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Quiet is the new loud

Sheffield. Dazu fallen mir Joe Cocker, Stahl und ARCTIC MONKEYS (wer?) ein - und 65DOS. Seit mittlerweile drei Alben fordern die Engländer mit komplexer, epischer Musik die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer heraus, bewegen sie sich klanglich zwischen MOGWAI, ENVY, GODSPEED ... und NEUROSIS. Auch ihr neuestes Werk "The Destruction Of Small Ideas" ist wieder auf Monotreme Records erschienen, und man stellt erneut fest, dass "instrumental" nicht das Fehlen von Gesang bedeutet - hier fehlt nichts, Gitarre und Piano genügen völlig als roter Faden durch die epischen Kompositionen. Ich unterhielt mich mit Joe Shrewsbury und Paul Wolinski.

"When we were younger and better" ist der Titel des ersten Songs auf eurem Album - wann soll das denn gewesen sein?


Joe: Das ist eine gute Frage ... Der Titel ist Ausdruck unserer Selbstzweifel, denn es ist nicht einfach, Musik zu schreiben. Der Song war eines der ersten Demos für das Album, und der Typ, mit dem wir es aufgenommen haben, arbeitet seit Jahren mit uns. Der kommentierte den Song mit den Worten, das sei das reifste und beste Lied, das wir je gemacht hätten. Der meinte das als Lob, aber irgendwie fassten wir das anders auf, denn wir wollen nicht "reif" sein. Denn auch wenn Bands zu Beginn ihrer Laufbahn nicht besonders gut spielen können, so haben sie doch eine gewisse reizvolle Naivität.

Paul: Die begegnen der Welt mit einer Art blindem Urvertrauen und Unschuld.

Joe: Ja, und dazu kommt noch eine Rauhheit und Aggressivität, die wir selbst nie verlieren wollen. Wir haben das ja selbst schon bei vielen Bands beobachtet: Die werden technisch immer besser, und auch wir sind heute bessere Musiker als zu Beginn, aber das bedeutet nicht automatisch, dass deshalb auch deine Musik besser oder origineller wird.

Paul: Wir versuchen also ganz bewusst, nicht einem bestimmten Schema zu folgen. Doch nach diesem Statement unseres Freundes, etwas älter geworden und etwas versauter von der Musikindustrie, haben wir dann diesen Albumtitel ausgesucht. Ein echtes Konzept für das Album hatten wir aber nicht.

Joe: Wir sind uns nur sicher, dass wir die Leute nicht mit irrelevantem Crap belästigen wollen. Denn die Leute, die auf die Konzerte kommen, die die Platten kaufen, die dafür bezahlen, die haben auch das Recht dazu, dich zu zerstören, wenn sie wollen. Aber wir wünschen uns natürlich, dass uns das nie passiert.

Paul: Und wir denken auch, dass die neue Platte das Beste ist, was wir je aufgenommen haben.


Aber auch das erzählt einem jede Band.

Paul: Und man muss das auch glauben, denn warum sollte man die Platte sonst veröffentlichen?

Joe: Jedenfalls ist der Song unser bislang bester, einen in der Art, mit diesem Arrangement von Gitarren und Klavier, haben wir bislang nicht gemacht. Es ist also die Kombination des Titels mit dem Glauben, dass es unser bislang bestes Lied ist, die ich so reizvoll finde. Außerdem haben wir uns den Hörern damit völlig ausgeliefert, denn was Besseres, was anderes als die Songs auf dieser Platte hätten wir nicht hinbekommen.


Habt ihr denn irgendeine Art von formaler musikalischer Ausbildung?

Paul: Ich hatte mal Klavierunterricht, aber über einen Grundkurs ging das nicht hinaus. Und als wir 65DOS gründeten, konnte ich nicht mal Gitarre spielen. Mein erstes Jahr an der Uni verbrachte ich statt auf Partys zu Hause bei meinem neu gekauften Sampler, weil ich den beherrschen wollte. Soviel also zu meiner "Ausbildung".

Joe: Meine Mutter zwang mich dazu, Cello zu spielen, sieben lange Jahre. Doch mit 15 habe ich ihr dann klar gemacht, dass es das war, und kaufte mir eine Gitarre. Ich hatte dann ein paar Monate Unterricht, und den Rest brachte ich mir selbst bei. Rob, unser Drummer, hat sich auch alles selbst beigebracht, und ich glaube, der wurde schon mit Drumsticks in den Händen geboren. Und Simon ist ebenfalls Autodidakt, und ich denke, das ist gut für uns: Wenn man die Regeln nicht kennt, muss man sich auch nicht an sie halten.


