BLITZKRIEG

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Gossenpunk aus Hannover

In den späten Siebziger Jahren erlebte die BRD die erste Punk-Welle. Auch in Hannover gründeten sich zahlreiche Bands, ab 1978 waren BLITZKRIEG mit dabei – harter und kompromissloser Pogo-Punk, auf den ich erst 1982 durch den Sampler „Soundtracks zum Untergang Vol. 2“ aufmerksam werden sollte. Aber da war es mit BLITZKRIEG bereits schon wieder vorbei. Wir nahmen das Rerelease der BLITZKRIEG-Compilation „Ohne Zukunft“ auf Twisted Chords zum Anlass, um mit Gründungsmitglied Wixer, Gitarre, und Pedder, dem zweiten Bassisten, über ihre Erinnerungen an die Frühphase der hannoverschen Punk-Szene zu sprechen – allerdings getrennt voneinander. BLITZKRIEG waren außerdem noch Sänger Dussel, Bassist Face und Bärbel am Schlagzeug.

Wie seid ihr damals auf Punk aufmerksam geworden, und wann hat euch das Virus selbst erfasst?

Wixer: Ich habe aus den Printmedien von Punk erfahren. Das war so 1977. Ich suchte immer Mucke, die richtig knallt. Deshalb war ich früher immer auf Flohmärkten und habe dort Rock-LPs und -Singles gekauft. Dann kaufte ich mir die erste DAMNED-LP und es war um mich geschehen. Diese Kraft und die Aussage, Mannomann – keine stundenlangen Soli und irgendwelche Fantasietexte mehr, die realitätsfremd waren. Voll geil!
Pedder: Ein kleiner Schlenker: Ich habe über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte registriert, wie durch Personen, die sich davon einen persönlichen Vorteil versprachen – Image, Geltungsbedürfnis, Verkauf eigener Produkte –, die Geschichte des – deutschen – Punk beliebig umgeschrieben und umgedeutet wurde. Früher hat mich das mal geärgert, mal auch schmunzeln lassen, heute ist es mir eher egal, da ich mich selber als Mensch über andere Dinge definiere und – so hoffe ich! – andere Lebensleistungen vollbracht habe. So kann ich hier also seelenruhig und entspannt erklären, den Punk weder erfunden noch ihn „gerettet“ zu haben! Die „Never Mind The Bollocks“-LP der SEX PISTOLS hatte mich früh sehr beeindruckt. Ich war 1976 und 1977 in Great Britain, auch in London, und habe dort, recht fasziniert, Punks gesehen, ohne jedoch Berührungspunkte mit ihnen zu haben. In Hannover ergaben sich später über Freunde und meinen Bruder, der vom Punk-Virus früher infiziert wurde als ich, erste Kontakte zu den frühen Punks hier, wie zum Beispiel Wixer und Bärbel, die damals schon mit dem Bassisten „Face“ aktiv wurden. Mein Bruder hat dann übrigens unter anderem bei WUTSTOCK, dem Vorläufer von BLUT + EISEN, Gitarre gespielt, er hat auch unter anderem das Cover des „Korn Live“-Samplers entworfen. Dass ich selber von der gerade entstehenden kleinen Szene angezogen wurde, lässt sich einerseits durch den Reiz der absolut neuen, spannenden, provokanten, „vibrierenden“ Bewegung erklären, andererseits aber auch durch profane soziologische Phänomene der Adoleszenz – auch wenn das ein wenig „entzaubernd“ sein mag. Wir waren aber eben schlicht jung und gierig auf Leben, Abenteuer und Aktion, wie Generationen vor und nach uns.

Was bedeutete Punk damals für euch – und wie ist das heute?
Wixer: Freiheit! Endlich konnte jeder Mucke machen, kritische Texte schreiben, alles selbst machen – Fanzines, Punk-Festivals und -Gigs veranstalten, Platten tauschen. sich organisieren. Und alles ohne dickes Management.
Pedder: Es ist schwierig, heute jemandem, der damals nicht dabei war, die Faszination der damals noch neuen und offenen Bewegung zu beschreiben, und ein wenig klingt es sicher auch, als würde Opa vom Krieg erzählen ... Alles war möglich. Oder schien so. Konventionen wurden gebrochen. Es war für mich einerseits noch ein Aufräumen mit dem Nachkriegsmief der Elterngeneration, ebenso musikalisch der Stinkefinger gegen die verquaste Schwurbelmusik der mittleren Siebziger. Für mich schloss es sich logisch an die von mir in meiner frühen Jugend gehörten Glamrock-Bands an – mein erstes Konzert waren etliche Jahre zuvor SLADE gewesen, auch SWEET und Suzi Quatro hatte ich Anfang der Siebziger gesehen. Als Haltung oder Lebenseinstellung bedeutete und bedeutet es für mich, Regeln, Glaubenssätze, Vorgaben nicht als gegeben hinzunehmen, sondern sie kritisch zu hinterfragen, sie bei Bedarf zu verändern, sie weiterzuentwickeln, damit kreativ zu spielen, sich Freiheit und Freiheiten zu erarbeiten. Wobei ich heute mehr als damals beherzige, dass die Freiheit auch immer die Freiheit der anderen meint. Damals, so fürchte ich, habe ich, vermeintlich oberschlau im jugendlichen Überschwang, andere hier und da in verbalen Disputen arg abgebügelt.

Gab es von eurer Seite aus von Anfang an die Idee, Musik zu machen? Wie habt ihr euch gefunden?
Wixer: Auf jeden Fall wollte ich Musik machen. Ich bekam meine erste Gitarre mit 14 Jahren. Dann traf ich 1978 Face, Bass, und Bärbel, Drums, auf dem Altstadtfest. BLITZKRIEG waren geboren.
Pedder: Ich habe mir irgendwann von einem Freund einen billigen alten Bass gekauft. Ich hatte keinen Verstärker, wenn ich aber das Instrument an meine Jugendschrankwand gedrückt habe, machte es beeindruckende Töne, wie ich fand ... Ein kleiner Amp kam dazu, dann ein größerer. Ich habe angefangen, zu Schallplatten mitzuwummern und auch eigene Songs geschrieben, die nie an die Öffentlichkeit kamen, aber noch irgendwo bei mir auf alten Tapes rumgammeln. Ich mochte es, wie die tiefen Töne körperlich zu spüren waren. Auch fand ich den Bass einfach zu spielen; ich hatte nie Gitarre gelernt. Dann fragten mich die „Blitzkrieger“, ob ich nicht bei ihnen einsteigen wollte. Ja, ich wollte.

