BUZZCOCKS

Foto

Das letzte Interview

Er war einer der besten Songwriter in Sachen Post-Punk/Powerpop: Pete Shelley. Am 7. Dezember erlag der Sänger und Gitarrist der legendären BUZZCOCKS im Alter von 63 Jahren einem Herzinfarkt. Gerade mal eine Woche vor seinem Tod hat Ox-Autor Wolfram Hanke noch mit ihm am Telefon gesprochen. Sein wohl letztes Interview. Der Anlass: Ende Januar haben die Punkrocker aus Bolton bei Manchester ihre ersten beiden Alben „Another Music In A Different Kitchen“ und „Love Bites“ zum vierzigsten Jubiläum wiederveröffentlicht. Die BUZZCOCKS waren nach wie vor auf Tour, wenn auch in reduziertem Umfang. Pete Shelley lebte seit sieben Jahren in Tallinn, der Hauptstadt Estlands. Wir dokumentieren das Interview, ohne die durch Shelleys Tod obsolet gewordenen Stellen anzupassen.

Pete, wie bist du nach Estland gekommen?


Meine zweite Frau Greta kommt aus Estland, deshalb lebe ich in Tallinn. Hier ist es einfach ein bisschen schöner als in London. Und auch viel ruhiger.

Im Januar werden eure beiden legendären Alben „Another Music In A Different Kitchen“ und „Love Bites“, beide aus dem Jahr 1978, noch einmal neu veröffentlicht. Was gab den Impuls zu diesem Rerelease?

Unsere alte Plattenfirma ist irgendwann von Warner geschluckt worden und damit auch die Lizenzen für unsere ersten beiden Alben. Der Typ von Domino Recordings ist einfach ein riesengroßer BUZZCOCKS-Fan. Deshalb hat er Warner die Rechte an unserem Backkatalog abgekauft und veröffentlicht die alten Platten noch einmal neu.

Und plant ihr auch, eine neue Platte mit Domino zu machen? Das letzte reguläre BUZZCOCKS-Album „The Way“ erschien ja vor gut vier Jahren.

Da ist nichts geplant. Die Zusammenarbeit mit Domino bezog sich nur auf den Backkatalog. Da gibt es noch einiges zu tun. Viele Leute fragen mich immer wieder nach einem neuen Album. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Das ganze Musikbusiness hat sich so stark verändert in den letzten Jahren.

Habt ihr begleitend zum Rerelease irgendwelche speziellen Shows geplant?

Wir spielen am 21. Juni eine Show in der Royal Albert Hall in London. Dort steht die Compilation „Singles Going Steady“ auf dem Programm. Und außerdem werden wir 2019 auch bei einem Festival in Berlin auftreten. Spezielle Album-Shows haben wir schon 2009 gespielt, als EMI alle alten Alben auf CD wiederveröffentlicht hat. Damals haben wir die beiden Alben auf der „Another ... Bites“-Tour komplett aufgeführt. Das hat uns ungefähr ein Jahr lang rund um die Welt geführt.

Was ist das Besondere an diesem Rerelease? Es ist ja nicht die erste Wiederveröffentlichung.

Wir haben jetzt die Original-Tonbänder verwendet und nicht die bearbeiteten Tonspuren für die CD-Version. Die Aufnahmen also, von denen alles ausgegangen ist. Back to the basics, quasi. Die Wiederveröffentlichung auf CD ist aus unserer Sicht nicht mit der nötigen Sorgfalt und Liebe passiert. Das lag natürlich auch an der Technologie damals. Außerdem wollten wir diesmal die Platten unbedingt wieder auf Vinyl rausbringen. Das ist für uns der größtmögliche Schritt zurück.

Wie fühlt es sich an, sich diese Songs vierzig Jahre nach der ersten Veröffentlichung wieder intensiv anzuhören?

Wir sind alle ziemlich euphorisch, dass wir diese beiden Platten so noch einmal wiederveröffentlichen können. So ergibt sich vielleicht die Chance, dass alle Scheinwerfer noch einmal auf diese beiden Alben gerichtet sind. Die waren ja für eine ganze Menge Leute sehr einflussreich.

Was treibt dich an, immer noch Shows zu spielen nach vierzig Jahren?

Es macht Spaß. Also teilweise. Man muss viel warten, man ist weg von zu Hause. Aber wenn man dann die Show spielt, ist es unvergleichlich. Da kommen Freunde, von denen du nicht mal wusstest, dass du sie hattest. Und es gibt Essen und Drinks und alle haben Spaß. Nur der Tag danach ist manchmal hart, haha. Vor zwei Jahren, zum vierzigsten Bühnenjubiläum, haben wir 76 Konzerte gespielt. Das ist in den letzten Jahren aber immer weniger geworden. Nächstes Jahr haben wir gerade mal ein Dutzend Shows geplant. Das wird auch nicht ewig so weitergehen, denke ich.

