Wenn man die vielschichtigen Kompositionen Alexander Tuckers hört, will man zuerst nicht glauben, dass diese alleine seiner Experimentierlust entspringen. Umso erstaunlicher klingen die düster-schönen Doom-Folk-Kompositionen, zu denen er auch die Cover entwirft. Ein ganzheitlicher Künstler, der viel Interessantes zu sagen hat über Reisen in imaginäre Welten, lustige Schubladen wie Doom-Raga und das Ausloten von Grenzen in der Musik.
Alex, wie ging es bei dir mit dem Musikmachen los?
Ich habe angefangen, Musik zu machen, als mir mein Vater eine 12-String-Gitarre schenkte und ich ein paar Stunden klassischen Gitarrenunterricht nahm. Aber dass man bestimmte Dinge lernen musste, um etwas spielen zu können, hat mich genervt. Ich fand es viel spannender, einen Akkord so lange zu halten, bis er völlig verzerrt war. Irgendwann bekam ich eine elektrische Gitarre und habe angefangen, mit den Wundern des Feedbacks zu experimentieren. Ich wollte sofort Musik machen, ohne etwas dafür lernen zu müssen, und so begann meine noch ziellose primitive Improvisation.
Bei deiner Musik wird immer wieder von Doom-Folk gesprochen. Ist das eine Schublade, mit der du leben kannst?
Doom-Folk ist nur so ein Ausdruck, den sich Leute so ausdenken, um ihn der sowieso schon endlosen Liste von Subgenres hinzuzufügen. Also eine weitere Schublade, um kreative Geister zu fangen. Und Kreativität ist für mich nicht nur bei Sound und Cover wichtig, sondern auch bei den Texten. Ich habe einen Notizblock, mit dem ich Ideen festhalte. Die Worte sind meist abstrakte Versionen von Gefühlen und Ereignissen. Texte schreiben ist vermutlich der schwierigste Teil des ganzen Prozesses, obwohl ich es schon länger mache, als Musik selbst zu schreiben.
Du verarbeitest viele Einflüsse in deiner Musik. Zum einen ist da der handgemachte Folk, zum anderen dessen elektronischen Manipulation.
Ich ziehe meine Einflüsse aus vielen verschiedenen Quellen, die sich mit jedem Album ändern. Gleich wichtig bleiben aber zum Beispiel SPACEMEN 3, BARDO POND, Psychedelic-Rock der 60er und 70er, neuseeländische Experimentalmusik, zeitgenössische Klassik und Metal. Ich werde immer in die Folk-Schublade gesteckt, aber ich mag englischen Folk nicht. Als ich „Old Fog“ aufnahm, habe ich THE INCREDIBLE STRING BAND gehört, aber da hört es dann auch schon auf. Die Verbindung mit elektronischen Geräten entstand schon früh, als ich mit 14 ein Echopedal in die Hände bekam. Ein tolles Gerät für jemanden, der einfach nur Sound kreieren wollte. Mit der Zeit haben sich dann verschiedene Geräte angesammelt, zum Beispiel ein analoges Keyboard. FX-Pedale sind für mich ein weiteres Instrument, mit dem ich experimentieren möchte: wenn du eine ganze Reihe davon hast, kannst du deinen ganz eigenen Sound bauen.
Deine Stimme ist sehr prägnant und einprägsam. Benutzt du sie als Instrument?
Meine Stimme ist definitiv ein weiteres Instrument und ich nutze sie, um Sound aufzuschichten. Für mich ist es die direkteste Art, eine musikalische Idee umzusetzen. Die Stimme ist der Kanal, um akustische Emotionen ohne das technische Spielen von Instrumenten umzusetzen.
Hast du auf deinem neuen Album „Portal“ mehr elektronische Instrumente benutzt? „Furrowed Brow“ hört sich akustischer an.
Das würde ich so nicht sagen. Mein Debüt auf U-Sound Archives ist voller Elektronik. Ich habe Field-Recordings über meinen Minidisc-Player laufen lassen und dann durch meine FX-Pedale manipuliert. Ich mag die Kombination von akustischen Sounds und Elektronischem. Auf „Portal“ sind die Lieder dichter, haben aber vermutlich denselben Anteil an Akustik- und Elektronikparts, da ich mehr elektrische Gitarren und Orgeln spiele, die ich dann durch meine Pedale manipuliere. Und ich benutze keine Computer: die letzten beiden Alben wurden mit einem alten 70er-Jahre-Mischpult aufgenommen, mit schönem warmen Sound. Die Wiederholungen habe ich gespielt und nicht geloopt. Ich bin kein Laptopkünstler, wie viele denken, im Gegenteil!
Deine Musik wird mit dem Adjektiv „schön“ beschrieben. Während dies für die Melodien stimmt, strahlt beim Hören deiner Alben immer wieder eine Dunkelheit durch.
Ich hoffe, dass meine Musik aus Abstufungen von Licht und Schatten besteht. Obwohl ich mich in der Vergangenheit häufig in der Dunkelheit aufgehalten habe, führt dieser Weg nirgendwo hin. Auf „Portal“ habe ich wirklich versucht, die Musik weg vom „doom and gloom“ auf eine lichtere Ebene zu heben. Dennoch zieht mich das Ungewohnte, das Verborgene, das eine schaurige Atmosphäre schaffen kann, weiterhin an. Unser aller Leben ist durch Gut und Böse, Licht und Schatten gekennzeichnet, deshalb sehe ich dies als sehr menschliches Anliegen.