Wer hatte die Idee zu eurem Namen? Und was bedeutet er für dich?
Wixer: Face hatte die Idee. Der Name BLITZKRIEG passte für eine Punkband wie Arsch auf Eimer. Er sollte auch Härte und Antifaschismus ausdrücken.
Pedder: Ich bin erst etwas später zu BLITZKRIEG gestoßen, habe die Band nicht mitbegründet, gehörte aber schnell zum Following und war „Fan“. Natürlich war der Name vom „Blitzkrieg bop“ der RAMONES beeinflusst. Der Nachhall der damals durchaus noch jüngeren deutschen Geschichte ließ ihn aber auch ein wenig zwiespältig, und damit durchaus „gefährlich“ klingen. Damals spielten ja nicht nur englische Punkbands mit Nazi-Symbolik herum, aus der reinen, naiven Freude an der Provokation und ohne jeden rechten Hintergrund oder entsprechendes Gedankengut, ganz im Gegenteil! Auch das ist heute für Jüngere wohl wenig nachvollziehbar – „pc“ war später. Damals ließen sich im Rahmen künstlerischer Freiheit – ich nenne das jetzt mal so – viele Grenzen sehr weit ausdehnen, ohne sofort einen Shitstorm loszutreten und entschuldigend zu Kreuze kriechen zu müssen.

Welche Einflüsse hattet ihr?
Wixer: Ich suchte immer im Rock-Bereich nach geilen Songs, kurz und knackig. Ich hörte LED ZEPPELIN, UFO, FOCUS, DEEP PURPLE, BLACK SABBATH, MONTROSE, BLACKFOOT SUE und so weiter, und dann kam Punk.
Pedder: Neben den RAMONES könnten das wohl die frühen britischen Punkbands gewesen sein. Tatsache ist jedoch, dass wir unseren eigenen Sound vor allem selber kreiert haben. So viele mögliche Vorbilder gab es ja noch nicht, auch hatten wir mangels Virtuosität nicht deren musikalische Möglichkeiten. Allein die Technik des Schlagzeugspiels von Bärbel war einzigartig. Wir haben tatsächlich etwas sehr Eigenes erschaffen. Aus heutiger Sicht mag diese Musik für manchen stümperhaft klingen – auch ich höre mir das heute nur noch selten an –, sie hatte jedoch damals für sehr viele eine hohe Anziehungskraft und ihren eigenen Reiz, da am Anfang kaum jemand so klang und der Sound eine krasse und mitreißende Radikalität besaß.

Wo habt ihr geprobt – und wie oft?
Wixer: Am Anfang konnten wir hier und da proben – denn wer übt, der kann nix! So probten wir eine Zeit lang neben ROTZKOTZ in einer IGS, wo der Raum drei mal vier Meter groß war. Dann hatten wir Kontakte zu den Autonomen im Juz Colloseum in Badenstedt, das im Randgebiet von Hannover lag. Die sagten ja und später kamen noch DEUTSCHLAND, KONDENSATORS und FUCKS hinzu. Wir teilten das bisschen Anlage mit ihnen. Später wurde das Colloseum für Menschen mit Behinderung umgebaut und wir mussten die Räume verlassen. 1981, auf der Suche nach einem neuen Übungsraum, fragten wir auch in dem UJZ Glocksee nach und sie zeigten uns Räume, wo man proben konnte. Was die Fascho-Prolls uns nicht sagten: dass ab und zu die Ihme, der Fluss an der Glocksee, Hochwasser führt und somit der Proberaum bis zu vierzig Zentimeter unter Wasser stand. Gitarrenkoffer kamen dir schwimmend entgegen. Der Proberaum hatte keine Tür, keine Leitungen, Steckdosen, Heizung und wir hatten kein Geld. Eines Nachts fuhren wir mit ein paar Leuten mit dem Korn-Bulli in eine alte Fabrik, schlugen die Stahltür mit Rahmen aus der Wand. Somit hatten wir schon mal eine Tür. Wir probten mit BLITZKRIEG einmal und mit BOSKOPS später zweimal die Woche. Den Raum haben wir heute noch. Es proben dort jetzt KNÜPPEL FREI, Punk, DRUCK FLUCHT, Psycho-Stuff, FUCK, Punk, und ich. Tier von BLUT + EISEN gibt dort auch Drum-Unterricht.
Pedder: Wir hatten Proberäume in verschiedenen hannoverschen Jugend- oder Kulturzentren. Zuletzt haben wir mit anderen Bands leerstehende Kellerräume auf dem Gelände der Glocksee in Hannover-Linden besetzt, eingerichtet und uns Nutzungsverträge ausgehandelt. Im Stadtteil Badenstedt wurde das Haus des Jugendtreffs Collosseum – trotz massiver auch von uns mitgetragen Proteste dagegen – geschlossen und zu einem Altenheim umgebaut, unser Ü-Raum dort war riesig; wir teilten ihn mit einer Metalband. Dann zogen wir in einen kleinen Raum im Keller der IGS Mühlenberg – ein problematischer Stadtteil, wo die dortige Jugend Punks nicht so mochte ... Wir mussten dort zum Proben jeweils den Schlüssel beim Hausmeister abholen. Um den Raum zu bekommen, hatte ich als Name unserer – damals in Hannover durch Presseberichte, unsere Edding- und Sprühschmierereien sowie Mundpropaganda schon etwas verrufenen – Band „Blumenbeat“ angegeben; dafür unterschrieb ich jedes Mal mit innerlichem Grinsen. Dann ging es in das UJZ Glocksee. Getroffen haben wir uns, ich weiß es schlicht nicht mehr genau, wohl ein- bis zweimal die Woche, öfter vor Auftritten und Plattenaufnahmen, meist haben wir auch tatsächlich geprobt. Der BLITZKRIEG-Ü-Raum war immer und überall Treffpunkt für allerlei Volk, so dass oft eher Partystimmung als „Arbeitsatmosphäre“ angesagt war.

