Dass Gunner Records ein Händchen für großartige Bands hat, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Dass diese auch ganz groß rauskommen können, ist spätestens seit THE GASLIGHT ANTHEM bewiesen. Einer der neuesten Geheimtipps und Hoffnungsträger auf dem Bremer Label sind die fünf Jungs von ARLISS NANCY aus Fort Collins, Colorado. Hätten Johnny Cash, Elvis Costello und Bruce Springsteen in ihrer Jugend eine gemeinsame Band gehabt, vermutlich hätte sie so geklungen. Im Februar stand die erste Europatour der Amerikaner an und nach dem letzten Konzert im Göttinger Theaterkeller nahmen sich die Sänger Cory und Kyle sowie Gitarrist Jason und Keyboarder Chris zwischen zwei Bier die Zeit für ein Interview.
Ihr habt gerade eine mehrwöchige Europatour hinter euch, und wie ich gelesen habe, findet ihr, dass ihr hier besser behandelt werdet als in den USA. Wie äußert sich das?
Cory: Erst mal gibt es hier Bier umsonst. Davon hat man in den USA noch nie etwas gehört. Kennst du diese Szene aus „Blues Brothers“, in der es heißt „Wir zahlen euch 200 Dollar Gage, aber die Band hat 300 Dollar versoffen“? So ist das in den USA. Da kriegen wir 35 Dollar für den Abend und versaufen gleichzeitig 300. Vielleicht behandelt man uns ja deswegen dort wie Penner, haha.
Chris: Es tut gut, an einen Ort zu kommen, wo man wirklich wie ein Künstler behandelt wird. Man kommt bei der Location an, die Leute dort wissen, wer man ist, sie wissen, was man braucht, und so weiter. Alle sind sehr aufmerksam und hilfsbereit.
Jason: Die helfen uns sogar, unseren Van zu beladen. Und das Publikum in Europa kommt wegen der Musik zu den Shows, die hören wirklich zu. In Amerika gehen die Leute zu Konzerten, um etwas zu trinken, andere Leute zu treffen und cool auszusehen. Hier kommen die Leute, um dich spielen zu sehen und Merch zu kaufen.
Wie seid ihr mit Country und Folk in Berührung gekommen?
Cory: Ich bin mit Musikern wie Bruce Springsteen aufgewachsen. Als ich sehr jung war, haben mir meine Eltern einen billigen Plattenspieler für Kinder geschenkt und ich durfte an ihre Plattensammlung gehen. Da war zum Beispiel „Nebraska“ von Bruce Springsteen dabei, wo er einfach ganz alleine diesen traurigen und romantischen Song spielt über diesen Serienkiller, der durch Nebraska gezogen ist. Ich habe mich sofort in dieses Album verliebt. Dadurch bin ich dann auf Bob Dylan und Woody Guthrie gekommen, aber auch einige aktuellere Sachen. Ein paar von den frühen BRIGHT EYES-Alben sind zum Beispiel recht folkig. Aber auch die Punkrock- und Rock’n’Roll-Szene ist sehr wichtig für uns – unsere Heimatstadt Fort Collins ist die Heimat der großartigen DRAG THE RIVER. Das war die erste Show, die ich je gesehen habe, und von da an wusste ich, was ich machen wollte. Glücklicherweise habe ich dann Kyle getroffen und wir wollten das Gleiche.
Diese ganze Rootsrock- und Americana-Schiene ist seit einiger Zeit ziemlich angesagt. Denkt ihr, dass ihr von diesem Trend profitiert?
Cory: Ich glaube nicht, dass wir uns nach Trends richten. Wir machen, was wir machen. Wir haben das Glück – oder auch Unglück –, in einer Rock’n’Roll-Band zu sein, und sind gleichzeitig in diese Americana- und Punkrock-Szene gerutscht. Es ist super, man kann immer irgendwo spielen. Vielleicht hat uns dieser Trend aber wirklich irgendwie geholfen. In Amerika besteht die Folk-Szene zu einem großen Teil aus schlechten Bands wie MUMFORD & SONS, und dann hören die Leute, die dieses Zeug mögen, dass wir auch Americana und Folk spielen und meinen gleich, wir würden wie MUMFORD & SONS klingen. Da sagen wir nur: „Nein! Nein! Überhaupt nicht!“, haha.
Chris: Ich wünschte, wir wären so. Dann hätten wir einen verdammten Grammy.
