Chris Walter wuchs in Winnipeg, Kanada auf. Er kam früh mit Drogen in Kontakt, flog von der Schule und zog mit 15 von zu Hause aus. 1980 gründete er ein Fanzine und sammelte so erste Erfahrungen im kreativen Schreiben. Er war fast vierzig, als er mit „Beer“ sein erstes Buch veröffentlichte. 1991 zog er nach Vancouver und sein Drogenkonsum geriet völlig außer Kontrolle. Er wurde obdachlos und es dauerte bis 2001, ehe er endlich clean wurde. Von da an widmete er sich voll und ganz dem Schreiben. Neben Romanen und Kurzgeschichten hat er Bandbiografien über SNFU, DAYGLO ABORTIONS und PERSONALITY CRISIS veröffentlicht.
Chris, stell dich bitte kurz vor ...
Ich bin Hausmann, Vater, Vollzeit-Autor und mein Leben lang Fan von Punkrock und allem, was damit zusammenhängt. Ich warf eine vielversprechende Karriere als Bauarbeiter zum Fenster raus, um Schriftsteller zu werden. Es fing mit Kurzgeschichten und Romanen an, aber irgendwann verlagerte sich meine Arbeit immer mehr auf Punk-Geschichte, als ich feststellte, dass kein anderer über die Bands schrieb, die ich liebe. Es gibt nur wenige Bücher über kanadische Punkbands und das möchte ich ändern. Vielleicht fange ich eines Tages an, über Bands aus anderen Ländern zu schreiben, aber vorerst bleibe ich bei Kanada.
Und wann fingst du mit dem Schreiben an?
Das Ganze ging 1998 los, weil ich dachte, dass ich, wenn ich sterbe, irgendetwas hinterlassen wollte. Nachdem ich in dem Jahr zweimal fast an einer Überdosis Heroin draufgegangen wäre, klaute meine Freundin einen Stapel Papier von ihrer Arbeitsstelle und ich schrieb mein erstes Buch auf diesem Papier. Ich besaß weder eine Schreibmaschine noch einen Computer, also schrieb ich alles mit der Hand und schickte die Entwürfe zu meiner Mutter nach Winnipeg, die alles abtippte und mir wieder zurückschickte. Ein sehr aufwendiger Prozess, aber schließlich war mein erstes Buch „Beer“ fertig. Es dauerte Jahre, bis ich begriff, dass mein Leben, so wie ich es jetzt lebe, so viel wichtiger ist als das, was ich hinterlasse. Seit 1998 habe ich 23 Bücher geschrieben, sie handeln alle von Punks, Alkoholikern, Junkies und Huren. Ich bin zwar inzwischen clean, aber dieses Klientel wird mir immer am Herzen liegen.
Wann und warum hast du Gofuckyourself Press gegründet?
Ich fing mit GFY Press an, nachdem 2002 mein drittes Buch „Punk Rules OK“ erschienen war. Als Burn Books es nicht schaffte, das Buch in den großen Buchläden und Ketten zu platzieren, verstand ich allmählich, dass sie nichts für mich tun konnten, was ich nicht auch selbst schaffen würde. Abgesehen davon, dass sie ihren Autoren eine gewisse Seriosität verleihen, haben die meisten kleinen Verlage nicht die Macht, die großen Märkte zu erreichen, also habe ich schlicht und einfach den Mittelsmann eliminiert. Meine Freundin arbeitet nach wie vor in einer Druckerei und so kann ich die meisten meiner Bücher zu einem Preis herstellen, der mir eine vernünftige Gewinnspanne übrig lässt. Der schwierigste Teil ist der Vertrieb. Viele Buchläden machen zu, was bleibt, sind Platten- und Punk-Klamotten-Läden.
Du machst keinen Hehl aus deiner eigenen Drogenvergangenheit. Welchen Einfluss hatten diese Jahre auf deine Arbeit?
Die ersten drei Bücher schrieb ich, bevor ich clean wurde. Ohne Drogen fokussierte ich mich darauf zu schreiben, und das wurde meine neue Droge. Ich schreibe jeden Tag und so viel, wie ich kann. Wenn ich nicht eine Freundin und einen 14-jährigen Sohn hätte, der bei mir lebt, würde ich wahrscheinlich nie das Haus verlassen. Ich würde vielleicht sogar so weit gehen zu sagen, dass mein Drogenkonsum weniger Einfluss auf meiner Arbeit gehabt hat als mein Suchtverhalten an sich. Ich übertreibe es immer irgendwie, aber ich habe das Glück, mit dem Schreiben etwas gefunden zu haben, das mich nicht umbringen wird.
Viele Menschen, Leser wie Autoren, sind fasziniert von den dunklen Seiten des Lebens. Denkst du, dass man so gelebt haben muss, um darüber schreiben zu können?