Wie sah die Punk-Szene in Hannover in den späten Siebzigern aus? Gab es ein autonomes Zentrum, die Möglichkeit, selbst Konzerte zu organisieren? Wo trafen sich Punks und wie reagierte die Umwelt?
Wixer: Es gab die No Fun-Fraktion mit ROTZKOTZ und HANS-A-PLAST, die älter waren und meist aus dem Kunst studierenden Umfeld kamen. Und uns, die Gossen-Kid-Punks: DEUTSCHLAND, BLITZKRIEG, KONDENSATORS, FUCKS. Zuerst waren wir in der Roten Kuh, einer Kommerz-Punk-Disco. Es gab das UJZ Kornstraße, in der waren Face, Bärbel und ich ab September 1978. Wir wollten nach einem Übungsraum fragen und durchschritten das Holztor. In dem einzigen Kellerraum probten KALTWETTERFRONT, Politrock, bei einer Deckenhöhe von 170 cm. Die Korn-Leute und die Punks näherten sich an. Danach waren wir nur noch in der Kornstraße. Nach dem wir die „Stoll“, einen großen Pelzladen in der Stadtmitte, entglast hatten, reagierte der Pöbel mit Entsetzen und die Medien sahen sich bestätigt: Punkrock ist hässlich und brutal. Auch Schnorrer-Punks lernte das „Volk“ kennen. Das erste Punk-Festival in der BRD, organisiert von No Fun Records, fand 1978 im Colloseum statt. Dort spielten KATAPULT, Politrock/Punk aus Berlin, ROTZKOTZ, Punk, HANS-A-PLAST, damals noch ohne Sängerin, Rock/Punk und SCHLEIM, Rock/Punk aus Braunschweig. Der Schreihals landete später als Sängerin bei HANS-A-PLAST. Am Ende des Konzerts liehen uns KATAPULT ihre Instrumente. Wir hatten keinen Plan und krachten rum. Ich suhlte mich mit meinem selbstgebastelten T-Shirt aus einer Plastiktüte auf den Boden voller Glas. Die Leute von KATAPULT staunten nicht schlecht und bereuten, uns ihre Instrumente überlassen zu haben.
Pedder: Es gab Treffpunkte wie die legendäre Disco Rote Kuh und die Kneipe darunter. In Hannover-Linden gab es das Punkrock-Café Anderes Ufer. Erst später verlagerte sich die Punk-Szene in das UJZ Kornstraße. Die dortige linke langhaarige Szene vermischte sich in Teilen auf kreative Art mit den neu hinzugekommenen Punks. Ich selber habe dort lange Zeit Konzerte organisiert und durchgeführt. Am meisten erinnere ich mich an BLACK FLAG, MINUTEMEN oder BAD BRAINS, das war aber schon kurz nach dem Ende von BLITZKRIEG, die dort zuvor so eine Art „Hausband“ gewesen waren, wir haben immer wieder dort gespielt, selbst organisiert. Bei den Gigs anderer Bands habe ich oft mit aufgebaut, Kasse oder Ordner gemacht, nach dem Konzert aufgeräumt und Scherben weggefegt und so weiter und musste mir immer wieder von „nachgewachsenen“ kleinen Punkies, die sonst nix in der Szene bewegten oder arbeitsmäßig mittrugen, anhören, was für „Kommerzschweine“ wir doch wären, dass wir ein paar DM Eintritt nahmen. Andere Punks – oder gerade die eben erwähnten – hingen eher am Bahnhof ab; wofür diese Szene stand, das war mir schon damals unklar. Wenn man sich damals im Punk-Outfit und entsprechend „lässigem“ Verhalten in der Stadt, Straßenbahn et cetera bewegte, reagierten Ältere durchaus oft erwartungsgemäß schockiert. Mir hat das schon auch Spaß gemacht, hauptsächlich habe ich mich aber immer für die Musik und den „Bandkram“ interessiert.

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum – gab es den bei euch, in eurer Szene?
Wixer: Na logo! Tabletten, Schnüffeln, LSD, Alk, Hasch, Heroin. Einmal durch die Bank. Jugend forscht und manche überlebten es nicht.
Pedder: Wenn das nicht so gewesen wäre, dann könnte ich mich heute wesentlich besser an viele Kleinigkeiten erinnern ... Am Anfang wurde nur viel getrunken. Kiffen war ja was für „Hippies“! Sehr schnell jedoch kiffte auch ein großer Teil der Punks. Auch beliebt war der Konsum verschiedener Medikamente, die man damals noch ohne große Probleme in der Apotheke erwerben konnte, wie zum Beispiel Ephedrin. Manche haben diesen Weg weiter beschritten, über Speed/Koks bis zu Heroin, nicht alle haben das unbeschadet überstanden beziehungsweise überlebt. Besonders krass waren für mich die „Pattex-Punx“ mit ihren Schnüffeltüten. Ich selber habe vieles – nicht alles, es hätte mir gefallen können! – ausprobiert, aber das ist lange vorbei. Die Kontrolle zu verlieren, das war mir eigentlich immer verhasst. Trotzdem ist es mir passiert – immer wieder mal. Und oft hat es auch Spaß gemacht. Mit Anfang zwanzig hat man vermeintlich eine schiere Unendlichkeit an Leben in sich, man ist unverwundbar, unsterblich. Das auszuloten ist ein sehr intensiver Kick. Kann aber eben auch schiefgehen. Aus heutiger Sicht würde ich niemandem raten, diesen Weg zu beschreiten. Mein zwanzigjähriges Ich würde jedoch nicht auf mich, den alten bürgerlichen Spießer, hören.

Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind dir in besonderer Erinnerung geblieben?
Wixer: Anfang der Achtziger gab es ein „Hannover Abend“-Konzert im SO36, Berlin. Es spielten KLISCHEE, LE CRASH, 39 CLOCKS und wir. Nach dem Gig kam ein Typ auf uns zu und fragte, ob wir Bock hätten, vor drei Knästen zu spielen. KLISCHEE und wir sagten zu. Am nächsten Morgen um neun Uhr trafen wir uns auf einem Hof, wo gerade der Pritschen-Lkw mit der Anlage bestückt wurde, dann fuhren wir los. Die Demo-Route war mit Zetteln mit dem Schriftkopf vom Sperrmüll Berlin versehen. Die Bürger wurden aufgefordert, ihren Sperrmüll auf die Straßen zu stellen – für Barrikaden! Beim ersten und zweiten Knast-Lkw-Konzert passierte nix. Beim dritten in Moabit knallte es. Die ersten Steine flogen, Rauchbomben und Geschrei. Der Lkw sprang an und startete, wir flogen auf der Pritsche hin und her. Wir fuhren durch des Bürgers Barrikaden in die Nebenstraßen, wo wir erst mal alles ordnen mussten – Verstärker, Mikroständer, PA und so weiter. Wieder auf dem Hof fielen wir uns voll fertig, aber glücklich und lachend in die Armee. Ende 1978 musste ich zur Musterung, wir fuhren mit Bärbels 15M-Ford mit „Gabba gabba hey“ und BLITZKRIEG darauf gesprüht vor. Beim Punkt „Nehmen Sie Drogen?“ entwickelte sich folgendes Gespräch: „Ich habe zur Zeit einen BTM-Prozess am Arsch und wer garantiert mir, dass das, was ich jetzt sage, nicht in den laufenden Prozess einfließt. Ist das hier staatlich? Dieser macht gegen mich ein Verfahren.“ – „Aber ich habe doch ärztliche Schweigepflicht.“ – „Das geben Sie mir mal schriftlich!“ Und so geschah es und ich erzählte ihm, was ich zur Zeit alles nehmen würde. Der Typ sagte dann: „Ziehen Sie sich wieder an, ihr Leben geht weiter“. Und ich hatte Tauglichkeitsgrad 5! So konnten wir mit BLITZKRIEG voll durchstarten. Wir wollten nach Hamburg zu BUTTOCKS im Krawall 2000. Da wir wieder mal kein Geld hatten, mussten wir uns von anderen Autos den Sprit leihen. Mit Schlauch und Kanister sind wir los. Bärbel schob den Schlauch in den Tank und saugte sehr fest, er schaute uns an und fiel nach hinten. Wir zogen ihn in einen Hinterhof und klatschten ihm ein paar, er kam wieder total benommen zu sich. Der Tank hatte kein Benzin in sich und er hatte volles Rohr die ganzen Gase eingesaugt. Dann hatten wir Silvester 1979/80 einen Gig in Bremen zusammen mit ÄTZTUSSIS, RAZORS, SNOPE und HEADBANGERS. Draußen herrschten Minusgrade und in der Halle waren es zwei Grad plus. Irgendwann kam der lautstarke Hamburger Mob. Hinter der Bühne war ein kleiner Raum, in dem ein kleiner Gitarrenverstärker stand. An dem versuchten Erwin – RIP – und sein Gitarrist von KOTZBROCKEN irgendwelche SEX PISTOLS-Songs zu üben. Lauthals versicherte Erwin dem Veranstalter Benno, wenn sie nicht spielen dürften, würde die Hölle los sein. „Okay, ihr spielt als Erstes!“ Ich kam mit Erwin ins Gespräch. Ich fragte ihn, ob er Tabletten kaufen will, und er nickte. Er nahm fünf Valium 10 auf einmal. Ich sagte „Nicht so viele“ und er meinte: „Das ist Punk, davon verstehste nix“. KOTZBROCKEN legten los und der Mob zündete Böller. Mit dabei Heiner, später NSDAP AO, kaputte Welt. Der lief mit einem Stilett herum. [Heiner aus Hamburg, Sohn eines schwarzen GIs und einer Deutschen, gründete Anfang der Achtziger Jahre eine Gang, die er in Anlehnung an die SA Savage Army nannte. Die Gang driftete, nachdem sie zunächst nur mit dem Rechtsradikalismus kokettiert hatte, völlig in die Neonazi-Szene ab. Siehe auch Daniel Ryser „Slime. Deutschland muss sterben“, Heyne Verlag München 2013, S. 68 ff., Anm. d. Red.] Die Rotze flog nur so durch den Raum. Das Valium machte sich bei Erwin bemerkbar, er taumelte und flog von einer Anlage in die andere. Nach dem Auftritt waren Backline-Teile im Arsch und mussten schnell neu organisiert werden. Hier lernten wir auch Karl Walterbach von Aggressive Rockproduktionen kennen. Seine Freundin spielte bei den ÄTZTUSSIS und er war der Fahrer. Am nächsten Tag waren wir bei dem Anlage-Typen wegen Benzingeld. Der meinte aus dem Fenster rausschreiend: „Es gibt erst Geld, wenn die Anlage repariert ist.“ Zum Glück hatten wir Schlauch und Kanister noch.
Pedder: Peinlichkeiten über mich sollen andere erzählen. Oder auch besser nicht. Mir war schon mein übermotiviert schriller Gesang bei „Meine Nachbarn“ vom „Korn Live“-Sampler unangenehm. Vieles habe ich ansonsten schon in der BLITZKRIEG-Story angerissen, die damals in einem hiesigen Fanzine erschien; 1994 war sie im Booklet der bei Lost & Found erschienen CD genauso enthalten wie 2020 in der LP-Beilage. Auch zum „Punkwax“-Buch von Thomas „Paradise“ Junggebauer [German Punk & Hardcore 1977-85; Vinyl Navigator] haben ich einige Anekdoten zur BLITZKRIEG-EP-Produktion beigetragen. Also: LP kaufen, und/oder gebraucht CD und Buch!

