ALL SYSTEMS GO!

Es war eines schönen Nachmittags, als ich mir eines dieser zahllosen Wo-geht-Was-Regionalblättchen zur Brust nahm, um herauszufinden, welche Band ich denn mal als nächstes mit meiner Anwesenheit beglücken könnte. Mein Blick blieb bei SATANIC SURFERS, KuFa Krefeld hängen. Eine schnelle Kontrolle meiner Geldbörse machte mir klar, dass ich diesen Konzertbesuch wohl oder übel mit Arbeit verbinden musste. Also rief ich ich bei einer dort ansässigen Tageszeitung an, die bei dem Namen SATANIC SURFERS zwar merklich ins Schwitzen geriet, mir aber dennoch einen Artikel gewährte und machte mich noch am selben Abend mit zwei Namensvettern auf dem Weg zum Niederrhein. Die Anreise war zum Glück lang genug, um die üblichen vorkonzertären Ritualien durchführen zu können. Nicht mehr ganz nüchtern, kamen wir gerade rechtzeitig zur Vorgruppe ALL SYSTEMS GO! mit denen ich zwei Monate später über 1500 km durch Australien touren sollte.

Wie es soweit kam gibt es an dieser Stelle in Zeitrafferform zusammengefasst. Nach Konzert Backstage, grüner Hilfsmittel und sich selbstverständlich meines übernatürlichen Charmes bedienend mit ALL SYSTEMS GO!! angefreundet; herausgefunden, dass Australientour mit HARD-ONS ansteht; gedacht: Hey, wollte doch auch nach Australien; gefragt ob Mitreisen möglich; durch Verwechslung von Veranstalter rausgeschmissen; im Kölner Underground ALL SYSTEMS GO! wiedergetroffen; Pläne per eMail abgestimmt; nach Australien geflogen.

Und hier bin ich nun. Wo? Nein, das wird wohl keinen interessieren, ausserdem würdet ihr euch ja doch nur von Neidanfällen geschüttelt den Magen verderben. Von Relevanz ist schließlich nur, wo ich mich mit ALL SYSTEMS GO! rumgetrieben habe. Und da steht als erstes mal Surfers Paradise an Stelle numero uno. Dass ich ALL SYSTEMS GO! zwei Tage nach meiner Ankunft in Brisbane (23.11.00) , in der Miami Tavern antraf ist sicherlich nicht ihrer Internetpräsenz (www.allsystemsgo.central.com) zu verdanken, die jetzt wahrscheinlich immer noch auf ihre alten Tourdaten verweist, sondern vielmehr meinen überragenden Recherchekünste (oder war es vielleicht doch nur der vielversprechende Name besagter Touristenhochburg?). Nun ja, jedenfalls wurde ich herzlich willkommen geheissen (ihr wisst schon: Sex... und Rock´n Roll und so) und durfte mir erstmal dumme Sprüche über mein Reisegepäck sowie einen unglaublich melodiösen Soundcheck anhören. Beim anschließendem Essen erfuhr ich dann so einiges über die Sitten von australischen Schulabgängern. Geschichten über betrunkene, barbusige und drogenschmeissende 18jährige ließen mich als Gerade-Abiturient in der wohligen Geborgenheit unserer luxuriösen Suite im Sun City Hotel von einem heiteren und heissen Abend träumen. Doch die Realität schlug mir mit einem kalten Lächeln ins Gesicht:

An jenem besagten Abend wurde mir schmerzhaft bewusst, dass der Großteil der australischen HARD-ONS-Fans ihren jugendlichen Zenit bereits lange überschritten hat. Da mir die Musik der HARD-ONS, denen meine Ohren nun zum erstenmal lauschten, als fürchterlich undifferenzierter Krach vorkam, blieb der einzige Höhepunkt des Abends meine Bekanntschaft mit JJ Speedball, einem Freund der HARD-ONS. Dieser kauzige Kerl, der sich als Biograph von Bon Scott ausgab, lud mich zu einem highteren Strandspaziergang ein, bei dem er mehr kuriose Geschichten auftischte als Bill Clinton in seiner gesamten Amtszeit. Meinen ersten Eindruck von den HARD-ONS musste ich später übrigens revidieren. Eine gewisse Eingewöhnungsphase war allerdings nötig, bis ich die wahren Qualitäten ihres unnachahmlichen Brachialsounds zu schätzen lernte.

