Mein erstes Zusammentreffen mit diesen überaus skurrilen Schweizern fand vor vier Jahren im Frankfurter KOZ statt. Damals bestand die Band noch aus Christian Pauli, Michael Werthmüller, Peter Kraut und Daniel Lieder. Das aktuelle Album hiess "Ali" und entfachte sowohl auf Platte als auch auf der Bühne ein kakophonisches Rockinferno, eine wilde Mischung aus Freejazz, Deathmetal und Industrial-Einflüssen, die seltsamerweise völlig auf Gitarren verzichtete und darüber hinaus streng durchkomponiert war. Nach "Ali" war erst mal Sendepause. Dem vor ca. zwei Jahren nur in Frankreich beim Pandemonium-Label erschienen "Amor Fati"-Album folgte Ende letzten Jahres mit "Ecco La Fiera" wieder ein offizielles deutsches Release bei What So Funny About.
Eventuelle Rock-Assoziationen konnte man wie bereits beim Vorgänger "Amor Fati" getrost über Bord werfen, denn ALBOTH! sind seit "Ali" wirklich kein Stück zugänglicher geworden, ganz im Gegenteil, was ihre Plattenverkäufe wohl nicht unbedingt fördern dürfte. Dafür bleiben sie damit eine der ungewöhnlichsten Bands überhaupt, die komischerweise bei den Kulturredaktionen irgendwelcher Tageszeitungen mehr auf Gegenliebe stösst als im Fanzine-Bereich. Dass ALBOTH! keine Feuilletonleiche sind, konnten sie bei ihrem sehr lebendigen Auftritt im Café der Münchner Muffathalle mal wieder deutlich unter Beweis stellen. Die Anlage des Cafés war aufgrund der ruckartigen Lautstärkeschwankungen zwar deutlich überfordert, und auch dem Bayerischen Rundfunk, der das Konzert eigentlich mitschneiden wollte, stürzte ständig die ultramoderne Aufnahmeanlage ab.
Was die aktuelle Besetzung angeht, hat man es inzwischen aber mit einer völlig anderen, zum Trio geschrumpften Band zu tun. Mein damaliger Gesprächspartner war der inzwischen ausgestiegene Bassist Pauli, diesmal gaben sich Wertmüller und Neueinsteiger Tito die Ehre.
Als ich euch vor vier Jahren interviewt habe, sah ALBOTH! als Band noch etwas anders aus. Was war der Grund für diesen Besetzungswechsel?
Wertmüller: "Zu der Zeit hatten wir noch Bass und Klavier dabei, die beiden sind jetzt weg. Dafür haben wir einen neuen Gitarristen, Tito. Von der Urbesetzung sind also nur noch Lieder, der Sänger, und ich übrig. Das hing hauptsächlich mit zeitlichen Problemen zusammen. Die beiden anderen wollten auch nicht mehr unbedingt auf Tour gehen, deshalb mussten wir da mal einen Schnitt machen."
Und wie kam der Standortwechsel von der Schweiz nach Berlin zustande?
Wertmüller: "Ich studiere schon seit vier Jahren in Berlin Komposition und solche Sachen. Lieder ist seit zwei Jahren in Berlin. Aber nicht wegen der Band, sondern wegen der Liebe. Als Ausgangslager ist Berlin aber nicht unbedingt besser als die Schweiz, im Prinzip ist es genau dasselbe."
Besitzt Berlin denn für euch in musikalischer Sicht überhaupt eine besondere Bedeutung?
Tito: "In kommerzieller Hinsicht eher nicht, aber vom ganzen Ideenspektrum her ist Berlin schon total wichtig. Da trifft sich jeder, der bestimmte Sachen ausprobiert. Ausserdem kann man in Berlin relativ preiswert überleben und hat viel Zeit, sich was auszudenken. In einer Stadt wie New York, wo ich einige Zeit gelebt habe, muss man sich immer ziemlich anstrengen, um seine Miete zahlen zu können und muss sehen, dass man mit seinen Ideen unbedingt Geld verdient. In Berlin hat man diesen Druck nicht und viel mehr Zeit skurrile Sachen zu machen, auch in Verbindung mit Theater. Wegen dieser Regierungsgeschichte haben damals alle geunkt, dass Berlin tot sein würde. Ich war fünf Jahre weg und war bei meiner Rückkehr erstaunt, wie widerstandsfähig der ganze Schmutz in Berlin doch ist. Berlin ist irgendwie unregierbar. Um das Regierungsviertel herum ist zwar alles schön sauber, aber da gibt es ja auch keine Kultur. Die ganzen Geldkürzungen führen natürlich schon dazu, dass man jede Idee doch wieder stärker verkaufen muss. Und wenn man Nischenmusik wie wir macht, wird´s immer schwieriger, aber im Moment geht´s noch ganz gut."
