16.02. Berlin. Morgens um halb fünf trifft sich unsere kleine Reisegruppe, bestehend aus Bassist Süni, Drummer Jens, meiner Frau Lea und meiner Wenigkeit, Uli, Sänger von COC, im Wild at Heart. Wir fahren mit dem Taxi durch das menschenleere Berlin zum Flughafen Tegel. Vom Bass und der Gitarre haben wir die Hälse abgeschraubt und die Einzelteile im Aufgabegepäck verstaut. Dazu noch CDs und T-Shirts und so wenig wie möglich privates Gepäck, da uns eine Temperatur von über 30° Celsius angedroht worden war. 13 Stunden, vier Kinofilme und eine Äquatorüberquerung später landen wir um 21 Uhr Ortszeit in der argentinischen Hauptstadt. In der Haupthalle werden wir von Manu und Ilan, dem Drummer und dem Bassisten der ARGIES, in Empfang genommen. Ihr Sänger David, der mittlerweile in Dorsten lebt, hat die Tour für uns organisiert. Nach einer überschwänglichen Begrüßung verlassen wir das Flughafengebäude und werden buchstäblich von der Hitze in den Boden gerammt. Wir sind hier auf dem Höhepunkt einer Hitzewelle angekommen. In einem angemieteten Mini-Van fahren wir in das Stadtzentrum zu unserem Hostel und gehen nach dem Check-in noch schnell in die nächste Bar um die Ecke. Wir sind am Verdursten. Zu unserer Freude kommen die Bierflaschen hierzulande in der 1-Liter-Version, von denen wir etliche bestellen, um anschließend in ein gepflegtes Koma zu fallen.
17.02. Buenos Aires. Dank des lautesten Gewitters, das wir je erlebt haben, wird es dann doch eine eher eine ruhelose Nacht. Dafür hat es sich etwas abgekühlt. Frisch geduscht machen wir uns auf ins Zentrum. Wir nehmen die U-Bahn, die direkt vor unserer Tür losfährt. Vom Plaza de la República aus marschieren wir kreuz und quer durch die Altstadt, um uns einen Eindruck zu verschaffen. Abends nehmen wir unser erstes landestypisches Mahl ein, gegrillte Fleischberge. Dazu Rotwein und Bier aus 1-Liter-Flaschen.
18.02. Buenos Aires. Wir wollen in das alte Hafenviertel La Boca. Und natürlich zum legendären Stadion der Boca Juniors, einem der berühmtesten Fußballclubs der Welt. Also wieder mit der U-Bahn bis zur Station Constitución. Es ist immer noch unerträglich heiß. Fast niemand ist unterwegs, von 13 bis 17 Uhr ist Siesta angesagt, nur irgendwelche bekloppten Ausländer wie wir quälen sich durch die Mittagshitze. Nach einem schier endlos anmutenden Marsch sehen wir den gelb-blauen Betonklotz. La Bombonera, das berühmte Stadion der Boca Juniors. Wir spazieren durch die engen Gassen des wunderschönen alten Viertels mit den bemalten Häusern, teilweise aus Wellblech, die bis an das Stadion heran gebaut sind. Überhaupt hat die Stadt ein starkes süditalienisches Flair. Kein Wunder bei nahezu 40% italienischstämmiger Bevölkerung. Zum Nachmittag sind wir wieder zurück in der Innenstadt und machen uns auf den Weg zur Radiostation „LaBici“ für ein Interview. Abends werden wir ausgeführt, allerdings geht hier vor 23 Uhr niemand aus. Vanessa, die Freundin von Manu, bringt uns in ihre Lieblingspizzeria Güerrin.
19.02. Zárate. Heute geht es los. Wir packen unseren Kram und machen uns auf zur Autovermietung, ich habe Kompaktklasse gebucht ... Irgendwie passt dann auch alles, was wir mitgebracht haben, in die Kiste und es geht los durch die Rush Hour von Buenos Aires. Trotzdem schaffen wir es einigermaßen zügig auf die Autobahn und raus aus der Stadt – und sehen zum ersten Mal die sogenannte Pampa. Endlose Grasflächen, ab und zu ein paar Bäume, Wasserlöcher und Vieh. Der Club in Zárate, in dem wir heute auftreten, heißt Superfreak und ist nur einen Steinwurf von unserer Unterkunft entfernt. Heute spielen wir zum ersten Mal mit den Bands BACOSPUNK und FOLEY, die uns noch weiter begleiten werden. Wir verstehen uns auf Anhieb und dürfen ihre komplette Backline benutzen. Heute ist unser erster Gig überhaupt mit Jens am Schlagzeug, der für die Tour eingesprungen ist. Das Konzert startet um 0:30 Uhr. Das ist hierzulande wohl normal. Die beiden Bands, mit denen wir spielen, sind überdurchschnittlich gut. Trotzdem zocken wir um drei Uhr morgens unsere Show souverän runter und müssen mehrere Zugaben spielen. Feuertaufe bestanden. Um fünf Uhr früh fallen wir etwas angetrunken in unsere Stockbetten.