Der nächste Tag, nein, halt! Vielleicht sollte ich erst einmal die Band vorstellen: Wenn ihr vor diesem Artikel schon mal was von ALL SYSTEMS GO! gehört haben solltet, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihr auch BIG DRILL CAR und die DOUGHBOYS kennt. Letzere machen nämlich durch Sänger und Gitarrist John Kastner und Bassist Peter Arsenault die eine Hälfte von ALL SYSTEMS GO! aus. Ex-BIG DRILL CAR-Saitenzupfer Mark Arnold und Trommler Dean Bentley, der von John nach einem Kneipengespräch in Toronto geradewegs hinters Schlagzeug katapultiert wurde, komplettieren das Quartett. Bedenkt man, dass sich der letzte Besetzungswechsel gerade mal im Mai 2000 vollzog, ist es beachtlich, was ALL SYSTEMS GO! seitdem schon alles auf die Beine gestellt haben. Ihr "self-titled" (verdammt noch mal, wie übersetzt man das ins Deutsche, ohne fünfzigtausend Wörter zu vergewaltigen?) Debütalbum, das sie zu Beginn des Jahrtausends veröffentlichten erreichte Platz fünf der italienischen Charts und Ende 2000 können die vier Kanadier nunmehr auf etwa 150 Gigs in Amiland, Europa und Australien zurückblicken. Kein schlechtes Resümee für ein halbes Jahr.

Doch fleissig wie sie nun mal sind, heisst es für die armen Tourgeplagten nach Sylvester 2000: Ab ins Studio und anschließend zurück auf die Bretter. Diesmal stehen die Bühnen von Japan an. Eine weitere Europatournee im Frühjahr 2001 ist ebenfalls in Planung. Bis dahin sollte auch neues Material auf handelsübliche Tonträger gebannt sein. Wem es aber schon vorher in den Ohren zuckt, dem sei der Rat gegeben ihren Erstling aus Australien zu bestellen, der, veröffentlicht auf Shock Records, gegenüber der europäischen Bad Taste-Version vier Zusatztracks enthält.

So, genug der drögen Fakten und zurück zu spaßigeren Angelegenheiten. Diese waren an Tag zwei der Tour jedoch eher spärlich gesät und beschränkten sich auf den Singin´ & Swingin´ Fish in einer Supermarktkette in Toowoomba. Um in das National Hotel dieses schnuckeligen (die Welt besteht aus Lügen) Westernkaff zu gelangen wollten etwa 150 Kilometer vorbei an saftigen Weiden und durch hügelige Landschaften zurückgelegt werden. Spätestens nachdem wir die Zimmer dieses unheiligen Ortes betraten, wurde mir wieder einmal bewusst, dass das Rockbusiness auch seine Schattenseiten hat. Von Komfort à la Sun City wie auch von barbusigen Schoolies fehlte jede Spur. Dafür gab´s kleine stinkende Zimmer mit quietschenden Betten und ´ne lausige PA. Der Sound entsprach in etwa dem Namen der Stadt und ein auf der Bühne entblößter Arsch setzte dem Abend die Krone auf.

Zu diesem Zeitpunkt wurde mir der Mangel der Bierversorgung der sich unnötig leberschonend durch die ganze Tour hinzog, besonders schmerzhaft vor Augen geführt. Kein Wunder also, dass das Equipment am nächsten Tag in Windeseile eingepackt war und wir uns wenig später gen Zivilisation aufmachten. Nach Ankunft in Brisbane folgte die übliche Routine: Hotel eintschekken; Sound tschekken; zurück ins Hotel; Fernseh gucken (Über die Frage, wer denn der beste Bond sei, entbrannte an diesem Tag eine heftige Diskussion), essen, schlafen oder Bewusstsein erweitern; und schließlich zurück zum "Venue". Auch wenn der Name Waterloo Hotel und das parallel abgehaltene 20.000er Konzert von PENNYWISE und FRENZAL RHOMB anderes erwarten ließen, war der folgende Gig nicht dem Untergang geweiht. Ganz im Gegenteil: Endlich gab es mal genug Alkohol, eine anständige Anlage, die ordentlich ass-kickte und zwei durch und durch spielfreudige Bands.

