CHELSEA

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40 Jahre Punk, 40 Jahre CHELSEA

Gene October und seine Mitmusiker – die gekommen und gegangen und wieder zurück gekommen sind – haben die aufregende Anfangszeit des Punk nicht nur miterlebt, sondern mitgeprägt. Zur ersten Punkrock-Liga haben die 1976 in London gegründeten CHELSEA aber nie gehört, was einerseits an den zahlreichen Besetzungswechseln lag, andererseits aber auch daran, dass ihr selbstbetiteltes Debütalbum erst 1979, und damit schlicht zu spät erschien, um von der ersten großen Punkwelle zu profitieren. Und so werden sie wohl vor allem durch ihre erfolgreichste Single „Right To Work“ von 1977 als Band mit Working-Class-Attitüde in Erinnerung bleiben. Im April 2016 haben CHELSEA mit „Anthology 1 & 2 & 3“ eine Werkschau veröffentlicht, im Juli waren sie auf Jubiläumstour durch Deutschland und haben danach beim Rebellion Festival in Blackpool gespielt. Im Interview blickt Gene October zurück und schildert uns seine Sicht der Dinge.

Gene, wie bist du in Kontakt mit der Punk-Szene gekommen? Gab es überhaupt schon so etwas wie eine Punk-Szene, als du angefangen hast, Musik zu machen? Wie war es im London der späten Siebziger?

London war ein wilder Ort, wo zu dieser Zeit viel passierte. Das ganze Punk-Ding ging gerade los und die Bands brauchten einen Platz, wo sie spielen konnten. Also überredete ich den Manager eines Schwulenclubs namens Chaguaramas, dass er dort Bands auftreten lässt. An sich sollten CHELSEA die erste Band sein, die in dem Club unter dem neuen Namen The Roxy auftreten, aber Billy Idol und Tony James verließen die Band und so waren GENERATION X und SIOUXSIE & THE BANSHEES die ersten. Der zweite Gig fand dann am 1. Januar 1977 mit CHELSEA und THE CLASH statt.

Stehst du noch in Verbindung mit einigen Freunden und Bekannten aus dieser Zeit?

Ich sehe hin und wieder altbekannte Gesichter bei Konzerten und treffe dort Freunde. Große Punk-Festivals wie das Rebellion sind eine gute Gelegenheit für so etwas.

Kannst du mir etwas zum ersten Line-up von CHELSEA mit Billy Idol und Tony James erzählen, die dann GENERATION X gründeten? Wann fand euer erster Auftritt statt und wie war er?

Die erste Besetzung mit Billy und Tony hielt nur vier Monate. Wir spielten hauptsächlich Songs von den ROLLING STONES. Der erste Gig von CHELSEA fand im The Chelsea Potter auf der King’s Road statt und Keith Richards schaute vorbei.

Wie ist es zu deiner Zusammenarbeit mit dem Regisseur Derek Jarman gekommen?

Ich kannte Derek von der Szene in London. Er wusste, dass ich schon bei einigen Filmen mitgespielt hatte, also fragte er mich, ob ich bei „Jubilee“ mitmachen wolle. Es war großartig, mit ihm zu arbeiten, und ich sorgte auch dafür, dass CHELSEA bei dem Film dabei waren, weil ich dachte, dass das gute Publicity für die Band bringen würde.

Hast du auch noch in anderen Filmen mitgespielt?

Ich hatte eine kleine Rolle in „Das Omen“, ich war in der Rugby-Szene in der Menge zu sehen. Ich glaube, Gregory Peck fand mich zu wild und aufrührerisch. Ich spielte auch in Derek Jarmans „Caravaggio“ von 1986 mit, ein Film über den 1571 geborenen italienischen Maler.

„Right to work“ ist schon damals in Deutschland gut angekommen, der Song scheint den Nerv der Punks der frühen Jahre getroffen zu haben. Spielt ihr ihn immer noch?

„Right to work“ war 1977 die erste Single von CHELSEA. Er hatte eine gewisse Grundhaltung und einen Sound, die bei den Punks auf viel Gegenliebe stießen und CHELSEA als eine der führenden Bands der Punk-Bewegung etablierten. Wir spielen ihn heute immer noch bei unseren Auftritten, genauso laut und mit genauso viel Energie wie vor vierzig Jahren.

Der Song wurde Anfang der Neunziger nochmals in Deutschland populär, als DIE TOTEN HOSEN ihn für ihr „Learning English“-Album aufnahmen und du ihn zusammen mit Campino gesungen hast.

„Learning English“ von den TOTEN HOSEN kam 1992 raus. 1992, ’93 und ’94 haben CHELSEA große Touren durch Deutschland und ganz Europa gemacht. 2006 haben wir beim Punk & Disorderly in Berlin gespielt und auch 2008 haben wir einige Konzerte in Europa gegeben. Jetzt gerade haben wir unsere Tour zum vierzigjährigen Jubiläum hinter uns gebracht, die einfach grandios war.

Auf dem 1994 erschienenen Album „Traitor’ Gate“ klingt ihr etwas rockiger.