Das wird auch durch die von dir selbst gestalteten Albumcover deutlich. Inwiefern sind diese Abbilder der Musik?
Die Cover hängen eng mit der Musik zusammen. Sie kommen aus derselben imaginären Welt, die ich über Jahre aufgebaut habe. Meine erste Platte „Old Fog“ und auch „Furrowed Brow“ spielen in der gleichen Welt, die durchzogen ist von dunklen Landschaften, Ruinen, verträumten Vororten, jenseitigen Wesen, dem Unten und Oben. Das Cover von „Old Fog“, eine Höhle, deren Eingang von einem Spinnennetz überzogen ist, entstand aus der Idee, dass unsere jeweilige Heimat eine zerbrechliche Konstruktion ist. Zu der Zeit, als das Bild entstand, bin ich von Ort zu Ort gezogen und hatte ein großes Gefühl der Unsicherheit zu bewältigen. „Furrowed Brow“ thematisiert die Ehrfurcht und den Horror, den unsere Umgebung hervorrufen kann: die Schemen vor der Sonne gebären einen lächelnden und weinenden Mond. Das Bild auf „Portal“ ist etwas anders. Der Stil soll eine Gravierung imitieren und ist beeinflusst vom amerikanischen Comiczeichner Gary Panter und dem französischen Graveur Gustav Dore. Ich liebe alte Darstellungen von Furcht erregenden Seemonstern. Heutzutage sehen sie eher etwas dümmlich und altertümlich aus. Die Einäugige auf „The Custom Made“ basiert auf viktorianischen Postkarten, auf denen Figuren die Illusion eines Gesichts oder Totenkopfes darstellen.
Du hast auch für WOLFMANGLER gezeichnet und mit KHANATE musiziert. Das sind eher düstere Zeitgenossen ...
Die Zeichnung für WOLFMANGLER, eine experimentelle polnische Folk-Doom-Metal-Band, war eine Auftragsarbeit und ich habe nur einmal für KHANATE, die Doom-Metal-Supergroup um Stephen O’Malley, in London eröffnet. Wie ich schon sagte, faszinieren mich das Unbekannte und Verborgene, aber ich bin nicht total besessen von der Dunkelheit. Mit meiner Musik habe ich immer versucht, mich von den dunkleren Aspekten des Lebens zu entfernen – ich höre viel lieber THE BEATLES als DARKTHRONE.
Du hast unter anderem mit Stephen O’Malley gearbeitet, wie hat das deine eigene Musik beeinflusst?
Bei den Aufnahmen mit Stephen haben wir einfach unsere aktuellen Ideen mitgebracht und diese vereint. Das passierte alles ganz natürlich. Neulich haben wir drei elektronische Tambura – ein viersaitiges indische Instrument, ähnlich der Sitar – an ein riesiges Soundsystem geschlossen, um einen indischen Ragasound zu bekommen, während ich Cello und FX-Pedale und O’Malley Gitarre und FX-Pedale spielte. „Doom Raga“ – now there’s a new term.
Für die „Custom Made“-Single-Serie hast du FURSAXAs „Rodeo in the sky“ als Coverversion gewählt.
„Rodeo in the sky“ hat schon beim ersten Hören einen riesigen Eindruck auf mich gemacht. Im Original ist das Lied LoFi, aber jedes Mal wenn ich es höre, stelle ich mir vor, dass es eine ganze Band spielt. Ich liebe Tara Burkes Musik und sie hatte einen großen Einfluss auf meinen Sound, obwohl ich damals noch nicht wusste, dass sie wie ich live Loop-Pedale benutzt.
Im Moment scheinen sehr viele Musiker aus dem Hardcore-Bereich ihre Folk-„Wurzeln“ zu finden, wie Chuck Ragan von HOT WATER MUSIC oder einige FUGAZI-Mitglieder. Bei dir war es ja ähnlich. Ist das eine logische Entwicklung?
Bei mir lief die Entwicklung anders. Bevor ich in einer Hardcore-Band war, habe ich schon experimentelle Musik gehört, vor allem FAUST, Brian Eno, DEVO und THE RESIDENTS. Durch den Hardcore habe ich die New Yorker No-Wave-Szene kennen gelernt: BOREDOMS und Free-Jazz-Zeugs, und irgendwie war da eine Verbindung zu der Experimentalmusik, die ich damals schon mochte. Hardcore zu der Zeit wollte Grenzen austesten, Schall und Strukturen auf interessante Art nutzend. Heute hört sich vieles aus dem Hardcore-Bereich sehr festgefahren an.
Und was sind deine nächsten Vorhaben?
Ich habe gerade mit einem Projekt angefangen, bei dem insgesamt fünf Leute beteiligt sind: ich selbst spiele Cello, Gitarre und FX-Pedale; an den Drums Paul May, der auch unter anderem mit Carolyn Hume spielt, Daniel O’Sullivan am Keyboard, Duke Garwood, ein britischer Bluesexperimentalist, am Saxophon und Dom Garwood, der auch schon auf „Furrowed Brow“ dabei war, an der Klarinette. Ich benutze das Cello, um sehr rhythmische Wiederholungsmuster aufzubauen – das ergibt einen sehr epischen und orchestralen Sound. Ich habe auch mit den Aufnahmen für das nächste Album angefangen, das eine Mischung aus Aufnahmen, die ich zu Hause mache, und Studioaufnahmen werden wird.
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