Das letzte Interview in diesem Heft mit Rob Franssen von BORN FROM PAIN ist schon über zehn Jahre her. Grund genug, den Frontmann über das aktuelle Album „True Love“ und andere Dinge auszuquetschen. Im Backstageraum des Musiktheaters in Kassel, wo BORN FROM PAIN zusammen mit RYKER’S spielten, erleben wir einen äußerst gut gelaunten und gebildeten Kosmopoliten, der seine Heimat stets im Blick behält.
Rob, obwohl du in einer holländischen Hardcore-Band spielst, könntest du mit deinem Ruhrpottakzent hier glatt als Einheimischer durchgehen.
Haha. Ja, ein bisschen schon. Immerhin lebe ich ja schon seit über 15 Jahren in Essen. Meine Ex-Freundin, mit der ich 2002 zusammengekommen bin, hat damals in Essen gewohnt. Als wir dann ein knappes Jahr später eine eigene Wohnung beziehen wollten, ging die Sucherei los. Ich habe ja damals noch in fest in Heerlen gewohnt. Erst hatten wir Aachen oder Mönchengladbach ins Auge gefasst, aber dann habe ich einfach gesagt: Scheiß drauf, ich zieh nach Essen! Ich habe es bislang nicht bereut, wie man sieht. Es ist total zentral dort und auch Fußball gibt es da ein bisschen. Früher habe ich mir sogar oft Spiele von Rot-Weiss Essen angeguckt.
Ich dachte, dass du Schalke-Fan bist. Das war doch über Jahre der Holländer-Club in Deutschland.
Was? Wer ist denn Schalke? Nee, nee, ich bin Roda Kerkrade-Fan seit Kindesbeinen an. Der Titelsong „True love“ von unserer aktuellen Platte handelt von meiner Liebe zu diesem Club. Im Punk ist das ja ziemlich populär, einen Song über seinen Lieblingsclub zu machen. Im Hardcore eher weniger, aber ich finde, dass beides, also Hardcore und Fußball, sich in vielen Dingen ziemlich ähnlich sind.
Was meinst du genau damit?
Da ich in der Fanszene bei Roda Kerkrade ziemlich aktiv unterwegs bin, sehe ich viele Parallelen. Beides sind Subkulturen, die gegen viele Vorurteile kämpfen, die zusammenhalten, und wenn es nötig wird, auch mal eine klare Message rüberbringen. Außerdem geht es bei beiden doch um eine grenzenlose Liebe oder Passion für etwas. Schau dir mal die Choreos oder Banner im Fußballstadion etwas genauer an, da werden unzählige Botschaften vermittelt. Ein 08/15-Fußballgucker, der sich nur vor der Glotze Spiele via Sky oder so anschaut, der wird so etwas nicht sehen. Als Sänger einer Hardcore-Band schreibe ich ja auch über Themen, die mir wichtig sind oder die mir auf den Sack gehen. Ds ist genau wie bei vielen Fans in der Fußballkultur. Natürlich kommt eine solche Verbindung nicht bei allen gleich gut an und manche finden das vielleicht auch grenzwertig, was mich aber nicht groß stört.
Du weißt aber schon, dass der Tag nur 24 Stunden hat, oder? Lass uns mal zusammenzählen, was wir bislang haben: Sänger in einer Hardcore-Band mit Touren und allem drum und dran, sowie engagierter Fußballfan mit Sonderaufgaben. Als wir uns letztes Mal trafen, warst du auch Tourmanager von MADBALL. Bleibt da noch Zeit für einen „normalen“ Job?
Ja, ich bin hauptberuflich selbstständig als Freelancer tätig, habe meine eigene Firma und komme da auch ganz schön viel rum. Hauptsächlich arbeite ich in Holland, wo ich Schulungen für Unternehmen anbiete, um Mitarbeiter in Netzwerkanwendungen und so weiter zu schulen. Das mache ich aber schon länger, obwohl ich ursprünglich Englischlehrer werden wollte. Aber nach den Praktika war schnell klar, dass ich da keinen Bock drauf habe. Dann habe ich alles Mögliche an Aushilfstätigkeiten gemacht, auf dem Bau, in einer Brauerei und weiß Gott was. Später habe ich an einer Umschulung im Bereich IT-Fortbildung teilgenommen und dort Kontakte zu den Dozenten geknüpft, wobei mir meine Lehrbefähigung dann den Eintritt als IT-Trainer in die Firma ermöglichte, aus der sich später meine jetzige Selbständigkeit entwickelte.
