Mit dem aktuellen Album „Futurist“ hat sich der Berliner Anarcho-Elektroniker auf alte Tugenden beschränkt und es doch geschafft, seinen eigenen, unverkennbaren Stil konsequent fortzuführen. Dabei stellt Alec Empire auf diesem Werk ein weiteres Mal klar, dass man selbst in der elektronischen Musik bei allem Krach seine Instrumente beherrschen sollte, und spielte konsequent nahezu alle Instrumente selber ein. Dass das Ganze live ohne eine richtige Band nicht so authentisch umzusetzen wäre, konnte man sich denken, und ebenso ungewöhnlich war es dann auch. Grund und Anlass, Herrn Empire während seiner groß angelegten Europatour in Köln einen Besuch abzustatten und dem gebürtigen Berliner und Wahlengländer mit einigen Fragen die Zeit bis zum Auftritt zu vertreiben.
Du bist ja schon ein Mensch, der zu Extremen neigt. War das schon in deiner Kindheit so?
Na ja, so würde ich das nicht sagen. Ich bin halt ein Mensch, der seine eigene Meinung vertritt und sich auch gegen Ungerechtigkeiten einsetzt. Damals in der Schule standen auf meinen Zeugnissen immer so Kommentare wie „überdurchschnittliches Gerechtigkeitsempfinden“ und in Klammern „leider“, haha.
Wieso hast du deine Breakdance-Karriere so früh beendet?
Haha, ich glaube, weil mir das zu kommerziell wurde, als die ersten Artikel in der Bravo drin standen. Da habe ich wohl schon gespürt, dass da was faul ist. Aber das ist auch schon lange her, damals war ich zehn, elf Jahre alt. Keine Ahnung, ob ich das heute noch könnte, wahrscheinlich müsste ich drei oder vier Monate hart trainieren.
Warst du eher ein Computer-Nerd oder hast du früher deinen Computer zum Spielen genutzt?
Ich habe schon etliche Spiele gespielt, wobei ich eher Konsolen und Automaten bevorzugte. Ich war nie dieser Computer-Nerd, der vor der Kiste rumsaß, das war mir nicht spannend genug. Mein Lieblingsspiel, woran ich mich noch erinnern kann, war „Joust“. Du spielst da einen Ritter, der auf einem Strauß sitzt, und rennst damit durch die Gegend. Das fand ich geil.
Ist es nicht ein wenig merkwürdig, wenn man in Japan vor Tausenden Leuten spielt und hier im eigenen Land nach all den Jahren noch den Status eines Geheimtipps inne hat?
Das liegt wohl eher daran, dass wir in Deutschland nicht so oft gespielt haben wie zum Beispiel in Japan oder Amerika. Es ist aber nicht so, dass wir damals Deutschland vernachlässigt hätten, es bestand eben nicht so eine große Nachfrage, beziehungsweise wir hatten auch andere Verpflichtungen. Insofern würde ich schon sagen, dass momentan eine Art Nachholbedarf besteht, die heimischen Clubs zu bereisen, einfach auf die Bühne zu gehen und sehen, was passiert.
Aber mit ATARI TEENAGE RIOT wart ihr ja recht präsent, zum Beispiel damals auf Viva Zwei.
Stimmt, diese Fernsehpräsenz fehlt einfach momentan, wobei ich die Printmedien jetzt nicht so für relevant halte, da wir in der Vergangenheit gerne von einigen Magazinen falsch zitiert oder gleich ganz ausgegrenzt wurden. Aber das kann sich auch wieder in ein paar Jahren ändern wie in England, wo ein Trend bekanntlich den nächsten jagt.
Findest du, dass die klassischen Musiksender mit ihren Spartensendungen ausgestorben sind? Ich meine außer Klingeltönen und irgendwelchen Doku-Soaps sieht man ja kaum noch Musikvideos.
Wie es hier in Deutschland aussieht, kann ich nicht beurteilen. In England haben wir digitales Fernsehen, da haben wir schon fast zu viele Musiksender für jeden Geschmack. Da ist es wesentlich einfacher, Videos zu platzieren, da jeder Sender sich vom anderen abheben will. Ich denke, das wird früher oder später auch hier rüberkommen.
Welchen Unterschied gibt es zwischen den englischen und den deutschen Charts?
