Foto

THE TRACEY FRAGMENTS

Der Kanadier Bruce McDonald besitzt ja durch seine starke Einbeziehung von Musik, oftmals mit Punk-Bezug, als Independentfilmemacher einen gewissen Kultstatus, vor allem durch Frühwerke wie HARD CORE LOGO (1996), HIGHWAY 61 (1991) und ROADKILL (1989).

Zwischendurch verdient er sich wohl seine Brötchen im Fernsehbereich, denn mit dieser Art Film wird man nicht gerade Millionär. Dafür sind seine Arbeiten immer von einer interessanten Experimentalität geprägt, wie etwa 2001 beim schwer untergegangenen „Thriller“ PICTURE CLAIRE mit Juliette Lewis und Gina Gershon, den man mit seiner interessanten Integration der „Split Screen“-Technik als Vorstufe zu THE TRACEY FRAGMENTS ansehen könnte.

Normalerweise sage ich das ja nicht, aber THE TRACEY FRAGMENTS müsste man eigentlich wirklich im Kino sehen, denn McDonald betreibt darin eine extreme Zerteilung konventioneller Bildkompositionen, was fast an die abstrakten Gemälde eines Piet Mondrian erinnert.

Brian De Palmas Versuche in dieser Hinsicht wirken dagegen eher banal. Inhaltlich wird THE TRACEY FRAGMENTS seinem Titel mehr als gerecht, denn McDonald taucht in äußerst fragmentarischer Form ab in die Gefühlswelt der 15-jährigen Tracey Berkowitz, gesegnet mit einem disfunktionalen Elternhaus („Exhibit B: My mother.

She is too busy to talk to me, she smokes three packs a day and getting her away from the TV is a surgical procedure.“). Eine verstörte Teenagerin („My name is Tracey Berkowitz. Fifteen. Just a normal girl who hates herself.“), die sich während des Films auf der Suche nach ihrem 9-jährigen Bruder befindet, der durch ihre Schuld verschwunden ist.

So richtig klar wird das alles nicht, da McDonald nicht nur die Leinwand zerteilt, sondern mehr oder weniger auch die Chronologie der episodenhaften Handlung, in der Tracey durch die Großstadt irrt, Gespräche mit ihren Eltern und einer Psychiaterin führt und einen coolen Rebellen an ihrer Schule anhimmelt, der sie schließlich vergewaltigt.

Ein verstörender Albtraum, aus dem Tracey allerdings nie erwacht. Falls McDonald sein Publikum verwirren wollte, ist ihm das mit THE TRACEY FRAGMENTS bestens gelungen, wobei Ellen Page (HARD CANDY, JUNO) seiner seltsamen Hauptfigur eine emotionale Tiefe verleihen kann, die den artifiziellen Charakter seines Experiments mit einer nachvollziehbaren menschlichen Tragödie versieht.

Normalerweise finde ich wenig Gefallen an solcher artsy-fartsy Attitüde, aber THE TRACEY FRAGMENTS ist trotz seiner oftmals prätentiösen Dialoge eine faszinierende Angelegenheit, die man entweder hasst oder liebt, dazwischen gibt es nicht viel.

Ein Mainstreampublikum hat McDonald eh noch nie angesprochen, aber hier werden auch Liebhaber von schlimmsten Kunstfilmflatulenzen das Handtuch werfen, was THE TRACEY FRAGMENTS auf jeden Fall sympathisch macht.

14 Tage hat der Dreh gedauert, neun Monate der Schnitt, und das merkt man auch. Amüsanterweise stellte der kanadische Verleiher damals Filmmaterial zum Download zur Verfügung, und so konnten sich einige Leute ihre eigene Version des Films zusammenschneiden, ohne Split Screen und in chronologischer Form.

Und was die Musik betrifft, die stammt von den Kanadiern Broken Social Scene, die ich nicht übermäßig schätze, aber deren schluffiger Indierock hier wunderbar passt. Love it or leave it! McDonalds aktueller Spielfilm ist übrigens ein Zombiefilm namens PONTYPOOL, der bei ihm sicherlich auch wieder recht untypisch ausgefallen sein dürfte.