Was hat dich denn zu ALBOTH! gebracht und was hast du ansonsten gemacht?
Tito: "Ich bin ein gutes Jahr vor "Ecco La Fiera" eingestiegen. An sich habe ich immer allerhand aussermusikalische Sachen gemacht. Am liebsten bin ich aber Beobachter. Ich kann monatelang an Strassenrändern sitzen und die Menschen beobachten. Das mache ich oft, wenn ich nicht gerade in einer Band spiele. Ich wohne hauptsächlich in Berlin, habe aber eine Weile in den USA gelebt. Ich bin dann ziemlich schnell nach Berlin zurück und habe dort ALBOTH kennengelernt. Komischerweise kannte ich die Band vorher überhaupt nicht, da ich eher aus dem Happening-Bereich komme und es da vor allem mit Musikhassern zu tun hatte. Musik mache ich aber bereits seit 25 Jahren - viel länger als die anderen, ich bin ja auch 15 Jahre älter -, deshalb kann ich es halt auch richtig. Zum damaligen Zeitpunkt war der Keyboarder gerade ziemlich tourmüde, weshalb ich eigentlich erst am Keyboard einsteigen sollte, habe aber dann alles auf der Gitarre gespielt. Das hatte vor allem mit einem Interview zu tun, in dem ALBOTH! als Band bezeichnet wurde, die zwar Rockpower hätte, aber nicht mit Gitarre auftreten würde. Die anderen in der Band fanden das dann ganz anarchistisch, plötzlich mit Gitarre aufzutreten und das Pianoprogramm mit Gitarre zu spielen. Meine erste Tour mit ALBOTH! ging durch die USA, da waren wir aber noch zu viert. Dann ist der Bassist auch noch ausgestiegen, weil er einen Club aufgemacht hat. So kam es, dass wir letztendlich ein Trio-Programm gemacht haben."
Und wie war die Resonanz in den USA? Ich kann mir nicht so recht vorstellen, dass der Durchschnittsamerikaner etwas mit eurem Sound anfangen kann.
Tito: "Die Resonanz war eigentlich ganz gut. In manchen Städten wie Pittsburgh waren die Reaktionen sogar ziemlich überschwenglich, nur finanziell war es ein Desaster, da wir hoffnungslos abgezockt wurden. Wie in Amerika leider üblich, muss man für´s Schlagzeug bezahlen, quasi für alles, was sie einem hinstellen. So zahlt man bei fast jedem Konzert drauf."
Ist man in Japan, wo ihr ja auch schon wart, eurer Musik gegenüber nicht vielleicht etwas aufgeschlossener?
Tito: "Eigentlich gibt es überall Publikum für so eine Musik, es muss nicht unbedingt Japan sein. Japan ist zwar ganz gut, aber auch nicht viel besser als die Staaten oder Deutschland. In Japan haben wir komischerweise nicht in Clubs, sondern in sogenannten Music Houses gespielt, wo sie brav dasitzen und applaudieren. Sieht zwar genauso aus wie ein Club, aber wenn da das Schild "Music House" dran steht, ist das Verhalten direkt anders. Die sind dann ganz brav und hören sich regungslos jeden Krach an. Die fanden das aber schon gut, da wir natürlich für eine japanische Untergrundschicht gespielt haben, denn die breite Masse ist wesentlich spiessiger als in Europa. Das sind schweizerisch geprägte Überamerikaner. Ein grossartiger künstlerischer Impuls ging da für mich deshalb nicht aus. Ich finde, die Japaner haben völlig mit ihrer alten Kultur gebrochen. Das sind alles Technologie-Freaks, die wesentlich cleaner und antiseptischer als die Europäer vorgehen. Bei so einer Arbeitsweise kommen nur Kopien heraus, aber nichts wirklich eigenständiges oder etwas, das persönlich wäre. Ich habe auch schon mit Japanern im Theaterbereich gearbeitet, und die sind genau aus dem Grund aus Japan weg, weil man hier viel mehr Mut zu Originalität hat."