Wart ihr schon mal in einer Situation, wo ihr euch eine formale Ausbildung gewünscht hättet, um einen bestimmten Sound zu erzielen?

Joe: Nein, denn die Musik, die wir machen, spielt sich allein innerhalb der Grenzen unseres musikalischen Wissens ab. Ein neues Album aufzunehmen ist deshalb immer auch eine Erweiterung der Grenzen des eigenen Wissens, und das ganz praktisch, ohne Theorie. Und wenn man wie wir einen ganz praktischen und nicht theoretischen Ansatz an das Spielen seiner Instrumente hat, ist man grundsätzlich schon offener gegenüber allen Arten von Experimenten, denn dir hat ja nicht vorher jemand gesagt, dass dies oder das nicht funktioniert.

Paul: Wenn wir etwa die Idee hätten, bei einem Song mit Blechblasinstrumenten zu arbeiten, dann würden wir das einfach ausprobieren. Ohne jemals vorher so ein Instrument in den Händen gehabt zu haben.

Joe: Und wenn ich Klavier spielen wollte, würde ich Paul fragen, mir das beizubringen, denn ich hasse es, richtigen Unterricht zu nehmen. Denn was uns in dieser Band zusammengeführt hat, ist der Unwille, sich von jemand anderem etwas sagen zu lassen. Wir lernen alle gerne Neues, aber wir lassen uns nicht gerne sagen, was wir zu lernen haben.


Ihr habt euch das mit der Band zusätzlich erschwert durch die Entscheidung, in einer Instrumental-Band zu spielen.

Paul: Wenn man einen Sänger hat, steht der immer im Vordergrund, und gerade bei den herausragenden Bands ist es das Charisma, die Stimme des Frontmanns, die heraussticht. Und so einen Frontmann hat man - oder man hat ihn nicht.

Joe: Kathy und Drew von CIRCLE TAKES THE SQUARE singen beim letzten Song des Albums, "The conspiracy of seeds", und da ging es uns nicht um den Gesang an sich, sondern darum, dass die Stimmen der beiden eine ganz eigene Qualität haben, die perfekt zur Musik passt. Das ist wirklich einzigartig und sehr interessant, das klingt beinahe wie ein Instrument. Und für diesen Gesangspart die Worte und die Melodie zu schreiben, gingen wir an wie jeden anderen Instrumentalpart auch.


Wenn ich euren Bandnamen sehe, ergänze ich automatisch das Wörtchen "Noise".

Paul: Gute Idee, vielleicht sollten wir das einfach übernehmen. Wir haben ja den Ruf, unglaublich laute Konzerte zu spielen.

Joe: So für uns hören wir jeder auch gerne mal leisere Musik, doch sobald wir zusammen sind, läuft es immer auf schnelle und laute Musik hinaus. Wir hatten für das neue Album auch einige Songs geschrieben, die eher leise und langsam waren und die sicher auch gut gepasst hätten, aber letztlich haben sie es nicht geschafft.

Paul: Es fällt mir schwer zu beschreiben, was einen guten Song für uns ausmacht, aber es hat wohl was mit Intensität und Nachdrücklichkeit und einem Gefühl der Frustration zu tun. Wenn ein Song das hat, spüren wir das, und irgendwie läuft diese Nachdrücklichkeit immer auf eine gewisse Noisigkeit hinaus. In dieser Hinsicht waren ATARI TEENAGE RIOT eine wichtige Band für mich. Die sah ich vor fünf, sechs Jahren mal, als wir uns gerade gründeten, und es war phantastisch, auch die späteren Solo-Sachen von Alec Empire. Und gerade die ersten paar Songs waren so unglaublich, so intensiv, ich war echt beeindruckt. Doch dann, nach ein paar Nummern, hatte er sein Potenzial ausgeschöpft, er konnte sich nicht mehr steigern, und das war mir echt eine Lehre. Ich habe auch CONVERGE schon ein paar Mal gesehen, und die sind ein ganz anderer Fall.


Im dem Album beiliegenden Presseinfo lasst ihr euch darüber aus, dass heutzutage alle Alben sehr laut gemastert seien und so der Sinn für Nuancen verloren gehe. Könnt ihr das mal erläutern?

