BILDUNGSBÜRGERTUM

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Punk ist tot. Oder nicht?

Punks haben sich rar gemacht in der politischen Landschaft. Einst prägten sie das Antlitz linker Protestkultur, heute taumeln sie bloß noch in versprengten Grüppchen am Ende der 1.-Mai-Demonstrationen. Die allermeisten sind vermutlich keine „richtigen“ Punks mehr, haben ihr Lebensglück in einer Doppelhaushälfte verwirklicht und hören die alten, schepprigen SLIME-Alben auf viel zu teuren Plattenspielern. Das Randalieren überlassen sie den anderen – man wird ja auch nicht jünger.

Darüber lässt sich lange klagen. Die Alten flüchten ins Private und die Jüngeren suchen sich neue Ausdrucksweisen. So spielt Punk in den zentralen Kämpfen unserer Zeit keine Rolle mehr. Einige Beispiele: Wer stand in Lützerath den Bullen und dem Fossilkapital von RWE gegenüber? Wer gewann in Berlin eine Millionen Menschen für die Enteignung großer Immobilienkonzerne? Wer bestreikte in NRW wochenlang die privatisierte Gesundheitsversorgung? Zu welchem Ergebnis man auch kommt, das politische Subjekt dieser Tage heißt sicherlich nicht „Punk“.

Anstatt in Melancholie zu verfallen, gilt es nachzuvollziehen, warum Punk seine politische Relevanz verloren hat. Als die Bewegung vor einem halben Jahrhundert Fahrt aufnahm, war sie besonderen gesellschaftlichen Verhältnissen ausgesetzt. Mit der Ölkrise 1973 offenbarten sich die Widersprüche der fordistischen Fließbandökonomie: Überproduktion und Arbeitslosigkeit, Warenvielfalt und Armut erwiesen sich als zwei Seiten derselben Medaille. Der Fortschrittspathos der Nachkriegszeit gelangte zum ersten Mal ins Wanken.

„No Future!“, brüllte die Jugend der restlichen Gesellschaft entgegen. Keine Jobs, kein Geld, keine soziale Anerkennung. Eine Zukunft im Kapitalismus wurde undenkbar und das vermeintliche Gegenmodell, der Realsozialismus, taugte auch nicht zur Utopie. Da es nicht möglich schien, die Gesellschaft konstruktiv zu verändern, blieb nur eine Option: absolute Verweigerung. Arbeit, Bildung, Kultur, Körperhygiene – Punk stellte den Versuch dar, sich den sozialen Integrationsmechanismen auf allen Ebenen zu widersetzen.

Das gelang vor allem durch seine Form, nicht über den Inhalt. Die Bewegung war qua Existenz anstößig, sie brauchte dafür keine ausgefeilten Programme. Dabei bildeten sich neue Praktiken heraus: Fanzines und selbstveröffentlichte Tapes entzogen sich den Spielregeln der Musikindustrie; provokante Kleidung, Vulgärsprache und dilettantisches Gitarrenspiel brachen mit der vorherrschenden Warenästhetik. Auch wenn sich Gruppen und Bands später inhaltlich positionierten, lag der politische Gehalt vor allem in solchen Übertretungen.

Nun hat sich der gesellschaftliche Rahmen in den letzten Jahrzehnten geändert. Der Kapitalismus ist zwar nicht vorbei, klar. Doch das postfordistische Akkumulationsregime, das die Punk-Bewegung gewissermaßen einleitete, konnte sich den Widerstand flexibel zu eigen machen. Die Industriearbeit, gegen die Punk rebellierte, wurde aus dem globalen Norden weitgehend verdrängt. Das Credo „Do It Yourself“ ist in Form neoliberaler Entrepreneurship-Mentalität zur ökonomischen Tugend avanciert. Abweichungen von der Norm gelten heute als willkommenes Alleinstellungsmerkmal, das zu Markte getragen werden kann.

Auf die sozialen Probleme der Gegenwart vermag Punk keine Antwort mehr zu finden. Betrafen die Krisen damals vor allem die Produktion, drängen heute die Fragen der Reproduktion – Klima, Wohnen, Gesundheit – in den Vordergrund. „No Future“ degeneriert zum Zynismus angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe. Anstatt individueller Verweigerung braucht es Praktiken, die kollektivierbar sind. Das kann Punk nicht bieten. Er hat sich überlebt und dadurch das subversive Potenzial eingebüßt.

Wer heute ungebrochen an Punk festhält, betreibt bloß noch Brauchtumspflege. Das muss nicht schlecht sein – zumindest nicht schlechter, als Schützenvereine es sind. Die Subkultur hat sich nett eingerichtet: Magazine, Festivals und Spotify-Playlists erschaffen eine Alternativgesellschaft, in der es sich aushalten lässt. Zumindest für Männer. Weiblichen Fans mögen Punk-Konzerte manchmal ähnlich vorkommen wie Oktoberfeste. Schließlich macht es keinen Unterschied, ob der Macker nun Kutte oder Lederhose trägt. Doch auch wenn die Szene endlich gleichberechtigter wird: Die Revolution ist vorbei.

Natürlich will sich das niemand eingestehen. Vielmehr wird der Verlust durch „Haltung“ überkompensiert. Weil Punk selbst keine politische Praxis mehr sein kann, ist sein Verhältnis voyeuristisch geworden. Bands stehen wie Fußballkommentatoren am Spielfeldrand und besingen das politische Geschehen. Im besten Fall werden ihre Songs auf Demonstrationen gespielt, im schlechtesten Fall erschöpft die Musik sich in Selbstgefälligkeit. Sie bedienen sich am bunten Sortiment politischer Themen, um zu allem mal etwas gesagt zu haben.

Was es nun am wenigsten braucht, sind plumpe Appelle, endlich wieder zur Tat zu schreiten. Dadurch lässt sich Punk nicht retten. Wem es an ihm gelegen ist, der muss zuallererst sein Scheitern anerkennen. Nur so lässt sich die Bewegung produktiv weiterdenken. An die politische Tradition von Punk anzuknüpfen, erfordert neue Formen, anstatt zwanghaft an alten Schemata festzuhalten. Welche Bruchstücke lassen sich weitertragen? Wie lässt sich die Tradition zitieren, ohne ihr selbst zu verfallen? Was genau daraus entsteht, ist offen. Nur eines ist gewiss: Punk ist tot. Oder nicht? Oder doch? Oder doch nicht?