DEFEATER kommen aus Massachusetts, wurden 2004 gegründet und brachten 2008 ihr Debüt auf Topshelf Records raus. Dieses Album, „Travels“, nahm man auch im Hause Bridge 9 zur Kenntnis (ziemlich einfach, wird Topshelf doch vom B9-Mitarbeiter Seth Decoteau betrieben) und entschloss sich, es unter dem eigenen Logo neu zu veröffentlichen. Verständlich, denn DEFEATER machen alles richtig: Ihre Lieder sind wütende Nummern in Moll, Verzweiflung und Melodiösität schließen sich nicht aus, die Stimme von Gitarrist Jay Maas ist rauh, er gurgelt und kreischt nicht, er schreit einfach und ist damit eher oldschool. Eine unter die Haut gehende, intensive Erfahrung ist diese Band – ein guter Grund, ein paar Fragen zu stellen.
Jay, kannst du mir mehr über das Konzept und die Hintergründe eures Albums und der hervorragenden Booklet-Fotos verraten?
Jay: Das Album erzählt von einer amerikanischen Familie, die in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg aufwächst. Es gibt viele unterschiedliche Charaktere, in die auch Elemente aus unserem eigenen Leben eingeflossen sind. Im Großen und Ganzen ist die Atmosphäre sehr düster. Jedes Bild im Booklet steht für eine Persönlichkeit aus der Geschichte. Wir achten genau darauf, dass wir nichts einbauen, was nicht auch ins Gesamtkonzept passen würde. Also haben wir versucht, die Fotografien etwas älter und die Charaktere so passend wie möglich wirken zu lassen.
Immer wieder werden auf der Platte Religion und Glaube thematisiert. Nach dem, was ich gelesen habe, seid ihr keine christliche Band, doch es scheint schwer zu fallen, vom Thema Religion wegzukommen. Das wurde mir erst kürzlich beim Interview mit Mike von NOFX bewusst, der Religion strikt ablehnt, aber auch davon besessen ist, sie anzufeinden.
Jay: Die meisten in der Band haben bezüglich Religion dieselben Ansichten, manche mehr manche weniger ausgeprägt. Religion und Glauben sind jedenfalls Schlüsselthemen auf „Travels“, doch was mir daran gefällt, ist, dass wir das von unseren persönlichen Ansichten trennen können. Es ist mir egal, ob jemand über mein Verhältnis zum Glauben und zu „Gott“ Bescheid weiß. Und ich führe auch keinen persönlichen Kreuzzug gegen Menschen, die an etwas anderes als ich glauben, genauso, wie ich von den Leuten erwarte, dass auch meine Art respektiert wird, unser Dasein zu erklären.
Euer Album ist für mich eine der besten und spannendsten Platten der letzter Zeit, weil sie auf zwei Ebenen wirkt: Musik und die Texte packen dich gleichermaßen, ohne dass dieses Zusammenspiel einfach nur die Summe von beidem wäre. Wie habt ihr das hingekriegt?
Jay: Diese Frage ist schwer zu beantworten, ohne gleich arrogant zu klingen. Wir geben schlicht unser Bestes. Ich nehme die Dinge in meinem Leben sehr genau, das grenzt geradezu an Detailversessenheit. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das nicht auch genauso auf die Musik abfärbt. Alles hat seinen Platz und seinen Grund, und wenn nicht, sollte es gar erst nicht mit einbezogen werden. Das gilt genauso für Musik wie für alles andere im Leben.
„Wir wollten genau wissen, wo wir landen, bevor wir dahin aufbrachen.“ Ein guter Plan, aber wie genau funktioniert der?
Jay: Für mich klingt der Gedanke, mit etwas anzufangen, bevor ich überhaupt weiß, was ich damit erreichen möchte, etwas rückständig. Was würde man dann erst machen, wenn man mal wirklich ohne Orientierung dasteht? Ich mag es, mit den Typen aus der Band zu sprechen, bevor wir niederschreiben, was wir zustande bringen wollen und wie wir das wohl schaffen könnten – oder das Kopfkino, das beim Schreiben entstehen kann. Es ist schön, zu diskutieren, wie der Teil eines Songs auf den Hörer wirken könnte, wo genau er auf dem Album hingehört und welche Stimmung seine Wirkung am besten unterstreicht.
