ART BRUT

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Too messy for art school

Wir schreiben das Jahr 2005. Angela Merkel wird Kanzlerin, Charles und Camilla heiraten, Joseph Ratzinger wird Papst. Und ART BRUT katapultieren sich nach dem Überraschungserfolg der Single „Formed A Band“ mit ihrem Debütalbum „Bang Bang Rock & Roll“ direkt auf die Spitze der britischen Indierock- und Art Punk-Welle. Frontmann Eddie Argos erklärt, warum er sich auch nach 15 Jahren noch mit keiner dieser beiden Schubladen anfreunden kann, und pickt ein paar Platten aus seinem „People’s favourite albums“-Projekt – er malt im Auftrag die Cover von Lieblingsplatten – heraus, um zu erklären, auf welcher musikalischen Basis „Bang Bang Rock & Roll“ tatsächlich entstanden ist.

In den letzten 15 Jahren haben sich die Dinge für Musiker rasant geändert. Wie sah die ART BRUT-Welt 2005 aus?

Mir fällt da immer zuerst auf, wie sehr sich das Touren verändert hat. Auf unseren ersten Touren habe ich einen Discman und eine Tasche mit CDs und Büchern mitgenommen, um etwas im Tourvan lesen und hören zu können. Jetzt läuft alles nur noch über das Handy. Auf der Tour lief ich herum und bequatschte die Leute, sie sollten doch bitte alle verfügbaren Formate einer Single kaufen und ich rauchte drinnen. MySpace und YouTube gab es nicht einmal, als „Formed A Band“ herauskam. Chris Chinchilla, unser damaliger Gitarrist, bastelte uns eine Website und hat dann das Video darin eingebettet. Das war eine ganz andere Welt. Während ich das sage, wird mir bewusst, dass ich mich wie ein alter Mann anhöre, aber ich mag das, es verleiht dem Ganzen irgendwie mehr Bedeutung, haha. 2005 fing das Abenteuer für uns als Band an, wir haben unsere normalen Jobs geschmissen und fest die Daumen gedrückt.

Wo würdest du ART BRUT in der damaligen britischen Musikszene einordnen?
Ich denke, wir hatten einfach richtig Glück, gerade zu einer Zeit angefangen zu haben, als Gitarrenmusik in Großbritannien wieder populär wurde, aber um ehrlich zu sein, haben wir nicht wirklich zu dem gepasst, was zu dieser Zeit in der britischen Musikszene vor sich ging, obwohl ich vieles davon mag. Wir waren zu chaotisch und rockten zu sehr für die Artschool-Bewegung und waren ein bisschen zu clever für ein straightes Indierock-Ding wie die LIBERTINES. Ich habe mich eher mit Bands und Musikern aus den USA wie THE HOLD STEADY oder Jeffrey Lewis identifizieren können, wir hatten viel mehr mit diesen Jungs gemein. Großbritannien ist grundsätzlich recht zynisch, ein Lied wie „Emily Kane“ wird dort so behandelt, als wäre es nur scherzhaft gemeint, während außerhalb Großbritanniens viele eher gesagt haben: Wow, du musst dieses Mädchen wirklich geliebt haben. Und letzteres trifft auf das Lied zu. Ich habe mich nie wirklich als Teil der britischen Musikszene gefühlt.

Wenn Zeitreisen möglich wären, würdest du nachträglich etwas an „Bang Bang Rock & Roll“ ändern wollen?
Das Einzige, was ich ändern würde, ist die Titelliste, das ist einfach die falsche Reihenfolge. Ich würde die Songs so zusammenstellen, dass sie wie ein Auftritt aufgebaut sind, der mit „Good weekend“ endet, außerdem die Singles etwas breiter über das Album streuen und nicht direkt zusammen am Anfang gruppieren. Wir spielen das ganze Album im Oktober komplett in Hamburg und Berlin, das hat mir erst richtig bewusst gemacht, dass uns nicht wirklich klar war, wie man eine vernünftige Tracklist hinbekommt.

Gesetzt den Fall, du könntest dir einen Ort und eine Zeit aussuchen, um das ganze Album am Stück zu spielen, wo und wann würde das sein?
Auf dem Newport Folk Festival 1965, genau vor Bob Dylans allererstem Auftritt mit E-Gitarre, um diese ganzen Folkies in Angst und Schrecken zu versetzen und Dylan zuvorzukommen.