Mark, für seine 38 Lenze (die ihm niemand so recht abkaufen wollte) ohnehin schon überdurchschnittlich aktiv auf der Bühne, machte den Flummi, wobei sein Pagenkopf ebenso fröhlich durch die Luft wedelte wie Johns Rastas. Auch Dean ließ seine Arme scheinbar etwas kräftiger auf die Drums eindreschen, während Peter seinen Bass einem Härtetest unterzog. Mag sein, dass mein Urteilsvermögen an diesem Abend auf "rosig" eingestellt war und ich die Performance der Jungs, die eigentlich im nachhinein betrachtet bei allen Gigs, denen ich beiwohnte, ziemlich konstant war, etwas überschätzte. Doch prächtig amüsiert habe ich mich allemal. Dies lag möglicherweise auch daran, dass die Band dem Titel ihres Songs "Can´t stop getting high" nach dem Konzert fleißig in die Tat umsetzte und wir uns dementsprechend frühmorgens nach der freundlichen Einladung einiger Einheimischer in deren süßlich riechender Wohnung wiederfanden.

Glücklicherweise standen nun drei Off-Days bevor, die uns genug Zeit ließen sich von dieser durchzechten Nacht im Moonlight Cafe zu erholen. Der erste Tag ging dann auch nahezu komplett fürs Schlafen drauf. Ein Jammer, bedenkt man, dass wir in die himmlischen Hallen von Sun City zurückgekehrt waren, die wir am folgenden Morgen bedauerlicherweise schon wieder verlassen mussten um uns Richtung Sydney auf dem Weg zu machen. Dort erwartete ALL SYSTEMS GO! u.a. ein Interview mit Channel V (so ´ne Art australisches MTV) sowie mehrere Gigs in der Umgebung. Für mich hieß es nun nach viel zu kurzen sechs Tagen Tourluft schnuppern, vorläufig Abschied zu nehmen, um meinen Platz einem Ami namens Nick zu überlassen, der wohl irgendwie die gleiche Idee gehabt haben muss wie ich.

KURZES INTERMEZZO
Was mir nun bevorstand ließ mich nicht gerade Luftsprünge machen. Aus geldtechnischen Gründen hatte ich mit einem ehemaligen Geschäftspartner und guten Freund meines Patenonkels Kontakt aufgenommen. Wohnhaft in einem Vorort von Sydney und Besitzer einer Fabrik, war somit für meine Bleibe und einen Job gesorgt. Da ich ihn mir aus diversen Schilderungen als einen fetten, alten, konservativen Sack vorstellte, machte ich mich schon mal auf einen langweiligen Abend gefasst. Ich hatte allerdings nicht mit seinem 27jährigen Sohn Andy gerechnet. Nach dem Essen nahm er mich sogleich unter seine Fittiche, stellte mich Mr. Bong vor, der schon in seinem Zimmer wartete, und füllte mich ordentlich mit Whiskey-Cola ab. Eine rasante Autofahrt später befanden wir uns auch schon in Eastwood, wo, seinen Schilderungen zufolge, schon AC/DC einen Großteil ihrer Jugend verbracht hatten und wo uns ein Konzert der SCREAMING JETS erwartete. Dort wurde mir seine Großzügigkeit zum Verhängnis. Denn etliche Jack Daniels-Coke gepaart mit einem wahrhaft kochenden Saal ließen mich schwindelnd an die frische Luft taumeln. Was ich bis dahin vom Konzert mitkriegte war wenig origineller, straighter Rock mit ´ner Menge Leute, die ordentlich abgingen. Später erfuhr ich dann noch, dass die Australier das Vorprogramm der anstehenden (Abschieds-) Australientour von KISS bestreiten werden, was mir bewies, dass der Alkohol meine musikalische Einschätzung nicht vollkommen vernebelt hatte.

Aber zurück zum Punk: Um mich bei Andy zu revanchieren, beschloss ich bei ALL SYSTEMS GO! anzufragen ob sie ihn zusätzlich zu meiner Wenigkeit auf die Gästeliste setzen könnten. Kein Problem. Dass die Taxifahrerei bis ins Surfmekka Manly und zurück insgesamt 80 Dollar kosten würde, konnte ich ja nicht ahnen. So wurde es trotz freien Eintrittes mal wieder ein teurer Abend für meinen Gastgeber, der nicht nur darauf bestand das Taxi zu bezahlen, sondern zusätzlich auch meine Zeche übernahm. Dafür blieb ihm die Genugtuung obercool durch die nicht vorhandene Warteschlange direkt ins Heiligtum des Manly Fisho´s zu marschieren. Gerade rechtzeitig um zwei anscheinend von Ecstasy benebelte Teenager spastisch zur ALL SYSTEMS GO!-Mucke abgehen zu sehen. Nach der Show folgten die üblichen Benebelungsaktionen im, wie üblich, mickrigen Backstagebereich. Ansonsten gibt es nichts weiter zu berichten.