Also sprichst du fließend Deutsch, Englisch und Niederländisch?
Ja, und auch Limburgisch. Im südlichen Zipfel der Niederlande ist das ein sehr verbreiteter Dialekt, der ein wenig an Kölsch erinnert. Wenn sich beispielsweise in Köln zwei in ihrer Mundart unterhalten, verstehe ich fast alles. Man sieht, dass der Sprachraum keine nationalen Grenzen hat.
Obwohl du in Deutschland lebst, hört man bei dir immer noch eine große Heimatverbundenheit heraus. Eurer Heimatstadt Heerlen habt ihr ebenfalls einen Song sowie ein Video gewidmet, beide mit einem sehr kritischen Ansatz. So heißt es im Refrain: „I’m from the anti town / Born in an anti town / Raised in an anti town“. Was hat es mit dieser eigenwilligen Hommage auf sich?
Nach dem Krieg war das eine Region, die viel zum Wiederaufbau der Niederlande nach der deutschen Besatzung beigetragen hat. Dadurch dass der südliche Teil schon früher von der Okkupation befreit wurde, flossen das Geld und die Kohle, welche die Zechen in unserer Region erwirtschafteten, wieder direkt nach Holland. Der Norden war damals bitterarm, da zum einen die Deutschen bei ihrem Rückzug alles mitnahmen, zum anderen auch keine große Schwerindustrie dort ansässig war. In den Fünfziger und Sechziger Jahren war der Süden eine der reichsten Regionen in ganz Holland mit vielen Arbeitsplätzen, wo sich die Leute einen bescheidenen Wohlstand leisten konnten. Als dann in den Siebzigern das große Zechensterben begann, kippte alles, denn es kam kaum Hilfe zurück. Viele Leute verloren ihren Job und auch die Städte hatten weniger Geld aufgrund fehlender Steuereinnahmen. Was natürlich einen Verfall öffentlicher Einrichtungen wie Schulen, Plätzen, Sportanlagen zur Folge hatte. Und es kam noch ein weiteres Problem hinzu: Die Drogen. In der Nähe von Heerlen, in Brunssum, gibt es eine große NATO-Basis, in der früher viele G.I.s lebten, die traumatische Erlebnisse aus Vietnam mitbrachten. Viele von ihnen nahmen daher Drogen und dealten auch. So entstand im Umfeld eine große Drogenszene. Zu der Zeit, als ich in Heerlen großgeworden bin, war das die zweitgrößte „Drogenstadt“ der Niederlande nach Amsterdam. Mit allem, was dazugehört: Prostitution, Gewalt und Toten. Es gab Bereiche in der Stadt, vor allem rund um den Bahnhof, da haben uns die Eltern verboten hinzugehen. Was wir natürlich dennoch machten. „Antitown“ ist auf der einen Seite eine Anklage dieser Zustände, andererseits aber auch eine Hommage an die Leute, die dort leben. Das sind unsere Leute, die man – wie man sieht – so schnell nicht unterkriegt. Wobei man sagen muss, dass sich die Verhältnisse dort schon deutlich gebessert haben.
Deine Tätigkeit als Tourmanager für MADBALL habe ich bereits angesprochen. Freddys Bruder Roger Miret hat vor kurzer Zeit seine Autobiografie veröffentlicht. Da könntest du doch nachziehen, oder? Immerhin beackert ihr auch seit über zwanzig Jahren die Bühnen der Welt. Kannst du uns zwei Sachen erzählen, die dir im Gedächtnis hängengeblieben sind?
