Julian Temple

THE GREAT ROCK'N'ROLL SWINDLE DVD

Malcolm McLaren wäre begeistert: In Anzeigen und im Presseinfo bezeichnete Sony unlängst noch Julian Temples Film aus dem Jahr 1980 als "Dokumentation". Tjaja, genau das ist es nämlich nicht, und das steht auch auf dem Backcover: "fictional documentary" heißt es da, und das ist zwar ein astreines Oxymoron, aber bei den SEX PISTOLS und Mr.

McLaren macht auch so was Sinn. Ich weiß noch genau, wie ich Mitte der Achtziger als lütter Punk mit seltsamen Vorstellungen von der Welt da draußen diese Doku ... diesen Film das erste Mal sah und völlig verwirrt war.

Mein erster Gedanke: So ein Scheiß! Keine vernünftige Handlung, seltsame historische Spielszenen, McLaren in der Badewanne mit einer kleinwüchsigen Dame, die ihm die Zehennägel schneidet, komisches englisches Gemurmel, das man nicht versteht (yep, daran hat sich nicht viel geändert, dringend notwendige Untertitel werden uns vorenthalten), und wer sich dieses Werk, dessen Regisseur eigentlich Trash-Ikone Russ Meyer sein sollte, das erste Mal anschaut, der sollte, um etwas verstehen zu können, sich eingehend mit Malcolm McLarens wirrer Gedankenwelt vertraut gemacht haben, mindestens "England's Dreaming" gelesen haben.

"The Great Rock'n'Roll Swindle" ist die Nacherzählung der Geschichte der SEX PISTOLS, so wie sie Malcolm McLaren gesehen hat oder gerne gesehen hätte: Eine Band kleiner Gauner, von ihm nach seinen Vorstellungen geformt, die auszogen die Weltherrschaft zu erringen, und alles, was auf diesem Weg geschah, wird hier im Nachhinein als perfider Plan des bösen Managers dargestellt, etwa wie die verschiedenen Major-Plattenfirmen seinerzeit gegeneinander ausgespielt wurden und diese sich immer weiter überboten, wie die Presse manipuliert wurde, und so weiter.

Dass das alles in echt wesentlich weniger planvoll gestaltete, interessiert nicht weiter, der Film war viel mehr die Fortsetzung des Projektes SEX PISTOLS mit anderen Mitteln, und wenn er der ganzen Welt inklusive der Punks zeigen sollte, dass alles nur eine einzige große Verarsche war, so ist McLaren bzw.

Temple das nur begrenzt geglückt: Legenden haben mit Fakten, wer immer die auch verdreht, nur noch begrenzt was zu tun, die Punk-Revolution hatte ihren Vater längst gefressen. Ein Film wie ein Alptraum, eine Vermischung dokumentarischen Bildmaterials mit Spielszenen und Zeichentricksequenzen, alles andere als leicht zu verdauen.

Julian Temple, der in den Bonus-Features in einem interessanten 20-minütigen Interview zu sehen ist, kehrte übrigens zwei Jahrzehnte später wieder an die Stätte seines "Verbrechens" zurück und drehte "The Filth And The Fury", für das der Ausdruck "documentary" eher angemessen ist.