Habt ihr oft in anderen Städten gespielt. Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert?
Wixer: Bei Konzerten tauschte man Adressen aus und pflegte den Briefkontakt. So entstanden Konzerte- und Städte-Freundschaften. Bremer kamen nach Hannover und andersrum. In dieser Stadt waren wir auf einer Popper-Fete. Im Flur der Wohnung stand Campino mit Flips und erzählte mir, man sollte sie nicht auf den teuren Samtteppich zertreten – knatsch, knatsch. Für mich und ein paar andere endete die Party in den Bremer Verwahrungszellen. Auch nach Braunschweig hatten wir Kontakte, unter anderem zu DAILY TERROR, was sich dann aber bald erledigte, da Peter Teumer, deren Sänger, immer mehr mit den Nazi-Glatzen abhing. Im Ausland haben wir mit BLITZKRIEG nie gespielt.
Pedder: Wir haben, neben Hannover natürlich, viel in West-Berlin, sonst im norddeutschen Raum, insbesondere in Bremen, aber auch zum Beispiel in Frankfurt oder München gespielt. Das Booking habe ich erledigt, über meine Kontaktadresse war ich Ansprechpartner und quasi der Manager, Booker, Roadmanager, Fahrer, Kassenwart, Plattenverkäufer, und so weiter. Die damalige frühe deutsche Punk-Szene war schon aufgrund ihrer Überschaubarkeit gut vernetzt, wenn auch „nur“ über Telefon und Post. Irgendwer kannte immer irgendwen, so dass Infos und Anfragen zu Auftrittsmöglichkeiten doch immer recht fix hin- und hergingen.

Habt ihr das Gefühl, dass eure Texte immer noch aktuell sind?
Wixer: Teils, teils. Und es fühlt sich komisch an. In den vier Jahren BLITZKRIEG kamen 80% der Musik und 70% der Texte von mir. In 19 Jahren BOSKOPS waren es 90% der Musik und 80% der Texte und in sechs Jahren FUCKS 25% der Musik und 25% der Texte.
Pedder: Die frühen Texte der Band stammten von den anderen beiden Jungs, meist wohl von Wixer. Mit meinen späteren Beiträgen – schon auf dem „Korn Live“-Sampler waren die Texte von mir – habe ich dann versucht, mich in Haltung und Wortwahl daran zu orientieren. Es sollten eben BLITZKRIEG-Texte sein und nicht die eines Frank Zappa-Fans mit gymnasialer Bildung. So betrachte ich die textlichen Inhalte, auch meine, heute als rotzig auf den Punk(t) gebrachte Momentaufnahmen damaliger Befindlichkeiten und Gedanken, weniger als Weisheiten für die Ewigkeit. In meinem Song „Hass“, später von den BOSKOPS noch einmal aufgenommen, ging es grob zugespitzt darum, dass man sich ohne kritisches Feedback oder Input von Andersdenkenden in seiner Szene-, Weltanschauungs- oder politischen Blase nicht verbessern oder weiterentwickeln kann. Wie sehr diese autistischen Lager sich heute durch das Internet verselbständigt haben und durch Abkapselung vom Rest der Welt ihre „Wahrheit“ so extrem glorifizieren, dass dafür ohne Reue auch gemordet wird, das war damals kaum zu erahnen. Über den stumpfen Text von „Erst ma’ eins auf die Fresse“ habe ich vor meinem Einstieg bei der Band mit Wixer diskutiert und ihm erläutert, warum ich damit Probleme habe. „Erst schlagen, dann fragen“ war nun wirklich nicht meine Welt. Trotzdem haben wir den Song dann noch lange gespielt. Den Text von „Pillen Dur“ hatte Bärbel weitgehend von dem VIBRATORS-Stück „Sulphate“ „entliehen“. Andere Songs sind über Polizeigewalt, politische und soziale Fehlentwicklungen, über das Leben am unteren Rand der Gesellschaft, den Einfluss der Bild-Zeitung, Teenagerträume, gescheiterte Beziehungen, Nachbarn, Prostitution, Politiker und so weiter. So sind viele Inhalte in Teilen durchaus aktuell geblieben. Die eher albernen und verspielten Texte von „Pogo, Pogo – Patz, Patz“ und „In spiritus sancti“ mag ich noch, sie entstanden mit den Songs aus Ü-Raum-Sessions, an denen mal alle vier Bandmitglieder sich kreativ beteiligten, und haben nicht die verbissene Ernsthaftigkeit vieler anderer Lieder, sondern ließen auch einmal ein wenig Lebensfreude durchscheinen. „In spiritus sancti“ hatte dabei auch einen guten Groove – den Song hätte ich gerne noch mal professionell aufgenommen!

Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die ihr heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdet?
Wixer: Nö!
Pedder: Ich bin heute 61 Jahre alt. Würde ich immer noch Texte schreiben wie mit Anfang zwanzig, zumal für BLITZKRIEG, wäre das in meinen Augen äußerst seltsam. Und vollkommen albern. Insofern: Ich würde keinen Text heute mehr so schreiben. Das mit dem Spielen hat sich erledigt, BLITZKRIEG werden nicht wieder zusammenkommen. Und kompositorisch waren es meist ja auch keine Hits für die Ewigkeit. „Frisch aus England“ ist ein eingängiger Song, der deswegen ja auch noch oft aufgerufen wird. Ich mag „Hass“ immer noch, egal ob von BLITZKRIEG oder BOSKOPS. „Ohne Zukunft“ bringt die Gedanken von vielen aus unserer Generation gut auf den Punkt, und obwohl er musikalisch „nach Lehrbuch“ auch nicht eben herausragend ist, transportiert er den damaligen Spirit für mich perfekt. „Erst ma’ eins auf die Fresse“ bleibt für mich ein eher doofer Song – wenngleich ich sehr genau weiß und auch verstehe, aus welcher Gedankenwelt und auf der Grundlage welcher Sozialisation und Lebenserfahrungen er entstanden ist.