Joe: Es ist heute so, dass im Mainstream-Rock alles auf einem Level gemastert wird, so dass laute und leise Stücke und Passagen alle auf einem Lautstärkeniveau liegen. Aber das führt letzten Endes nur dazu, dass Hintergrundmusik produziert wird, denn auch wenn es sich um Rockmusik handelt, so kann man sie doch leise drehen und hört immer noch was. Wir haben bei unserem Album versucht die Tiefe der Musik zu bewahren, und die lauten Parts laut und die leisen leise zu lassen - physisch. Wenn du diese Stellen genau hören willst, musst du die Lautstärke hochdrehen. Auf diese Weise kann man das Album nicht ignorieren - zumindest hoffen wir das. Du kannst die Platte nicht nebenher hören, du musst dich auf sie konzentrieren.

Paul: Das ist natürlich auch ein gewisses Risiko für uns, denn im iPod oder so ist es schon eine Herausforderung, das Album zu hören. Wir hoffen, dass es genug Leute gibt, die Musik mit der nötigen Aufmerksamkeit hören wollen. Damit wollen wir aber niemandem zu nahe treten, niemanden herausfordern, der andere Hörgewohnheiten hat, sondern einfach nur den Leuten, die uns Aufmerksamkeit schenken, ein Maximum an interessanter Musik bieten. Und wir wissen ja auch, dass wir nicht die KILLERS oder die FOO FIGHTERS sind, die beide wirklich sehr gute Popmusik machen und die wir auch durchaus schätzen, aber selbst niemals machen könnten. In gewisser Weise versuchen wir ja auch, Popmusik zu machen ... Wir versuchen immer, möglichst auf den Punkt zu kommen und zugänglich zu sein, 25-minütige Stücke sind nicht unser Ding, aber ob dieser Ansatz dann nach außen hin immer so rüberkommt, ist eine andere Frage.


Habt ihr so was wie einen Produzenten oder macht ihr im Studio alles selbst?

Paul: Ich habe noch nie verstanden, warum sich eine Band jemanden dazuholt, der die Songs zerstückelt und neu zusammensetzt. Das Songwriting und das Arrangement sind doch ganz essentiell, und das sollte meiner Meinung nach die Band selbst machen. Wir betrachten das Aufnehmen deshalb wie Alfred Hitchcock das Filmemachen: Der hat auch keinem Studio erlaubt, an seinen Filmen etwas zu ändern.

Joe: Ich las kürzlich ein Interview mit Steve Albini, der sagte, er beanspruche keine Produzenten-Credits, weil er seinen Job darin sehe, dafür zu sorgen, dass die Band sich im Studio wohl fühlt, dass die Instrumente funktionieren, und nicht darin, die Band zu beeinflussen. Ich finde, das Aufnehmen ist für eine Band ein genauso wichtiger Faktor wie die Konzerte und das Songwriting, und da sollte sich niemand reinreden lassen. Was nicht heißen soll, dass wir nicht auf das hören, was uns ein Studiotechniker sagt. Und das war diesmal auch wichtig, denn im Gegensatz zu den ersten beiden Alben, die quasi live im Studio eingespielt wurden, nahmen wir diesmal Stück für Stück auf. Das Resultat ist ein anders klingendes Album, und wir sind jetzt auf die Reaktionen der Leute gespannt, die uns auch vorher schon kannten.


Ihr wart und seid auf Monotreme, und irgendwie passt ihr perfekt zusammen, vom Sound und der Idee her.

Joe: Kim, die Betreiberin von Monotreme, und wir sind uns durchaus ähnlich. Nicht unbedingt immer, was den Musikgeschmack anbelangt, aber auf jeden Fall darin, wie Musik gemacht sein sollte, was ihren "Spirit" anbelangt. Und insofern ist es eine sehr logische Entscheidung für uns, auf Monotreme zu sein. Außerdem haben wir einfach Glück gehabt, denn ich wüsste nicht, wer sonst unsere Platten hätte veröffentlichen sollen. Kim ist mit uns ja auch ein großes Risiko eingegangen, und wir arbeiten sehr gut und gern mit ihr zusammen. Das "Big Business" interessiert uns nicht, wo gesichtslose Firmen Druck auf ihre Bands ausüben. Und es würde eine Menge brauchen, uns von Kim wegzubringen.

Paul: Was unsere Einflüsse betrifft, so muss ich auf jeden Fall AT THE DRIVE-IN nennen, einfach was ihre Attitüde anbelangt. Und wir schätzen allen Bands auf Monotreme, denn mit denen teilen wir eben jene Attitüde. Und reich wird sicher keine von den Bands, alle müssen irgendwelche Jobs machen, um zu überleben, es ist eben nur ein kleines Label.