Auf der CD heißt es „Lyrics borrowed from Bob Dylan“. Welche Rolle spielt Dylan für euch, was beeinflusst die Musik und die Texte von DEFEATER sonst noch? Es gibt ja offensichtliche, aber auch versteckte Einflüsse ...
Jay: Derek ist unser Haupttexter, er hatte die Idee, die Zeile von Dylan zu übernehmen. Man kann mit Sicherheit sagen, dass Dylan einen starken Einfluss hat auf Derek und seine musikalische Entwicklung hatte. Wir sind von vielen verschiedenen Bands beeinflusst. Ich persönlich höre nur wenig Hardcore, mag aber besonders VERSE, SOUL CONTROL, MODERN LIFE IS WAR und die neueren Sachen von HAVE HEART und BLACKLISTED. Abseits dieser Sparte reicht es von RUSSIAN CIRCLES über FUGAZI und RADIOHEAD bis hin zu KARATE. Ich mag einfach Musik, die gut gemacht und einigermaßen intelligent ist.
Im Booklet eures Albums steht, dass es ganz aus Recyclingmaterial hergestellt ist. Kannst du da etwas näher ins Detail gehen?
Jay: Für unsere Band ist es wichtig, nicht verschwenderisch zu sein. Wenn wir also eine Möglichkeit haben, mit sparsameren Mitteln das gleiche zu erreichen, sind wir alle dafür. Das Booklet auf Altpapier zu drucken war wirklich kein Hexenwerk, und ich bin mir sicher, in Zukunft werdet ihr noch mehr solcher Sachen von uns sehen.
Wie sieht es mit Band-Merchandise aus? Kaum jemand macht sich Gedanken über faire Produktionsbedingungen oder sogar Bio-Baumwolle. Das schnelle Geld scheint den meisten Bands wichtiger zu sein.
Jay: Das ist ein wichtiger Punkt, der für mich von Anfang an von Bedeutung war. Ich will da so schnell wie möglich einen Gesinnungswandel einleiten. Außerdem sind Klamotten, die nicht aus Sweatshops kommen, einfach passender. Aber mal ganz ehrlich, Bands verdienen kein Geld mit ihrer Musik. Wir auch nicht, das ist Tatsache. Aber mir ist es egal, ob ich jemals auch nur einen Dollar an DEFEATER verdiene. Ich bin zufrieden, wenn wir die Kosten decken, uns der Kunst widmen und gute Sachen machen können. Heißt das, dass wir zu Hause Überstunden machen und uns teilweise darum sorgen müssen, wie wir unsere Rechnungen bezahlen? Klar, und das nicht zu knapp. Aber wir wissen, wofür wir unterschrieben haben und ziehen das gerne durch.
Euer Drummer Andy vermietet mit Pflanzenöl betriebene „Greenvans“. Andy, erzähl’ mal mehr über dieses Projekt. Wie bist du dazu gekommen, wo liegen die technischen Schwierigkeiten, welche Autos benutzt du und wie reagieren die Leute und Bands? Wie stehst du zur allgemeinen Kritik gegenüber der Nutzung von Ackerland und Nährpflanzen für die Produktion von Biosprit?