Einer eurer bekanntesten Songs ist „Frisch aus England“. Ich habe selbst 1984 als 15-jähriger Kid-Punk auf einem Punk-Konzert für mein eine Woche vorher auf der King’s Road in London erworbenes SEX PISTOLS- Shirt eins auf die Fresse bekommen. Könnt ihr erklären, wovon der Text handelt?
Wixer: Wir trugen alte Jacketts mit Sicherheitsnadeln, Ketten und Badges vom Flohmarkt, dazu selbstgemachte T-Shirts, die wir mit Lackfarbe besprühten. Wenn ein Neuer mit teuren Punk-Utensilien auflief und uns erklärte, dass er das teure England-T-Shirt im Müll gefunden habe – das ist echt passiert –, war derjenige bei vielen durch. Solche Leute kamen zwei Wochen später ohne kommerzielle Klamotten und blieben.
Pedder: Dein Erlebnis ist natürlich übel und für mich, damals wie heute, mit den vorgeblichen Gründen nicht nachvollziehbar. Wenn allerdings irgendwer irgendwem auf die Fresse hauen möchte, wird er immer einen Anlass finden; das musste ich selber leider wiederholt schmerzhaft feststellen. Zwar wurden BLITZKRIEG ursprünglich durch die dort genannten Bands inspiriert und hatten sich in ganz frühen Tagen auch auf sie bezogen, so im Song „In memory Sid Vicious“, wir hatten uns dann jedoch im groben Rahmen der norddeutschen und Berliner Punk-Szene recht selbstbewusst mit eigener Identität und Selbstverständnis weiterentwickelt und „abgenabelt“. Dass dann mit dem Anwachsen und der fortschreitenden Uniformierung der Punk-Szene viele der „Nachrückenden“ sich im Outfit wieder auf Bands und Inhalte bezogen, die mit uns, unserem Leben und darauf bezogenen politischen wie musikalischen Aktivitäten kaum noch etwas zu tun hatten, das schien uns zumindest seltsam. Ich meine mich aber erinnern zu können, dass es ein konkretes Erlebnis war, das Wixer in dem Text verarbeitet hat.

1981 erschien eure EP „Ohne Zukunft“, die ihr selbst veröffentlicht habt. Warum in Eigenregie, gab es kein Label, das Interesse hatte?
Wixer: Wir wollten über unser Baby die Kontrolle behalten und machten alles selbst. Wir tauschten auch Tonträger mit anderen Bands.
Pedder: Es gab Interesse von Labels. Und auch Gespräche, unter anderem mit „Typhus“, Manfred Schütz vom Boots-Plattenladen, später SPV. Insbesondere bei Wixer gab es jedoch große Vorbehalte, von anderen vereinnahmt, verbogen oder über den Tisch gezogen zu werden. So nahmen wir das Projekt selber in die Hand. Was eine wertvolle Erfahrung war, aber auch viel Arbeit. Im „Punkwax“-Buch steht von mir ein wenig mehr dazu.

Wie ist der Kontakt zu Aggressive Rockproduktionen für den „Soundtracks zum Untergang 2“ zustande gekommen? Wie habt ihr die Zusammenarbeit in Erinnerung?
Wixer: Wir lernten Karl in Bremen kennen, als wir mit den ÄTZTUSSIS gespielt haben. Bei den Berlin-Gigs konnten wir immer bei ihm pennen. Karl unterhielt sich mit Bärbel, der im Kommunistischen Bund Westdeutschland war, und dem Basser unter anderem stundenlang über „Das Kapital“. Der Junge war nicht doof. Er wohnte im dritten Hinterhof in der Waldemarstraße ganz oben. Gegenüber vom KZ 36, dem späteren Frontkino. Karl hatte auf dem Dachboden einige Graspflanzen. Bärbel und ich fragten, ob wir uns was davon nehmen könnten. Er nickte und sagte: „Nur die Blüten, die abgefallen sind.“ Wir traten gegen die Pflanzen und es rauschte. Vom zweiten Hinterhof kamen noch die Rocker vom Motorradklub Phönix. Dussel kannte die, da sie oft in Hannover mit den Bones abgehangen hatte. Es wurde ein lustiger Abend. Wobei Karl auch bisschen aus sich rauskam, was immer das heißen mag. Karl fragte uns nach einiger Zeit, ob wir bei einem LP-Sampler mitmachen würden. Da wir ja auch schon auf dem ersten KZ 36-Sampler waren und alles gut lief, sagten wir zu. Karl war auch sehr spontan. Am gleichen Abend durften auch KONDENSATORS mitspielen. Und er nahm sie auch auf den Sampler, die davor noch nichts davon wussten. Der Basser und ich liehen ihnen die Instrumente. In dieser Zeit arbeiteten wir gerade an unserer EP. Ich schrieb „Frisch aus England“ und „Tot geboren“ für „Soundtracks zum Untergang Vol. 2“. Für die Aufnahmen fuhren wir nach Berlin in ein Achtspur-Studio direkt an der Mauer. Mit einer einmaligen Zahlung wurde der Vertrag besiegelt.
Pedder: Durch unsere vielen Berliner Kontakte und Konzerte kannten wir Karl Walterbach schon länger; wir haben gelegentlich in seinem Loft in Kreuzberg gepennt. Unter anderem 1980 für die Live-Aufnahme des Konzerts im KZ 36, unsere erste jemals erschienene Plattenaufnahme, welches auf demselben dritten Hinterhof lag und von ihm mitbegründet worden war. Er war sehr umtriebig und geschäftstüchtig. Der Vertrag über Produktion und Auswertung der ausgewählten Songs – von drei von uns aufgenommenen kamen nur zwei auf den Sampler – war nicht eben günstig für die Bands. Wir haben ihn aber unterschrieben, insofern wurden wir auch nicht abgezogen oder dergleichen. Der erste „Soundtracks“-Sampler war ein Meilenstein, daher waren die Bands auf dem zweiten gerne dabei. Ich kann nichts Negatives über Karl sagen, ich habe später auch zum Beispiel noch die Gigs von BLACK FLAG und BAD BRAINS im UJZ Korn mit ihm vertraglich abgewickelt.