Du trägst viel und gerne zur Legendenbildung um ART BRUT bei. Was war das Schrägste, das du im Laufe der Zeit über ART BRUT gehört oder gelesen hast?
Das Schrägste war, dass ich mich schlecht gefühlt habe, den Bandnamen ART BRUT gewählt zu haben, weil nicht mehr viele gute Bandnamen zur Verfügung standen. Also habe ich halb im Scherz ein Franchise für das Teilen des Bandnamens ART BRUT ins Leben gerufen. Und ziemlich bald gab es hunderte von ART BRUT-Bands auf der ganzen Welt und sogar ein ART BRUT-Battle of the Bands – ART BRUT 7 haben gewonnen. Das ist ziemlich außer Kontrolle geraten.

Auch in deinen längst vergriffenen Memoiren „I Formed A Band“ hast du eifrig Gerüchte gestreut. Wird es eine Neuauflage geben?
Es gab in letzter Zeit viele Anfragen diesbezüglich, ursprünglich hatte ich eine Auflage von 1.000 Stück herausgebracht und die waren ziemlich schnell ausverkauft. Ich habe darüber nachgedacht, das Buch ein wenig umzuschreiben, Fußnoten und Interviews mit anderen Leuten zu einer neuen Auflage hinzuzufügen. Aber es ist schon recht aufwändig, ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Also wenn jemand da draußen einen Verlag und Interesse daran hat, einfach bei mir melden. Ich meine dich, Penguin Classics ...

Dann hast du auch noch diverse andere Projekte am Start. Zum Beispiel dein „Favourite albums“-Projekt, bei dem du auf Anfrage die Frontcover der Lieblingsalben anderer malst, dabei das Album hörst und dazu eine kurze Rezension für den Auftraggeber schreibst. Wie kam es dazu?
Vor ungefähr drei Jahren wurde ich es endgültig leid, die Listen mit Lieblingsalben von Journalisten in Zeitschriften zu lesen. Es geht immer nur um die BEATLES, die BEACH BOYS, SEX PISTOLS, CLASH, Bruce Springsteen, Van Morrison, Patti Smith, bla bla bla und so weiter und so fort. Muss ich dir sicher nicht sagen, es ist einfach nur langweilig. Ich beschloss deshalb, dass es dringend an der Zeit wäre, mal den Hörhorizont zu erweitern, also überlegte ich, wie man eine größere Vielfalt von Lieblingsalben anderer Leute einfangen könnte. So kam mir die Idee, dass die Leute mich beauftragen könnten, ihre Lieblingsalben zu malen, die ich mir währenddessen anhören würde. Ich male sie, schreibe eine Rezension auf die Rückseite und schicke sie dann zurück. Es war wirklich nur ein Experiment, ich war mir nicht sicher, ob überhaupt jemand ein Gemälde mit einer Rezension von mir wollen würde, ich dachte, ich würde vielleicht drei oder vier malen und dann würde sich niemand mehr dafür interessieren. Es stellte sich heraus, dass viele Leute interessiert waren! Ich mache das inzwischen seit drei Jahren und habe mehr als 150 Alben gemalt.

Musstest du dabei irgendwo auch Kompromisse eingehen?
Ursprünglich wollte ich ausschließlich brutal ehrliche Bewertungen schreiben, aber weil dann viele Aufträge hereinkamen, die Geschenke für geliebte Menschen zu Geburtstagen oder Hochzeitstagen waren, und ich im Herzen wirklich ein ausgesprochener Softie bin, habe ich es bisher immer geschafft, etwas an jedem Album zu finden, das mir gefällt. Das ist aber wirklich nicht immer einfach, RADIOHEAD, MANIC STREET PREACHERS oder BLOC PARTY waren beispielsweise besonders harte Nüsse.

