Seit Beginn des Projekts verstehen sich ANCST als komplettes DIY-Konstrukt. Die Corona-Krise hat das Kollektiv um Mastermind Tom gar nicht so hart getroffen, da alle einen Job außerhalb der Musikbranche haben. Wir sprechen mit ihm über das neue Album „Summits Of Despondency“ und die damit verbundenen Herausforderungen.
Während Tom seine Jungs nach eigener Aussage „noch ganz schön durchs Land scheuchen musste“, um sich etwas zu essen zu kaufen, ist er mittlerweile finanziell nicht mehr von ANCST abhängig. Vor ein paar Jahren sah das noch anders aus. Mit einem „Alibi-Job“ begann sein Tag morgens um acht Uhr und endete nachts um zwei, um sich voll und ganz der Band zu widmen. Aus dem „Alibi-Job“ wurde eine Festanstellung, die dem Musiker viele Freiheiten gibt, sich künstlerisch auszuleben. „Es gibt Wochen, da schaue ich ANCST nicht mit dem Arsch an, und dann gibt es wieder Wochen und Monate, wo ich jede freie Minute neben der Lohnarbeit an ANCST sitze.“
Polizeigewalt und der innere Bulle
Einen Einfluss auf das Songwriting hatte die Corona-Krise nicht. Isolation ist schon lange ein guter Freund von Tom. Die Polizeigewalt im Gegenzug jedoch schon. „Mir geht es um die ganze Nummer. Vor allem hierzulande ist das ein nicht allzu stark diskutiertes Thema in den Medien. Mich hat das aber noch mal emotional mitgenommen und dann musste ich einfach mal wieder eine Ode an die Staatsgewalt schreiben. Man kann das leider nicht oft genug tun.“ Hinter dem Song „Kill your inner cop“ versteckt sich eine Vorstellung, die Tom seit Jahren mit sich herumschleppt. „Ich denke, viele von uns haben einen inneren Bullen. Ein bisschen Kontrollfreak, ein wenig Gott-Komplex, häufig ein armes Schwein sein, das die anderen an sich vorbeiziehen sieht. Bock, mal wem grundlos auf die Schnauze zu geben, unsicher mit der eigenen Geschlechterrolle und so weiter. Wir leben in einer Ellenbogengesellschaft, die wenigsten von uns sind frei von anerzogenen und gesellschaftlich konstruierten Ismen. Der gemeine Bulle ist für mich nur ein Spiegelbild dessen.“
Dass Tom die Nutzung sozialen Medien auf ein Minimum reduziert und von Aluhutträgern genervt ist, ist kein Geheimnis. „Für mich reiht sich das nahtlos in dieses ganze Idiocracy-Populismus-Zeitalter ein. Ich kann dazu gar nichts mehr sagen, so selten dumm finde ich den Großteil der Menschen.“ Aber wie gehen ANCST damit um, wenn sich solche Situationen im echten Leben nicht ausblenden lassen?
Storytime
Tom erzählt von einer Show in Ljubljana, Slowenien. Dort saß bei Ankunft der Band ein einsamer Metaller mit BURZUM-Shirt, woraufhin man sich nichts weiter dachte. Als klar wurde, dass dieser wohl auf das Konzert wartete, nahm sich Torsten, der damals zweite Sänger der Band, sich ihn zur Brust, so Tom. „Ich fürchte, dem armen Jungen ging es gar nicht gut danach. Wie sich herausstellte, war er mehrere Stunden gefahren, um dieses Konzert zu sehen. Mir tat das im Endeffekt ziemlich leid, muss ich sagen, weil der junge Mann sich darüber, glaube ich, nicht so im Klaren war. Darum versuche ich, so etwas eher auf die Sozialarbeiterschiene zu klären. Ich glaube, das bringt mehr, als sie aus dem Laden zu prügeln.“ Den entsprechenden Merch ablegen müssen sie auf Konzerten, bei denen Tom etwas zu melden hat, aber dennoch. „Bei so Kram wie ABSURD oder DER STÜRMER finde ich das Date mit dem Gesichtsvollzieher aber schon legitim.“
Zeit
Vor „Summits Of Despondency“ haben ANCST bereits 23 Releases veröffentlicht. Für die Alben benötigt es allerdings mehr Zeit und Arbeit, wie Tom erklärt. „Ein Album ist ’ne ganz andere Nummer als eine EP. Das erfordert mehr Arbeit, weil es mehr Material ist, und du musst dir einen Kopf machen, wie du die Leute bei der Stange halten willst, was ihre Aufmerksamkeit angeht. Das kann eben nicht vierzig bis sechzig Minuten nur Geholze sein.“ Auch hinter diesem Album stand der Anspruch einer „Herausforderung, die dazu anregt, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und herumzuexperimentieren“, wie Tom erzählt. „Ich habe viel mehr mit Synths gearbeitet und damit versucht die Brücke zu unserem Dark-Ambient Katalog zu schlagen.“ Aber auch die Fülle des Materials und die damit verbundenen Entscheidungen verzögern den Prozess. „Mindestens vier Songs haben es nicht auf die Platte geschafft. Das Album hat zwei Jahre gedauert und ich sage dir, ich hätte auch gerne noch ein weiteres Jahr daran herumgedoktert.“ Bis zum nächsten ANCST-Album wird es laut Tom also wieder länger dauern. Dahinter steht auch der Fakt, dass ihm momentan gar nicht nach einem solchen Großprojekt ist. Stattdessen stellt der Berliner eine weitere Split-Platte in Aussicht. „Ich habe gerade ein wenig aufgerüstet und muss erst mal im Studio ein wenig aufräumen und einen Neuanfang finden. Sobald das getan ist, habe ich auf jeden Fall Bock, ein paar kleinere Sachen zu machen.“ Ideen existieren ohne Ende. „Mal schauen, ob meine Wunsch-Split-Partner und meine eigene Kreativität dabei mitspielen.“
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