Den Pop-Punk haben BOSTON MANOR aus Blackpool, England, längst hinter sich gelassen. Ihr neues, drittes Album „Glue“ ist rauh und rockig. Es entstand in einer schwierigen Phase, in der sich die Band physisch und psychisch ausgelaugt fühlte. Auch der Blick auf das Weltgeschehen sorgte für reichlich Frustration, die in jedem einzelnen Song druckvoll kanalisiert wird. „Glue“ schreit förmlich nach Dystopie – irgendwie passend zu diesem Frühjahr, in dem ein Virus die ganze Welt lähmt. Wie geht es BOSTON MANOR in diesen verrückten Zeiten? Gitarrist Mike Cunniff verrät es uns und berichtet über andere Welten, toxische Mannsbilder und den wirklich heißen Scheiß des neuen Albums.
Wie würdest du „Glue“ charakterisieren?
Es ist ein Album, das Spaß macht, eine echte Rock-Scheibe. Wir hoffen dennoch, dass es darüber hinaus Leute provoziert, ob musikalisch oder inhaltlich. Dieses Album ist höchst relevant in unserer heutigen Zeit.
Welche Bedeutung hat der Titel „Glue“?
Dieses Wort blitzte immer wieder auf. „Glue“ ist der Kleber, der alle Songs des Albums zusammenhält, obwohl sie so verschieden sind. „Glue“ ist der Klebstoff, der uns als Band verbindet, aber auch eine Ermahnung an die Gesellschaft ist: Haltet zusammen, seid menschlich, anstatt euch zu bekriegen!
Der Spruch „Write cool shit!“ zierte eure Wand im Studio während der letzten Aufnahmen. Was ist denn der heiße Scheiß auf eurer neuen Platte?
Mit „On a high ledge“ sind wir extrem zufrieden, ein unkonventioneller Song, ruppig und düster, elektronische Elemente übernehmen das Steuer. Wir wollen uns und unsere Hörer stets herausfordern, immer mal etwas Ungewohntes abliefern. BOSTON MANOR bedeutet schließlich, sich nicht anzupassen.
„On a high ledge“ und das zugehörige Musikvideo handeln vom gesellschaftlichen Druck, der aufgrund stereotyper Geschlechterrollen auf jungen Männern lastet. Darunter leidet oft die Psyche. Wieso ist euch dieses Thema so wichtig?
Während über psychische Gesundheit, Ängste und Depressionen heute zunehmend offen diskutiert wird, ist es für Männer nach wie vor tabu, über ihre Gefühle zu sprechen. Zu ihnen sagt man einfach: „Sei ein Mann!“ 75% der Selbstmorde weltweit werden von Männern begangen. Im Vereinigten Königreich alleine haben sich im letzten Jahr 6.507 Männer das Leben genommen, 23,7% davon waren unter 25 Jahre alt. Das darf man nicht ignorieren.
Was würdet ihr Betroffenen raten zu tun?
Sprecht mit jemandem über eure Sorgen. Wenn es niemand im Bekanntenkreis ist, dann gibt es die Telefonseelsorge. Dort anzurufen, darf nicht mit einem Stigma behaftet sein – auch nicht für Männer.
Ihr sagtet mal in einem Interview, dass ihr mit eurer Musik Emotionen beim Hörer auslösen möchtet. Wie gelingt euch das mit eurem neuen Album? Was soll man fühlen, wenn man „Glue“ hört?
Wir machen ehrliche Musik. Es geht um normale Tage und normale Menschen, so wie wir einen völlig normalen Hintergrund haben. Das schafft Identifikation. Wir sind wie du. Und jeder, der unsere Musik hört, soll das Gefühl haben, Teil unserer Reise zu sein. Mit „Glue“ kann man wunderbar seinem Alltag entfliehen. Es klingt vielleicht kitschig, aber ich mag die Vorstellung, dass jemand unsere Platte auflegt und in eine andere Welt katapultiert wird, die wir erschaffen haben. Es ist eine hässliche Welt, in der sich bei genauem Betrachten dennoch jede Menge Schönheit findet.
Ich mag euer Artwork und generell die Promo-Fotos zu „Glue“. Sie zeigen roh inszenierte Street-Fotografie. Wie ist der Look entstanden?
Das Artwork ist sehr wichtig für ein BOSTON MANOR- Album. Wir alle erinnern uns, wie wir als Teenager CDs gekauft haben und das Cover unserer Lieblingsplatte zum heiligen Gral wurde. Es umgibt ein Album mit einem gewissen Vibe, versetzt dich vollends in die Welt, die die Musik eröffnet. Die Inspiration für das Cover von „Glue“ lieferte der Grafikdesigner Storm Thorgerson, der etwa Plattencover für PINK FLOYD kreiert hat. Mit einer groben Idee im Kopf haben wir unseren befreundeten Fotografen Benjamin Lieber in New York angerufen. Der hat daraufhin mehrere Tage in den eiskalten Straßen der Stadt verbracht, um eine weiß angemalte Person in einem weißen Morphsuit abzulichten. Er hat einen wunderbaren Job gemacht. Die Fotos sind außergewöhnlich, wir sind sehr stolz darauf.
Ein Thema, das man im Frühjahr 2020 nicht umgehen kann, ist die COVID-19-Pandemie. Auch ihr musstet, wie viele andere Musiker, eure Tour verschieben. Wie habt ihr die letzten Wochen erlebt?
Es hat uns das Herz gebrochen, als wir erfuhren, dass wir nicht touren dürfen. Wir konnten kaum erwarten, alte und neue Gesichter zu sehen und ihnen vorzuspielen, woran wir so hart gearbeitet haben.
Euer Label Pure Noise versteigert Testpressungen, auch eurer vorherigen Alben, um seine Künstler zu unterstützen, man sieht virtuelle Benefizkonzerte und andere Hilfen. Gibt es eine Aktion, die ihr hervorheben möchtet?
Ja, einige Bands versteigern persönliche Gegenstände, um Geld für ihre Crew zu sammeln. Manche Menschen vergessen nämlich, dass hinter jeder guten Band eine gute Crew steht, die dafür sorgt, dass überhaupt alles läuft. Diese Leute sind selbstständig und leiden extrem unter den Umsatzeinbußen.
Wie verbringt ihr die Zeit aktuell daheim?
Wir sind gezwungen, einen Gang herunterzuschalten und zu entspannen. Das war nach drei Jahren non stop auf Tour auch bitter nötig, um die Akkus wieder aufzuladen. Wir haben somit außerdem die Möglichkeit, ohne Druck kreativ zu sein. Trotzdem vermissen wir uns sehr, dann wird schnell ein Skype-Call mit der gesamten Band aufgesetzt. Wir machen das Beste aus der Situation und hoffen sehr, dass bald wieder Normalität einkehrt.
Ich weiß, es ist aktuell schwierig in die Zukunft zu blicken, aber wie sollen die nächsten Jahre für BOSTON MANOR aussehen?
Wir wollen weiterhin die Welt entdecken und alle Orte besuchen, aus denen uns Leute schreiben und fragen, wann wir endlich in ihrem Land spielen.
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