Andy: „Greenvans“ entstand vor etwa drei Jahren aus meinem Interesse für alternative Kraftstoffe. Nachdem ich mich über Pflanzenöl und Biodiesel als praktische Alternativkraftstoffe ausgiebig kundig gemacht hatte, habe ich meinen ersten Dieselvan gekauft und ihn für den Betrieb mit Speiseölabfällen umgerüstet. Kurz danach habe ich dann gemerkt, dass hunderte Bands von meinen Nachforschungen und der harten Arbeit profitieren könnten, die ich in die Entwicklung eines bandfreundlichen Biospritautos gesteckt hatte. Das war der Anfang von „Greenvans“, der allerdings alles andere als einfach war. Die Technologie, die dahinter steckt, ist eigentlich recht simpel. Man muss kein Genie sein, um etwas von Kraftstoffdruck, Verbrennungseigenschaften und unsere Grundkonstruktion zu verstehen. Alle unsere Kleinbusse sind Ford 7.3 L Power Stroke-Turbo-Dieselvans, ein sehr zuverlässiges Modell. Fast alle Bands respektieren unsere Arbeit – unabhängig davon, ob sie ihre Tourbusse bei uns mieten oder sich überhaupt um einen geringeren CO2-Ausstoß scheren. Die meisten halten es für eine sehr gute und fortschrittliche Geschäftsidee. Wir verwenden ausschließlich recycelte Speiseölabfälle, die wir und unsere Lieferanten aus den Müllcontainern von Restaurants einsammeln. Von kommerziell produziertem Biodiesel lassen wir die Finger, weil der negative Einfluss auf die weltweite Nahrungsversorgung und die Kraftstoffpreise größer ist als sein Nutzen als Autokraftstoff. Ich glaube, die Kritik an der Nutzung von Ackerland für die Biospritproduktion ist gerechtfertigt. Obwohl es gut ist, dass unser Land einen Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit macht, ist es nicht unbedingt richtig, gleichzeitig die Preise für andere Ressourcen zu erhöhen.
Bands auf Tour sorgen für einen erheblichen CO2-Ausstoß, herumreisende Fans – und Musikjournalisten – natürlich auch. Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, etwas wie „Atmosfair“ zu nutzen?
Andy: „Greenvans“ arbeitet bereits mit einem ähnlichen Partnerunternehmen zusammen, um die kleine CO2-Menge, die unsere Vans produzieren, auszugleichen. Wir würden mehr Kooperationen mit Organisationen wie „Atmosfair“ oder „Terrapass“ sehr begrüßen, weil sie auch Leuten, die nicht sofort ihr Auto umrüsten oder auf Solarenergie umsteigen können, ermöglichen, ihre CO2-Bilanz zu regulieren. Diese Gesellschaften verkaufen CO2-Zertifikate und investieren in alternative Technologien, damit auch Einzelpersonen einen Beitrag leisten können. Es wäre toll, wenn mehr Bands mit diesen Unternehmen zusammenarbeiten und ihre Freunde und Fans auch dazu motivieren würden.
Hast du „Fast nackt: Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben“ von Leo Hickman gelesen? Wie könnte es das Verhalten einer Band beeinflussen?
Andy: Ich hab’s noch nicht gelesen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es über die Lebensweise tourender Bands richtig urteilt. So eine Band lebt doch auf Tour schon automatisch sehr verschwenderisch. Von Stadt zu Stadt zu reisen, dabei tonnenweise Fastfood in sich reinzustopfen und riesige Berge von Müll zu produzieren, beißt sich natürlich sehr mit einem verantwortungsbewussten Lebensstil. Das an sich ist schon schlimm genug, aber wenn du dir bei jeder Kleinigkeit Gedanken darüber machst, welchen Einfluss das nun auf die Umwelt hat, wird es irgendwann zu viel. Manchen Leuten fällt es offensichtlich leichter, auf ein ethisch korrekteres Leben hinzuarbeiten, aber das bleibt trotzdem ein ständiger Kampf gegen Windmühlenflügel.
Wie soll es bei euch weitergehen? Ich habe gehört, ihr wollt bald eine neue EP rausbringen. Was dürfen wir uns davon erwarten, und wie wär’s mit einem neuen Album?
Jay: Wir schreiben gerade an einer neuen EP, die wir dann hoffentlich im August aufnehmen können. Es wird um den Obdachlosen aus dem Song „Prophet in plain clothes“ gehen, das ist das sechste Stück auf „Travels“. Wir haben jetzt fast die Geschichte und ihren Ablaufplan fertig gestellt und ich bin wirklich gespannt, in welche Richtung das Ganze gehen wird. Ich glaube, es wird den Fans gefallen, die sich die Zeit nehmen, um sich mit den Texten zu befassen und so eine Hintergrundgeschichte zu einem der Nebencharaktere kennen lernen. Ich persönlich verschlinge solche Sachen, haha.
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