Der Gitarrist Nic Austin und der Bassist Mat Sargent haben damals die Tracks für „Traitor’s Gate“ geschrieben. Das Jahr zuvor hatten wir bereits „The Alternative“ aufgenommen und „Traitor’s Gate“ war die logische Fortsetzung und musikalische Weiterentwicklung davon. Dave Goodman, der die SEX PISTOLS produziert hatte, betreute auch diese beiden Alben, „The Alternative“ und „Traitor’s Gate“, ebenso wie zwei frühere, „Original Sinners“ und „Rocks Off“, 1984 und ’86. Es hat Spaß gemacht, mit Dave zu arbeiten.

Was ist in den zehn Jahren danach passiert? Ich muss zugeben, dass ich euch ein wenig aus den Augen verloren habe.

CHELSEA haben nie auf gehört zu spielen! Die Medien bestimmen, was die Menschen in den Zeitungen und Magazinen lesen und im Fernsehen sehen sollen, und hat es Phasen gegeben, in denen die Presse nicht über alte Punkbands wie uns schreiben wollte. Aber wir waren immer da!

Habt ihr noch Kontakt zu Campino und DIE TOTEN HOSEN?

Ich bleibe nicht in Verbindung mit den ganzen Leuten. Unser Bassist Mat Sargent hängt mit Vom und den Hosen rum, wenn er in Deutschland ist. Ich bin Campino vor ein paar Wochen zufällig beim Rebellion Festival über den Weg gelaufen. Es war schön, ihn mal wieder zu sehen, ich hatte ihn schon eine Weile nicht mehr getroffen. Er hat sich den Auftritt von CHELSEA angeschaut.

Wie wichtig war und ist euch eure politische Aussage?

Die Zeiten damals waren anders, aber wir haben auch heute immer noch die gleiche Botschaft: Die Menschen haben es satt, dass die Regierungen Entscheidungen für sie treffen, Entscheidungen, die „wir, das Volk“ nicht wollen.

Ist jetzt die Zeit für eine neue Punk/Widerstandsbewegung?

Wir haben immer gesagt, dass alles, was nach 1977 kam, Post-Punk war. Aber die Punk-Bewegung mit ihrer Grundeinstellung existierte all die Jahre weiter. Es gibt viele junge Punks, die zu Konzerten kommen, das ist fantastisch. Auf irgendeine Art und Weise erleben wir diese neue Bewegung also bereits.

Im Juli seid ihr auf Tour zu eurem vierzigjährigen Bandjubiläum gewesen: Welcher Auftritt in Deutschland war euer bester?

Die Tour lief gut, es war toll, in vertrauten Clubs zu spielen, die wir schon seit mehr als zwanzig Jahren kennen, und es war genauso toll, in neuen Locations aufzutreten. Es war schön, altbekannte Gesichter bei unseren Shows zu sehen und in neuen Ländern wie Polen zu spielen. Ich denke mal, dass der Auftritt in Düsseldorf uns allen in Erinnerung bleiben wird. Es war der letzte auf dieser Tour, bei der wir keinen einzigen Tag Pause machten, und wo wir noch einmal alles gegeben haben.

Ihr habt euch auch entschlossen, eine Retrospektive zu veröffentlichen. Ist auf „Anthology 1 & 2 & 3“ euer vollständiger Backkatalog enthalten?

Die drei „Anthology“-CDs sind unser Gesamtwerk, alles, was wir jemals aufgenommen haben, mit Demos und Tracks, die wahrscheinlich viele vorher noch nie gehört haben, inklusive aller Texte. Unser Jubiläum war der perfekte Zeitpunkt, um sie zu veröffentlichen, aber wir haben 2015 auch ein neues Album aufgenommen, es heißt „Saturday Night Sunday Morning“.

Wie ist es für euch, beim Rebellion Festival zu spielen? Welche Bedeutung hat das Festival für euch? Ist es mehr als nur eine Zusammenkunft alter Freunde? Habt ihr immer noch Einfluss, auch auf jüngere Punks?

Das Rebellion Festival ist großartig, CHELSEA sind dort im Laufe der Jahre schon sechsmal aufgetreten. Das Festival gibt es nun schon zwanzig Jahre und es ist immer ein Treffpunkt für Punks aus der ganzen Welt, die sich dort einmal im Jahr betrinken und ihre Lieblingsbands live sehen. Ich denke schon, dass wir Einfluss auf die jüngeren Punks haben, die zu unseren Shows kommen. Einige haben uns zuvor noch nie gesehen und sind danach begeistert von der Live-Energie der Band.

Was habt ihr als Nächstes vor? Wird es auch in Zukunft noch neues Material von CHELSEA geben?

Wir haben gerade angefangen, an einem neuen Album zu arbeiten, darauf werden wir uns 2017 konzentrieren. Vielleicht treten wir bei einigen Festivals in England auf und wir würden auch gerne wieder nach Europa kommen. Schaut einfach ab und zu auf unserer Homepage vorbei!