Nun, die englischen Charts sind meiner Meinung nach weniger korrupt als die deutschen. Die Musik gefällt mir persönlich dadurch noch lange nicht, aber ich finde, dadurch können sich in England wesentlich schneller neue Trends entwickeln als hier in Deutschland, wo bis zu einem gewissen Grad die Medien und vor allem Plattenfirmen ihre Finger im Spiel haben. Mir gefällt es eher, wenn sich Dinge schnell entwickeln. Hier sehe ich auf den Covern der ganzen Musikzeitschriften immer die gleichen Gesichter mit den gleichen Promo-Stories, und wenn du ein paar Seiten weiter blätterst, siehst du auch schon die jeweilige Anzeige. Es werden einfach keine Freiräume geschaffen für interessante Musik beziehungsweise Trends oder Informationen, sondern immer die gleiche mediengerechte Kost serviert. Mag aber ganz gut sein für Waschmaschinenwerbung, haha. Ich als Musiker finde die deutschen Charts doch ziemlich langweilig und eintönig, ehrlich gesagt.
Vielleicht wäre es ja mal angebracht, wenn du beim Eurovision-Contest für Deutschland ins Rennen gehen würdest.
Ich hätte damit kein Problem, ganz im Gegenteil: Ich glaube eher, die anderen hätten damit ein Problem, haha. Also ich hätte da schon Lust drauf. Das Problem, was ich sehe, ist, dass Deutschland als Musiklandschaft nicht so ernst genommen wird wie halt England. Die meisten Musiker trauen sich einfach nicht, internationaler zu denken, und versuchen es noch nicht mal, außerhalb der deutschen Grenzen Fuß zu fassen. Es wird langsam Zeit einen einheitlichen europäischen Sound zu kreieren, der repräsentativ ist.
Hast du schon eine Anfrage bezüglich der „Du bist Deutschland“-Kampagne bekommen?
Um ehrlich zu sein, habe ich davon nichts mitbekommen, aber eigentlich ist es doch ziemlich blöd, solch eine Kampagne überhaupt ins Leben zu rufen, oder? Ich bin nicht stolz auf die deutsche Vergangenheit. Diejenigen, die aus fadenscheinigen Gründen stolz auf dieses Land sind, verharmlosen eben die deutsche Geschichte der näheren Vergangenheit, insofern kann man sich ja schon denken, wie ihre politische Gesinnung aussieht. Für mich hört sich das so an, als ob ein paar Leute Angst vor Veränderungen hätten und es bevorzugen würden, wenn Deutschland vom Rest der Welt abgeschottet werden würde. Man sollte eher eine andere Art von Kampagne starten, die das Image der Deutschen im Ausland ein wenig verbessert. Ich merke es ja selber, dass es immer noch große Vorurteile gegenüber Deutschland gibt, und die meisten Leute sind dann erstaunt, wenn sie mich treffen, weil sie mich für alles andere als für „deutsch“ halten. Aber ich sehe mich ja auch nicht als Deutschen im üblichen Sinne.
Dein aktuelles Album „Futurist“ klingt im Gegensatz zu deinen anderen Alben ja schon recht optimistisch und weniger destruktiv und pessimistisch. Wie siehst du das?
Ich weiß nicht, eigentlich war ich doch noch nie pessimistisch. Das Problem ist einfach, dass man keine Sticker auf die Alben draufkleben kann, wo draufsteht „Achtung: Ironie“. Nicht ich nehme mich zu ernst, sondern die Leute. Aber vielleicht hast du ja Recht, es gab nach der letzten ATARI TEENAGE RIOT-Platte eine Zeit, wo ich ziemlich ausgebrannt war, hinzu kam noch Carls Tod und einige andere Dinge in meinem Leben. Manche Künstler überwinden diese Zeit mit Drogen, um weiter ihr kreatives Level aufrecht zu erhalten, ich jedoch habe noch nie irgendeine Droge angerührt und versuche, aus meinen Krisen möglichst immer stärker als vorher rauszugehen.
Würdest du sagen, dass es Techno beziehungsweise elektronische Musik sich selber verbaut hat, als eine neue musikalische Revolution ernst genommen zu werden?
Also, wenn ich mir die heutige Szene anschaue, hätte ich, ehrlich gesagt, nicht mit solch einer Entwicklung gerechnet. Ende der Neunziger dachte ich, wir würden 2005 schon wesentlich weiter sein, stattdessen werden der neuen Generation einfach die alten Sachen als neu verkauft. Die meisten so genannten Musiker haben auch keine Ahnung von Musik und verlassen sich zu sehr auf die Elektronik. Aber diese Entwicklung kannst du auch im Filmgeschäft wahrnehmen, wo nur noch mit großen Budgets Remakes abgedreht werden und das dann meistens sogar schlecht. Ich würde das eher als eine evolutionäre Rückentwicklung bezeichnen.