Die Chaostage 1984 in Hannover waren für viele ein einschneidendes Erlebnis. Wart ihr selbst da und wie sind eure Erinnerungen? Falls nicht, haben sich diese Chaostage auch bei euch bemerkbar gemacht?
Wixer: Seit der Instandbesetzung im Sommer 1981 kamen immer mehr Bands in den Trakt des UJZ Glocksee. BOSKOPS, ENOLA GAY, BLUT + EISEN, ALTE KAMERADEN, KYBERNETIX etc. Vor den Chaostagen hatten wir beschlossen, dass auswärtige Punketten und Punks in den Räumen pennen können. Es kam ganz anders! So schoben die Prolls, die vorher im UJZ waren, in den Vormonaten Autos die Treppe herunter, beschossen uns an Silvester mit Pyros und es gab auch andere Scharmützel. An den Chaostagen selbst, nach den Krawallen mit den Fascho-Glatzen und Bullen am Aegidientorplatz, endete der Demozug in der Glocksee. Das Chaos begann, Leute bauten Barrikaden, bewarfen die Bullen mit allen, was da war. BOSKOPS beschlossen ihre Backline zur Verfügung zu stellen um die Leute in die große Halle zu ziehen. BOSKOPS, ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN, HANSAKNACKER und andere Bands spielten. Dann stellten die Prolls den Strom ab. Ich habe noch nie so schnell eine Backline abgebaut. Danke an alle, die uns damals geholfen haben. Die Leute strömten aus der Halle und jetzt ging es ab. Steine, Rauchbomben flogen und Geschrei. Ich konnte mein Bike gerade noch übern Zaun werfen. Dann ging der Kessel zu. Am nächsten Tag mittags kam ich mit paar Leuten von ENOLA GAY in der Glocksee an. Alles im Arsch, alles! Die Prolls begrüßten uns mit zwei Kampfhunden. Wir ließen die Arschlöcher abblitzen und versuchten, den Hof zu fegen, eine fast unlösbare Aufgabe.
Pedder: Anders als es 2012 in einem allzu frei wiedergegebenen Zeitungsinterview mit mir zum Anlass des dreißigsten Jahrestages der Chaostage zu lesen war, war ich 1984 zu der Zeit nicht in Hannover. Natürlich waren die Vorkommnisse dieses Tages später häufiger Gesprächsstoff. Ich selber kann mich insbesondere an den Beginn 1982 als Demo/Aktion gegen die hannoversche „Punker-Kartei“ erinnern, damals waren wir Blitzkrieger durch diese illegale Datensammlung ja auch selber betroffen. So marschierten wir zu jener Zeit auch in großer Besetzung in eine Ratssitzung. Dort hatte sich die Fraktion der GABL, die Vorläufer der Grünen, aus Solidarität als Punks verkleidet. Wir wurden dann vom legendären Hannoveraner OB Schmalstieg mit überkippender Stimme des Saales verwiesen und hinaus eskortiert. Die Chaostage sind ansonsten ein eigenes Kapitel; es gibt dazu von interessierter Seite tonnenweise Material im Internet zu finden, so dass es meiner Worte nicht bedarf. Ich konnte mich damit schnell nicht mehr identifizieren; ich musste immer an den Song „Riot“ von den DEAD KENNEDYS denken.

Im Rückblick: Wie war es für euch, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben?
Wixer: Es war voll geil, in den Siebzigern und Achtzigern in einer Punkband zu spielen. Der Unterschied: Es gab noch kein Internet, Handy und Corona!
Pedder: Da ich mein aktives Musikerdasein schon vor fast dreißig Jahren aufgegeben habe, kann ich zum Unterschied zu heute nichts sagen. Aber ohne arrogant klingen zu wollen – es war ja teils auch nur, hm, die „Gnade der frühen Geburt“ –, es fühlte sich schon besonders an, den Beginn einer so starken und bis heute existenten musikalischen Jugendbewegung mitzuerleben und mit gestalten zu können. Wobei ich natürlich von den späten Siebzigern spreche. Anfang/Mitte der Achtziger wurde die Szene zwar immer größer, aber auch immer uniformer und gleichförmiger. War es einige Jahre zuvor noch völlig egal, wie man sich – oft kreativ und individuell – mit selbst umgestalteten Altkleidern, et cetera stylte, so brachten diese späteren Jahre die Leder- und Nietenpunx. Ähnlich auch bei der Musik. Unterschiedlichkeit und anarchisches Aufbrechen von Hörgewohnheiten bis zur Schmerzgrenze wichen der Gleichförmigkeit und Formelhaftigkeit eines immer schnelleren Geknatters – was am Anfang mit Bands wie DISCHARGE, EXPLOITED und CHARGED G.B.H noch viel Spaß machte, sich aber dann zunehmend abnutzte.

1994 erschien bei Lost & Found die BLITZKRIEG-Compilation „Ohne Zukunft“, die aktuell von Twisted Chords neu aufgelegt wird. Wie ist das beides zustande gekommen?
Wixer: Mit der „Ohne Zukunft“-CD von Lost & Found hatte ich nicht so viel zu tun. Für die Doppel-LP von Twisted Chords hat mich Tobi kontaktiert, und obwohl ich Bedenken hatte – wir wurden schon ein paarmal beschissen –, lief und läuft alles sehr korrekt ab.
Pedder: Über Szenekontakte kam 1993/94 Bernd Granz auf uns zu. Er wollte über zehn Jahre nach dem Ende der Band aufgrund des immer noch großen Interesses alles bereits veröffentlichte oder sonst wie relevante beziehungsweise hörbare Material der Band auf CD rausbringen. Masterbänder gab es von uns nicht mehr oder sie waren verschollen. Das Kaufen der benutzten Mehrspurbänder hatten wir uns damals nicht leisten können, sie wurden also später vermutlich gelöscht und weiterverwendet. So wurden als Ausgangsmaterial für die CD Vinylplatten von mir genommen, die ich bis dahin mit dem Vermerk „ungespielt“ aufbewahrt hatte. Ergänzend hörte ich mich tagelang durch die Vielzahl von alten Ü-Raum-Tapes in meiner Sammlung, um spielerisch und auditiv präsentable Versionen möglichst vieler weiterer Songs aufzuspüren. Für die CD-Beilage tippte ich die BLITZKRIEG-Story aus dem alten Fanzine erneut ab. Das Gleiche hat Tobi von Twisted Chords nun auch wieder getan; leider hat mich zuvor niemand danach gefragt – ich hätte die Datei von 1994 noch auf Lager gehabt ... Auch wurde ein weiterer Beitrag von mir aus dem Textheft der gleichnamigen BLITZKRIEG-7“ von 1981 verwendet. Die Fotos trugen wir aus unseren jeweiligen Sammlungen zusammen, für das Cover wurde die Zeichnung von der 7“ farblich verfremdet wiederverwendet. Die Idee für die Wiederveröffentlichung auf Vinyl als Doppel-LP hatte auch Tobias Behle von Twisted Chords. Auf der Suche nach einem Bandkontakt wurde ihm dieser zu Wixer vermittelt. Der hat das Projekt von Bandseite aus alleine begleitet. Die LP jedenfalls ist ein schönes Produkt geworden – hören konnte ich sie allerdings noch nicht – mit Fotos, die schon im Text Heft der EP waren, das Bild vom Backcover der CD wurde zum Frontcover. Das Foto war an meinem 22. Geburtstag in Frankfurt entstanden. Dort organisierte im JUZ Bockenheim, wo wohl auch ihr Ü-Raum war, eine damals nur lokal bekannte Band eine Reihe von Konzerten, bei denen sie als Vorband bekannterer Deutschpunk-Bands auftraten, an jenem Tag spielten sie, die Rede ist von BÖHSE ONKELZ, erst ihr viertes Konzert.

