CANDY

Foto© by Jason Nocito

Positive Wut

Hardcore und Rave gehören nicht zusammen? CANDY sehen das anders. Seit 2017 wildern die US-Amerikaner nun schon jenseits gängiger Genregrenzen. Doch während der Vorgänger „Heaven Is Here“ noch das Chaos zelebriert, geht es auf dem dritten Album „It’s Inside You“, gerade auf Relapse erschienen, wesentlich strukturierter zu. Warum und wozu erklärt Frontmann und Sänger Zak Quiram.

Wo erreiche ich dich heute? Ihr wart ja beim letzten Album noch quer über die USA verstreut und seid im Laufe eurer Bandgeschichte schon mehrfach umgezogen.

Ich bin aktuell in New York, wo ich vor etwa anderthalb Jahren von L.A. aus hingezogen bin. Unser Gitarrist Michael Quick wohnt nur ein paar Blocks entfernt. Steve Digenio, unser Drummer, lebt aktuell in New Jersey und unser Bassist Drew Stark in Buffalo, New York State. Ganz so extrem verstreut wie früher ist das also gar nicht mehr. Aber wir können uns natürlich noch immer nicht täglich treffen.

Das beeinflusst die Entstehung eines Albums vermutlich enorm.
Auf jeden Fall. Es macht die Dinge schon deutlich komplizierter. Wir kommen nicht wöchentlich zusammen, um zu proben oder so, aber wir tauschen uns trotzdem fast täglich über die Musik aus und schicken uns gegenseitig Ideen, Riffs, Texte und so weiter.

Wie läuft dieser Prozess konkret ab?
Michael ist derjenige, der den Großteil der Musik schreibt. Wenn er ein paar Riffs zusammenhat, programmiert er passende Drumparts auf Ableton, spielt dann Gitarre zu diesem elektronischen Backingtrack, nimmt das auf und schickt es uns. Jetzt kann sich jeder von uns einbringen, Änderungsvorschläge machen, eigene Ideen ergänzen und so. Dieses Mal sind wir aber noch ein Stück weiter gegangen. Schon recht früh in diesem Prozess des Songs und Ideen für Lyrics und Gesangsparts Hin- und Herschickens kam der Gedanke auf, ein paar Leute außerhalb der Band mit einzubeziehen.

Also habt ihr den Faktor Kollaboration noch mal ein Stück weit ausgebaut.
Auf jeden Fall. Das ist das erste Album, auf dem wir mit zusätzlichen Musikern außerhalb der Band zusammenarbeiten. Davor haben wir das zwar schon einmal bei einer 7“ gemacht, aber das war eine komplett andere Geschichte. Da hat einfach eine Freundin vorbeigeschaut, während wir in Richmond, Virginia, aufgenommen haben und spontan ein paar Gesangseinlagen beigesteuert, das war also komplett zufällig und ungeplant. Das war jetzt nicht so. Wir haben dieses Mal im Vorfeld gezielt Leute angesprochen, meist Freunde, die wir gerne mit an Bord haben wollten, weil wir sie für sehr fähig halten und das, was sie sonst musikalisch so machen, extrem schätzen, und bei denen wir der Ansicht waren, dass sie auf die eine oder andere Weise auch gut zu CANDY passen.

Welchen Einfluss hatte das auf das Album?
Einen großen. Wir haben schon in der Anfangsphase überlegt, wer da gut reinpassen könnte: Was wäre, wenn wir Marisa von FLESHWATER bei diesem Song singen lassen würden? Oder wie wäre es, wenn Dave von TRASH TALK ein Solo zu diesem ganzen Teil spielen würde? Und so weiter. Sie hatten dann auch tatsächlich Lust und haben mitgemacht. Sie haben den Songs einen ganz eigenen Twist gegeben und die Sache dadurch enorm aufgewertet. Alle Beteiligten haben das echt perfekt umgesetzt, ohne sie wäre es ein ganz anderes Album geworden.

Gab es sonst noch etwas, dass bei diesem Album anders gelaufen ist als bei „Heaven Is Here“?
Ich glaube, bei „Heaven Is Here“ haben wir wirklich versucht, uns selbst zu pushen und auch zu fordern. Auf die eine oder andere Art fühlte sich „Heaven Is Here“ wirklich extrem an, wir sind klanglich hart an unsere Grenzen gegangen und haben alles bis zum Maximum ausgereizt. Vieles davon ist schon sehr verschwurbelt, ein echter Klotz, es ist eigentlich unmöglich, da beim ersten Hören durchzusteigen, das erfordert echt Arbeit. Das wollten wir auf „It’s Inside You“ deutlich runterfahren und damit alles für den Hörer nachvollziehbarer machen. Da anzudocken und sich damit zu identifizieren, ist glaube ich deutlich einfacher.