Manche Leute sehen in euch die neuen GASLIGHT ANTHEM. Was haltet ihr davon?
Kyle: Das ist total schmeichelhaft. Wir lieben die Band.
Cory: Ich würde gerne wissen, was die von dieser Aussage halten. Brian Fallon scheint echt ein super Typ zu sein, aber wenn er jetzt hier wäre, würde er bestimmt nur sagen: „Fuck ARLISS NANCY, die beeindrucken mich überhaupt nicht!“
Jason: Es ist wirklich schmeichelhaft, irgendwie wird uns das hier in Europa viel häufiger gesagt als in Amerika.
Kyle: Ich glaube, das hat viel mit Gunner Records zu tun, weil Gunnar deren erstes Album rausgebracht hat. Es ist super, so etwas zu hören, aber ich fühle mich trotzdem noch so, als könnten wir diese Erwartungen nicht erfüllen, denn GASLIGHT ANTHEM sind so verdammt gut.
Cory: In Amerika werden wir ständig mit LUCERO verglichen, als wären wir LUCERO Junior oder so. Da bevorzuge ich doch die GASLIGHT ANTHEM-Vergleiche, da wir mit denen mehr gemeinsam haben. Ich habe angefangen, sie zu hören, weil ich fand, dass es klingt, als sei Bruce Springsteen in einer Punkrock-Band. Dann sieht man Videos, wie Bruce Springsteen zusammen mit GASLIGHT ANTHEM Konzerte gibt, und bekommt schließlich gesagt, dass man als die neuen GASLIGHT ANTHEM gesehen wird. Da hat man doch Hoffnungen, irgendwann mal selbst mit Bruce Springsteen auf der Bühne zu stehen.
Auf „Simple Machines“ habt ihr ja schon großartige Gastmusiker wie Jon Snodgrass dabei. Wen wollt ihr auf eurem neuen Album haben – falls es ein neues Album gibt ...
Kyle: Niemanden!
Cory: Wir werden tatsächlich ein neues Album aufnehmen. Adam Bilboa von LEAGUES APART ist ein super Typ, seine Band ist großartig und deswegen wird er wohl dabei sein. Da Jon Snodgrass aus der gleichen Stadt kommt wie wir, wird er wohl auf jedem Album dabei sein. Wir haben ihn zwar noch nicht gefragt, aber eigentlich ist er unser sechstes Bandmitglied. Micah Schnabel und Shane Sweeney von TWO COW GARAGE werden auch wieder zu hören sein. Mal schauen, wen wir noch aufgabeln, bis es soweit ist.
Ihr habt in einem Interview gesagt, in all euren Songs ginge es um „whiskey, weed, women and regrets“. Wollt ihr nicht auch mal Songs über positive Erlebnisse schreiben?
Kyle: Nein! Die Welt ist schlecht, alles geht den Bach runter.
Cory: Ach nein, all das kann auch positiv sein. Wenn ich Songs über schlimme Dinge schreibe, sehe ich dadurch auch die guten Sachen. Ich bin ein wirklich positiv denkender Mensch, ich bin immer fröhlich. Dennoch schreibe ich traurige Songs, denn ich habe das Gefühl, dass gerade das mich zu einem fröhlichen Menschen macht.
Eure erste Europatournee ist jetzt vorbei. Was für Erinnerungen nehmt ihr mit zurück nach Amerika?
Cory: Ich bin einfach überwältigt von der Gastfreundschaft. Wir alle bieten Bands unsere Wohnungen zum Übernachten an, aber hier wird man noch bekocht, bekommt die Betten gemacht und Gratisgetränke. Dadurch habe ich gemerkt, dass ich selbst noch viel mehr für die lokale Musikszene bei uns tun kann. Vielleicht schauen sich ein paar Amerikaner das ab und wir können somit ein bisschen was ändern.
Jason: Am beeindruckendsten fand ich, dass die meisten Locations, in denen wir gespielt haben, D.I.Y. waren. Das waren einfach Leute wie wir, denen Musik so wichtig ist, dass sie das alles organisieren. In Amerika fehlt dieses Engagement an vielen Stellen und gerade die amerikanische Punkrock-Szene muss da noch viel nachholen.
Cory: Wenn wir nicht schon bald wieder in Amerika spielen müssten, würde ich hier bleiben, bis ihr mich rausschmeißt. Es war großartig.
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