Die dunkle Seite existiert in jedem, aber nur einige von uns machen sich auf die Suche nach ihr. Ich ertappe mich heute noch manchmal dabei, wie ich fasziniert starre, wenn ich durch das Drogenghetto von meiner Heimatstadt fahre, aber ich verspüre keinerlei Wunsch, zu den Drogen zurückzukehren. Diejenigen, die über Sucht schreiben, leben auf eine Art und Weise dieses Leben, ohne die eine entscheidende Grenze zu überqueren und ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Ich kann nicht wirklich erklären, warum ich mich immer noch zu dem Thema hingezogen fühle, aber alle, die über Sucht schreiben, reagieren auf irgendeine innere, destruktive Anziehungskraft.
Wo hört bei dir das Autobiografische auf, wo fängt die Fiktion an?
Abgesehen von den Bandbiografien und einer Trilogie, die aus autobiografischen Erinnerungen bestand, sind all meine Bücher oder Kurzgeschichten frei erfunden. Die meisten meiner „erfundenen“ Charaktere basieren allerdings auf Menschen, denen ich im wirklichen Leben begegnet bin, ich mische sie lediglich ein wenig durcheinander.
Welche der Stilarten ist einfacher anzugehen und was sind die größten Unterschiede, wenn man sich auf ein neues Projekt vorbereitet?
Bei Romanen ist es im Unterschied zu Biografien so, dass ich einfach alles schreiben kann, was mir in den Sinn kommt. Bei den Biografien dagegen muss ich gewissenhaft recherchieren und bei der Wahrheit bleiben, wenn ich über Bands schreibe. Bei Romanen kommt es einem so vor, als ob man dafür bezahlt werden würde zu lügen. Die Musikerbiografien verkaufen sich jedoch besser, also konzentriere ich mich heutzutage hauptsächlich darauf. Es ist der beste Job, den ich je hatte.
Was ist das Geheimnis, also die wichtigste Zutat, für eine gute Geschichte?
Es kommt darauf an, welche Art von Geschichte du schreiben möchtest. Ich möchte für gewöhnlich etwas Lustiges oder Schreckliches schreiben, etwas, das bei den Lesern hängen bleibt, lange nachdem sie das Buch zugeklappt haben. Ich möchte, dass sie lachen oder weinen, am besten beides.
Ich fand dein Buch über SNFU phänomenal! Ich habe noch nie eine Bandbiografie gelesen, die das Leben auf Tour dermaßen auf dem Punkt bringt – und die Sucht danach. Verglichen mit SNFU waren DAYGLO ABORTIONS dagegen, zumindest in Europa, nicht viel mehr als eine Kultband Mitte der Achtziger. Und PERSONALITY CRISIS kennen heute wahrscheinlich nur noch eine Handvoll Leute. Sind diese beiden Bands wirklich so groß in Kanada, dass ein Buch über sie „gerechtfertigt“ ist?
Als ich Ende der Siebziger draußen in Winnipeg, mitten in der Prärie, anfing, mich für Punkrock zu interessieren, waren PERSONALITY CRISIS die mit Abstand angesagteste Band in Kanada. Ich schrieb das Buch, um ihnen Tribut zu zollen, obwohl sie sich schon 1984 auflösten. Es verkaufte sich ziemlich gut, und ich schlussfolgerte, dass ich noch mehr Bücher verkaufen könnte, wenn ich über eine legendäre Punkband schreiben würde, die weiterhin aktiv ist. Und ich hatte recht, das Buch über DAYGLO ABORTIONS verkaufte sich ausgezeichnet in Kanada, sie sind hier genauso populär wie SNFU, sie hatten in Europa aber nie deren Präsenz.
Planst du weitere Bandbiografien?
Ich bin kurz davor, mein neues Buch über die Celtic Punks THE REAL McKENZIES fertig zu stellen. Deren deutscher Booker Mutti holt die Band seit 2000 immer wieder nach Europa. Er gab mir eine Liste mit Tourdates als Gedächtnisstütze für die Bandmitglieder, und sie fingen an, sich an ihre wildesten Tourgeschichten zu erinnern. Ich habe noch nie so aufwendig recherchieren und buddeln können wie für dieses Projekt und ich bin sehr gespannt darauf, wie das Buch ankommen wird. Ich habe diesmal, soweit es ging, meine persönliche Meinung außen vor gelassen, das Gleiche gilt für allzu rührselige Betrachtungen seitens der Beteiligten. Stattdessen lasse ich die Band und die Leute um sie herum zu Wort kommen. Dabei habe ich das Gefühl, dass ich jetzt endlich dabei bin zu lernen, wie man eine Musikerbiografie richtig schreibt. Das Buch erscheint im März 2015 und ich hoffe, dass die Leute die Geschichte der REAL McKENZIES genauso faszinierend finden werden, wie ich es tue. Wenn es klappt, werde ich mit der Band touren, um „Under the Kilt: The Real McKenzies Exposed“ zu bewerben, vielleicht sogar in Europa.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #113 April/Mai 2014 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #117 Dezember 2014/Januar 2015 und Kent Nielsen