Ist es Zufall, dass Big John Bates den gleichen Familiennamen wie Norman Bates trägt, der Hauptfigur aus Alfred Hitchcocks Thriller „Psycho“? Die Musik des Mannes aus Vancouver, Kanada klingt auf jeden Fall ziemlich gruselig. Charakteristisch ist die Verwendung eines Theremins, das wie einem Science-Fiction-Film der Fünfziger klingt. Dazu gibt es dunkle Americana-Momente, Rockabilly-Anleihen und sogar osteuropäische Klänge. Thematisch geht es in den Songs um die Teufel der modernen Welt, Verlust, Einsamkeit oder kulturelle Konflikte. Klingt alles nicht schön. Fun Fact: Big John Bates war übrigens der erste Sänger der kanadischen Thrash-Metal-Band ANNIHILATOR, ist aber schon vor dem ersten Album „Alice In Hell“ wieder ausgestiegen. Dreißig Jahre ist das her. Da tut sich aber wieder was, wie er im Ox-Interview erzählt.
Seit Mitte der Neunziger hast du acht Studioalben und diverse Kleinformate aufgenommen, die alle verschieden klingen. Woher kommt diese Vielfalt?
Ich versuche einfach, meine Fantasie auszuleben. In meinem Kopf höre ich immer wieder andere Dinge und finde dann unterschiedliche Leute, mit denen ich das umsetzen kann. Auf dem aktuellen Album zum Beispiel ist es eine neue Violinistin und ein neuer Drummer. Und alle meine Mitmusiker bringen natürlich ihren eigenen Stil in den Aufnahmeprozess ein.
Was war die Idee hinter deinem neuen Album „Skinners Cage“?
Ich wollte, dass die neuen Songs viel orchestraler klingen. Deshalb war mein Plan, die Violine so oft einzusetzen wie möglich. Außerdem wollte ich eine sehr kraftvolle Platte machen, die auch zugänglicher für unsere Hörer ist. Denn meistens sind unsere Songs sehr dunkel. Ein bisschen was von der Dunkelheit wollte ich natürlich bewahren, aber der erste Höreindruck sollte auch leichter verdaulich sein.
Was steckt hinter dem Albumtitel und dem gruseligen Artwork?
Das Albumcover soll darstellen, wie sich soziale Medien ernähren. Dieser Kreislauf, wie wir nach neuen Nachrichten gieren, und dass das System aber auch unseren Input braucht. Wie eine Schlange, die sich selber frisst. Der Kopf auf dem Bild drückt mit seiner Zunge einen Knopf und bekommt mehr von dem Hormon Serotonin, das ihm Gelassenheit und innere Ruhe verleiht. Aber die Droge ist nicht echt, deshalb schluckt er immer weiter. Das ist die Idee hinter diesem Bild. Gemalt hat es übrigens der argentinische Künstler Santiago Caruso in Öl auf Leinwand. Er war auch derjenige, der die Monster für den Film „Pans Labyrinth“ entworfen hat. Und der Albumtitel „Skinners Cage“ stammt von einem Wissenschaftler namens Burrhus Frederic Skinner von der Harvard University, der eine Taube in einen Käfig gesperrt und dazu gebracht hat, dreimal einen roten Knopf zu drücken, um Futter zu bekommen.
Einige Songs auf dem Album wie „All the devils“ oder „Harrow“ wirken ziemlich düster. Das widerspricht eigentlich deinem Plan, oder?
Da hast du recht, wir sind und bleiben eine dunkle Band. Aber ich wollte ein paar Lichtstrahlen auf dieses Album packen. Den Song „Harrow“ hat unsere Bassistin Brandy geschrieben. Er erzählt von dem Tag, an dem ihr Vater gestorben ist und sie ihn zum letzten Mal besucht hat. Das ist natürlich ziemlich traurig. Der Song „All the devils“ behandelt das zentrale Thema des Albums: die Krux mit den sozialen Medien. Und all die Dinge, die in uns durch den Umgang mit ihnen passieren. Das sind natürlich beides sehr dunkle Songs. Sogar unsere Version des Marianne Faithfull-Songs „Broken English“ ist ziemlich düster, finde ich.
Ihr habt gleich drei Coverversionen auf dem Album. Wie kam es dazu?
Als wir in Wilhelmshaven für die Studioaufnahmen geprobt haben, hingen wir durch den Jetlag ziemlich in den Seilen. Deshalb wollten wir zur Aufmunterung ein paar lustige Sachen ausprobieren. Also haben wir „Moon of Alabama“ von Kurt Weill gespielt. Und der Song hat wirklich gut funktioniert. Außerdem hat mir die Idee gefallen, ein Duett zu singen. Deshalb haben wir beschlossen, es wäre ein guter Track für das Ende der Platte. „Dead moon night“ ist ein Stück, das wir bei unseren Live-Shows spielen und die Leute fahren voll auf den Song ab. Und wir sind große Fans von DEAD MOON. Weil deren Sänger Fred Cole vor zwei Jahren an Krebs gestorben ist, wollten wir diesen Song aufs Album nehmen. „Broken English“ wollte Brandy unbedingt machen. Sie verehrt Marianne Faithfull schon lange.
Gitarren und Gesang habt ihr zu Hause in Kanada auf deinem Boot aufgenommen. Schlagzeug, Bass und Violine dagegen in Wilhelmshaven. Warum?