Was machen die einzelnen BUZZCOCKS-Mitglieder? Kannst du uns was über ihre Solo- oder Nebenprojekte erzählen?

Ich glaube, Steve, unser Bassist, macht gerade über PledgeMusic ein neues Album. Er hat in den Abbey Road Studios aufgenommen, aber ich habe noch nichts davon gehört bisher. Aber ich glaube, das Album kommt bald raus. Drummer Danny Farrant macht mit einem Kollegen zusammen Musik für Film und Fernsehen. Und ich habe nur zu Hause gesessen und habe Brotbacken gelernt. Ich mache jetzt meinen eigenen Sauerteig. Das kann ich ziemlich gut. Und wir haben zwei Apfelbäume im Garten. Cider mache ich jetzt auch selber.

Was findest du so toll am Brotbacken?

Für mich ist das wie Hexenwerk. Du nimmst etwas, das nicht wie Brot aussieht, und bastelst daraus etwas, womit du dann Sandwiches machst.

Verkaufst du das Brot auch?

Nein, bestimmt nicht. Dann würde ich ja denselben Fehler machen wie damals, als ich mein Hobby Musik zum Beruf gemacht habe, haha.

Was würdest du sagen, welche Bedeutung hat die Punk-Explosion vor vierzig Jahren für unsere heutige Zeit?

Wir spüren die Auswirkungen davon immer noch. In gewisser Weise war das wie ein Urknall. Damit hat die aktuelle Zeitrechnung angefangen. Wenn du Musik hörst und du willst wissen, warum sie so klingt, wie sie klingt – irgendwann kommst du zurück zum Punk.

Und wie wichtig ist Punkrock jetzt gerade?

Punk zeigt immer noch, wie es gehen kann und was für einen Spaß es machen kann. Die Musik wurde ja nicht für Plattenfirmen gemacht. Und Punk ist als Musik sehr zugänglich. Es geht um die Dinge, die den Menschen wichtig sind – und die haben sich nicht groß verändert seit damals.

Gibt es gerade eine neue englische Punkband, die du gut findest und verfolgst?

Nein, aber die letzte Punkband, die ich richtig gut fand, kam aus Berlin. Sie heißt EXIT GROUP und hat ein Album namens „Adverse Habitat“ gemacht.

Glaubst du, es ist heute für eine Band einfacher erfolgreich zu sein als damals in den Siebzigern?

Es ist heute wahrscheinlich einfacher, sein Publikum zu finden. Das Internet bringt Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen zusammen. Als wir damals angefangen haben, war es wirklich schwierig, Menschen zu finden, die unsere Musik mochten. Wir hatten nicht von Anfang an Erfolg.

Aber das Internet macht es gleichzeitig auch schwieriger, es gibt einfach so viele Bands. Jeder kann heute die Musik selbst produzieren und veröffentlichen. Und damit ist es doch auch schwieriger zu sagen: Hey, wir sind eine neue Band, schenkt uns eure Aufmerksamkeit!

Ja, aber damals war es eben allein deshalb schwierig, weil es nur einen Radiosender und einen DJ gab – zumindest in England. Eigentlich hat nur John Peel interessantes Zeug gespielt. Und er hatte damals jeden Abend nur zwei Stunden Sendezeit, insgesamt zehn Stunden pro Woche. Und dann war es auch so, dass John Peel sich damals Tapes und Platten angehört hat, die ihm die Leute geschickt haben. Ich finde, es liegt heute am Musikkonsumenten. Du musst dich wirklich anstrengen und so viel anhören wie möglich, dann findest du am ehesten, was dir gefällt. Es gibt heutzutage so viel Musik, es ist wie eine riesige Bücherei, in der die Bücher kreuz und quer in den Regalen stehen. Und es ist schwierig, sich auf das zu konzentrieren, was einem gefällt. Aber wenn man möchte, kann man wirklich tief graben. Früher war man so limitiert auf das Radio, was die DJs dort gespielt haben, und das waren nur Sachen, die gerade aktuell waren. Heute kannst du auf Spotify oder YouTube gehen und Dinge entdecken, die du sonst nie gefunden hättest.

Gehst du noch zu Punk-Shows?

Nein, nicht mehr oft. Ich würde ohnehin ziemlich rausstechen. Wahrscheinlich würden sich die Leute auf den Konzerten denken: Wer ist dieser alte Mann und was will er hier? Bei unseren eigenen Shows kommen auch immer mehr junge Leute. In den letzten 15 bis 20 Jahren haben unsere Fans selbst Nachwuchs bekommen und nehmen inzwischen ihre Söhne oder Töchter auch mit zu unseren Konzerten. Und es gibt auch eine Menge junge Fans, die unsere alten Platten im Secondhand-Laden oder auf Flohmärkten für sich entdeckt haben. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich meinem eigenen Sohn erklären musste, was eine Platte ist. Er war es gewohnt, seine Musik komplett digital verfügbar zu haben.