Was hat dich eigentlich überhaupt an ALBOTH! interessiert?
Tito: "ALBOTH! ist eine sehr skurrile Band. Da wird strikt komponiert - wir halten uns ja doch recht stark an die Noten. Das sieht auf dem Notenblatt erst mal recht trocken aus. Was dann aber wieder recht archaisch rübergebracht werden kann, durch die Art der Inszenierung oder auch durch die Interpretation auf der Bühne. Alleine schon die Lautgedichte, ganz grossartig. Dann interessiert mich auch die ganze Polyrhythmik, die Wertmüller da spielt. Ausserdem ist ALBOTH! eine richtige Band, die sich gegenseitig mit ihren ganzen Macken erträgt."
ALBOTH! erscheinen mehr denn je als Band, die einen sehr akademischen Anspruch an Musik hat. Wie stark steht denn bei euch ein eventuell intellektueller Anspruch im Vordergrund?
Wertmüller: "Eigentlich überhaupt nicht, das ist einfach die Musik, die wir machen wollen. Wir sind da extrem frei. Da besteht kein direkter Zusammenhang, das ist halt unser Umfeld. Wir spielen auch noch in anderen Bands, ich persönlich mache noch viel Jazz, und ab und zu spiele ich mit Brötzmann. Der Lieder hat z.B. auch eine klassische Ausbildung, aber das hat keine grosse Bedeutung. Es stimmt natürlich, dass die Musik zum Teil sehr konstruiert ist. Wir wollen dabei aber auch die Rockenergie rüberbringen. Aber es handelt sich natürlich nicht um Rockmusik, die normalerweise im Übungsraum entsteht. Mit "intellektuell" hat das aber nichts zu tun. Wir machen uns dabei auch keine Gedanken, in welche Schublade das passen könnte."
Mit der Rockenergie ist das ja so eine Sache. Ich schätze, das kann nicht unbedingt jeder beim Anhören eurer Platten nachvollziehen.
Wertmüller: "Für mich ist es schon Rockmusik. Wir sind keine Jazzband, selbst wenn ich am Schlagzeug Jazzrock spiele. Es ist doch eh alles übergreifend, die Stile und alles. Was heute so unter Jazz läuft, ist eh völlig zum Kotzen. Genauso wie Rock für mich auch nicht Springsteen ist. Ich will ausprobieren, was musikalisch möglich ist. Es gibt natürlich viele Stücke bei uns, die von neuer klassischer Musik oder "contemporary music" inspiriert sind, vor allem in Bezug auf bestimmte Überlagerungen und Schichtungen. Letztendlich bleibt es für mich echte Herzensmusik. Vor allem wenn wir unterwegs sind, entsteht da ein richtiges Rockgefühl, unter schlechtesten Bedingungen, schlechteste Hotels, wirklich dirty. Finanziell ist es eh der reine Horror. Die Wahrheit ist ja, dass wir unsere eigene Scheiss-Musik bezahlen. Wir bezahlen die Aufnahmen selber und das Label bringt die fertigen Sachen heraus. Aber ich erwarte davon jetzt auch nichts wahnsinnig kommerzielles."
Abschliessend noch eine Sache: nach wie vor taucht in Infos zu euren Platten dieses uralte Zitat von Diedrichsen auf, der ´92 euer erstes Album in der SPEX als "genialste Platte aller Zeiten" bezeichnet hat. Ein kurzes aktualisiertes Statement dazu bitte.
Tito: "Demnach können unsere anderen Platten natürlich immer nur schlechter werden, das ist klar. Wir werden also von Platte zu Platte schlechter, womit der menschliche Verfall hier deutlich dokumentiert wird."
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #22 I 1996 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #31 II 1998 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #38 März/April/Mai 2000 und Thomas Kerpen