„Und zack, war die Platte draußen“ – besser kann man die neun Jahre Vorgeschichte zum neuen, auf Gunner veröffentlichten ALIAS CAYLON-Album „Where There Be No Land“ nicht zusammenfassen. Was zwischen Rasenmähen, Familie und Songwriting passiert ist, erläutern uns Sänger und Gitarrist Thays und Drummer Fiede der Flensburger Punkrock/Postcore-Band.
Neun Jahre sind seit dem letzten ALIAS CAYLON-Album vergangen. Wie kam es zu der langen Pause?
Fiede: Wir haben nach der Veröffentlichung von „Follow The Feeder“ und der Tour im Anschluss angefangen, Songs für die aktuelle Platte zu schreiben. Wir nehmen uns für das Songwriting ausreichend Zeit und setzen uns da selber nicht unter Druck. Bereits im November 2013 haben wir in Eigenregie mit den Aufnahmen für „Where There Be No Land“ begonnen. Parallel passierte auch im Privaten bei uns ganz viel – Familien gründen, Rasenmähen, Jobwechsel, Kulturzentrum betreiben –, so dass wir im Anschluss nicht so zügig, aber stetig in kleinen Schritten weitermachen konnten. Im Sommer 2017 haben wir dann entschieden, dass wir endlich einen Abschluss finden müssen. Wir haben die letzten Puzzlestücke aufgenommen, ein Studio zum Mixen gesucht und mit Role von der Tonmeisterei in Oldenburg einen fähigen Menschen gefunden. Parallel haben wir dann nach einem Label Ausschau gehalten, da Rookie Records derzeit keine Kapazitäten für die Veröffentlichung hatte. Mit Gunner Records fanden wir dann auch ein für uns passendes Label und zack, war die Platte schon draußen.
Das neue Album wirkt deutlich komplexer als die Vorgänger. Absicht oder einfach ein natürlicher Entwicklungsprozess?
Fiede: Ich denke, dass es sich bei uns um eine natürliche Entwicklung handelt. Wir hatten keinen Masterplan oder ein Konzept verfolgt. Wir haben einfach weiter Songs geschrieben und aufgenommen. Natürlich spielen beim Songwriting Einflüsse von anderen Bands und Musikrichtungen eine Rolle, was sich dann im Songwriting-Prozess auch irgendwie wiederfindet. Die einzigen Prämissen waren meiner Meinung nach, dass wir uns so wenige Grenzen wie möglich setzen und versuchen, einigermaßen kompakte Songs zu schreiben.
Seid ihr klassische „Mucker-Typen“? Wie wichtig ist euch Equipment und was bedeuten euch musikalische Skills?
Fiede: Also ich brauche schon ein gewisses Bandgefüge, damit ich Lust auf Musikmachen bekomme. Ich muss „musikalisch“ kommunizieren können. Alleine habe ich meistens gar keinen Bock auf Schlagzeugspielen. Bezüglich des Equipments wachsen mit der Zeit natürlich die eigenen Ansprüche an Sound und Instrument, aber bei uns ist keiner dabei, der bei jeder Probe neuen Kram zum Ausprobieren dabei hat. Wir reden aber schon darüber, wie sich der Gesamtsound im Proberaum oder beim Konzert anhört und versuchen, uns zu optimieren.
Thays: Die bedeutsamen musikalischen Skills sehe ich eher im Bereich des Songwritings und weniger darin, wie schnell ich ein meist sowieso überflüssiges Solo spielen und mir vielleicht dabei noch die Gitarre und den Hals schleudern kann. Also eher, wie sich ein Song aufbaut und welche Raffinessen sich auch nach mehrmaligem Hören noch entdecken lassen.
Ich habe außerdem das Gefühl, dass ihr euch auf „Where There Be No Land“ noch offener durch die Genres bewegt. Wie würdet ihr das selber beschreiben?
Fiede: Allgemein hören wir alle ein großes Spektrum an verschiedenster Musik, so dass viele Einflüsse und Ideen mit in die Probe gebracht werden. Die Herausforderung ist es dann, die ganzen Ideen irgendwie zu kanalisieren und trotzdem für unser Empfinden typische ALIAS CAYLON-Songs daraus zu machen. Bei „Follow The Feeder“ haben wir uns auch schon weit über Genregrenzen hinaus bewegt, ohne unsere Punkrock/Postcore-Wurzeln zu verleugnen. Allgemein ist es bei uns ja auch so, wenn eine Songidee funktioniert und uns begeistert, machen wir weiter, egal, wo es uns am Ende hinführt.