Hat dein Sohn mit Punkrock zu tun?

Nein, er ist inzwischen 27 Jahre alt und lebt in Japan. Er spielt zwar Gitarre, beschäftigt sich aber eher mit Musik für Computerspiele. Es gibt da Bands, die ausschließlich die Musik aus Games live spielen. Das interessiert ihn. Er war auch mal in einer Band, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob er das jetzt immer noch macht.

Ich würde gern noch über ein Thema reden, das dein Heimatland gerade sehr beschäftigt: den Brexit. Wie denkst du darüber?

Ich denke, das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. 1975 war ich alt genug, um beim ersten Referendum über die Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abzustimmen. Und ich habe damals für Ja gestimmt. Ich kann mich noch gut an die Anfangstage der Band erinnern, und wie schwierig es war, eine Tour in Europa zu spielen. Es gab jede Menge Einschränkungen, was den Transport unseres Equipments betraf. Wir mussten detaillierte Listen schreiben, bis hin zur einzelnen Gitarrensaite, um nicht in den Verdacht zu geraten, irgendetwas in ein anderes Land zu schmuggeln. Deshalb haben wir damals viel Zeit an Grenzübergängen verbracht und auch in Wechselstuben, um Geld zu tauschen. Alles ziemlich kompliziert. In den letzten Jahren ist das alles so einfach geworden. Man kann ohne große Probleme von einem Land ins nächste reisen. Gerade für mich hier in Estland ist das wichtig. Deshalb habe ich beim jüngsten Referendum dafür gestimmt, in der EU zu bleiben. Ich sehe mich selbst auch als Europäer. Ich genieße die Tatsache, dass wir alle Mitglieder in einem großen Verein sind. Und natürlich die Freiheit, sich überall bewegen zu können. Das ist doch großartig. Für mich war es ein großer Schock, dass die Leute so dumm sind und glauben, dass es ohne Europa besser läuft. Es gab einfach eine riesige Angst vor unkontrollierter Einwanderung. Aber so ist es nun mal. Das Problem mit der Demokratie ist, dass ganz normale Leute Entscheidungen treffen und die nicht immer gut genug informiert sind. Je näher wir dem Tag des tatsächlichen Ausstiegs kommen, desto deutlicher wird es, dass die Regierung absolut keinen Plan hat, was sie machen soll. Alle Versprechungen, die vor dem Referendum gemacht wurden, waren glatte Lügen. Die meisten Leute, die den Brexit zu verantworten haben, sind inzwischen von der Bildfläche verschwunden und wir haben eine Premierministerin, deren einziges Mantra lautet: „Brexit means Brexit!“

Das klingt so, als ob du gerade sehr froh bist, in Estland zu leben?

Auf jeden Fall. Ich wäre auch glücklich in Deutschland. Ich bin ein überzeugter Europäer. Ich bin so froh, dass ich immer noch so problemlos reisen kann. Und wenn ich beschließe, irgendwann in Paris zu leben, dann kann ich das ohne Weiteres tun.

 


UK-Charts und Statue

BUZZCOCKS-Fans haben eine Online-Kampagne gestartet, um Geld für eine Bronzestatue für den verstorbenen Pete Shelley zu sammeln. Die Initiative für das geplante Denkmal in Shelleys Heimatstadt Leigh in der Grafschaft Greater Manchester geht auf den Gemeindemitarbeiter Paul Maiden zurück. Maiden, der auch als Konzertveranstalter arbeitet, hat Hunderte von Unterschriften gesammelt, um das Vorhaben zu unterstützen. Angekündigt wurde auch eine Spendenaktion, um Geld für die Statue zu sammeln.

„Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir darüber nachdenken, jemanden zu feiern, der in Leigh etwas Unglaubliches geleistet hat“, heißt es vom Initiator. Shelleys Familie unterstützt Berichten zufolge die Idee. Die Spendenaktion von Paul Maiden fand am 19. Januar in Wigan statt.

Zwischenzeitlich hatten BUZZCOCKS eine Kampagne auf ihren Social Media-Kanälen unterstützt, um ihren wegweisenden Hit „Ever Fallen in Love“ nach dem Tod ihres Frontmanns Pete Shelley auf Platz eins zu bringen. Die Online-Kampagne wurde von mehr als 2.000 Personen unterstützt.

„40 Jahre, nachdem der unglaubliche Track veröffentlicht wurde, hat die Band ihre erste Nummer eins verdient. Außerdem wäre das eine großartige Hommage an Pete Shelley“, erklärte die Change.org-Petition. Der Erfolg blieb allerdings aus: nur 5.159 Nutzer hatten die legendäre Buzzcocks-Single aus dem Jahr 1978 heruntergeladen. Das reichte nicht mal für Platz 50.