Die CHERUBS aus Austin, Texas sind alter Noise-Rock-Adel, existierten von 1991 bis 1994 und fanden 2014 wieder zusammen. Auf Relapse kam 2019 das Album „Immaculada High“, nun ist die kyrptisch betitelte EP „Slo Blo 4 Frnz & Sxy“ erschienen, zu der ich Kevin Whitley (Gitarre, Gesang) einige Fragen stellte.
Kevin, wir haben uns das letzte Mal 2019 gesprochen, als gerade euer Album erschienen war. Wie waren die Reaktionen?
Die Platte ist wohl sehr gut aufgenommen worden. Oder die Leute, die sie nicht mochten, haben zumindest respektvoll geschwiegen ... danke dafür. Es gab eine Rezension, in der es hieß: „Es klingt, als würden sie alle zusammen in einem Raum spielen – warum sollte man so was tun?“ Das hat uns zum Lachen gebracht. Wir hatten uns sehr viel Mühe gegeben, um diesen Eindruck zu vermitteln. Es ist schön, etwas zu veröffentlichen, von dem man glaubt, dass es halbwegs gelungen ist, oder das man zumindest ziemlich mag. Das ist wirklich alles, was man tun kann. Ob die Leute es mögen oder nicht, liegt nie an dir.
Habt ihr die Songs des Albums noch vor Publikum spielen können?
Ja, es war schön, dass wir noch touren und diese Songs live spielen konnten, ehe die Pandemie zuschlug. Unsere letzte Show war mit FLIPPER im Hotel Vegas in Austin und es war einfach glorreich ... was den Namen der neuen EP, „Slo Blo 4 Frnz & Sxy“, ein wenig beeinflusst zu haben scheint. Zu unserer letzten Show kamen viele bekannte Gesichter, und mit David Yow als Frontmann von FLIPPER fühlte es sich an, als wäre die alte Garde in voller Stärke angetreten. Unsere Homies. Wir wussten, es wird sludgy und langsam werden ... Es war wie ein langsamer Noiserock-Tanz auf dem Punkrock-Abschlussball und wir wollten, dass jeder flachgelegt wird oder zumindest in den Büschen rummacht. Ich würde sagen, die Bilanz dieser Nacht war: 60% flachgelegt, 10% rumgemacht, 10% geküsst, 10% Nummern ausgetauscht, 5% getrennt, 5% existenzielle Traurigkeit ... was sicherlich außergewöhnliche Zahlen sind.
Die Pandemie dürfte aber dann eure Pläne für 2020 durchkreuzt haben ...
Die Pandemie hat alles verändert. Alles kam zum Stillstand. Es war ruhiger, langsamer, gelassener, als würde die Menschheit einmal tief durchatmen. Wildtiere trauten sich wieder raus. Es gab keinen Verkehr. Die Menschen gingen in ihrem Viertel spazieren, weil sie Zeit dafür hatten. Die Regierung wurde daran erinnert, dass es ihre Verantwortung ist, sich um die Bevölkerung zu kümmern, anstatt von Vertretern spezieller Interessen Geld anzunehmen – und die Regierung war, wenig überraschend, dieser Aufgabe nicht gewachsen. Die Krankenversicherung entpuppte sich als die nutzlose Geldschneiderei, von der wir immer wussten, dass sie es ist. Privat betriebene profitorientierte Gefängnisse konnten sich nicht um ihre Insassen kümmern. Es gab keine öffentlichen Schießereien, also auch keine erschossenen Kinder in den Schulen. Diese ganze Farce eines sozialen Systems wurde als der profitorientierte Schwachsinn entlarvt, der es wirklich ist ... Und für den Noiserock gab es nichts zum Anschreien und die Faust recken. Es war herrlich. Nach einer Weile habe ich keine Gitarre mehr angefasst. Meine Mutter brauchte Unterstützung – also zog ich bei ihr ein und half ihr. Die Umweltverschmutzung sank auf der ganzen Welt und die Natur konnte wieder aufatmen. Und als es wieder aufwärts ging, nahmen die öffentlichen Schießereien wieder zu, die Gier nahm wieder zu, und wir wurden wieder einmal daran erinnert, dass Politik nur Showbiz für hässliche und gehässige Menschen ist. Wir müssen besser sein, als wir sind. Oder vielleicht nähern wir uns dem Ende unserer Nützlichkeit und die Welt wird verschont von unserer schier unendlichen Kleinlichkeit. Aber die Platte macht mehr Spaß als das alles!