Thays: Es ist schon so, dass wir mit unseren jeweiligen musikalischen Geschmäckern in der Band sehr breit aufgestellt sind. Die Scheuklappen haben wir so gut wie abgelegt. Wir trauen uns seit „Follow The Feeder“, glaube ich, immer mehr zu und wollen uns da selbst keine Grenzen setzen. Ich denke, nur so kann man es schaffen, ein möglichst vielseitiges Album aufzunehmen.
Gibt es spannende musikalische Neuentdeckungen aus Norddeutschland für euch?
Fiede: Ich finde die lokale Musikszene in Norddeutschland beziehungsweise Schleswig-Holstein allgemein sehr spannend, da ich ja selber eine Zeit lang in Schleswig versucht habe, Bands eine Bühne zu bieten. Erwähnen möchte ich dann aber doch unsere hervorragenden Proberaum-Buddys ZOI!S und EDGAR R. Beide Bands sind sehr engagiert dabei, nehmen Musik auf und spielen Konzerte. Ich denke, dass wir alten Säcke als gutes Beispiel einen positiven Einfluss drauf haben, weil wir es seit Jahren genauso machen und trotz familiärer Verpflichtungen und unserer Jobs versuchen, die Band aufrechtzuerhalten.
Thays: Für mich gehören definitiv LIRR. zu einer der spannendsten Neuentdeckungen der letzten Jahre hier oben. Die letzte Platte hat mich total beeindruckt. Wir kennen die Jungs auch und ich hätte Bock, bald mal ein paar Shows mit denen zu spielen. Eine andere Band, von der ich hoffe, noch mehr hören zu können, sind BAKER SEATS. Altbekannte Kumpels aus altbekannten Bands im neuen Gewand quasi. Wir hatten die Jungs bei unserem Release-Konzert in der Kieler Schaubude dabei. Ganz groß! Bisher gibt es von denen nur etwas bei YouTube zu hören, aber eine Platte wird da hoffentlich noch kommen.
Wer von euch schreibt die Songs und wie läuft bei euch der Songwriting-Prozess?
Fiede: Viele musikalische Ideen bringt Thays mit, außerdem ist er für die Texte verantwortlich, da er sie ja auch später parallel zum Gitarrenspielen singen muss. Bei den Proben entstehen kleinen Jamsessions, die wir immer mal wieder einlegen, wenn ein Gitarrenriff, ein Drum-Rhythmus oder was auch immer uns gerade inspiriert oder beschäftigt. Meistens nehmen wir dann die kleinen Teile und Songschnipsel während der Probe auf und laden sie hoch in unsere Online-Cloud, wo sie für jeden abrufbar ist. Wenn die Idee bei der nächsten Probe dann immer noch zündet, machen wir daran weiter. Nicht selten fügen sich dann im Songwriting-Prozess einzelne Teile zu einem Ganzen zusammen. Dabei probieren wir viele Ideen und Variationen aus, bis es für uns rund klingt.
Thays: Textlich gibt es da kein Schema F, an dem ich mich orientiere. Es liegt, wie so häufig in der Kunst, an der Tagesform. Harter Tag, zähes Texten. In früheren Bands meiner Jugend war mir das fast schon egal, was ich da singe. Hauptsache, die Gesangsparts werden schnell gefüllt. Das ist heute anders. Instrumental kann der Song noch so stark sein, wenn der Text abstinkt, kann das ganze Werk schnell auf Grund laufen. Ich mag es sehr gerne, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern dem Zuhörer einen gewissen Interpretationsspielraum zu geben. Sei es wie bei „Crossed out“ oder „A day will come at sea“, wo es oft eigentlich um Momentaufnahmen besonderer Ereignisse meines Lebens geht und diese in Worte zu fassen und wo der eine oder andere denken mag: Wovon singt der Typ da? Jedoch wird genügend Platz für eigene Auslegungen gelassen.
Ist „Lest we forget“ euer Beitrag zur aktuellen Verrohung in der Politik? Oder worum geht es in dem Song?
Thays: Das hast du bei all der textlichen Abstrahierung sehr gut erkannt. Ja, es ist quasi unser „Fuck AfD“-Beitrag. Es geht hier aber weniger darum, etwas anzuprangern, sondern mehr um die Feststellung, dass sich nicht erst seit 2015 in unserer Gesellschaft ein spürbarer, aber nicht hinzunehmender Ruck nach rechts vollzieht. Und mit der Zahl der Geflüchteten wuchs das Gefühl, dass es nur noch ein „dafür“ oder „dagegen“ gibt. Wir sind keine Band, die durch ihre Musik versucht, politische Messages zu vertreten, aber zu diesem Thema braucht man ja eigentlich weniger ein breites politisches Wissen als mehr ein moralisches Verständnis dafür, was sich gehört und was nicht.
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