Als Ausgleich konntest du wahrscheinlich aber auch ein paar Entdeckungen machen.
Ja, ich genieße es wirklich, auf diese Art neue Musik für mich zu entdecken und habe dabei ein paar neue Favoriten gefunden: „A Date With Elvis“ von den CRAMPS, „Born Sandy Devotional“ von den TRIFFIDS und – ironischerweise – „Wild Honey“ von den BEACH BOYS. Die sind alle in meine Top-Ten-Albumliste aufgenommen worden. Es macht aber auch immer wieder eine Menge Spaß, etwas zu malen, das ich schon vorher kannte und mochte. Ursprünglich bin ich eigentlich davon ausgegangen, ich würde viel mehr davon machen, weil meine Auftraggeber ART BRUT mögen und ich fälschlicherweise dachte, deswegen hätten wir alle irgendwie den gleichen Musikgeschmack.

Welche Alben waren bislang darunter, die in irgendeiner Form einen Einfluss auf ART BRUT oder „Bang Bang Rock & Roll“ hatten?
Es gab schon ein paar, die zumindest ansatzweise einen Einfluss auf das Album und uns als Band hatten, diese zum Beispiel: „I, Jonathan“ und „The Modern Lovers“ von Jonathan Richman respektive THE MODERN LOVERS. Ich habe bisher zwar nur zwei Jonathan Richman-Alben gemalt, besitze aber sehr viel mehr. Es gab Jahre, in denen ich fast ausschließlich Jonathan Richman gehört habe. Als wir „Bang Bang Rock & Roll“ aufgenommen haben, hatte ich eine fiese Erkältung, aber ich fand das eigentlich ganz gut, weil meine Stimme dadurch meiner Meinung nach mehr nach Jonathan geklungen hat. Seine kindlich-vergnügte Haltung zur Welt und sein ungezügelter Enthusiasmus haben mich und mein Songwriting definitiv nachhaltig beeinflusst. Auch diese jugendliche Selbstgerechtigkeit der frühen MODERN LOVERS hat ihre Spuren hinterlassen. Dann „Workers Playtime“ von Billy Bragg. Mein Lieblingsalbum von ihm und eines meiner liebsten Alben aller Zeiten. Ich denke, Billy schreibt die besten Liebeslieder. Vielschichtige und realistische Beziehungen, perfekt beobachtet und dennoch voller Romantik. Etwas, das ich mit unseren Songs erreichen möchte. Als Nächstes „Trouble Over Bridgwater“ und „CSI: Ambleside“ von HALF MAN HALF BISCUIT. Das sind zwar nicht meine Lieblings-HMHB-Alben, aber sie sind immer noch großartig und besser als die meisten anderen Platten da draußen. Ich habe „CSI: Ambleside“ tatsächlich für drei verschiedene Personen gemalt, also ist es wohl ziemlich beliebt. Was ich an HALF MAN HALF BISCUIT mag, ähnelt dem, was ich an Billy Bragg liebe, sie singen über Dinge, in denen ich mich wiedererkennen kann. Aber in HMHB-Songs gibt es viel mehr schwarzen Humor und Unzufriedenheit. Viele sind eigentlich Blues-Songs. Auf Humor in der Musik wird oft herabgesehen, aber HMHB sind ein sehr gutes Beispiel dafür, dass du nicht zwangsläufig ein Witz bist, nur weil du Sinn für Humor hast. Und davon – und gelegentlich auch ihren Zynismus – findest du viel in der DNA von „Bang Bang Rock & Roll“. Und schließlich „The Difference Between Me And You Is That I’m Not On Fire“ von MCLUSKY. Die sind großartig, ich liebe diese Platte, ich weiß nicht, ob sie tatsächlich irgendeinen Einfluss auf „Bang Bang Rock & Roll“ hatte. Aber die Mitglieder von ART BRUT haben in Sachen Musikgeschmack nicht wirklich viel miteinander gemein und als wir anfingen, waren MCLUSKY die einzige Band, auf die wir uns alle einigen konnten, also hörten wir sie oft im Van. Also das sind wohl diejenigen, die ich tatsächlich direkt in Verbindung zu „Bang Bang Rock & Roll“ setzen kann. Natürlich gibt es da noch ein paar, für die ich noch ungeduldig auf einen Malauftrag warte: HELEN LOVE, HALF JAPANESE, SULTANS OF PING – ich kann doch nicht die einzige Person sein, die deren Alben zu ihren Favoriten zählt!