„Hitz on 45 for 33 plezure“, heißt es auf eurem EP-Cover, und die enthält auch langsamere – 33 rpm? – Versionen eurer Songs. Was hat es damit auf sich?
Wir wollten schon immer, dass unser Zeug langsamer und fieser wird. Das war eine Gelegenheit, die Songs auf dem Plattenteller zu verlangsamen und sie seeeeehr grindig und dreckig klingen zu lassen. Es ist ein Geschenk an all die Leute, die ihre 45er mit 33 rpm abgespielt haben und dachten, sie würden Satan huldigen. Und ich klinge so nicht wie ein vorpubertärer Junge auf Helium – ich klinge fast normal, wie ein stämmiger Countrysänger. Wer mag so ein langsames, dreckiges Vergnügen nicht?
Ich erinnere mich, dass damals in den Vinyl-Tagen einige Bands „vergaßen“, 45 oder 33 auf das Label zu schreiben, und manchmal dauerte es eine Weile herauszufinden, welche die richtige Geschwindigkeit ist.
Ich habe früher die „Paperback Writer/Rain“-Single von den BEATLES auf 33 gespielt. Und auch THE MONKEES. Brent hat eine FEEDERZ-Single, die er auf 33 spielt, weil sie dann viel mächtiger klingt. Auch die DRUNKS WITH GUNS-Nummer „Zombie“ ist verlangsamt toll. Oder „Shilo“ von Neil Diamond ... BLACK SABBATH ... X-RAY SPEX ... Es macht Spaß und du kannst Satan begegnen, wann immer du willst. Was kann man daran nicht mögen? Als wir klein waren, hängten wir uns Tennisschläger um und taten so, als wären es E-Gitarren. Dann machten wir Popcorn, stellten den Plattenspieler auf 33 und „spielten“ die Songs wie echte Rockstars für unsere Freunde. Dann kamen KISS und wir fingen an, uns zu schminken und darüber zu reden, wie man Mädchen in der Damentoilette trifft. Die Dinge wurden komplizierter.
Habt ihr ein spezielles Set-up, Pedale, Effekte, um diesen extra noisy Sound zu bekommen?
Wir spielen in der Regel im selben Raum zusammen mit dem Schlagzeug, aber trennen die Gitarren etwas. Wir haben keine Angst davor, wenn es sich ein wenig überlagert – dann klingt das Ganze ein bisschen mehr wie live. Wir versuchen, Vintage-Equipment zu misshandeln, denn wenn es anfängt kaputtzugehen, klingt es am besten. Das kann teuer werden, und wenn du es dann wieder zusammenbastelst, klingt es noch schlechter, was ein Code für „besser“ ist. Ich lasse einen Death by Audio Sonic Destroyer durch dieses Maestro-Dingens mit all den bunten Knöpfen laufen und es fängt an zu weinen und zu schreien ... In dem Moment weißt du, dass alles in Ordnung sein wird. Das Rat-Pedal ist immer noch im Gebrauch, ein Überbleibsel aus den alten Tagen. Wir neigen dazu, das alles jedes Mal neu zu erfinden ... In der Hoffnung auf einen Blick in die Unendlichkeit, voller Sehnsucht nach einem kleinen Geheimnis jenseits des Todes. Es ist Betrug, aber eigentlich ist ja jeder Moment, den wir am Leben sind, mit Diebstahl gleichzusetzen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #145 August/September 2019 und Joachim Hiller
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