Seid ihr heute noch musikalisch aktiv? Käme eine Reunion für euch infrage?
Wixer: Ja, ich arbeite seit geraumer Zeit an Solo-Songs und an einem Buch. Ich will später in Wohnungen Konzerte und Lesungen geben. Eine Reunion, nein!
Pedder: Nachdem ich 1989 Vater wurde, habe ich nach dem Ende meiner letzten Band RAT’S GOT THE RABIES Anfang der Neunziger mit dem aktiven Musikmachen aufgehört. Ich habe dann meinen Sohn alleine erzogen und war damit viele Jahre gut ausgelastet und glücklich. Alle Bandangebote aus diesen Jahren waren nie attraktiv genug, um noch mal loszulegen, ich wollte auch nie ein „Feierabendmucker“ werden. Eine Reunion von BLITZKRIEG wird es aus einem Bündel von, teils persönlichen Gründen mit 99,99% Wahrscheinlichkeit nicht geben. Aus meiner Sicht ist diese Musik auch nicht gut gealtert, auch die Texte, letztlich ist das Gesamtkonzept der Band doch sehr mit der damaligen Zeit und mit unserem Alter damals verbunden. Ich schäme mich weder dafür noch bin ich sonderlich stolz darauf, ich erinnere mich aber gerne daran als Teil meiner Jugend in einer spannenden Zeit, in welcher viele Dinge in Bewegung gebracht werden konnten. Mit über sechzig werde ich mich damit aber kaum wieder auf eine Bühne stellen. Zumal ich mit anderen Bands später wesentlich interessantere und handwerklich bessere Musik gemacht habe.

Wie sieht es mit euren früheren Bandkolleg:innen aus? Machen die noch Musik, habt ihr noch Kontakt?
Wixer: Bärbel und der Basser sind im sozialen Bereich tätig. Die Sängerin wurde öfter beim Eishockey gesichtet. Nein, Mucke machen die nicht mehr, Kinder etc. In der Szene sieht man/frau sie nicht mehr.
Pedder: Mit Bärbel bin ich seit einigen Jahrzehnten wieder im Kontakt; letztes Jahr habe ich mit ihm seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert – eine Punkband hat gespielt ... Mit Wixer haben wir beide keinen Kontakt, was für alle Seiten wohl das Beste ist. Sängerin Dussel habe ich vor ungefähr zehn Jahren zum letzten Mal gesehen, bei einer Party von Karl Nagel. Zu ihr gab es aber auch schon früher kaum wirkliche Verbindung: Sie kam zu den Proben, den Auftritten und ins Studio, das war es. Weder trug sie etwas Wesentliches zur Band bei, noch hing sie mit uns ab. Dussel, Bärbel – soweit ich weiß – und ich machen keine Musik mehr, von Wixer weiß ich es nicht.

Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch habt ihr die damalige Szene wahrgenommen?
Wixer: Das war für uns in Hannover kein Thema. BLITZKRIEG hatten eine Sängerin, BOSKOPS eine Gitarristin und FUCKT eine Bassistin. Dann BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS – Sängerin –, HANS-A-PLAST – Sängerin, Bassistin und Drummerin –, KALTWETTERFRONT – Sängerin – und LE CRASH hatten eine Gitarristin.
Pedder: Das war sehr facettenreich; in dieser Szene bildeten sich sämtliche gesellschaftlichen und sozialen Haltungen und Strömungen ab. Ich habe dort starke, anpackende, kreative Frauen kennen gelernt, auch wirklich üble Machos; es gab kluge, nachdenkliche, „emanzipierte“ Männer und weniger kluge „Tussis“. Aus meiner Sicht war die damalige Annahme vieler, „anders“ und „besser“ zu sein als die „Spießer“ und „Bürger“ recht naiv. Die Punk-Szene bot natürlich ganz zu Beginn viele Möglichkeiten zum Einreißen von Grenzen, entwickelte dann jedoch wieder selber einengende Strukturen, die in eine eigene Spießigkeit führten. Zu der Zeit des „Aufbruchs“ fällt mir noch ein: Ute Wieners aus Hannover hat in ihrem tollen und lesenswerten Buch „Zum Glück gab es Punk“ ein Konzert von BLITZKRIEG im UJZ Kornstraße als quasi „Erweckungserlebnis“ für sich als junge Frau beschrieben, als sie unsere Sängerin dort auf der Bühne agieren sah; sie beschreibt, wie ihr dies Anstoß, Mut und Raum für ihre eigene weibliche Selbstverwirklichung gab. Dass man uns auf diese Art erleben und verstehen konnte, fand ich sehr bewegend.