Für einen sagenhaft langen Zeitraum von fünf Tagen blieb mein Leben nun konzertlos. Die Abwesenheit von Marks Musikgeschichten machte mich zittern, ich vermisste Johns ärmelloses THERAPY?-Shirt, Tourmanager Daves mütterliche Rundungen und die schelmisch anmutende Break in "Can´t stop getting high". Tausend Kilometer musste ich zurücklegen und mich mit den Tücken melbournischer Häusernummerierung auseinandersetzen um diesen Missstand im Tote Hotel zu einem Ende kommen zu lassen. Ignoranterweise verpasste ich wie so oft mal wieder die Vorband, um mich stattdessen mit ein paar Kanadiern aus Calgary anzufreunden, die, wie mir ein kurzer Blick aufs BIG DRILL CAR-T-Shirt von Troy verriet, gekommen waren um ihre Landsleuten vor Southparkschen "Blame Canada"-Rufen zu bewahren. Musikfachsimpelnd (Troy erzählte mir stolz von seiner "Emo"-Band MIKO, die zur Zeit ohne ihn SAMIAM in Kanada supporten), vertrieben wir uns die Zeit, bis ALL SYSTEMS GO! zu ihrem einzigen Gig ohne die HARD-ONS aufspielten. Der Raum des altehrwürdigen Pubs war entgegen allgemeiner Erwartung inzwischen rappelvoll. Dennoch blieb das Publikum ziemlich zurückhaltend und der Band konnte man ansehen, dass sie sich in ihrer Rolle als Headliner nicht wirklich wohlfühlte, was mir hinterher auch Mark bestätigte: "Irgendwie hatte ich die ganze Zeit, dass Gefühl die Kids warteten darauf, dass etwas passiert". Die postkonzertäre Resonanz jedenfalls stimmte, was man, wie ich gelernt hatte, leicht an ausgegebenen Drinks per Bandmitglied messen kann. Zwei Tage später folgte mein letztes Zusammentreffen mit den Punkrockveteranen. Grund genug für mich sich ein letztes Mal besonders intensiv den Alkoholika hinzugeben und ein ALL SYSTEMS GO!-Workshirt von absolut minderwertiger Qualität (Warnung!) zu erschnorren.

Der Ort des letzten Gefechts, genannt Corner Bar, hob sich auf Grund einer Kleinigkeit von sonstigen Örtlichkeiten dieser Art ab: Zwei Bühnen sorgten für permanente Beschallung. So konnten MACH PELICAN, eine Art japanische RAMONES, nicht nur als Vor- sondern auch als Zwischengruppe fungieren, was nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Jedenfalls gab mir ihr Gig genügend Anlass, die langsam entflammende Backstageparty zu genießen, der, neben allerlei verschiedenen Bands zwei aufgetakelte Musikbusiness-Chixen und Besucher vom ersten Melbournekonzert beiwohnten. Nach getaner Arbeit und vollzogenem Besäufnis kehrten alle außer Mark, der die verlockende Einladung einiger Fans zum Weiterfeiern nicht ablehnen konnte, ins Appartement zurück, in dem Teil 1 meiner Australienerfahrung abrupt ein Ende fand.

Ach ja, wegen meiner "zufälligen" Einleitung: Ihr würdet diesen ganzen Schmarn jetzt nicht lesen können, würde ich nicht in einer Band namens HI-DENSITY spielen, deren Sänger und Bassist 2/5 einer anderen Band namens THAT VERY TIME I SAW... ausmachen würde, deren Gitarrist wiederum der Sohnemann des Vermieters des Hauses ist, in dem euer Lieblingsfanzine nun residiert. Vielleicht würde ich nun statt artikelschreibend vor meinem Compi zu sitzen von Krokodilen vergewaltigt und Haien zerstückelt in dem Glauben gestorben sein, dass Ox lediglich die englische Bezeichnung für einen kastrierten Stier ist. Und das wäre doch schändlich, oder?