20.02. Rosario. Die drittgrößte Stadt Argentiniens befindet sich weiter nordwärts am Río Paraná. Auf dem Weg dorthin passieren wir Dutzende von Verkaufsständen an der Autobahn, jeweils angekündigt von bunten Wimpeln. Leider gibt es nie eine Abfahrt und auch keinen Seitenstreifen. Also fassen wir uns irgendwann ein Herz, checken den Rückspiegel und legen eine Vollbremsung auf der Wiese hin. So macht man das hier. Wir essen Choripán, das ist Chorizo in Brot, kaufen Landwein, Käse und luftgetrocknete Salami. Rosario selbst ist dann überhaupt nicht so heruntergekommen, wie es uns beschrieben wurde, als das Detroit Argentiniens. Die Stadt macht einen recht hübschen Eindruck. Heute werden es fünf Bands sein. Unsere Freunde von gestern, dazu noch RADICAL RADIO und die Lokalmatadore ZONA 84. Wir bieten ihnen höflichst an, den Headliner zu geben. So sind wir an vierter Position. Einige Pizzas und große Bierflaschen später geht es dann los. Das Konzert ist sehr gut besucht. Ich muss zu ZONA 84 auf die Bühne und einen mir unbekannten Song mit ihnen singen. Dann noch ein ausgedehntes Crowdsurfing, wobei meine Hose komplett zerfetzt wird. Was für ein Abend!
21.02. San Pedro. Auf halber Strecke zurück Richtung Hauptstadt liegt San Pedro. Hier lebt ein Teil meiner Verwandtschaft, die ich noch nie getroffen habe. Mein Großcousin Wolfgang organisiert das Konzert. Ich bin wahnsinnig aufgeregt. San Pedro ist eine Kleinstadt und liegt etwas abseits der Autobahn. Wir warten in einem Straßencafé und werden von meinem Großonkel Klaus und seiner Frau Ana abgeholt. Später kommt noch Wolfgang dazu und wir lernen uns erst einmal kennen. Ana betreibt ein Restaurant in der Fußgängerzone und wir werden direkt gegenüber einquartiert. Wie immer begeben wir uns spät abends zum Club. Es gibt eine örtliche Gruppe, die mit uns spielt: DTLP!. Der Veranstaltungsraum hat kein Dach und befindet sich mitten im Zentrum. Es ist bereits Mitternacht, als die erste Band auf die Bühne geht. Auf meine Nachfrage lacht Wolfgang nur und meint, es gäbe kein Ruhestörungsgesetz in Argentinien. Meine Verwandtschaft ist komplett angetreten, sowie eine bunte Mischung von Gästen, inklusive Kleinkindern. Ein toller Abend.
24.02. San Bernardo. Nach zwei Off-Days sind wir an der Küste angelangt, und wow, von unserer Unterkunft sind es nur hundert Meter bis zum Strand. Dort verbringen wir den ganzen Tag. Sonne, Sand und Wellen satt. Am späten Abend geht es nach San Bernardo, einem der circa zwanzig Badeorte entlang der Küste. Das Konzert ist in einer Bar. Es gibt keine Bühne, wir spielen zu ebener Erde. Die andere Band heißt SI FUERAN FLORES und macht eher funkigen Rock. Es erscheint auch nur eine Handvoll Leute. Das ist uns aber egal. Wir haben trotzdem Spaß und rocken für die Anwesenden und das Barpersonal.
25.02. La Plata. Da wir heute nicht ganz so weit fahren müssen, nutzen wir unsere günstige geografische Lage und gehen erst mal baden. La Plata, ursprünglich eine eigene Stadt mit einer Million Einwohnern, mittlerweile an Buenos Aires herangewachsen, ist unser nächstes Ziel. Der Club Pura Vida ist ein amtlicher Punkrock-Laden. Oben drüber befindet sich sogar eine Radiostation, wo wir ein Interview geben. Einmal mehr sind wir die erste europäische Band, die hier auftritt. Heute spielen wir mit 101 MOTIVO und EL SÓTANO. Süni wird von ihnen auf die Bühne geholt und muss „Pretty vacant“ von den SEX PISTOLS singen.
26.02. Hurlingham. Wir beziehen Quartier in Buenos Aires, von dort aus geht es abends nach Hurlingham, einen Stadtteil von Buenos Aires. Wie immer brauchen wir nicht vor 23 Uhr da sein. Der Laden heißt El Bar und befindet sich auf einer Art Vergnügungsmeile. Überall auf der Straße stehen aufgetakelte Kids vor Diskotheken Schlange. Es findet sich bunt gemischtes Publikum ein. Manche davon haben sich wohl eher zu uns verirrt, inklusive einiger Metal-Fans, die aber euphorisch abrocken. Es spielen außerdem noch unsere Freunde BACOS PUNK und FOLEY. Wie bisher überall freuen sich die Leute über uns und unseren Sound. Wir spielen Zugaben, verkaufen ordentlich Merch und machen Fotos mit unseren neuen „Fans“.
27.02. Buenos Aires. Heute spielen wir im legendären Salon Pueyrredon. Alle haben uns von dem Club erzählt. Und tatsächlich ist es ein wunderschöner Laden im ersten Stock eines alten Hauses direkt auf Santa Fe, einer der Hauptverkehrsstraßen. Über eine steile Marmortreppe gelangt man in den Club. Die Decken sind sechs Meter hoch. Nach vorne, zur Straße hin, kann man auf kleinen Balkonen stehen, in der Mitte befindet sich die Bar und im hinteren Teil die Bühne. Was für ein Finale. Das Konzert ist dann wahrscheinlich das beste, das wir auf der Tour spielen. Wir feiern noch ausgiebig und begießen unseren Tourabschluss. Wir können noch nicht so richtig glauben, dass alles schon wieder vorbei ist und sind überwältigt von den Eindrücken. Unser Dank geht an alle, die für uns organisiert, mit uns gespielt, uns zugehört und mit uns gefeiert haben. Wir hatten die beste Zeit unseres Lebens.
Uli
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