Ist „It’s Inside You“ also strukturierter?
Definitiv, ja. „Heaven Is Here“ war schon extrem chaotisch. Wir wollten maximale Reibung und die Hörer mitfühlen lassen, was wir während der Aufnahmen gefühlt haben, das war ja während der Corona-Zeit. Jetzt wollten wir tatsächlich auch ganz andere Gefühle erzeugen, das simpler gestalten und damit die Themen des Albums besser rüberbringen.

Was genau meinst du mit anderen Gefühlen?
Als wir angefangen haben, „It’s Inside You“ zu schreiben, sind wir gerade aus der Corona-Isolation gekommen. Wir haben uns auf einen frischen Start gefreut. Ich hatte ehrlich gesagt auch das Gefühl, mich erst motivieren zu müssen, um mich der Welt in ihrer ganzen Grausamkeit wieder stellen zu können. Ich brauche einfach Musik, die mich motiviert. Ich möchte mich gut fühlen im Leben und bei dem, was ich tue. Dafür sollte dann auch die Musik stehen.

Aber Wut hat ja auch noch immer ihren Platz. Oder auch Existenzangst. Lyrics wie „You can’t feed me / Start the riot“ klingen sogar ein Stück weit politisch.
Ja, es gibt noch immer Wut und es gibt noch immer Aggression. Aber das kann auch für etwas Positives stehen oder eine positive Botschaft transportieren. Und genau das versuchen wir auf „It’s Inside You“. Du kannst die Lyrics politisch auslegen, wenn du willst, musst du aber nicht, wir machen da keine Vorschriften. Es geht darum, eine positive Einstellung zu vermitteln, den Leuten zu zeigen, du bist nicht allein in dieser Situation, und sie so voranzubringen.

Musikalisch kommt das noch immer sehr heftig rüber. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Diese Brachialität ist etwas, das wir aus der Hardcore-Szene übernommen haben. Genau das habe ich so genossen, als ich mit 15 mein erstes Hardcore-Konzert erlebt habe. Es war so extrem anders als alles, was ich sonst so kannte oder bis dahin live erlebt hatte. Aber es gibt auch Einflüsse aus der Dance- und Rave-Szene, die musikalisch auch beide sehr intensiv sind. Diese Energie findet sich in einigen unserer Songs, in „Love like snow“ oder „Dancing to the infinite beat“ zum Beispiel. Es gibt also einige recht unterschiedliche Quellen und manche Songs unterscheiden sich daher sehr deutlich vom Rest. Diese große Energie ist die gemeinsame Schnittmenge von Hardcore und Rave und da setzen wir an.

Das macht es ziemlich schwierig, eure Musik eindeutig in eine Schublade zu stecken. Nicht jeder kann damit umgehen.
Wir bauen eben das ein, was wir mögen und was uns beeinflusst. Wenn wir dadurch die Grenzen des Hardcore-Genres neu abstecken, ist das okay so.

An welche konkreten Bands denkst du da?
Auf der Hardcore-Seite natürlich INTEGRITY. Aber auch ganz andere Bands wie ATARI TEENAGE RIOT oder GOO GOO DOLLS. Unsere Einflüsse sind verdammt breit gestreut. Wir schauen uns ein bisschen hier, ein bisschen dort ab und knallen es dann einfach zusammen. Und auf diese Weise neue Sounds zu erschaffen, macht einfach verdammt viel Spaß.

Für den Mix konntet ihr Kurt Ballou gewinnen ...
Ja, wir sind große Ballou- und CONVERGE-Fans, das war natürlich ein Traum, dass wir das jetzt endlich auf die Beine stellen konnten. Er hat der Sache noch mal eine ganz neue Richtung gegeben. Wir schätzen seine Meinung und seine Arbeit wirklich sehr. Er ist ein echter Könner.

Hast du einen Lieblingstrack?
Mein Favorit ist „Love like snow“, an zweiter Stelle steht das Titelstück „It’s inside you“. Beide kommen direkt nacheinander und sind enorm unterschiedlich. Aber eigentlich muss man das Album wirklich als Ganzes hören. Manchmal mag man als Musiker das eigene Album ja gar nicht mehr hören, nachdem man es über mehrere Wochen hunderte Male im Studio hören musste, das kann schon grausam sein. Aber das ist jetzt nicht so. Es fühlt sich einfach gut an und ich höre es noch immer regelmäßig.

Du bist in der Band meist für das Artwork zuständig. Hast du Nick Atkins für das Coverdesign ins Spiel gebracht? Er lässt „It’s Inside You“ auch optisch deutlich anders rüberkommen als die beiden Vorgänger.
Das stimmt. Die Cover für die letzten Alben hatte unser Kollege Andrew Barnes gestaltet. Wir haben ihm eine lose Idee gegeben, er hat sich damit warmgelaufen und hat uns dann wöchentlich Updates geschickt, bis es schließlich fertig war. Das lief mit Nick ähnlich, wir wollten einfach etwas anderes ausprobieren, weil das Album auch eine neue Richtung einschlägt. Er hat unsere Vision visuell so klar und eindeutig auf den Punkt gebracht, das es schon ziemlich beeindruckend ist.