Wir haben schon viele Jahre einen Freund in Wilhelmshaven, der ein eigenes Studio betreibt. Ralf Lübke aka Pete Monkeeman war in den Neunzigern als Gitarrist mit ROSENSTOLZ unterwegs. Inzwischen betreibt er sein sehr schönes Monkeecage Studio direkt an der Küste. Er hat uns eingeladen, bei ihm aufzunehmen. Außerdem haben wir dort auf dem Drumset von TRIO-Schlagzeuger Peter Behrens gespielt. Peter war vor seinem Tod lange ein Fan von uns, deshalb hat er unserem Manager sein Schlagzeug hinterlassen, damit wir mit seinen Trommeln unser neues Album aufnehmen. Er war so ein großartiger Typ, ich habe ihn öfter getroffen, denn er hat zuletzt in Wilhelmshaven gelebt.
Als dein Markenzeichen gilt eigentlich die Gretsch-Gitarre. Auf „Skinners Cage“ sind aber vier oder fünf verschiedene Gitarren zu hören.
Ich habe natürlich diese spezielle Gitarre, zusammengebaut aus Teilen verschiedener Gretsch-Gitarren. Ihr Korpus sieht aus wie von einer Halobody Telecaster, nur um ein anderes Gefühl auf der Bühne zu haben. Aber ich habe natürlich alle Gretsch-Sounds an Bord. Auf der Platte spiele ich außerdem meine Les Paul Custom, meine Gretsch White Falcon aus der Zeit mit den VOODOO DOLLZ, eine Fender American Telecaster, eine Stella-Akustikgitarre aus den Sechzigern, eine zwölfsaitige Danelectro-Gitarre und ein elektrisches Banjo.
Bis vor neun Jahren warst du mit der Burlesque-Truppe VOODOO DOLLZ unterwegs. Dann haben sich eure Wege getrennt.
Ich hatte nach meinem Empfinden alle Songs für dieses Genre geschrieben. Ich war mit diesem Sound einfach fertig und wollte von der ganzen Burlesque-Nummer Abstand nehmen, wieder ein ganz normaler Musiker sein. Ich habe mich als Künstler einfach nicht mehr frei gefühlt. Außerdem habe ich in dieser Zeit angefangen, mit der Kontrabassistin Brandy Bones zu arbeiten. Mit ihr war ich sogar ein paar Jahre verheiratet. Wir wollten etwas anderes machen und dieses Americana-Noir-Ding war unsere Idee. Die Musik basiert auf Rock, hat aber jede Menge akustische, ländlich klingende Elemente.
Du lebst in Vancouver auf einem Boot namens Caleuche. Was ist das für ein Boot? Ein Hausboot oder kann man damit fahren?
Caleuche ist in einer chilenischen Legende der Name von einem Geisterschiff, das von Meerjungfrauen gesteuert wird. Es ist der einzige Platz auf der Welt, an dem der Tod feiern kann, sagt man. Wenn es irgendwo auftaucht, ist da immer Blitzlicht und laute Musik. Das Boot liegt direkt im Hafen von Vancouver vor Anker, eine elfeinhalb Meter lange Motoryacht. Im Sommer bin ich viel damit unterwegs. Manchmal bis runter nach Seattle. Mein Vater war Kapitän und ich habe bereits im Alter von 15 Jahren auf Schiffen gearbeitet. Die Caleuche ist schon mein viertes Boot.
Wie ist die Musikszene in Vancouver, verglichen mit anderen kanadischen Städten wie Toronto, Montreal oder Winnipeg?
Ich denke, Montreal ist ein bisschen weltoffener. Punkrock hat eine lange Tradition in Vancouver. Außerdem gibt es eine große Indie-Psychedelic-Szene hier. Ich selbst bin sehr gut mit den REAL McKENZIES befreundet. Mit dem Gitarristen von SNFU spiele ich regelmäßig Hockey und natürlich kenne ich auch ihren Sänger Chi. Und ich hänge oft mit Mike rum, dem Bassisten von D.O.A. Ich bin also durchaus Teil dieser Szene.
Ende der Achtziger warst du der erste Sänger von ANNIHILATOR, der erfolgreichsten kanadischen Thrash-Metal-Band. Hast du noch Kontakt zu diesen Jungs?
Kurz bevor du angerufen hast, habe ich mit Jeff Waters von ANNIHILATOR gemailt, mit ihm habe ich die Band damals gegründet. Ich arbeite gerade an einigen Songs für sein neues Album. Ich bin also immer noch an ANNIHILATOR beteiligt, allerdings nur als Texter und Songwriter, nicht als Performer. Vielleicht gehe ich mal wieder mit auf die Bühne, wenn sie mich fragen, haha.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #144 Juni/Juli 2019 und Wolfram Hanke
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #83 April/Mai 2009 und Robert Noy
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #104 Oktober/November 2012 und Gary Flanell
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #114 Juni/Juli 2014 und Markus Franz
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #120 Juni/Juli 2015 und Kay Werner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #102 Juni/Juli 2012 und Thomas Neumann
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #93 Dezember 2010/Januar 2011 und Thomas Neumann
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #143 April/Mai 2019 und Kay Werner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #65 April/Mai 2006 und Robert Noy