Aber nebenbei machst du ja auch ein paar Remixgeschichten für Bands. Inwieweit unterscheiden sich deine Remixe von den anderen „Aufgüssen“ deiner Kollegen?
Ich würde schon sagen, dass der eine oder andere schnell wegrennt, wenn er liest, dass ich ein Remix gemacht habe, haha. Ich mache ja keine discogerechte Tanzversion, sondern zerstöre eher das Original und schaffe dadurch was Neues. Insofern kann ich schon behaupten, dass meine Remixe anders sind als die von anderen Musikern, und man das auch hörbar erkennen kann, wo ich jetzt meine Finger im Spiel hatte.
Stimmt es, dass einige deiner Remixe schon etwas extremer ausfielen, so dass die Bands/Labels sich dazu entschieden, sie nicht zu veröffentlichen?
Ich glaube, das einzige Mal, wo das Label sich zu Wort gemeldet hat, war bei Rob Zombie, obwohl ich diesen Remix nun alles andere als extrem fand – im Vergleich zu meinen anderen Sachen, haha. Aber soweit wurden alle Remixe veröffentlicht, das wird ja alles vertraglich geregelt, und wenn jemand schon für einen Remix zahlt, will er das auch schließlich veröffentlichen. Es gibt auch diese Situation, wo zum Beispiel eine Single doch nicht veröffentlicht wird, aber das hat weniger mit meinem Remix zu tun, sondern ist einfach nur Labelpolitik. Epitaph haben, glaub ich, noch eine ganze Menge Mixe von mir in der Schublade, fällt mir gerade ein.
Mit Digital Hardcore Recordings habt ihr nicht nur ein eigenes Label, sondern auch gleich ein Markenzeichen geschaffen. Gibt es das Label noch oder habt ihr euch zu sehr mit diesem Stempel limitiert?
Das Label gibt es so nicht mehr, beziehungsweise ich bin der einzige Künstler im Programm. Das Problem bestand einfach darin, dass die meisten Musiker und Bands zwar eine oder in den seltensten Fällen zwei gute Platten rausbrachten, aber das war es dann auch schon. Ich habe auch schon vor Carls Tod (Anmerkung: Alecs ATR-Mitstreiter Carl Crack starb 2001 nach einer langen Drogenkarriere) gemerkt, dass die Szene in Berlin um uns herum ziemlich eingefahren ist und es aus reinem musikalischen Interesse nichts nützt, noch weiter Platten rauszubringen. Damit würdest du Gefahr laufen, auch Musik zu veröffentlichen, die dir persönlich nicht gefällt, nur um die Angestellten monatlich bezahlen zu können und es sich mit dem Vertrieb nicht zu verscherzen. Aber es gibt ja Leute, die es trotzdem versucht haben mit einem neuen Label, und leider auch gescheitert sind.
Apropos: Könntest du dir vorstellen, musikalisch was ganz anderes zu machen, so wie deine Ex-Kollegin Hanin Elias?
Hanin Elias hat schon früher immer gesungen, aber mir war das zu gruftig. Es passte einfach nicht zum Sound. Deswegen gab es schon einige Streitereien. Hanin kam gut gelaunt ins Studio und wollte was Neues ausprobieren, ich hab sie erstmal machen lassen, obwohl es eh schon für mich klar war, dass diese Aufnahmen nicht passen, und nachher hat Hanin das Studio völlig wütend verlassen. Einige Leute behaupten sogar, ich hätte das absichtlich gemacht, haha.
Wie viel muss man für eine ATARI TEENAGE RIOT-Reunion eigentlich zahlen?
Ich habe den Eindruck je länger ich damit warte, umso höher werden die Gebote. Aber für mich macht das aus musikalischer Sicht keinen Sinn. Sollte sich irgendwas ändern und es würde Sinn machen, wäre ich eventuell dazu bereit. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir unserer Zeit voraus waren und eine Band wie ATARI TEENAGE RIOT heute umso wichtiger wäre als früher. Wie auch immer, ich persönlich bin kein großer Fan von Reunions, außerdem würde es ohne Carl noch weniger Sinn machen. Wir sind halt keine Band im ursprünglichen Sinne, wo man auf ein Originalmitglied verzichten könnte. Hinzu kommt auch noch, dass Hanin meine Ex-Freundin ist, was die ganze Angelegenheit auch nicht grad einfacher machen würde, haha.
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