ein Star der Punk- oder Rockszene geradezu darauf brennt, einem ehemaligen Ramone wie dir zu helfen.
Diese Leute haben auf jeden Fall verstanden, welchen Stellenwert ein Album wie „Reconquista“, meine letzte Soloplatte, für mich hat. Sie verstehen, dass ich damit den RAMONES-Gedanken, das Erbe weitergeben möchte, und wollen ein Teil davon sein.
Ein gutes Stichwort. Bei unserem Interview zu eben jener Platte, „Reconquista“, sprachst du unmissverständlich von einem RAMONES-Tribute-Album. Ist „Last Chance To Dance“, dein neues Album, das demnächst erscheint, also Tribute-Album Nummer zwei?
Ja. Denn machen wir uns nichts vor, letztlich wird alles, was ich musikalisch bis zum Ende meines Lebens machen werde, ein Tribut, eine Hommage an die RAMONES sein. Es gibt keine Alternative dazu. Nicht umsonst bin ich ja als Musiker nach wie vor CJ Ramone – und nicht Christopher Joseph Ward. Ich verdanke den RAMONES als Musiker alles. Sie haben einen unfassbar großen Einfluss auf mein Leben. Trotzdem muss ich sagen: Auch wenn die RAMONES meine Musik wie keine andere Band beeinflusst haben, lege ich es nicht wie verrückt darauf an, auch haargenau so wie sie zu klingen. Ich versuche trotz allem schon, meinen eigenen Stil einzubringen. Ich klammere mich nicht krampfhaft an den RAMONES-Sound. Ich lasse die Musik aus mir herausfließen. Sie entsteht spontan. Das ist ein natürlicher Prozess.
Bislang kennt noch niemand deine neuen Songs. Das Album wird erst Ende November veröffentlicht. Verrate doch schon mal, was die Leute genau erwartet?
Ganz einfach: Wenn sie „Reconquista“ mochten, werden sie auch die neue Platte mögen. Sie ist musikalisch ähnlich. Wohlgemerkt: ähnlich, nicht gleich. Der Unterschied ist: Auf „Reconquista“ sind mehr dunkle, tragische Songs – was einigen Dingen geschuldet war, die ich damals privat erlebt hatte. Die Stücke auf „Last Chance To Dance“ sind optimistischer, fröhlicher. Und es gibt es die eine oder andere Überraschung ... Ich habe meinem Freund Flo Hayler, dem das Ramones-Museum in Berlin gehört, einen der neuen Songs vorgespielt – und er sagte zu mir: „CJ, das ist doch eher Metal als Punk!“ Hahaha!
Für „Reconquista“ hast du seinerzeit kein Label gefunden. Die Platte entstand per Crowfunding. Wie sieht es jetzt aus?
Sehr gut! Ich habe für „Last Chance To Dance“ endlich ein richtiges, ein großes Label gefunden: Fat Wreck! Dass sie mich wollten, ist für mich eine riesige Erleichterung. Ich kann mich endlich ausschließlich um das kümmern, was wichtig ist – die Musik.
Bist du trotz der Widrigkeiten damals – du hattest kein Label und musstest „Reconquista“ nach eigenen Angaben dreimal aufnehmen – denn zufrieden damit, wie deine erste Soloplatte von den Leuten aufgenommen wurde?
Ja. Ich bin vor allem zufrieden damit, wie die Fans diese Platte aufgenommen haben. Ich habe noch nichts Schlechtes, keine kritischen Aussagen darüber gehört. Und das macht mich sehr stolz!
Du warst im vergangenen Jahr auf Tour und hast auch mehrere Konzerte in Deutschland gespielt, unter anderem im Vorprogramm von DIE TOTEN HOSEN. Wie war das für dich, nach so langer Zeit wieder hierzulande – wo es ja eine große RAMONES-Fanbase gibt – unterwegs zu sein?
Es war großartig. Vor allem natürlich die Auftritte mit den Hosen in diesem Stadion in Düsseldorf. Wir haben mit den RAMONES ja nie in Stadien gespielt ... außer in Südamerika, da war die Band immer eine große Nummer. In den USA, in unserer Heimat, war das nie der Fall. Wir waren sogar in Europa bekannter und beliebter als in den Staaten. Deshalb würde ich am liebsten jedes Jahr zu euch rüberkommen! Das ist es in jeder Hinsicht angenehmer und schöner als anderswo.
„Last Chance To Dance“, wie ist das gemeint?
„This is the last chance to dance“, habe ich bei RAMONES-Konzerten immer ins Mikrofon gesagt, wenn der letzte Song des Sets anstand. Und wenn ich jetzt sehe, dass Joey, Johnny, Dee Dee, Tommy und auch jemand wie der Band-Designer und -Freund Arturo Vega tot sind und das Erbe der RAMONES in anderen Händen liegt, bekommt dieser Titel natürlich zusätzliches Gewicht. Ich weiß ja selber nicht, wie lange ich noch Musik machen werde ... Ich werde Musik machen und auf die Bühne gehen, solange es geht, solange ich es schaffe. Aber wie lange das geht, das liegt eben nicht in meiner Hand. Das weiß nur der liebe Gott. Das kann morgen vorbei sein. Oder in Jahren. Wer weiß. Und aus diesem Grund liebe ich diesen Namen für die Platte.
Gab es Unterschiede bei den Aufnahmen jetzt im Vergleich zu „Reconquista“?
Um ehrlich zu sein, es lief ähnlich. Steve Soto war wieder dabei. Die beiden eben erwähnten Jungs, Johnny und David von SOCIAL DISTORTION. Alles wie gehabt.
Vor „Reconquista“ warst du einige Jahre von der Bildfläche verschwunden. Jetzt veröffentlichst du das zweite Album innerhalb von eineinhalb Jahren ...
Damals war ich für eine Weile wegen privater Dinge, wegen der Familie musikalisch nicht mehr aktiv. Aber als ich ungefähr 2009 wieder damit begann, Songs zu schreiben, hatte es mich wieder gepackt. Und jetzt bin ich wieder richtig gut dabei. Mein Ziel ist es sowieso immer schon gewesen, fünf Alben in fünf Jahren aufzunehmen, haha. Ich habe jedenfalls jetzt schon Songs für die nächste Platte fertig. Ich schreibe unheimlich viele Stücke. Und ich bin keiner, der sich die besten rauspickt für eine Platte und den Rest in die Tonne haut. Ich will alles veröffentlichen. Ich liebe es, voranzugehen und immer weiterzumachen. Was ich aufnehme, das kommt auch auf die jeweils aktuelle Platte.
Wie ist das, wenn du beim Konzert auf der Bühne stehst und „Blitzkrieg Bop“ und Co. schredderst – denkst du da jeden Abend: „Schon wieder dieselben Songs. Eigentlich covere ich ja nur RAMONES-Stücke“? Oder hast du eher Flashbacks am laufenden Band und erinnerst dich an Auftritte von damals?
Ganz klar letzteres. Ich liebe es einfach, die alten Songs live zu spielen. Und ich denke, meine Musiker und ich schaffen es auch, sie mit dem entsprechenden RAMONES-Geist rüberzubringen und die Atmosphäre von damals einzufangen. Und das ist für mich kein Covern. Das ist ganz einfach das, wofür ich da bin, wofür ich geboren wurde. Und genau deshalb habe ich schon sehr oft Flashbacks. Da kommen sehr häufig Erinnerungen an früher hoch – und seien es die an meine ersten Konzerte, bei denen die Fans mich noch umbringen wollten, weil ich Dee Dees Platz eingenommen hatte. Wunderbar, haha!
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