Joe: Es ist nicht einfach, ein Label zu finden, dessen oberste Priorität die Musik ist, und die Freude daran, der Wille diese Musik bekannt zu machen - und nicht das Geld. Deshalb ist Monotreme so angenehm: Es wird von dir als Band erwartet, dass du gut bist, und nicht, dass du viel Geld einbringst. Und diese Erwartung können wir, denke ich, befriedigen. Was jedoch das mit dem Geldverdienen anbelangt: Keine Ahnung, wie das gehen soll, haha.


Was macht ihr denn, um über die Runden zu kommen?

Joe: Wir machen die Band jetzt seit fünf, sechs Jahren und haben es aufgegeben, einen "normalen" Job oder eine Karriere zu haben. Du brauchst eben einen Job, bei dem du kurzfristig loskommst, um wieder auf Tour gehen zu können.

Paul: Postamt, Coffeshop, Geschenkeladen, Industriereinigung - solche Crap-Jobs haben wir gemacht, und wir sind in einer glücklichen Position, das letzte Jahr allein mit der Band überlebt zu haben. Ich glaube, es gibt Leute, die wären bereit dafür zu töten - und viele andere, die in großen Bands spielen, kapieren gar nicht, in was für einer glücklichen Lage sie sind. Deshalb nehmen wir unsere Verantwortung sehr ernst. Und so leben wir sehr genügsam vor uns hin, sind ärmer als je zuvor, aber glücklich. Die Belohnung dafür ist, dass wir jeden Tag aufstehen und für etwas arbeiten, was uns wirklich etwas bedeutet: unsere Band. Dafür bist du auch bereit, tausendmal so hart zu arbeiten wie für einen Job, den du jeden Morgen aufs Neue hasst, bei dem du aber viel, viel mehr Geld verdienst. Und ich denke auch, all die Dekadenz und all der Wohlstand, den viele Bands genießen, das braucht man nicht. Man kann mit weit weniger viel glücklicher sein und viel positiver arbeiten.


Mit der Musik, die ihr macht, bewegt ihr euch derzeit inmitten einer recht aktiven Szene: ENVY, MOGWAI, EXPLOSIONS IN THE SKY, ISIS, JESU und so weiter erfreuen sich großer Beliebtheit.

Paul: Ich bin auch echt gespannt, wie sich das weiter entwickelt. Wir werden ja immer wieder mit MOGWAI und APHEX TWINS verglichen, wir haben uns da schon dran gewöhnt, aber diese beiden Bands haben das schon vor zehn Jahren gemacht, und in diesem Genre ist offensichtlich so wenig passiert, dass sie immer noch die führenden Bands sind. Es ist gut zu sehen, dass da jetzt eine Menge Bands nachkommen, aber ich finde auch, dass viele, die jetzt Aufmerksamkeit bekommen, die musikalische Entwicklung nicht unbedingt vorangebracht haben. Ich denke, es wäre einfach, sich in dieser Nische niederzulassen, immer weiter Platten in diesem Stil zu machen, vor immer den gleichen Leuten zu spielen, aber das interessiert uns nicht. Ich bin nicht so naiv zu sagen, dass wir völlig losgelöst von all dem existieren, aber wir haben auch das Bedürfnis, uns aus diesem Genre hinauszubewegen und Neues zu entdecken. Wenn man die Aufmerksamkeit der Leute will, muss man sich auch bemühen, sie mit etwas zu konfrontieren, das sie noch nie vorher gehört haben. Sonst enden wir alle mit Bands, die LED ZEPPELIN oder die BEATLES oder MOGWAI aufbereiten. Denn es gibt einen Grund, warum diese Bands so bekannt sind: Sie haben das, was sie machen, einst als Erste gemacht - und es war aufregend.


Ihr arbeitet auch mit einer Visual Art-Künstlergruppe namens Medlo zusammen.

Joe: Die kommen auch aus Sheffield und Paul kennt die von der Uni. Wir fingen zur gleichen Zeit an wie die, wir arbeiten beide ähnlich D.I.Y., und so arbeiten wir immer wieder mal zusammen. Sie machen für uns Videos, und sie kümmern sich jetzt auch um die Effekte bei unseren Live-Shows, und wann immer es möglich ist, integrieren wir das. Wir haben letztes Jahr eine ganze UK-Tour mit ihnen gemacht, und das war wirklich beeindruckend. Die arbeiten gerade an einem DJ-Set zu ihrer Show, und das passt wiederum zu unserer Entwicklung, mehr und mehr mit Elektronica zu arbeiten.