Heftige Frage. Anfang der Neunziger Jahre waren wir mit THINK TWICE aus Italien und SPAWN aus dem Ruhrgebiet unterwegs, um im Osten einige Shows zu spielen. In einer kleineren Stadt suchten wir damals den Club und haben einen alten Opa auf der Straße angesprochen, wohin wir fahren müssen. Er beschrieb uns den Weg und sagte, dass er auch gleich dahin kommen würde. Er würde gerne mitfeiern, weil er das Ambiente „bei uns“ so mögen würde. Da waren wir schon ein bisschen skeptisch, fuhren aber los und erreichten bald einen ziemlich düster aussehenden Club mit einem brechend vollen Parkplatz davor. Jede Band war mit einem eigenen Pkw gekommen und wir dachten, dass die anderen schon drin wären. Ich bin dann kurz rein, um zu schauen, wo wir abladen können, mache die Tür auf und stehe mitten in einen riesigen Raum voller rechter Skinheads. Mit meiner damaligen Frisur, blondierte Haare mit Seitenscheitel, fiel ich natürlich sofort auf. Die Tür habe ich direkt wieder zugeknallt, bin losgerannt und schnell wieder in die Karre gesprungen, bevor die Flaschen gegen den Wagen knallten. Unser damaliger Schlagzeuger, dessen Mutter Farbige ist, saß geduckt hinten. Wir sind dann mit Vollgas abgehauen und ich habe mich riesig gefreut, die Polizei zu sehen, die uns entgegenkam. Sie haben uns dann in die Nähe des Jugendzentrums eskortiert, konnten aber in die besetzte Straße nicht reinfahren. Das war heftig, innerhalb von einem Kilometer Luftlinie so krasse Gegensätze zu erleben. Wenigstens erkannte man damals noch, wer zu welchem Lager gehört. Heutzutage sehen die Nazis ja aus wie du und ich. Trotzdem appelliere ich an alle Leute, egal ob Fußball oder Hardcore: Passt auf, wer in eurer Szene aufläuft. Haltet die Augen offen und geht dagegen vor. Obwohl ich nicht müde werde, Ansagen gegen Nazis und Faschos auf der Bühne zu machen, bin ich dennoch nur Gast bei euch und nach ein paar Stunden wieder weg. Seht zu, dass ihr in dieser Hinsicht eure Szene sauber haltet. Eine andere heftige Geschichte war unser erster Trip nach Russland. Ein holländisches Fernsehteam wollte eine Reportage über unsere Gegend machen und dabei einige Künstler mit einbauen. Wir haben dann mit den Reportern zusammengesessen und ihnen erzählt, dass wir einige Shows in Moskau spielen. Da waren sie sofort Feuer und Flamme und haben uns dahin begleitet, um ein Roadmovie über uns zu drehen. Wir haben in einem Club gespielt, in den knapp 700 Leute reinpassen, viel mehr als sonst, wenn wir Headliner sind. Wir sind leider nicht HATEBREED, die ganz andere Säle füllen. Die Show in diesem pickepackevollen Club war der Oberhammer und eine Erfahrung sondergleichen. Die Leute haben schon vorher unseren Namen gebrüllt und sind abgegangen wie der Teufel.
Wie bist du eigentlich zum Hardcore gekommen?
Ganz klar über Metal. Wie die meisten anderen auch. Erst war ich großer IRON MAIDEN-Fan, und als das nicht mehr gereicht hatte, kam die härtere Schiene. Ende der Achtziger Jahre bin ich dann zu den ersten Shows gefahren, die mich richtig wegbliesen. Die „Scream Bloody Gore“-Tour von DEATH oder das erste Mal NUCLEAR ASSAULT. Dann schaust du genau auf die T-Shirts, die die Bands tragen, und entdeckst natürlich AGNOSTIC FRONT oder MISFITS. Da der Geldbeutel als Jugendlicher nicht so voll ist, überspielt man sich viel. Mein erstes Hardcore-Tape enthielt „The Age Of Quarrel“ von CRO-MAGS, „Victim In Pain“ von AGNOSTIC FRONT und „Milo Goes To College“ von DESCENDENTS. Und so ist man schnell in der Szene. Mit 17 habe ich dann angefangen, als Tourmanager und Booker zu arbeiten.
Was bringt 2020 für BORN FROM PAIN?
Wir werden im Frühjahr wieder einige Shows in Amerika und Mexiko spielen. Ein Kollege von uns, ein Mexikaner, hat einige Locations für uns gebucht. Diesmal wird es an die Westküste der Vereinigten Staaten gehen, wo wir auch eine kleine Fanbase haben. Wenn man in Amerika überhaupt davon sprechen kann, denn die Szene dort ist ziemlich schnelllebig. Wenn Europäer eine Band gut finden, dann verfolgen sie sie über Jahre. Das ist drüben oft nicht so. Ich bin gespannt, wen ich aus der Westküstenszene überhaupt noch antreffe. Wir waren ja zuletzt vor sechs Jahren dort, das ist schon eine lange Zeit. Ansonsten werden wir im Sommer wie immer bei einigen Festivals spielen.
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